Blair Witch im Test

1999. Das Internet für den Privatgebrauch war in den Kinderschuhen und weit entfernt von der Selbstverständlichkeit, die es heute als Informationsquelle innehat. Deshalb war die Neugier groß, als erste Gerüchte aufkamen, dass drei Studenten in den Wäldern von Burkittsville, Maryland, während der Dreharbeiten für eine Dokumentation über eine lokale Legende, verschwanden. Zweifel über die Echtheit der angeblich ein Jahr später gefunden Tapes, hegte das Publikum kaum. Geschickt nutzte das verantwortliche Studio das Internet um Informationen zu streuen, um den „Wahrheitsgehalt“ zu unterstreichen. Die Blair Witch war geboren und mit dieser bekommen wir es nun im neuesten Werk von Bloober Team zu tun.

Ellis, ein ehemaliger Polizist und vom Krieg gezeichneter Veteran, macht sich auf in die Wälder von Burkittsville, um den verschollenen Jungen, Peter Shannon, zu finden. Mit dem verschwunden Kind durch ein sehr ausgeprägtes Schuldgefühl verbunden, muss Ellis feststellen, dass er zu spät gekommen ist und die groß angelegte Suchaktion der örtlichen Polizei kurz vor dem Abbruch steht. Nicht akzeptieren wollend, dass es für den Kleinen keine Hoffnung mehr gibt, begibt sich der traumatisierte Schnüffler mit seinem Hund Bullet in den unheilvollen Wald. Allen Warnungen über einen finsteren Fluch, welcher auf dem Forst liegen soll, zum Trotz…

Ich glaub, ich steh im Wald…

The Blair Witch Projekt schlug 1999 ein wie eine Bombe und hob im Alleingang das Found-Footage-Genre aus der Taufe. Eingebettet in eine faszinierende Folklore weiß mich dieser eigentümliche Mix aus Fiktion, Fakten und verdammt geschickter Inszenierung bis heute zu faszinieren. Deshalb fragte ich mich auch schon oft, warum es bisher zu keiner (brauchbaren) Umsetzung des Stoffes im Bereich der Videospiele kam. Die Mythologie rund um die Blair Witch bietet ja einen mehr als fruchtbaren Nährboden für ein spannendes Horror-Game. Dass die Kombination aus Found-Footage und einer unbehaglichen Wald-Umgebung als Gameplay funktionieren kann, hatte der Free-to-Play-Titel Slender – The Eight Pages bereits 2012 äußerst eindrucksvoll bewiesen. Wo also blieb sie, meine Blair Witch?

Jetzt scheinen meine Gebete erhört worden zu sein, denn mit Blair Witch hat sich niemand anderer als das polnische Entwicklerstudio Bloober Team an den Stoff herangewagt, also jene Entwickler, die hinter meinem heiß geliebten und oft zitierten Layers of Fear stehen. Ähnlich wie in den Spielen der Layers – Reihe schlüpfen wir auch in Blair Witch in die Haut einer psychisch zerrütteten Figur. Als Ellis stellen wir uns einer übernatürlichen Präsenz – oder ist es vielleicht doch nur eine Manifestation unserer Schuldgefühle, welche uns zwingt uns der Vergangenheit zu stellen? Bloober Team gelingt es wieder einmal sehr gut offen zu halten, ob wir es mit einer realen Bedrohung oder mit der Ausgeburt unseres traumatisierten Verstandes zu tun haben. Eine unangenehme Frage, deren Antwort wir nicht alleine ergründen müssen.

Der beste Freund des Menschen

Bei Blair Witch handelt es sich wieder um einen Horror-Walking-Simulator. Wie in einer Geisterbahn streift ihr durch einen Wald, welcher nicht an die Regeln der Zeit gebunden zu sein scheint und seine ganz eigenen Pläne mit Ellis verfolgt. Es schleudert uns immer wieder durch verschiedene Zeitebenen oder zurück zu dramatischen Momenten im Leben des Polizisten. Stets an seiner Seite und sein wichtigster Ankerpunkt in der Realität: sein Hund Bullet. Bullet stellt das größte Alleinstellungsmerkmal von Blair Witch, im Vergleich zu ähnlichen Games seiner Art, dar. Er dient zur Navigation durch den Wald, führt euch zu versteckten Hinweisen und weist auf nahende Gefahren hin. Zentrales Element des Gameplays von Blair Witch ist euer Verhalten gegenüber dem Vierbeiner. Seid ihr grob und kalt zu ihm, wird euch Bullet weniger wohlgesonnen sein und euch seine Unterstützung verwehren. Zeigt ihr ihm jedoch Empathie und Zuneigung, wird er zu einem treuen Gefährten. Die Beziehung zu Bullet hat auch Einfluss auf das Ende von Blair Witch.

Das Gameplay im allgemeinen ist relativ rudimentär ausgefallen. Wir schlendern durch den makaberen Forst, lösen dabei erschreckend banale Aufgaben (Finde das Ventil!) und kreuzen den Weg von Monstern. Diese verscheuchen wir in klassischer Alan Wake-Manier mit unserer Taschenlampe. Richtiger Grusel kommt dabei leider eher selten auf. Zwar sind die Halluzinationen im Wald toll inszeniert, aber zu surreal, als dass sie mir Angst machen würden. Da wäre ein subtilerer Ansatz, ähnlich wie in Slender, meiner Meinung nach besser gewesen. Aufgelockert wird der monotone Spielverlauf durch den Einsatz unserer Kamera. Immer wieder finden wir Tapes, die wir uns ansehen können. Halten wir die Aufnahme zu einem bestimmten Zeitpunkt an, können wir unsere Umgebung manipulieren. Stehen wir also vor einer verschütteten Tür, und wird diese in der Aufzeichnung als frei begehbar gezeigt, können wir diese passieren, nachdem wir an der richtigen Stelle auf Pause gedrückt haben.

Blair Witch plätschert die meiste Zeit vor sich hin, kann aber mit einer, wie ich finde, sehr starken Story punkten. Das Narrativ rund um die Verarbeitung von Schuldgefühlen hat mich sehr an jenes von Silent Hill 2 erinnert. Das ist eines der größten Komplimente die ich geben kann, da ich das Writing von Silent Hill 2 heute noch so vergöttere wie damals! In Sachen Horror fährt Blair Witch meistens mit Handbremse, dreht aber im letzten Drittel, sobald man ein bekanntes Gebäude betritt, so richtig auf und konnte mein nach Angst hungerndes Herz doch noch mit Begeisterung füllen.

Grafik zum Gruseln

Was die Technik angeht, steht Blair Witch auch nicht unbedingt auf der obersten Sprosse der Leiter. Der Wald ist tagsüber nicht unbedingt schön anzusehen. Selbst auf höchsten Einstellungen wirken die Kanten etwas verpixelt und manche Texturen verwaschen. Das legt sich in den Nachtszenen und es kommt mit dem Lichtspiel der Taschenlampe doch eine gute Atmosphäre auf. Seltsam fand ich, dass Ellis scheinbar keinen Körper besitzt, denn er kann durch Büsche laufen und das Dickicht klettern, ohne dass diese irgendwie auf ihn reagieren.

Leider macht auch Bullet einem manchmal das Leben schwer. Eigentlich mochte ich ihn ja, aber er ist leider ist er nicht unbedingt die klügste Blume auf der Wiese. So kann es passieren, dass er sich weigert zu gehen, in der Wiese hängen bleibt, oder wegläuft und trotz mehrerer Rufe nicht mehr wiederkommt. Dafür funktioniert die Steuerung gut und auch die Klangkulisse leistete exzellente Arbeit.

FAZIT

Lange habe ich mich nach einer neuen Computerspiel-Umsetzung der Blair Witch gesehnt und auch wenn der neue Titel um Welten besser ist, als jener Versuch aus dem Jahr 2000, ist Blair Witch 2019 leider selbst kein großer Wurf geworden. Dabei würde mich das maue Gameplay nicht einmal stören, wenn die Inszenierung des Horrors gut wäre, doch das ist in Blair Witch leider eher selten der Fall. Die Auseinandersetzungen mit den Monstern, während ich wieder einen Gegenstand suchen musste, gingen mir eher auf die Nerven, als das sie mir Angst machten. Erst gegen Ende hin dreht Blair Witch richtig auf und offenbart, welches Potential dieses Game in sich birgt. Lobend erwähnen will ich auch die Story. Mir gefiel die Idee, dass es sich bei Ellis um einen Menschen handelt, der sich nie wirklich sicher ist, ob er es mit einer übernatürlichen Wesenheit zu tun hat, oder ob sein Schuldgefühl beginnt sich zu manifestieren. Blicke ich auf meine Zeit mit Blair Witch zurück, bereue ich es nicht, diesen Waldspaziergang erlebt zu haben, aber ein wohliges Hochgefühl löst diese Erinnerung bei mir leider auch nicht aus.

Was ist Blair Witch? Ein Horror-Game basierend auf dem Mythos des Filmes The Blair Witch Projekt
Plattformen: PC, XBox One,
Getestet:  PC Intel Core i5-6500, 8GB RAN, Radeon RX Vega
Entwickler / Publisher: Bloober Team/ Bloober Team
Release: 30. August 2019
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 7.2

Einzelwertungen: Grafik: 6 | Sound: 8 | Handling: 8 | Spieldesign: 6 | Motivation: 8

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