Ich kann mich noch genau an den Tag und speziell den Moment erinnern, an dem ich zum ersten Mal den Teaser zu Cyberpunk 2077 gesehen habe. Gemeinsam mit Freunden saß ich im Fast-Food-Restaurant unseres Vertrauens, als ich von einer Freundin den Link zum Trailer bekam. Fast acht Jahre ist es nun her. Hat sich die lange Zeit des Wartens gelohnt? DEFINITIV! Cyberpunk 2077 ist genau das, was ich mir erhofft habe: ein Deus Ex auf Steroiden!
Da Cyberpunk 2077 jedoch so gewaltig ist, habe ich mich dazu entschlossen zunächst einen Vorabtest mit einer vorläufigen Wertungseinschätzung zu verfassen. In diesem werdet ihr meine Gedanken zu den ersten 50 Stunden Spielzeit finden. Der Haupttest mit der endgültigen Wertung erscheint dann am 14. Dezember 2020!
Vom Kleinkriminellen zum Gejagten
Streetkid V hat einen Traum: Er will eines Tages zu einer Legende in der ruchlosen Cyber-Metropole Night City aufsteigen. Ein ambitioniertes Ziel, denn in den NUSA – wie die Vereinigten Staaten im Jahre 2077 genannt werden – herrscht das Gesetz des Stärkeren. Wer nicht das Glück hatte mit dem goldenen Löffel eines Konzerners geboren worden zu sein, wird von Mühlen aus Korruption, Armut und Ungleichheit zerrieben, oder driftet in die Kriminalität ab. Zweiteres trifft auf unseren Protagonisten zu, der sich als Söldner seinen Unterhalt verdient und schon so manche krumme Tour auf seinem Konto zu verbuchen hat. Trotzdem hat es nie gereicht, um aufzusteigen. Ein Autodieb in einer Welt voll kybernetisch verbesserter Verbrecher, Mörder und Irrer, ist nicht mehr als ein Fischlein in einem Meer voller Haie. Dies sollte sich an jenem Tag ändern an dem der berüchtigte Fixer Dexter Deshawn auf V und seinen besten Kumpel Jacky aufmerksam wurde. Die beiden Rookies sollen in den Arasaka Tower einbrechen und einen speziellen Chip klauen. Im Glauben endlich ganz oben angekommen zu sein, ahnen Jacky und V noch nicht, dass sie einer Katastrophe entgegengehen, die alles verändern wird. V wollte nichts mehr als sich einen Namen machen, nun ist es ein Name der ihn verfolgt, beobachtet, antreibt. Es ist ein Name, den er hasst und verflucht, der Name einer Night City Legende: Johnny Silverhand!
Der Pfad eines Lebens
Cyberpunk 2077 ist ein Rollenspiel. Ich erwähne es deshalb nochmals so explizit, weil viele mit denen ich im Laufe der Jahre über Cyberpunk 2077 gesprochen habe, von einem Shooter im Geiste eines Call of Duty in einer schicken Openworld ausgehen. Dies ist nicht der Fall! Ja, es wird aus der Egoperspektive gespielt und man kann es als Shooter mit viel Action spielen, aber im Hintergrund laufen komplexe Rollenspielmechaniken ab. Das heißt Werte, Skills und auch ein wenig Glück sind der Schlüssel zum Erfolg. Headshots sind meist nur beim Schleichen mit der richtigen Ausrüstung ein Instant-Kill, im Kampf verursachen Treffer am Kopf zwar höheren Schaden, aber sind nicht augenblicklich tödlich.
Wie bei den meisten RPGs üblich, besitzt auch Cyberpunk 2077 einen Charakter-Editor. Dieser bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten (ja, auch die berühmt-berüchtigte Penisgröße) zur individuellen Gestaltung unseres Charakters. Ich habe fast eine Stunde gebraucht um meinen V zu gestalten, obwohl ich schon eine recht genaue Vorstellung hatte, wie V aussehen sollte. Ich wollte etwas zwischen Adam Jensen aus Deus Ex: Human Revolution und der Figur des Frenchie aus der Serie The Boys. Das Ergebnis kann sich, meiner Meinung nach, sehen lassen. Schade nur, dass man V selbst kaum zu Gesicht bekommt. Hauptsächlich im Menü, dem Fotomodus (mit dem ich einige Fotos für diesen Artikel gemacht habe), im Auto, speziellen Spiegeln und gaaanz selten in Zwischensequenzen. Finde ich ein klein wenig schade. Zwar verstehe ich diese Entscheidung in Bezug auf die Immersion, aber ich hätte einen Mittelweg wie in der Deus Ex Reihe bevorzugt. So hätte ich meinen Helden zumindest in den Dialogszenen gesehen.
Nach der Charaktererstellung kann man einen aus insgesamt drei Lebenspfaden auswählen. Wie man meiner Storyzusammenfassung entnehmen konnte, entschied ich mich für Streetkid. Ich wuchs in den Straßen Night Citys auf und kenne die Gesetze der herrschenden Gangs. Diese Entscheidung bestimmt nicht nur den Prolog in Cyberpunk 2077, sondern schaltet gelegentlich in manchen Dialogen alternative Antworten frei, die den Pfad zu interessanten Lösungsansätzen ebnen können.
Das Gameplay stellt uns vor viele Aufgaben, die wir auf unsere Weise lösen können: Knallen wir ab, was bei drei nicht auf den Bäumen ist, oder schleichen wir uns ungesehen rein und erfüllen die Mission ohne gesehen zu werden. Als Fan der Deus Ex Reihe ist es natürlich eine Frage der Ehre, lautlos wie ein Kätzchen meinen Feinden ans Leder zu rücken!
Mutige Geschichten
The Witcher 3 setzte damals in Sachen Storytelling im Bereich der Videospiele neue Maßstäbe. So war nicht nur die Darstellung von Sexualität in dieser Form neu in einem Tripple A Titel, sondern auch die Themenwahl – man denke nur an die inzwischen legendäre Quest-Reihe Der blutige Baron. Cyberpunk 2077 legt die Latte noch einmal höher und beweist mit seinen Thematiken ziemlichen Mut. Dabei stellt es nicht nur die obligatorischen Fragen zur menschlichen Existenz, sondern geht noch ein Stück weiter. Wie würde Snuff in einer Welt aussehen, in der User in sogenannten Braindances die Erlebnisse der Opfer nachempfinden können? Cyberpunk 2077 beantwortet diese Frage, in sehr drastischer Art und Weise. Wir werden Zeuge davon, was Prostitution aus Menschen macht, deren Erinnerungen nach jedem Freier gelöscht werden. Wir sehen jene die zu schwach sind und zu Grunde gehen.
Fesselnde Charaktere
Cyberpunk 2077 ist düster und abgründig, das habe ich mir erhofft, aber in dieser Konsequenz nicht erwartet. Auch die Hauptstory entwickelt sich anders, als bisher vermutet und das, was ich bisher erlebt und gesehen habe, hat mich schlichtweg begeistert. Die Erzählung ist spannend, reich an Wendungen und weiß zu überraschen. Viele Wegbegleiter, die für einige der besten Nebenquests verantwortlich sind, sind mir ans Herz gewachsen und ihre Schicksale haben mich gefesselt. Das liegt zum Großteil am genialen Writing der Figuren, angeführt von Keanu Reeves und seinem Johnny Silverhand.
Seine Absichten und Motive sind bisher nicht durchschaubar, aber Johnny Silverhand ist nicht schwarz, nicht weiß, auch wenn es seine Weltsicht manchmal ist.
Silverhand und seine Beziehung zu V sind eines der Highlights in der Geschichte, weil sie eine andere Dynamik besitzt, als die vielen Trailer hätten vermuten lassen. Auch ist der digitale Geist des Rockers in seiner zynischen Betrachtung der Welt für einige der wenigen Lacher in Cyberpunk 2077 verantwortlich. Seine Absichten und Motive sind bisher nicht durchschaubar, aber Johnny Silverhand ist nicht schwarz, nicht weiß, auch wenn es seine Weltsicht manchmal ist.
Das erfahrt ihr unter anderem im Haupttest
Neben seinen Geschichten, hat mich auch der Look von Cyberpunk 2077 begeistert. Die Technik macht auf dem PC im Großen und Ganzen bereits einen sehr guten Eindruck, auch wenn es in der jetzigen Fassung noch diverse Bugs gibt. In meinem finalen Test zu Cyberpunk 2077 werde ich genauer auf die Technik eingehen, da ich noch schauen will ob diverse Patches zu Release etwas an den Bugs ändern.
Zusammenfassung
Grafik
Cyberpunk 2077 macht in Sachen Grafik einen ausgezeichneten Eindruck. Nur gelegentlich blitzen noch diverse Bugs durch.
Sound
Der Sound ist echt mächtig. Von der kleinsten Pistole, bis zum schwersten Motorrad – die Boxen dröhnen. Auch die deutsche Vertonung kann absolut überzeugen.
Handling
Cyberpunk 2077 steuert sich mit dem Controller absolut präzise, nur im Menü wird es umständlich.
Spieldesign
Das Spiel- und Missionsdesign ist für mich über jeden Zweifel erhaben. Alles was Deus Ex großartig gemacht hat, potenziert Cyberpunk 2077 um ein vielfaches.
Motivation
Rollenspiel, Gameplay und Story. Diese Kombination entfaltet in Cyberpunk 2077 seine volle Wucht. Ich will jeden Winkel dieser Welt erkunden.
Vorläufiges FAZIT
Von Cyberpunk 2077 habe ich mir eine Neuinterpretation dessen erhofft, was Deus Ex damals groß gemacht hat, gepaart mit der erzählerischen Qualität von The Witcher 3. Und nach gut 50 Stunden Spielzeit habe ich das Gefühl, dass mir dieser Wunsch erfüllt worden ist! Es ist mir überlassen, wie ich eine Mission löse. Schleiche ich wie ein Jäger oder bin ich ein Panzer auf zwei Beinen? Cyberpunk 2077 legt mir die Werkzeuge in die Hand, die ich brauche, um meine Vorstellungen zu verwirklichen.
Darüber hinaus zeichnet sich die neueste Kreation von CD Projekt Red durch ein exzellentes Writing aus, das mir das Adrenalin durch den Köper jagt wie zuletzt The Last of Us Part 2. Die Geschichten, die ich bisher erleben durfte waren finster, philosophisch und von einer nihilistischen Hoffnungslosigkeit geprägt. Wenn Cyberpunk 2077 diese Qualität in seinen Geschichten bis zum Ende halten kann, die tolle Openworld auch weiterhin zu beleben weiß – auf die ich im finalen Test genauer eingehen werde – und das Gameplay seine Spannung behält, dann wird das Rollenspiel für mich nicht nur das Spiel des Jahres, sondern der beste Titel im Bereich der Rollenspiele seit The Witcher 3.
Würde ich das Game Stand jetzt bewerten, es bekäme einen Score um 9 von mir.