Das Action-Survival-Game Atomfall, entwickelt und veröffentlicht von Rebellion Developments, nimmt einen historischen Unfall als Ausgangspunkt – und stellt eine simple, aber fesselnde Frage: Was wäre, wenn?
Im Oktober 1957 entging England nur knapp einer Katastrophe. In Windscale ereignete sich der heikelste nukleare Vorfall, den das Vereinigte Königreich je erlebt hat – bekannt als das Windscale Fire. Aufgrund technischer Probleme brach im dortigen Kernkraftwerk ein heftiges Feuer aus, das erst nach ganzen 16 Stunden unter Kontrolle gebracht werden konnte. Trotzdem gelangten enorme Mengen radioaktiver Stoffe über ganz Europa, auch wenn der Schaden mehr oder weniger begrenzt war.
Denkt man an ein postapokalyptisches Setting, kommen einem sofort große Titel wie Fallout, Stalker oder Metro in den Sinn. Zerstörte Landschaften, nur wenige Überlebende und eine düstere, trostlose Welt – all das gehört zum Standard dieses Genres. Atomfall bleibt diesen Grundelementen treu, schafft es aber dennoch, eine ganz eigene und frische Note zu setzen. Achtung, kleiner Spoiler: Das funktioniert auch erstaunlich gut.
Die Quarantänezone
Fangen wir mit der Handlung an: Hier endete das Windscale Fire nicht nur in einem tragischen Unfall– sondern eher in einer Katastrophe. Als Reaktion darauf wurde das gesamte umliegende Gebiet mitsamt seiner Bevölkerung unter Quarantäne gestellt. Die Region wurde vollständig abgeriegelt, jegliche Kommunikation ganz einfach gekappt. Selbst jetzt, fünf Jahre nach dem Unfall, bleibt das Schicksal der Menschen, die damals eingeschlossen wurden, ein großes Rätsel.
Wo passen wir in das Ganze hinein? Unser Protagonist – namenlos und ahnungslos – wird unsanft in einem Bunker geweckt. Wer sind wir? Keine Ahnung. Wo sind wir? Gute Frage. Und was ist überhaupt passiert? Noch so ein Rätsel. Fakt ist: Unser Charakter hat nicht die geringste Erinnerung daran, warum er hier gelandet ist. Kaum erwacht, treffen wir auf eine freundliche, wenn auch ziemlich mitgenommene Gestalt. Sie drückt uns eine Schlüsselkarte in die Hand und gibt uns eine klare Mission: Finde die Wahrheit über Windscale heraus. Na gut. Viel Besseres haben wir ja ohnehin nicht zu tun – und ein bisschen Frischluft kann ja nicht schaden.
Spannend ist, dass uns die Geschichte hier keine Sekunde richtig an die Hand nimmt. Kaum verlassen wir den Bunker, liegt es ganz bei uns, wohin wir gehen. Zwar stoßen wir schnell auf einige freundliche Überlebende, die uns erste Hinweise zu unserer Aufgabe und den Geschehnissen in der Zone geben, doch die Zahl derjenigen, die uns lieber tot sehen würden, ist deutlich höher. Nach all den Jahren in Isolation sind die Menschen – sagen wir mal – eigen geworden. Die verschiedenen Fraktionen kämpfen erbittert um die Vorherrschaft, und tief in den Bunkern und Höhlen regt sich noch etwas anderes … etwas, das besser nicht ans Licht kommen sollte. Unser Auftrag? Klingt plötzlich um einiges komplizierter. War ja mal wieder klar.
Insgesamt weckt die Geschichte eine Menge Neugier. Durch die kryptische Erzählweise nach dem Motto „Hier hast du die Schlüsselkarte – jetzt mach was draus“ entsteht ein natürlicher Anreiz, die Geheimnisse rund um Windscale wirklich zu ergründen. Auch die verschiedenen Schauplätze haben immer etwas zu bieten – überall gibt es etwas zu entdecken. Dabei bleibt es meist völlig uns überlassen, mit wem wir uns verbünden und wie wir uns in diesem faszinierenden Setting behaupten.
Detektiv im Einsatz
Doch Moment mal – wir sind ja gerade erst in einem verlassenen Bunker erwacht. Haben wir irgendetwas bei uns? Nope, abgesehen von unserer Kleidung. Unsere erste Aufgabe ist also klar: Vorräte sammeln. Nahrung und Verbände, um uns zu heilen, Items um unseren Skilltree zu erweitern und Fähigkeiten – wie das Entschärfen von Fallen – freizuschalten, und eine Waffe wäre sicher auch nicht verkehrt. Doch genau hier liegt das Problem – Ressourcen sind in der Zone knapp. Falls es doch welche gibt, sind sie meist nicht einfach herumliegend, sondern befinden sich bereits in den Händen der verschiedenen Fraktionen.
Das heißt aber nicht, dass wir komplett leer ausgehen. Wir finden durchaus Waffen – nur eben unter sehr begrenzten Bedingungen. Ein Gewehr? Vielleicht. Doch Munition? Anfangs meist nur ein paar Kugeln, definitiv nicht genug, um jede Bedrohung auszuschalten. Und Bedrohungen gibt es reichlich. Die Zone wimmelt nur so von Feinden. Klar, nicht jeder ist schwer bewaffnet, aber auch im Nahkampf können uns die Gegner gewaltig zusetzen. Ein paar Treffer genügen, und wir sind erledigt – vor allem, wenn wir uns selbst auf Nahkampfangriffe verlassen. Schon nach den ersten Kämpfen wird klar: Atomfall ist kein einfacher Shooter, sondern ein knallhartes Survival-Spiel, in dem jede Kugel und jede Bewegung zählt. Kleiner Kritikpunkt: Während sich das meiste Gameplay butterweich anfühlt, könnten die Nahkampfwaffen ruhig etwas geschmeidiger sein. Dafür überzeugen die Schusswaffen umso mehr – gerade weil Atomfall eben kein klassischer Shooter ist.
Da Ressourcen oft knapp sind, ist es toll, dass ich Atomfall auch schleichend spielen könnte – zumindest in der Theorie. Mit einem Knopfdruck ducke ich mich ins hohe Gras und kann darin verschwinden. Stehe ich direkt hinter einem Gegner, kann ich ihn schnell und leise ausschalten. Soweit, so gut. Doch außerhalb des hohen Grases wird’s knifflig. Die Gegner scheinen richtige Adleraugen zu haben – oft erspähen sie mich schon aus weiter Entfernung oder sogar in dunklen Ecken. Das kann ziemlich frustrierend sein, vor allem, wenn man Munition sparen will.
Die Geschichte erleben wir außerdem nicht durch klassische Questschritte, sondern durch Hinweise. Sprechen wir mit NPCs oder finden ein Stück Papier, notiert unser Charakter die wichtigsten Infos in seinem Tagebuch. Unsere Karte ist dabei bewusst minimalistisch gehalten. Es gibt kaum feste Questmarker – nur interessante Orte werden markiert. Zudem können wir eigene Marker setzen, um uns zu orientieren. So läuft es meist darauf hinaus, dass wir selbst kombinieren müssen: Wer hat die entscheidenden Informationen? Wo finde ich den richtigen Ort? Welche Gegenstände brauche ich? Wir spielen also oft Detektiv und müssen uns aktiv mit der Welt auseinandersetzen. Zum Glück stehen uns dafür ein paar nützliche Gadgets zur Verfügung. Mit der Taschenlampe z.B. – Achtung, schlechtes Wortspiel – bringen wir Licht ins Dunkel, und mit einem Metalldetektor können wir zusätzliche Ressourcen aufspüren. Zwar kann es manchmal dauern, bis man den richtigen Ort auf der Karte findet, doch verloren geht man nie wirklich. Und gerade weil wir vieles selbst erkunden müssen, stolpern wir immer wieder über versteckte Höhlen oder andere Geheimnisse. Für Entdecker ist das ein wahres Fest.
Apokalypse mal anders
Die Geschichte von Atomfall ist in verschiedene Gebiete unterteilt, die durch Ladezeiten voneinander getrennt sind. Das klingt erstmal nach einem möglichen Störfaktor, fällt in der Praxis aber kaum ins Gewicht – denn die Gebiete, die ich bisher erkunden durfte, sind wirklich hervorragend gestaltet. Vor allem visuell hebt sich das Spiel erfrischend von anderen Genrevertretern ab. Das Gebiet rund um Windscale ist nämlich alles andere als eine trostlose Einöde. Natürlich gibt es Spuren der Katastrophe: verlassene Häuser und zerstörte Gebäude. Doch die Natur selbst ist weitgehend unberührt geblieben. Statt karger Ödlandschaften erkunden wir grüne Felder, dichte Wälder und mysteriöse Ruinen – eine echte Abwechslung im Vergleich zum klassischen Endzeit-Szenario. Und Geheimnisse gibt es ohne Ende. Versteckte Wege, verschlossene Türen, geheime Bunker, Höhleneingänge, Lager – überall gibt es etwas zu entdecken. Oft sind diese Orte nicht nur mit wertvollen Ressourcen gefüllt, sondern auch mit tödlichen Gefahren.
Auch die NPCs sind interessant gestaltet. Ein schönes Detail: Sie sprechen alle britisches Englisch, was für noch mehr Authentizität sorgt. Viele von ihnen haben optionale Aufgaben für uns – etwa eine Händlerin, die von einem überfallenen Konvoi erzählt, den wir selbst untersuchen können. Leider könnte die KI der Gegner noch etwas Feinschliff vertragen. Oft wirken sie unentschlossen, laufen ziellos herum oder bleiben einfach stehen. Besonders im Kampf merkt man schnell, dass sie nicht immer wissen, was sie tun sollen – manchmal sprinten sie ein paar Meter weg, nur um dann kopflos wieder zurückzurennen. Technisch gibt es zudem allgemein einige Audiobugs und gelegentliche FPS-Einbrüche, wobei das Spiel auf meiner PS5 immerhin nicht abgestürzt ist. Die Entwickler haben bereits angekündigt, bis zum Release an diesen Problemen intensiv zu arbeiten – bleibt zu hoffen, dass sie es in den Griff bekommen.
Zusammenfassung
FAZIT
Was man Atomfall auf jeden Fall nicht absprechen kann, ist, dass es frischen Wind ins Genre bringt. Eine optisch wunderschöne Welt, die voller Geheimnisse und Aufgaben steckt. Eine Geschichte, die mich aktiv zum Erkunden und Spielen einlädt – unterstützt von NPCs, die oft einen eigenen Charme haben und selten langweilen. Dazu kommt ein Gameplay, das nicht nur aus stumpfem Kämpfen besteht, sondern auch mal das Tempo drosselt und dazu anregt, Konflikte zu umgehen. All das macht Atomfall aus, und hat mir persönlich wirklich sehr gefallen. Inspiriert von der britischen Folklore und Kultur, merkt man, dass die Entwickler wirklich Spaß daran hatten, dieses Spiel zu erschaffen. Natürlich gibt es technische und hin und wieder narrative Probleme – das Schleichen, der Nahkampf und die KI der Gegner könnten noch deutlich verbessert werden. Doch wer Lust hat, ein postapokalyptisches Setting mal anders zu erleben, sich nicht davor scheut die Questschritte selbst zusammenzustellen und trotzdem Lust auf Survival hat, wird mit Atomfall definitiv nichts falsch machen.