Call of Cthulhu im Test

Der französische Entwickler Cyanide Studios wagt sich an das Erbe H.P. Lovecrafts und konfrontiert uns in Call of Cthulhu mit dem finsteren Treiben der großen Alten. Frei nach dem Regelwerk des beliebten Pen and Papers begleiten wir den gescheiterten und alkoholkranken Detektiv Edward Pierce auf seinem surrealen Abstieg in die Abgründe des Wahnsinns.  Um den seltsamen Todesfall der Familie Hawkins aufzuklären begibt er sich nach Dark Island. Was Edward Pierce nicht weiß: die Insel und ihre Bewohner bergen ein schreckliches Geheimnis: Ph’nglui mglw’nafh Cthulhu R’lyeh wgah’nagl fhtagn – In seinem Haus in R´lyeh liegt und träumt der tote Cthulhu!

Der träumende Tote

Boston, 1924. Der, von den Schrecken des ersten Weltkrieges gezeichnete, Detektiv Edward Pierce versucht im Alkohol Zuflucht vor seinen Traumata zu finden. Nacht für Nacht, von Alpträumen geplagt, erhebt sich aus den Bildern der Gewalt ein forderndes Flüstern im Geiste des Kriegsveteranen. In seiner Schwermut treibend lehnt Pierce sämtliche Aufträge, welche nicht die Grauen in seinem Kopf übertreffen, ab. Dies ändert sich, als er mit dem seltsamen Fall der Familie Hawkins betraut wird. Die gesamte Familie kam bei einem mysteriösen Brand ums Leben. Im Zentrum der Ereignisse: ein unheilvolles Gemälde. Von unbekannten Entitäten gerufen, und beruflicher Neugier getrieben, macht sich der gebrochene Mann auf nach Dark Island, um Antworten auf Fragen zu bekommen, die er am liebsten nie gestellt hätte. Die Geschichte von Call of Cthulhu ist ein wahr gewordener Traum für jeden Liebhaber der Geschichten H.P. Lovecrafts. Man bedient sich hier gewisser Motive, ohne diese zu kopieren, und baut sie zu etwas eigenständigem aus. So stößt man auf Dark Island immer wieder auf Hinweise oder kleinere Zitate, welche sich auf Geschehnisse im Cthulhu-Mythos beziehen. Im Tagebuch notiert Pierce immer wieder Gedanken zu relevanten Ereignissen oder zu Gegenständen von Bedeutung. Die daraus zu entnehmenden Informationen liefern interessante Erklärungen und Hintergründe. Diese sind zwar für das Verstehen der Rahmenhandlung nicht unbedingt notwendig, verleihen dem Geschehen jedoch sehr viel mehr Tiefe.

Herzstück einer jeden guten Cthulhu-Story ist die Konfrontation des Menschen mit Wahrheiten, die er nicht versteht oder verarbeiten kann. Mit Edward Pierce wird uns ein Charakter präsentiert, der aufgrund des Terrors des ersten Weltkrieges schon gewisse Aspekte seines vernünftig denkenden Wesens eingebüßt hat und dadurch potentiell empfänglich für die Lehren des Mythos ist. Eine Tatsache, die ihn allerdings nicht zu einem hilflosen Opfer macht. Pierce ist intelligent, zielstrebig und absolut gewillt hinter das schreckliche Geheimnis, welches dem fürchterlichen Feuertod der Familie Hawkins zugrunde liegt, zu lüften. Diese Zielstrebigkeit wird auch benötigt, denn die Geschichte von Call of Cthulhu ist toll geschrieben. Sie bietet zwar, so wie die großen Vorbilder, nicht viel Tempo, weiß jedoch mit seiner Stimmung eine Menge Spannung aufzubauen. Sei es durch Gespräche mit Bewohnern auf der Insel oder der allgemeinen Atmosphäre von Dark Island. Anhand der Trailer dachte ich, dass sich die Handlung von Call of Cthulhu überwiegend in einem verlassenen Herrenhaus abspielen wird, doch da hatte ich mich geirrt. Call of Cthulhu gestaltet sich im Bezug auf seine Handlungsorte als sehr abwechslungsreich. Ebenso bietet die Geschichte einige wirklich gute Storytwists, die ich in dieser Form absolut nicht kommen sah. Das gibt dem ganzen einen netten Drive und vermittelt erstklassig das Gefühl, in einer übernatürlichen Detektiv-Noir-Geschichte zu stecken.

Der Wahnsinn als Statussymbol

Spielerisch handelt es sich bei Call of Cthulhu um ein Rollenspiel-Adventure. Aus der Ego-Perspektive erkunden wir die Umgebung, sammeln Gegenstände auf und lösen kleinere, aber teilweise schön knifflige, Rätsel. Gelegentlich untersuchen wir Tatorte und rekonstruieren die Ereignisse. Die seltenen Schleichpassagen sind leider etwas unausgegoren und gingen mir, trotz meiner Liebe für das Ganre der Schleichspiele, etwas auf die Nerven.

Einen Großteil der Zeit verbringen wir damit, Leute zu interviewen. Dabei erinnert Call of Cthulhu frappierend an Dontnods Vampyr. Anhand eines Dialog-Rades wählen wir aus diversen Optionen aus. Abhängig von etwaigen Statuswerten, zuvor geführten Dialogen oder bereits entdeckten Hinweisen, werden die Gespräche um weitere Möglichkeiten erweitert. Anders als in dem Abenteuer Jonathan Reids, sind die Dialoge jedoch nie langweilig, da sie immer kontextbezogen sind. Mit jedem Gespräch tauchen wir tiefer in das Mysterium rund um Dark Island ein. So bleibt man trotz der vielen Plaudereien immer schön motiviert. Übrigens sehen sich Edward Pierce und Dr. Jonathan Reid nicht nur gewaltig ähnlich, sondern teilen sich, mit dem Briten Anthony Howell, denselben Sprecher.

Edward Pierce verfügt über verschiedene Werte: Ermittlung, Medizin, Psychologie, Kraft, Okkultes und Wahnsinn/Stabilität. Jeder dieser Werte eröffnet uns weitere Optionen in Dialogen oder neue Wege mit unserer Umgebung zu interagieren. Ein hoher Kraftwert lässt uns zum Beispiel schwere Hindernisse heben, ausgebautes medizinisches Fachwissen wiederum ermöglicht es uns, Verletzungen zu diagnostizieren und zu verarzten. Sämtliche Werte lassen sich mit erspielten Erfahrungspunkten verbessern. Ausgenommen hiervon sind allerdings Medizin und Okkultes, diese lassen sich nur durch das Studium passender Literatur steigern. Der Wahnsinn wächst mit jeder Konfrontation übersinnlicher Natur, dies führt zu Stabilitätsverlust und macht Pierce für die Lehren des Cthulhu empfänglicher.

Technisch zum Gruseln

Bei all der Liebe die ich für Call of Cthulhu aufgrund seiner Story und der Figuren hege, muss ich trotzdem sagen, dass der seltsame Fall der Familie Hawkins in Sachen Technik keinen Preis gewinnen wird. Die Grafik ist leider sehr weit unter dem Standard der heutigen Zeit. Figuren sind klobig animiert, Bewegungen wirken unnatürlich und Mimik gibt es kaum. Die Umgebungen sind zwar schaurig-schön und funktionieren thematisch hervorragend, doch der schönste Nebel kann nicht über matschige Texturen hinwegtäuschen.

Die Steuerung funktioniert zwar, wirkt jedoch sehr schwammig. Was die Menüführung betrifft, verzichtet Call of Cthulhu auf Komfort. Die einzelnen Fenster sind  sehr unübersichtlich gestaltet. Oft ist es nötig, sich durch diverse Seiten zu klicken, bis man das gewünschte Menüfenster vor Augen hat. Der Sound geht hingegen in Ordnung. Der schaurige Score, der beunruhigende Klangteppich und die motivierten (englischen) Sprecher, sorgen für angenehme Grusel-Atmosphäre.

FAZIT

Was soll ich sagen? Call of Cthulhu ist wahrlich kein schönes Spiel. Gerade was die Technik betrifft, bleibt es weit hinter den heutigen Möglichkeiten zurück. Die Grafik wirkt veraltet, die Steuerung ungenau und die Menüführung ist die Hölle – und doch habe ich mich in dieses Spiel verliebt. Call of Cthulhu hat das Herz am rechten Fleck. Ich bin ein großer Fan des Schaffens von H.P. Lovecraft und begeisterter Spieler des Pen and Papers. Die Geschichten rund um das Böse aus dem All, welches sich vollkommen dem menschlichen Verständnis entzieht, haben ihren ganz eigenen Charme. Diesen Charme trägt auch Call of Cthulhu in sich. Ich habe die ungefähr sieben Stunden lange Story in einer Sitzung durchgespielt, weil ich es vor lauter Spannung nicht schaffte, mich von der Konsole zu lösen. Sicher muss einem das grundlegende Spielprinzip liegen, doch ich fand es klasse. Ich hatte über weite Strecken wirklich das Gefühl, in einem Fall zu ermitteln. Wer also mit ein paar Schwächen leben kann, wird mit Call of Cthulhu für ein bis zwei Winternächte sehr viel Freude haben.

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Was ist Call of Cthulhu?: Ein Rollenspiel-Adventure im Geiste H.P. Lovecraft.
Plattformen: PlayStation 4, Xbox One, Microsoft Windows
Getestet: PS4 Pro
Entwickler / Publisher: Cyanide Studio/ Focus Home Interactive
Release: 30. Oktober 2018
LinkOffizielle Webseite

 

Gesamtwertung: 6.8

Einzelwertungen: Grafik: 4 | Sound: 8 | Handling: 6 | Spieldesign: 8 | Motivation: 8

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