Bleeding Edge im Test

Was entsteht wenn man einen kräftigen Schluck Overwatch, drei zehntel Cyperpunk mit einem Schuss Jet Set Radio mischt, das Ganze dann mit einem Cel Shading-Look garniert und es in einem Fight Club serviert? Richtig, man bekommt Bleeding Edge. Auf den ersten Blick wirkt es wie ein Overwatch-Abklatsch mit einer leicht seltsam anmutenden Optik. Doch diesen Eindruck sollte man schnell wieder vergessen, denn bereits auf den zweiten Blick ist Bleeding Edge viel mehr, als nur ein Klon.

In einer fernen Zukunft gehören technische Biomodifikationen zum Alltag, doch wie so oft werden diese technischen Verbesserungen nicht so genutzt, wie sie gedacht sind. Hacker modifizieren diese oder erfinden neue absurdere Körperteile, was natürlich höchst illegal ist. Aber hey: no risk, no fun! Die so entstandenen zweifelhaften Gestalten treten mit ihren top modifizierten Körpern in Hinterhöfen, Kanälen oder anderen geheimen Locations in Viererteams gegeneinander an.

Eine dystopische Erscheinung

Der Look von Bleeding Edge wirkt zunächst etwas befremdlich, vielleicht sogar etwas wirr. Die Level vermitteln aber die passende Stimmung zur jeweiligen Örtlichkeit. Von den hellen freundlichen Sky Gärten, mit einer Menge Gewächsen, über den industrial-Look der Fabrik, bis hin zur düsteren Welt des Kanals, alles hat seine passenden Element, die die Umgebung real wirken lassen. Ein leichter Cel Shading-Einfluss wiederum verleiht den Arenen zugleich etwas Comichaftes, was wiederum durch die Soundkulisse, mit passender Musik, Arena-Sprecher und Umgebungsgeräuschen verstärkt wird. Bei den Modellen der Kämpfer selbst ist hingegen das Cel Shading deutlich ausgeprägter. Zusammen mit der zum Einsatz kommenden Third-Person-Perspektive erhält das Setting somit den Charme eines Dioramas. Das wirkt, wie schon zu Beginn erwähnt, etwas ungewöhnlich, ist aber für dieses Spiel genau der Look den es braucht, um gut ins Geschehen eintauchen zu können. Gekonnt werden die zur Verfügung stehenden Stilmittel gemixt, um dem Ganzen einen dreckigen, verruchten und futuristischen Anstrich zu verpassen. Das wäre nicht möglich gewesen, hätte man sich für einen reinen Comic-Look entschieden und auf den realistischeren Stil der Arenen verzichtet.

Charaktere und Rollen

In der aktuellen Version sind elf Kämpfer mit von der Partie, die sich nicht nur in ihrem Handling, sondern auch in ihrem Klassentyp voneinander unterscheiden. Zur Verfügung stehen euch drei Klassen, welche sich durch unterschiedliche Fähigkeiten auszeichnen. In der Klasse „Damage“ habt ihr gleich fünf Figuren zur Auswahl. Diese sind flink in ihren Bewegungen und können kräftig zuschlagen, doch Vorsicht: ihre Rüstung und Lebensenergie ist gering. Die Klasse der Tanks ist mit drei Charakteren vertreten. Hier ist eine Erklärung fast überflüssig. Tanks sind groß, sie teilen gut aus, stecken eine Menge weg, sind aber schwer und träge. Zu guter Letzt bleiben dann noch die Unterstützer, derer drei im Spiel vorhanden sind. Ihnen wird eine ganz besondere Aufgabe zuteil. Sie müssen ihr Team mit allerlei Tricks, wie zum Beispiel Heilung, unterstützen. Sich selbst können sie meist jedoch nur verteidigen, denn über einen richtigen Angriff, der effektiv Schaden verursachen würde, verfügen sie nicht. Dafür gelingt es ihnen sich schnell aus der Bredouille zu ziehen.

Wer nun denkt, dass sich die verschiedenen Kämpfer ein und derselben Klasse bloß durch einen anderen Look voneinander unterscheiden würden, der irrt gewaltig. Jeder der Kämpfer hat neben einer Hauptattacke, drei Spezialfähigkeiten, die unterschiedliche Funktionen und Abklingzeiten haben, auch noch eine von zwei Superattacken. Dieser Mix macht aus jedem Kämpfer ein ganz individuelles Paket, welches nach dem richtigen Spielstil verlangt.

Mods und Verbesserungen soweit das Auge reicht

Die Illegalen Körperverbesserungen der einzelnen Figuren sind darüber hinaus nicht festgelegt, sondern können angepasst werden. Im Laufe eurer Karriere sammelt ihr Kredits und Erfahrungspunkte, bzw. steigt mit den jeweiligen Kämpfern im Level auf. Dadurch schaltet ihr Mod-Chips frei, die ihr euch einbauen könnt. Aber auch hier gibt es natürlich nicht unbegrenzt Möglichkeiten. Jeder Krieger besitzt drei Slots, die mit Mods bestückt werden können, um denselben so besser an euren Spielstil anzupassen oder aber ihn besser auf seine spezifische Aufgabe vorzubereiten. Jedoch keine Sorge, alle Charaktere sind bereits zu Beginn mit vorkonfigurierten Mod-Sets ausgestattet. Mit der individuellen Anpassung eurer Recken könnt ihr euch dementsprechend also Zeit lassen, bis ihr tiefer ins Spiel eingedrungen seid.

Aber Moment mal, war da nicht noch von Jet Set Radio die Rede? Richtig, um euch schneller in den Kampf stürzen zu können, besitzen die meisten Kämpfer ein Hoverboard. Von denen gibt es wiederum eine Menge verschiedener Modelle und Designs, die ihr freischalten beziehungsweise sogar selbst umstylen könnt. Was heutzutage auch nicht mehr fehlen darf sind aufsprühbare Tags, Tanz-Emotes und Skins; auch derer könnt ihr natürlich eine Vielzahl freischalten.

Erobern oder Sammeln?

Abseits dieser Vielzahl an individuellen Gestaltungsmöglichkeiten liefert euch Bleeding Edge zwei verschiedene Spielmodi, die euch zufällig bei jeder Runde zugewiesen werden. Der erste Modus ist ein Eroberungsspiel: auf der Karte gibt es Punkte die es zu erobern und anschließend auch zu halten gilt. Um einen solchen Punkt zu erobern, müsst ihr eine kurze Zeit allein oder mit euren Teamkammeraden in der entsprechenden Zone verweilen, ohne dass ein Gegner sich in derselben befindet. Wurde eine Zone bereits vom Gegner unter seine Kontrolle gebracht, so müsst ihr diese zunächst neutralisieren, um sie sodann für euer Team einnehmen zu können. Das heißt, dass ihr die doppelte Zeit benötigt, um eine fremdbesetzte Zone in euren Besitz bringen zu können. Bis hier hin ist es eigentlich ein klassischer Eroberungsmodus, doch damit hat man sich nicht begnügt. Die Entwickler haben den Modus etwas spannender gestaltet. Die Gebiete, welche eingenommen und verteidigt werden sollen, sind nicht immer aktiv und können sich je nach Arena sogar bewegen. Dadurch bekommt der Modus noch mehr taktische Raffinesse und gerät nicht zu einem Grabenkampf. Sieger ist, wer die Zonen die längste Zeit gehalten hat und als Erster das Punktelimit erreicht.

Der zweite Modus nennt sich Energiezellen sammeln und stellt eine Art Capture the Flag dar. In der ersten Phase erscheinen Container, die Energiezellen beinhalten. Um an die Zellen zu kommen, müsst ihr die Behälter zerstören. Diese Phase läuft so lange, bis entweder alle Zellen gesammelt sind oder die Zeit abgelaufen ist. Danach öffnet sich die Abladezone, wo ihr eure gesammelten Zellen hinbringen müsst. In der Sammelphase geht es noch recht ruhig zu und ihr könnt fast ungestört auf Zellen-Jagd gehen. In der Lieferphase hingegen geht es mächtig zur Sache, denn jeder getötete Spieler verliert alle in seinem Besitz befindlichen Energiezellen. Diese können dann sofort wieder eingesammelt und abgeliefert werden. Natürlich dauert auch das Abliefern der Energiezellen seine Zeit, wodurch in dieser Phase des Matches eine intensive Schlacht entbrennt. Sind alle Zellen abgeliefert oder die Abgabezeit abgelaufen, beginnt das Ganze wieder von vorne. Das Team gewinnt, welches als Erstes 50 Zellen abgeliefert hat.

Teamplay ist der Schlüssel

Mit Bleeding Edge liefern die Jungs und Mädels von Ninja Theory einen guten Third-Person-Taktik-Brawler ab. Und genau hier steckt das Problem. Spielt ihr mit euren Freunden im Team ist alles noch leicht und klar. Ihr verteilt die Aufgaben und Rollen, sprecht vermutlich über einen Voice Chat miteinander und könnt euch auf das Spielgeschehen voll fokussieren. Dieser Teil geht bei zufälligen Gruppen oft verloren. Es gäbe zwar einen Voice Chat, doch macht von dem kaum jemand Gebrauch. Die Entwickler haben immer wieder Hinweise eingebaut, die euch auf kleinere Probleme in eurer Team-Zusammenstellung aufmerksam machen, sowie Funktionen implementiert die es erlauben bestimmte Kommandos, wie „Hier Sammeln“ oder „Verteidigen“, schnell zu geben. Aber leider wird dies öfter ignoriert als beherzigt und so steckt man in Runden fest, in denen der Supporter wahlweise einen auf Rambo machen will oder aber sich versteckt, anstelle das Team zu unterstützen. Das ist natürlich nicht die Schuld der Entwickler, aber es kann einem so richtig den Tag verhageln, wenn es passiert. Schließlich will man ja auch nicht unfair sein und in Rage das Spiel beenden.

Crossplay, ist das sinnvoll?

Die schnelle Antwort ist ein uneingeschränktes Ja. Die etwas längere Version bedarf hingegen einer kurzen Erklärung. Fast alle Spiele die von dem Microsoft direkt veröffentlicht werden können auf einem Windows 10 PC und auf der Xbox One gespielt werden. So auch Bleeding Edge. Wer jetzt aber sagt, dass die PC-Spieler, wie in fast jedem anderen Shooter auch hier einen Vorteil hätten, dem muss man entgegen: zum Glück nicht. Bleeding Edge ist sehr Nahkampflastig, wodurch ein genaues Zielen fast nie von Nöten ist. Gleichzeitig kann man mittels Trigger-Pull immer einen Focus auf das nächst gelegene Ziel setzen, was ein schnelles Umschalten ermöglicht. Natürlich kann man das Spiel auch mit Tastatur und Maus bestreiten, doch merkt man schnell, dass es für den Controller optimiert wurde. Mit Maus und Tastatur wirkt es sogar eher so, als wäre man viel träger und reagiert langsamer als die Spieler die einen Controller benutzen.

An der Kante geschnitten

Obwohl vieles an Bleeding Edge gelungen ist, muss man auch sagen, „Hier habt ihr euch geschnitten“. Das beginnt bereits bei der – eigentlich guten – Steuerung. Diese ist funktional, kann leicht kontrolliert werden und wenn man nicht gerade tollpatschig ist kommt man schnell zurecht. Doch warum kann man nicht mit dem Trigger schießen, sondern muss hierfür den X-Button drücken? Dieses Problem verblasst allerdings angesichts der immensen Ladezeiten. Diese sind teilweise unerträglich und mit ein wenig Erfahrung sieht man sofort welche Konsole die Mitspieler verwenden oder ob ein PC mit dabei ist. PC-Spieler mit neuen Rechnern sind die Schnellsten, wohingegen Xbox One-Besitzer den Flaschenhals darstellen, auf die immer gewartet werden muss, was das Spielerlebnis sehr dämpft.

FAZIT

Bleeding Edge ist ein gelungener Thrid-Person-Taktik-Brawler, der zwar im ersten Moment sehr an Overwatch erinnert; doch das wäre viel zu einfach und würde ihm nicht gerecht werden. Die Entwickler haben sich zwar von Blizzards Hit inspirieren lassen, wohl auch ein paar Ideen übernommen, nur darf dies nicht den Eindruck erwecken es sei nur ein Klon. Wer die langen Ladezeiten übersteht wird entdecken: Bleeding Edge ist mehr. Es hat seinen Fokus klar auf die taktischen Komponenten des Spiels gelegt. Aufgrund der sehr kleinen Teamgröße ist es viel wichtiger wie Spezialfähigkeiten genutzt werden und wie das Team zusammen agiert. Gleichzeitig ist dieser Punkt die größte Schwierigkeit des Spiels: Bei vier gegen vier ist das individuelle Spielverständnis enorm wichtig und wenn hier einer ausfällt oder nicht für das Team einsteht, ist die Runde schon verloren noch bevor sie begonnen hat. Alles in Allem bekommt man mit Bleeding Edge einen coolen Look, einen dazu passenden Sound und ein gutes Spiel geliefert, in das man sich aber einarbeiten muss. Besitzer des XBox Game Pass, oder des Ultimate Pass können sich freuen, sie erhalten das Spiel gratis und dürfen mit künftigen Updates zugleich auf weitere Kämpfer hoffen.

Was ist Bleeding Edge? Ein Third-Person-Taktik-Brawler, der in einer Zukunft spielt die von Biomodifikationen und illegalen Wettkämpfen geprägt ist.
Plattformen: XBox One, PC
Getestet auf: XBox One X
Entwickler / Publisher: Ninja Theory /XBox Game Studios
Release: 24. März 2020
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 8.4

Einzelwertungen: Grafik: 10 | Sound: 8 | Handling: 8 | Spieldesign: 8 | Motivation: 8

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