Anno 2205 TEST

Der gewaltige Zeitsprung von 1404 ins Jahr 2070 bescherte der Anno-Spielreihe nicht nur ein neues Setting, sondern auch einige spielerische Neuerungen. Aber nicht alle davon wurden von den Fans positiv aufgenommen. Mit Anno 2205 ist der neuerliche Sprung in die Zukunft zwar nicht mehr ganz so groß ausgefallen, die Änderungen im Gameplay sind dafür umso gravierender. Ist es dadurch aber auch besser geworden?

Zugegeben: Als Anno-Fan der ersten Stunde bin ich irgendwie im Jahr 1404 stecken geblieben und habe die Reise in Zukunft kategorisch verweigert. Bislang hatte ich aber nie das Gefühl etwas versäumt zu haben, auch wenn das Besiedeln einer futuristischen Welt mit all den neuartigen technologischen Möglichkeiten sicherlich einen gewissen Reiz auf mich ausübte. Die Enttäuschung als Ubisoft mit Anno 2205 ein neuerliches Zukunftsszenario ankündigte war dementsprechend groß. Als dann aber mit den Schlagwörtern “Multi-Session-Gameplay”, “Verschmelzung von Kampagne und Endlosspiel” und “Besiedeln des Mondes” nur einige der neuen Features angekündigt wurden, war mein Interesse am neuen Teil auch schon geweckt. Aber fangen wir ganz von vorne an:

Anno wie gehabt

Entdecken, aufbauen, besiedeln – diese Maxime gilt schon seit dem allerersten Anno und ist auch im Jahr 2205 aktueller denn je. Was aber so einfach klingt, gestaltet sich aber als sehr mühevolle Aufgabe, denn anfangs mit nur mit einer handvoll Arbeitskräften und einer überschaubaren Anzahl an Produktionsmittel ausgestattet, gilt es funktionierende Wirtschaftskreisläufe zu organisieren und die Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung zu befriedigen. Mussten dazu in der frühen Neuzeit noch Produktionsstätten für die Gewinnung von Holz, Wild und Erz sowie der Weiterverarbeitung errichtet werden, besteht im 23. Jahrhundert die Nachfrage an Biopolymer, Reis sowie Kobalt. Erreichen die Einwohner einer Siedlung eine höhere Entwicklungsstufe, ändern sich auch ihre Bedürfnisse. Das Resultat sind meist sehr komplexe ökonomische Zusammenhänge, welche der Spieler ständig im Gleichgewicht halten muss. Am grundsätzlichen Spielprinzip ändert sich somit auch in Anno 2205 nicht viel. Aber abseits der Namensänderungen für Rohstoffe, gibt es dann doch zahlreiche gravierende Unterschiede zu den vorangegangen Teilen der Spielereihe.

Neuerung:  Firmengründung

In der Zukunft werden Territorien nicht mehr durch Regierungen einzelner Länder verwaltet sondern durch Unternehmen. Um dabei mitzumischen gründen wir eine eigene Firma, die je nach Schwierigkeitsgrad mit unterschiedlichen Startkapital ausgestattet ist und deren Mitarbeiter sowie Lagerhäuser mehr oder weniger Ertrag bringen.

Neuerung: Griff nach den Sternen

Es existieren grundsätzlich drei verschiedene Regionen: Erde, Arktis und Mond. Jede davon stellt nicht nur sehr unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung, sondern erfordert auch  eine individuelle Herangehensweise bei der Besiedlung. Während die gemäßigte Zone auf der Erde mit ihren bewaldeten, grünen Hügeln und hohen Bergen das Pendant zu den Vorgängertitel darstellt, ist eines der Grundbedürfnisse der Arktis-Bewohner die Wärmeversorgung. Hitze wird dabei grundsätzlich von Produktionsbetrieben erzeugt, sodass die Wohngebäude stets in der Nähe eines solchen errichtet werden müssen. Auf dem Mond kann nur an Kraterregionen gesiedelt werden, zusätzlich müssen die Gebäude durch Schutzschildgeneratoren vor Meteoriteneinschlägen geschützt werden. Nicht alle drei Regionen stehen gleich zu Beginn zur Auswahl, gestartet wird immer auf der Erde. Erst nach dem Ausbau des Raumhafens gelangen wir zunächst ins Nordpolgebiet und danach auf den Erd-Trabanten.

Neuerung: Unbegrenzter Städtebau

Die Karten in Anno 2205 sind laut Entwickler Blue Byte im Vergleich zu den Vorgängern bis zu fünfmal größer. Dafür gibt es keine Zufallskarten mehr, sondern pro Region drei vorgefertigte Startgebiete mit unterschiedlichen topografischen Voraussetzungen. Mit unserer Firma besiedeln wir zunächst eine dieser Inselgruppen, die beiden anderen Regionen werden von rivalisierenden Unternehmen bevölkert. In unserer gewählten Startregion sind wir aber komplett isoliert und können ohne Konkurrenzdruck in aller Ruhe siedeln.  Wohnhäuser und Produktionsbetriebe können grundsätzlich überall platziert werden, denn Wirkungsbereiche, wie beispielsweise früher bei einem Marktplatz, gibt es nun nicht mehr, lediglich eine funktionierende Straßenanbindung ist erforderlich. Eine quantitative Obergrenze der Gebäudeanzahl existiert ebenso nicht – sofern es noch irgendwo ein freies Fleckchen gibt, kann gebaut werden. Und geht einem der Platz einmal doch aus, können etwa Brücken zu anderen Inseln errichtet oder Regionen von anderen Unternehmen übernommen werden.

Neuerung: Endlosspiel trifft Kampagne

Anno 2205 verfügt über keine eigene Kampagne, sondern integriert diese direkt im Endlosspiel. Sehr viel Mühe hat man sich bei der Geschichte aber nicht gegeben, den eigentlich geht es nur um das Wettrennen zum Mond und wer dort als erster einen Fusionsreaktor errichten kann. Dazu wird das Ganze auch nicht sehr spannend inszeniert. Ab und zu tauchen Portraitbilder diverser Charaktere auf, erzählen uns eine meist belanglose Story und verlangen dass wir mit unserem Kommandoschiff Artefakte aufsammeln oder Rettungsmissionen durchführen. Weil es eine nette Abwechslung zum alltäglich Aufbaualltag darstellt und vor allem weil als Gegenleistung meist wertvolle und seltene Ressourcen auf uns warten, lohnt es sich der Bitte der Auftraggeber nachzukommen.

Neuerung: Separate Kriegsführung

Ja, stimmt schon: Auf unseren Inselgruppen können wir in aller Ruhe nach Herzenslust unsere Traummetropolen errichten, aber ganz ohne Konflikte geht es auch in der Zukunft nicht. Militärische Auseinandersetzungen sind aber ebenso optional und werden in separaten Krisenregionen ausgetragen, eigene oder gegnerische Siedlungen können aber nie angegriffen und zerstört werden. Wie ihn den Kampagnenquests werden auch die Kriegseinsätze von NPCs vergeben, nimmt man diese an wechselt das Spiel in den Echtzeitstrategiemodus. Dabei wird ganz genreüblich eine ganze Schiffsflotte kommandiert, die Truppenstärke steht dabei immer in Relation zur Größe der eigenen Siedlung. Taktisch anspruchsvolle Gefechte sollte man sich dabei nicht erwarten, dafür wird man aber auch hier mit wertvollen Ressourcen belohnt.

Neuerung: Multi-Session-Gameplay

Anno 2205 bietet drei Regionen mit jeweils drei verschiedenen Startpunkten. Dazu gesellen sich noch zwei Krisengebiete sowie eine im Orbit schwebende Raumstation. In letzterem befindet sich nicht nur die Auftragszentrale und die Flottenverwaltung, sondern auch der Weltmarkt und sowie die Konferenz der “Big Five”, also der fünf einflussreichsten Konzerne. Beides zählt zu den Online-Features, denn die Preise von Waren richten sich nach Angebot und Nachfrage aller Anno-Spieler und die Internet-Abstimmung welcher Firmen aktuell Vorsitz bekommt, beeinflusst mit unterschiedlichen Boni den Spielverlauf. Insgesamt gibt es also rund zwölf verschiedene Regionen, zwischen denen (mit kurzen Ladepausen) ständig hin und her gewechselt werden kann. Das Besondere dabei: Die Produktion läuft auch in den nicht aktiven Sektoren im Hintergrund immer weiter, sodass sich die verschiedenen Sessions zu einem einzigen riesigen Endlosspiel verknüpfen lassen.

Neuerung: Spiel-Engine

Für Anno 2205 hat Blue Byte die Spiel-Enging komplett neu entwickelt und in zahlreichen Punkten verbessert. Und auch wenn auf eine DX12-Unterstützung verzichtet wird, das Resultat kann sich durchwegs sehen lassen. Ein optisch schöneres und detailverliebteres Aufbaustrategiespiel hat es bislang noch nicht gegeben. Als Mindestanforderung für diese Grafikpracht wird ein Intel Core I5 750 @ 2.6 GHz mit GeForce GTX 460 sowie 4 GB an RAM-Speicher angegeben, aber eine GTX 680 und 8 GB RAM sollten es schon sein, damit das Spiel ruckelfrei über eure Bildschirme flackert.

Neuerung: Handel und Logistik

Okay soweit zu den offensichtlichen Neuerungen. Weniger auffallend aber spielerisch durchaus sinnvoll ist da etwa das neue modulare Bausystem, bei dem Gebäude durch zusätzliche Module effizienter gemacht werden. Das spart nicht nur Platz sondern auch Geld und Energie, denn  statt neue Fabriken aus dem Boden zu stampfen werden bestehende einfach mit solchen Erweiterungen ausgebaut. Städtebauer die besonders auf eine ästhetische Gestaltung Wert legen dürfen sich ebenfalls freuen, erstmals können Bauwerke verschoben werden. Das klingt zwar sehr komfortabel, hat aber den Nachteil, dass eine vorausschauende Planung nicht mehr notwendig ist weil mit wenigen Mausklicks ganze Stadteile umgestaltet werden. Auch das Transportsystem wurde komplett überarbeitet. Sobald eine Produktionsstätte errichtet wurde, landen dessen Waren sofort im globalen Lager und werden automatisch verteilt.  Damit wird die Logistikkapazität neben Energie und Arbeitskraft zu den wichtigsten Ressourcen. Der Handel innerhalb einer Region entfällt damit, für den Warenverkehr zwischen den Sessions müssen Transportrouten eingerichtet werden. Das funktioniert mit zwei einfachen Mausklicks, Schiffe oder Ähnliches werden dafür aber nicht benötigt.

Neuerungen vs Motivation

Diese kleinen Änderungen machen das neue Anno zwar weitaus zugänglicher als seine Vorgänger, aber gleichzeitig stellen diese Vereinfachungen einen gewissen Bruch mit den Traditionen der Spielreihe dar. Vor allem zu Beginn wirkt alles etwas zu einfach und simpel, denn nach wenigen Spielstunden hat man die Arktis besiedelt und kurze Zeit später befindet man sich auf dem Mond. Erst dann zieht der Schwierigkeitsgrad richtig an und erfordert vom Spieler effizientes Bau- und Ressourcenmanagement. Und auch wenn Anno 2205 dann für zahlreiche Spielstunden richtig herausfordernd wird und Spaß macht, hat man doch irgendwann alles gesehen und die Motivation fürs Weiterspielen fehlt. Vielleicht veröffentlicht Ubisoft bis dahin ja einen Mehrspielermodus. Der hat es in die aktuelle Verkaufsversion nämlich nicht geschafft, soll aber mittels Patch nachgereicht werden.  

FAZIT

Objektiv betrachtet ist Anno 2205 ein handwerklich sehr gutes Aufbaustrategiespiel, welches den wesentlichen Grundprinzipien der Serie treu bleibt und in vielen Bereichen sinnvoll erweitert. Subjektiv gesehen muss ich als altgedienter Annoholiker aber gestehen, dass ich mich für dieses fiktive Zukunftssetting einfach nicht erwärmen kann und der neue Teil, das typische Anno-Flair vermissen lässt. Das liegt sicherlich auch daran, dass ich Boote mit Segel mehr mag als  Raumschiffe und lieber Tabak sowie Alkohol produziere statt Reis und Vitamindrinks. Vermutlich liegt es aber auch daran, dass ich die Sim­p­li­fi­zie­rung von Spielelementen wie Handel, Logistik und Diplomatie eher als negativ empfinde und mir der kompetitive Wettstreit mit anderen Fraktionen fehlt. Als Fanboy darf ich solche Sachen kritisieren, als objektiver Re­zen­sent kommt von mir aber eine klare Empfehlung an alle Aufbaustrategiespieler – vor allem an Genre-Neulinge sowie an alte Hasen mit Faible für euphorisch, positive Zukunftsvisionen.

Gesamtwertung: 8.0

Einzelwertungen: Grafik: 10 | Sound: 8 | Handling: 8 | Spieldesign: 6 | Motivation: 8

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