20 Jahre Gamers.at. Fast genauso lange, fast mein halbes Leben, bin ich bei Gamers.at. Dieses Jubiläum, dieser Meilenstein verlangt natürlich nach einem Resümee. Meine Zeit als hauptberuflicher Spieleschreiberling war interessant, spannend, abwechslungsreich und auch sicherlich ziemlich einzigartig. Aber ich bin auch der einzige hier, der vom Anfang bis zum (glücklicherweise nicht endgültigen) Ende 2013 dabei war. Derjenige, der noch in den letzten Tagen des consol.MEDIA-Verlags Abonnentenlisten für den Masseverwalter zog und Server herunterfuhr. Außerdem der sprichwörtlich Letzte, der am 8. November 2013 im langjährigen Redaktionsbüro in der Perfektastraße 55 das Licht abdrehte. Also liegt es auch an mir über das Ende eines Teils von Gamers.at zu erzählen.
Aber fangen wir mit dem Positiven an. Fast zeitgleich mit der Gründung von Gamers.at habe auch ich in der Branche erstmals Fuß gefasst, zu jener Zeit noch für einen englischsprachigen, internationalen Mitbewerber tätig, weil ich mich im Zivildienst unterfordert fühlte. Im damals wie heute aus der Sicht der Spielebranche winzigen Österreich für ein internationales Magazin zu schreiben war aber nie einfach und als Hannes und Andi (Weinberger) mir dann irgendwann anboten, doch zu Gamers.at zu wechseln, musste ich nicht lange nachdenken. Ich kannte die beiden schon von diversen Veranstaltungen, die Chemie stimmte und auch wenn es in manchen Dingen fast einen Rückschritt darstellte, fühlte ich mich bei Gamers.at schnell und erstmals „zuhause“.
Neben meinem Informatik-Studium begann ich also freiberuflich über PC-Spiele, gelegentlich aber auch über Titel für PlayStation 2, Xbox und Nintendo GameCube zu schreiben. Mehrmals die Woche besuchte ich die Redaktion, manchmal vor, manchmal nach, manchmal statt meiner Vorlesungen auf der Uni. Oft war es chaotisch, gelegentlich blieben wir bei der Bemusterung zugunsten anderer Medien auf der Strecke. Aber wir hatten immer etwas zu lachen und ich habe einige schöne Erinnerungen an diese semi-professionellen Anfänge.
Und dann kam die Fusion mit consol.AT zur consol.MEDIA Verlags GmbH. Plötzlich gehörten wir zu den „Großen“, ganz mit eigenem Print-Magazin, damals noch DAS Alleinstellungsmerkmal für ein Spielemedium. Für mich bedeutete es auch: Der erste richtige Job, einer von dem man sogar Miete bezahlen kann und nicht mehr von Mama & Papa erhalten werden muss. Nach nur drei Ausgaben übernahm ich die Chefredaktion der Gamers.at-Printausgaben und nebst der technischen Leitung für den gesamten Verlag war aus dem Nebenerwerb während des Studiums plötzlich ein Vollzeitjob geworden. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.
Es waren silberne Zeiten
Ich schreibe ganz bewusst nicht von goldenen Zeiten, die hatte die Redakteursgeneration vor uns vielleicht noch erlebt. Der Alltag als Spieleredakteur war fordernd, (wirklich) schrecklich schlecht bezahlt und wurde prinzipiell von der Umwelt entweder komplett über- oder unterschätzt. Von unserer Generation seitens der Leser meist überschätzt, weil man wird für das Spielen von Videospielen auch noch bezahlt (!) und die Spielefirmen überhäufen einen mit Zuneigung (haha). Von der Elterngeneration unterschätzt, weil man wird so schlecht bezahlt und alles was mit Videospielen zu tun hatte, stand damals sowieso unter Generalverdacht für alle Jugendprobleme überhaupt verantwortlich zu sein. Aber ich will mich nicht beschweren: Ja, ich wurde für etwas bezahlt, das ich (meistens) gern tat. Viel herumgeflogen bin ich auch – auch wenn die freie Zeit zwischen Flughafen-Hotel-Entwicklerstudio-Hotel-Flughafen meist keine Zeit für Sightseeing ließ. Ich kenne zwar vielleicht mehr Flughäfen und Flughafenautobahnen, als die meisten, aber lasst euch sagen: In der westlichen Welt schauen die inzwischen alle gleich aus.
Persönliche Highlights waren trotzdem einige dabei:
- meine beiden E3-Besuche, inklusive Treffen mit John Carmack & „MacGyver“ Richard Dean Anderson (damals noch fit).
- mein Besuch bei Valve, um das damals gerade fertiggestellte Portal 2 zu testen. Ich war übrigens einen halben Tag vor den deutschen Kollegen mit dem Spiel fertig und musste einigen von ihnen dann helfen die letzten Rätsel zu knacken, damit ich jemanden zum Multiplayer-Testen habe…
- Command & Conquer: Red Alert 3-Präsentation in Moskau – inklusive Panzerfahrt!
- Besuch am Set von Stargate: Universe
- Super-Kurzbesuch bei Blizzard für Heart of the Swarm
- viele, viele gamescom & GamesCon Besuche – Treffen mit Hideo Kojima, Al Lowe, Brian Fargo, Joseph D. Kucan (Kane in Command & Conquer) und vielen anderen …
Die Schattenseiten
Nach einigen Jahren, mal erfolgreicher, mal weniger zeichnete sich aber immer mehr ab, dass der Markt im Umbruch war, die Hochzeit war vorbei. Zu viele Mitbewerber drängten in allen Bereichen auf den Markt, alle wollten ein Stück vom schnell wachsenden Videospielkuchen abhaben. Microsoft, Sony und Nintendo lieferten sich heftige Konsolenkriege, verbündet zeigte man sich nur gegen den PC, der als das Zuhause von Raubkopierern und Narzissten dargestellt wurde. Spielepublisher fluteten den Markt mit Titeln, mehr als irgendjemand kaufen konnte. Und da die eigene Webseite bzw. der eigene YouTube-Kanal inzwischen nur mehr wenige Klicks entfernt war, sah sich (gefühlt) jeder zweite Jugendliche weltweit zum Spielejournalisten berufen. Die Marktübersättigung an allen Ecken und Enden ließ auch die Publisher vorsichtiger werden, man begann zu sparen. Schließlich musste im Verhältnis immer weniger freies Budget auf immer mehr Möglichkeiten der Bewerbung verteilt werden.
Als etabliertes Medium hatten wir hier – zumindest anfangs – noch nicht so viele Probleme, aber auch wir bemerkten die Veränderungen. Presseeinladungen wurden zurückgefahren bzw. an Bedingungen geknüpft was Seitenumfang & Cover-Integration betraf. Die von anderen Redaktionen zu Veranstaltungen entsendeten Teams wurden kleiner, immer wieder fehlten sie auch komplett. Die eigene Anzeigenabteilung zeigte sich enttäuscht, dass zu AAA-Titel XY keine einzige Anzeige gebucht wurde, weil das Webebudget anderswertig verbraucht wurde. Das für Mehrspielertests unerlässliche zweite oder dritte Muster bekam man plötzlich nur mehr nach viel Gejammer vom zuständigen Pressesprecher, die zugehörigen NDAs (Vertraulichkeitsvereinbarungen) wurden immer umfangreicher und irrwitziger.
Zusätzlich Schlussredaktionen bis tief in die Nacht und ein paar Mal sogar in die Morgenstunden hinein, weil manches (zu) spät angeliefert / fertig wurde oder es ganz einfach menschliche Herausforderungen innerhalb des Teams gab. Die ständigen Unterstellungen lautstarker Minderheiten, dass man sowieso nur korrupt und gekauft sei. Schlaflose Nächte aus redaktionellen, bürokratischen, personellen und gegen Ende dann natürlich auch wirtschaftlichen Gründen.
Vor allem die personelle Reduktion im letzten Lebensjahr des consol.MEDIA Verlags ging mir ziemlich an die Substanz. Ich war zwar nicht Teil der Geschäftsführung, als Chefredakteur hatte ich aber natürlich in vielen Dingen Mitspracherecht und meine Entscheidungen gaben Richtungen vor. Darum habe ich solche und andere Einschnitte auch immer als persönliches Versagen empfunden. Wenn man mit Leuten über Jahre so intensiv zusammenarbeitet, entstehen außerdem Freundschaften, teils sogar fast schon familiäre Bande, egal wie sehr man als Vorgesetzter vielleicht versucht, professionellen Abstand zu halten.
In den meisten Fällen hatten wir „Glück“, die betroffenen KollegInnen gingen vorzeitig selbst und/oder hatten bereits andere Jobs in Aussicht, andere Dinge geplant. Ausgerechnet die letzte Kündigung – ganz kurz vor dem endgültigen Aus – war aber auch die hässlichste und tragischste. Wie manche vielleicht noch wissen, waren – und sind es noch – Florian (Scherz) und Silvia (inzwischen auch Scherz, damals noch Schachinger) – ein Paar. Als wir Silvia gehen lassen mussten, waren die beiden gerade dabei den gemeinsamen Hausbau zu planen. Nicht nur emotional, sondern auch finanziell waren die plötzlich neuen Gegebenheiten natürlich extrem belastend für die beiden. Enttäuschung und auch etwas Wut waren verständlich, die Vorwürfe an die Geschäftsführung – aber auch an mich – zutiefst menschlich. Trotzdem natürlich auch etwas verletzend, denn die Entscheidung ist allen Beteiligten nicht leichtgefallen und war auch tatsächlich die einzig mögliche. Das bedeutet NICHT, dass es auch eine gute Entscheidung war, aber bis heute, mehr als sechs Jahre später, sehe ich aus damaliger Sicht keine Alternative. Unserer privaten Freundschaft – die wir bis heute pflegen und hegen – hat es vielleicht trotzdem gutgetan, dass endgültige Ende nicht lange auf sich warten ließ.
Das Ende
Dieses kam also nicht ganz unerwartet, in seiner Geschwindigkeit und Absolutheit, dann aber doch sehr plötzlich. Teils aus Unwissen, teils aus Hoffnung waren wir noch mitten in der Produktion der nächsten Druckausgabe. Der Seitenspiegel war praktisch final, viele Artikel geschrieben, gebaut und schon im Lektorat. Der Beweis dafür findet sich in meiner „Kiste“: eine alte Mainboard-Schachtel in die ich während meiner letzten Tage einige Drucksorten und andere Dinge geben & anschließend mitnehmen durfte, welche für den Masseverwalter nicht verwertbar waren.
Zum ersten und vermutlich auch letzten Mal dürft ihr daher an dieser Stelle einen kleinen Ausblick auf Gamers.at #54 werfen – das Heft, das nie geworden ist.
Auf einigen Seiten sieht man noch nicht eingearbeitete Korrekturen des Lektorats und auch die Seitenzahlen waren natürlich noch Platzhalter. Die Redaktionskürzel in den Ecken – F für Flo(rian Scherz) oder mein T – bedeuteten, dass die entsprechende Seite redaktionell freigegeben waren.
Rückblick & Ausblick
Ich bin von Natur aus eigentlich ein eher introvertierter Mensch. Weggehen, Party machen, Konzerte besuchen usw. waren nie „mein Ding“. Das Schreiben war immer schon ein Auslass, in dem ich mich eher mitteilen konnte und wollte. Trotzdem war dieser Beitrag eine kleine Herausforderung für mich. Ich durfte, musste, konnte mich an eine Zeit erinnern, die mir – beruflich UND privat – einerseits unglaublich wichtig war & ist, die mich prägte und formte und die ich auch auf keinen Fall missen möchte. Diese Jahre waren aber auch voller Herausforderungen und Belastungen. Insgesamt eine Investition, die sich vielleicht auf menschlicher, aber niemals nie auf beruflicher oder wirtschaftlicher Ebene rechnete. Ich wurde im Hinblick auf das anstehende Jubiläum auch ganz konkret gefragt: Wäre eine Rückkehr in den Beruf, die Branche für mich heute denkbar? Ich war selbst überrascht, wie schnell ich bei einem eindeutigen Nein gelandet bin. International und erst recht in Österreich scheint der schon winzige Markt für Spieljournalismus eher noch weiter zu schrumpfen und zum erfolgreichen YouTuber oder Streamer eigene ich mich eher nicht. Aber das macht mich auch nicht traurig. Medien an sich und die Spieleindustrie im Besonderen entwickeln sich halt weiter. Ich mag immer mehr zum „alten Eisen“ gehören, aber solange es noch Leute gibt, die meine textlichen Ergüsse zu spielebezogenen Themen gerne lesen, werde ich gerne weitermachen. Bei Gamers.at. Für vielleicht nochmal 20 Jahre… oder mehr.
DANKE AN ALLE REDAKTEURINNEN, GRAFIKERINNEN, LEKTORINNEN, COMIC-ZEICHNER usw.:
Florian, Silvia, Johannes, Hannes, Andi, Thomas, Mischa, Wolfgang, Martin, Christoph, Alex, Konstantinos, Hanns-Peter, Fred, Burcin, Sabine, Sam, Wojtek, Stefan, Max, Michael, Lukas, Caritas, Ben, Dominik, Raphael, Gerhard, Stefan, Verena u.v.a.
Alle Artikel und zu unserem 20 Jahre Jubiläum und auch die Gewinnspiele findet ihr unter diesem Link.