Days Gone im Test

Stille überzieht das Land, nur zerrissen durch die Schreie derer, die das Pech hatten, bis jetzt zu überleben. Von denen die wir liebten, blieb nicht viel mehr als blasse Erinnerungen an vergangene Tage. Es liegt ein wenig Trost darin, dass ihnen der Anblick dessen, was aus ihnen wurde, erspart geblieben ist: Hüllen ohne Verstand, getrieben von einem alles nieder reißenden Hunger. Sie kennen keine Moral, keine Empathie, kein Mitgefühl. Es gibt nur Instinkt. Die Freaker sind unsere Gegenwart. Vielleicht gibt es eine Zukunft ohne sie. Doch selbst wenn nicht, was ist uns denn anderes geblieben, als der Wunsch nicht aufzugeben?

Schmerzhafte Erinnerung

Am 26. April 2019 war es endlich so weit: Ganze drei Jahre nach seiner Erstankündigung auf der E3 2016 findet der Survival-Titel Days Gone seinen Weg auf unsere PS4. Das amerikanische Entwicklerstudio SIE Bend Studio, welches sich bisher mit der Siphon Filter-Reihe und Nathan Drakes PS Vita Auftritt Uncharted: Golden Abyss einen Namen machen konnte, steckt uns in die Haut des Bikers Deacon St. John. Gemeinsam mit seinem Kumpel Boozer brettert Deacon auf seinem Bike durch ein Oregon der Postapokalypse. Der knallharte Mittdreißiger leidet sehr unter dem Verlust seiner Ehefrau, Sarah. Sie fiel dem Chaos während des Ausbruchs der Seuche zum Opfer. Dieser Verlust ist Dreh und Angelpunkt des Narrativs von Days Gone. So schickt uns die Story immer wieder zu Momenten in der Vergangenheit des Ehepaars oder Deacon besucht die Stelle an der Sarah starb, um seine Gedanken zu ordnen und seine Gefühle zu reflektieren.

Days Gone erzählt seine – durchaus berührende – Geschichte sehr fragmentiert. Es gibt eine Mainstory, welche sich mit Deacons Trauer, deren Verarbeitung und die Ursachen der Katastrophe beschäftigt. Daneben gibt es mehrere kleinere Storylines, die meist Deacons Verhältnis zu anderen Überlebenden in den Vordergrund stellen und ein genaueres Bild seines Charakters und Wesens zeichnen. Obwohl die einzelnen Geschichten für sich genommen gut geschrieben sind und die Dialoge – bis auf einige sehr kitschige Ausnahmen – funktionierten, hatte ich gerade zu Beginn große Probleme den roten Faden darin zu finden. Dies liegt an der bereits erwähnten Erzählstruktur von Days Gone, welche ich als sehr zersplittert empfand. Wir starten mit einer Storyline, schließen das jeweilige Kapitel ab, können aber nicht direkt das nächste Kapitel der jeweiligen Geschichte oder Erinnerung weiter spielen, sondern müssen warten, bis sie das Spiel für uns frei gibt. Da im Laufe von Days Gone mehrere Storylines parallel laufen, nehmen sie sich gegenseitig die Dynamik weg, da Tempo und vor allem die Übersicht über den Verlauf komplett flöten gehen. Dieses Problem verbessert sich im weiteren Fortschritt des Spiels und es zeichnet sich ein gutes Gesamtbild ab. Bis es aber soweit ist, erfordert es ein wenig Geduld. Wirklich neu erfindet Days Gone dabei die Erzählung einer Gesellschaft der Postapokalypse nicht. Vieles, was wir darin erleben, haben wir auch schon in The Last Of Us oder The Walking Dead gesehen, wobei es SIE Bend Studios ganz gut gelingt, eigene Akzente zu setzen, so dass sie sich vor einem Vergleich mit den genannten Beispielen nicht fürchten müssen. Gerade Deacon St. John empfand ich als Figur angenehm sympathisch und spannend. Fun Fact am Rande: Deacon wird von Sam Witwer verkörpert. Der Mime lieh bereits Starkiller in The Force Unleashed sowohl Stimme als auch Aussehen.

Ein Mann und sein Bike

Stellt Sarahs Schicksal in der Geschichte von Days Gone den gravitativen Schwerpunkt dar, um welchen sich die Story dreht, übernimmt diesen Part im Gameplay ganz klar Deacons Bike – die zweite Liebe seines Lebens. Der motorisierte Drahtesel dient uns als wendiges Fortbewegungsmittel durch das von Freakern verseuchte Oregon. Da Deacons ursprüngliches Bike von schlimmen Fingern geklaut und zerlegt wurde, gilt es sich ein neues Bike zu bauen und zu verbessern. Das Grundgerüst dafür wird uns in einem der beiden Lager zur Verfügung gestellt. Dabei handelt es sich um kleinere Siedlungen mit eigenen Gesellschaftsstrukturen. Relativ zu Beginn von Days Gone bekommen wir es mit den ersten beiden Lagern zu tun. Während in Copelands Camp traditionell- konservativ amerikanische Werte – wie auch diverse Verschwörungstheorien – hochgehalten werden, herrscht unter der autokratischen Tucker die brutale Ausbeutung Schutzsuchender in Form eines Arbeitslagers.

Die diversen Lager unterscheiden sich nicht nur in Führungsmanagement und Sozialstruktur voneinander, auch der Fokus in Bezug auf Handelswaren ist ein gänzlich anderer. Bekommt ihr in dem einen Modifikationen für euer Bike, erwarten euch im anderen diverse Waffen die ihr erwerben könnt. Währung in den Siedlungen sind die so genannten Punkte, welche Deacon durch abgeschlossene Aufträge oder durch den Verkauf von Freaker Ohren und anderen Ressourcen freigeschaltet bekommt. Mit jeder absolvierten Mission, jedem Handeln oder Unterstützen der diversen Communities, lässt sich deren Vertrauenswert steigern. Dies schaltet Gegenstände höherer Qualität frei.

Aber zurück zum Bike: damit ihr euch ohne Komplikationen durch die Openworld bewegen könnt, solltet ihr die Werte Treibstoff und Zustand im Auge behalten. Treibstoff verringert sich automatisch bei Gebrauch eures Vehikels. Benzinkanister lassen sich in der gesamten Openworld immer wieder finden, Tankstellen werden euch sogar auf der Map angezeigt. Der Zustand eurer Maschine hängt ganz von der Art und Weise ab, wie ihr mit ihr umgeht. Fahrt ihr wie ein Wildschwein durchs Dickicht oder riskiert ihr gefährliche Sprünge, wird dies eurem stählernen Ross nicht zum Wohle gereichen. Schäden lassen sich mit Schrott, den man in Autos sowie in der Umgebung findet, reparieren. Treibstoff und Zustand eures Motorrades haben auch Auswirkungen auf die Schnellreisefunktion in Days Gone. Reicht der Sprit nicht, so müsst ihr auf den Komfort dieser Funktion verzichten. Beide Werte lassen sich bei gewissen Händlern verbessern.

Erwähnenswert ist auch, dass es nur in der näheren Umgebung des Bikes möglich ist, die Schnellspeicherung zu nutzen.

Eine Welt voller Zo..äh… Freaker!

Resident Evil 2, The Walking Dead und jetzt Days Gone. Ich hatte in diesem Jahr schon einiges mit den wandelnden Kadavern zu tun und war überzeugt, dass ich es in Days Gone nur mit einer schnelleren Version der untoten Horde zu tun bekäme. Ganz recht hatte ich damit nicht. Die Freaker haben innerhalb ihrer Rudel Hierarchien, schlafen in Nestern, sind lichtempfindlich und unglaublich aggressiv. Zwar sind sie nicht sonderlich intelligent und einzeln kaum eine Bedrohung, da sie leicht auszuschalten sind, im Schwarm jedoch mutieren sie zu einer gewaltigen Kraft der Natur, die alles nieder und in Fetzen reißt, was sich ihr in den Weg stellt. Deacon hat mehrere Möglichkeiten sich diesen Biestern zu stellen, aber alles bietet seine Vor- und Nachteile. Schießt er auf die Opfer der Seuche, mag das zwar effizient sein, doch der Lärm könnte weitere Kranke anlocken. Schleicht er sich an, kann er leise und effektiv einen nach dem anderen ausschalten, sollte er jedoch entdeckt werden ist er allerdings im Arsch, da die Freaker Verstärkung rufen werden. Selbst mit einer starken Nahkampfwaffe kann es Deacon nicht mit mehr als zwei bis drei gleichzeitig aufnehmen. Die richtige Wahl fällt schwer. Haben wir unsere Kontrahenten ausgeschaltet, erhalten wir dafür Erfahrungspunkte. Diese lassen sich in einen Skilltree investieren, der die Nahkampf-, Fernkampf- sowie Überlebenskünste Deacons verbessert.

Die offene Welt von Days Gone muss sich mit ihrem dynamischen Wetterverhalten und ihrer Gestaltung kaum vor der aktuellen Konkurrenz  verstecken. So gibt es einiges darin zu erledigen und zu entdecken, zum Beispiel Lager von feindlichen Fraktionen oder alte Forschungseinrichtungen, in denen Deacon mehr über den Ursprung der Seuche erfahren kann. Dort lassen sich spezielle Spritzen finden, welche entweder St. Johns Lebensenergie, Ausdauer oder Konzentration steigern. Erkunden wir mal nicht die Umgebung, verbringen wir unsere Zeit mit Crafting. Dadurch lassen sich mit gesammelten Rohstoffen Nahkampfwaffen basteln oder Molotow-Cocktails mischen. Diese sind wahrlich Gold wert, denn mit der Brandbombe lassen sich auch größere Gruppen vernichten und die Nester der Freaker abfackeln. Dadurch werden neue Schnellreisepunkte aktiviert.

Technisch leider nicht ganz sauber

Obwohl ich spielerisch Days Gone einiges abgewinnen konnte, vermochte mich die Technik leider nicht ganz zu überzeugen. Die Grafik hatte mit massiven Frame-Einbrüchen, Pop-Ups sowie langsam nachladenden Texturen zu kämpfen. Ebenso fehlten gelegentlich Animationen, wie beispielsweise beim Ablegen der Benzinkanister. Viele Bugs wurden mit dem ca. 17 GB großen Day One Patch behoben, ganz sauber läuft Days Gone leider immer noch nicht.

Dorn im Auge war mir leider die sehr unintuitive und ungenaue Steuerung. Dieses Manko machte sich etwa beim Lenken des Bikes oder vor allem bei den Schusswechseln bemerkbar. Zielen war gelegentlich, trotz aktivierter Konzentration und dadurch verlangsamter Zeit, eine Qual. Gerade in einem Szenario, wo stetiger Munitionsmangel herrscht, ist jede aufgrund der Steuerung verschwendete Kugel doppelt bitter. Manche dieser Schwächen lassen sich mit freigeschalteten Verbesserungen ausgleichen, aber leider nie soweit, dass es sich rund anfühlt.

FAZIT

Days Gone macht es mir ehrlich nicht leicht. Es hat einen eigentlich guten Kern, wirkt aber an manchen Stellen etwas unausgereift. Trotzdem hat der neueste exklusive Titel viele Stärken. Es erzählt eine tolle Geschichte, wenn auch zu Beginn etwas unfokussiert. Mit Deacon St. John liefert Days Gone einen starken und sympathischen Protagonisten, dem man seinen schweren Verlust zu jedem Zeitpunkt abnimmt und dessen verzweifelter Griff nach jedem möglichen Strohhalm absolut nachvollziehbar ist. Es zeichnet eine glaubhafte Gesellschaft in der Postapokalypse mit Figuren, welche eine vermeintlich gute Tat dafür nutzen, um ein Argument zu haben, Schwächere ausbeuten zu können. Selbst jene, die immer noch an Moral glauben und von einer besseren Zukunft träumen. Die Freaker sind mehr als nur Klischee-Zombies und wirken gerade in Schwärmen absolut bedrohlich. Die Gameplay-Mechaniken greifen an und für sich gut ineinander und funktionieren, trotzdem fehlt es manchmal am letzten Schliff. Gerade in Bezug auf Deacons Motorrad ist mir das besonders heftig aufgefallen. Das Tunen und Warten des Gefährts hat mir irrsinnigen Spaß gemacht,  das Fahren wiederum hat mich genervt, weil die Steuerung sich seltsam komisch anfühlte. Die Schusswechsel sind alles andere als optimal, lagen aber bei mir persönlich nicht so sehr im Gewicht, da mir der leise Weg meist mehr Spaß macht. Zusammenfassend kann ich sagen, dass Days Gone ein gutes Spiel ist, welches mit ein wenig Feinarbeit sogar noch ein sehr gutes werden könnte, allerdings von anderen exklusiven PS4 Open-World-Titeln wie Horizon Zero Dawn oder Spider-Man leider noch weit weg ist.

Was ist Days Gone? Ein Action-Adventure mit Survival-Aspekten in einer postapokalyptischen offenen Welt.
Plattformen: PS4
Getestet: PS4 Pro
Entwickler / Publisher: SIE Bend Studio / Sony Interactive Entertainment
Release: 26. April 2019

Gesamtwertung: 7.2

Einzelwertungen: Grafik: 8 | Sound: 8 | Handling: 6 | Spieldesign: 6 | Motivation: 8

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