Rennspiel ist nicht gleich Rennspiel. In kaum einem anderen Genre ist die Spreizung zwischen Simulations- und Action-Fokus größer als bei Racing-Titeln. Beide Extreme in ein und demselben Spiel unterzubringen ist quasi unmöglich … zumindest, wenn das Ergebnis die entsprechend spezialisierte Spielerschaft erreichen oder schlichtweg ein gutes Spiel werden soll. Daher verwundert es auch wenig, dass sich Codemasters dazu entschied, die DIRT-Serie quasi zweizuteilen. Ergo folgt nach dem „Dark Souls der Rennspiele“, a.k.a. DiRT Rally 2.0, nun also wieder ein Titel für Fans von unkomplizierter Rennaction: DIRT 5. Und ich durfte bereits jetzt ein paar Testrunden drehen.
Ihr seid beinharte Fans von DiRT Rally 2.0? Auf Special Stages durch Feintuning eures Wagensetups Zehntel um Zehntel von eurer Bestzeit abzuzwacken ist eure Lieblingsbeschäftigung für verregnete Nachmittage? Euch ist es ebenso wichtig, dass Fahrfehler tatsächlich schmerzliche Konsequenzen (a.k.a. beeinträchtigtes Fahrverhalten) haben, wie dass das Fahrverhalten selbst so nah an der Realität dran ist wie irgend möglich? Und am wichtigsten: Alles andere als ein Spiel, das all das bietet, interessiert euch nicht?! Dann kann ich euch viel Lebenszeit ersparen: Hört auf zu lesen. DIRT 5 ist nichts für euch. Wenn ihr hingegen auf spektakuläre Rennen durch Schnee, Schlamm und Staub in bärenstarken Offroad- und Rallye-Kisten aller Art steht, bei denen auch mal Blitze durch den Himmel zucken und Konfettibomben und Feuerwerke neben der Strecke hochgehen, solltet ihr unbedingt dranbleiben.
Story mit Handlungsspielraum
Mit Rennspielen samt Story und Codemasters verhält es sich genauso wie mit einer bekannten Kräuterbonbonmarke und der Schweiz. Etwas derartiges hat bei den Racing-Experten aus Großbritannien schlicht Tradition. Auch macht hier keine Ausnahme. Ergo rast ihr im neusten Teil der Action-betonten Schlammschlacht nicht nur einfach von einem Event zum nächsten, sondern bekommt dabei auch eine kleine Geschichte erzählt. Und zwar eine, die durchaus hochkarätig besetzt ist. Während ihr euch nämlich in der „DiRT offroad racing-series“ eure ersten Sporen verdient, werden sogleich ein Mentor und ein Rivale auf euch aufmerksam. Ersterer heißt Alex Janiček (genannt AJ) und wird von Troy Baker gesprochen, letzterer Bruno Durand und von Nolan North vertont. Zusammengearbeitet haben die beiden zuletzt bei Uncharted 4, wo Nolan wie von Anfang an Nathan Drake und Troy dessen Bruder Sam gesprochen hat. Zudem kennt ihr Troy Baker unter anderem als die Stimme von Joel aus The Last of Usund Nolan North als Desmond Miles in der Assassin’s Creed Serie.
Nun wird euch die Story aber wohl nicht über Cutscenes erzählt, so wie etwa in DTM Race Driver von anno dazumal oder zuletzt F1 2019, sondern via Podcasts, für deren Produktion sich Codemasters wiederum die Unterstützung von Donut Media gesichert hat. Wie, kennt ihr nicht? Nun, wenn euch Autos interessieren, solltet ihr deren YouTube-Kanal unbedingt mal einen Besuch abstatten. Aber ich schweife ab …
Die Story ist in fünf Kapitel unterteilt. In jedem davon erwartet euch eine breite Auswahl an Events, an denen ihr teilnehmen könnt. Welche ihr davon bestreitet, ist zu großen Teilen euch überlassen und wird wohl auf den grundsätzlichen Verlauf der Story keinen Einfluss haben. Auch euer Erfolg in den Events beeinflusst euer Vorankommen nur insofern, als dass ihr einfach schneller weiterkommt, wenn ihr stets Top-Platzierungen einfahrt. Damit gewinnt ihr nämlich besonders viele „stamps“, von denen jeweils eine bestimmte Anzahl nötig ist um am „Main Event“ des Kapitels teilnehmen zu dürfen. Auch die Sponsoren, mit denen ihr nach und nach verschiedene Verträge abschließen könnt (20 echte Marken werden vertreten sein) werden euch Aufgaben geben, für die es separat Punkte gibt. Zudem beschert euch ein Vertrag mit einem Sponsor zudem eigene Liveries für eure Autos, die ihr übrigens auch in einem Editor nach Belieben werden gestalten können. Doch zurück zur erwähnten Kampagne und dem Main Event: Dieses gilt es zu gewinnen, um in das nächste Kapitel zu kommen. Welche Events eines Kapitels am Weg dorthin ihr nun genau angeht, ist dabei recht egal. So schafft DIRT 5 den guten Spagat aus „einen roten Faden bieten“ und euch dennoch Raum zu lassen, wenn es darum geht, welche Arten von Rennen mit welchen Autoklassen ihr fahren wollt.
Viele Autos, kein Schaden
Apropos Autoklassen: Hier ist die Auswahl so breit wie überhaupt noch nie in der Serie. Es warten klassische Rallye-Boliden aus den 90ern und von heute ebenso wie leichte und schwere Offroad-Boliden vom Schlage eines Ariel Nomad und diverser Dakar-Boliden oder ganz besondere Gefährte wie Formula Offroad Hillclimb-Monster und die fast 1000 PS starken Dirt Track Racer mit einem gigantischen Spoiler als Dach. Dass sich diese allesamt sehr eigenständig fahren, muss vermutlich gar nicht gesondert erwähnt werden – ist aber so. Schon in der noch frühen Demo-Build, an dir ich Hand ans virtuelle Volant legen durfte, waren deutliche Unterschiede und ganz eigene Charaktere der Autos zu erkennen.
Dabei ist das Fahrverhalten freilich deutlich arcadiger, als bei Dirt Rally 2.0. Heißt: Es vergibt vor allem mehr – erlaubt euch brutalere Drifts, bietet besonders berechenbare Lastwechselreaktionen und simuliert äußerst deutlich unterschiedliche Grip-Niveaus je nach Witterung, ohne dabei aber jemals zur Zerreißprobe für eure Nerven zu werden. Und selbst wenn man sich einmal verschätzt hat, ist es im Grunde halb so wild. Das Schadensmodell im Spiel ist nämlich rein kosmetisch. Mechanische Schäden wären nicht im Sinne des Spieldesigns an sich gewesen. Beschrieben hat mir das Robert Karp (Development Director) und Michael Moreton (Lead Designer) an einem ganz anschaulichen Beispiel, das zudem eine besonders coole Facette des Spiels beleuchtet: Man kann mit bis zu drei weiteren Kumpels auch als Team in die Karriererennen starten – sowohl online, aber auch im Splitscreen. Dabei werden die Aktionen aller vier Spieler zur Zielerreichung hinzugerechnet (Stichwort Sponsoren-Missionen), die Endplatzierung allerdings nur vom besten. Wie dem auch sei: In einem solchen Setting wäre es freilich echt bitter, wenn einer der vier Spieler in der ersten Runde bereits einen Reifen verliert oder dergleichen, und dann drei Runden lang chancenlos den anderen hinterherfahren muss. So etwas wollten die Entwickler in DIRT 5 ausschließen. Also: Kein mechanischer Schaden. Auch OK.
Jahreszeiten mit Turbo-Funktion
Schon der erste Trailer, der während dem Xbox Series X Event im Mai gezeigt wurde, machte klar, dass man in DIRT 5 in mannigfaltigen Locations und bei unterschiedlicher Witterung unterwegs sein wird – und das reicht so weit, als das man über den zugefrorenen Hudson-River donnern darf. Wo überall man genau Rennen fahren darf, haben die Entwickler auch bei der Preview-Session noch nicht verraten. Einige Locations sind allerdings bereits bestätigt, wie zum Beispiel Italien, China, Brasilien, Norwegen und New York. Der Clou: Alle davon werden zu unterschiedlichen Jahreszeiten befahren werden können, was fundamentale Auswirkungen auf die Strecken haben wird. Etwas Ähnliches wie in Forza Horizon 4, wo man in offenen Welten zu unterschiedlichen Jahreszeiten herumdüsen darf, wird es aber nicht spielen. Die Strecken sind nach wie vor fest abgegrenzt und fix vorgegeben. Anders allerdings bei der Witterung und der Tageszeit. Beides ändert sich dynamisch. Und ja: Das hat dann auch Auswirkungen auf den Look der Umgebung und das Fahrverhalten. Am deutlichsten wurde das in der spielbaren Demo in der Stage in Norwegen. Bei deutlich beschleunigter Zeit (im Modus Solo-Rennen wird man die Geschwindigkeit der Zeit selbst festlegen können) starteten wir in unseren 90er-Jahre Rallye-Wagen – einem Subaru Impreza – etwa im Sonnenuntergang bei leichtem Regen und beendeten das drei Runden lange Rennen in tiefster Nacht, bei dichtem Schneefall, über den Himmel zuckenden und die Szenerie erhellenden Blitzen und mindestens 20 Zentimetern Neuschnee auf der Strecke. Grandios!
Überhaupt vermittelte die Demo mit ihren vier Levels schon ein gutes Gefühl dafür, mit wie viel Mühe die Entwickler die Strecken zum Leben erwecken wollen. Neben der Piste in Norwegen blieb mit dabei vor allem die Strecke in Brasilien im Gedächtnis, auf der man sich vom Strand, hoch durch die Favelas auf deinen Berg und wieder hinunterarbeitet. Während unten in der Küstenstadt bunte Light-Shows und Co warten, bieten die Passagen am Berg interessante Wechsel von Schatten und Licht, einen tollen Ausblick und interessantes Renngeschehen durch den starken Höhenunterschied samt Mega-Sprung. Ein ganz anderes Kaliber ist hingegen das Schotter-Oval, in dem man sich mit einem oben bereits erwähnten Dirt Track Racer gegen das übrigens immer maximal zwölf Fahrer umfassende Feld beweisen muss. Diese Dinger haben mächtig Power, vier unterschiedliche Räder und sind somit im Grunde unmöglich geradeaus zu fahren. Sollen sie ja aber auch nicht: Auf den dazu passenden Strecken geht es stets nach links … und das in der Regel ausnahmslos im Drift. Ein wirklich interessantes Erlebnis. Und ein ehrlicherweise bockschweres – aber die Entwickler betonten an mehreren Stellen, dass am Fahrverhalten noch geschraubt wird. Dementsprechend kann ich auch noch nicht mit Gewissheit sagen, ob die noch recht wenig bis gar nicht spürbare Auswirkung von Untergrundverformungen, die zumindest sichtbar sind, im fertigen Spiel noch stärker wird, oder eben in Hinblick auf den Arcade-Gedanken so bleiben wird. Wir werden sehen. Noch haben die Entwickler ja reichlich Zeit …
Grafik ohne Next-Gen Flair
Kommen wir zur Technik. DIRT 5 ist mit einer der ersten Spiele, das hochoffiziell für die aktuelle, aber auch die nächste Generation von Konsolen gleichermaßen angekündigt wurde. Das ist freilich Fluch und Segen gleichermaßen. Einerseits wird so eine maximal breite Spielerschaft erreicht, andererseits sind die Entwickler damit was die Technik angeht an der kurzen Leine. Immerhin können sie somit das Spiel nicht von Grund auf an die Power der Next-Gen-Hardware anpassen, sondern müssen dafür sorgen, dass das Ganze auch auf den alten Konsolen passabel aussieht und läuft. Das Ergebnis ist – wohlgemerkt anhand der noch nicht optimierten und keineswegs fertigen Demo-Version für unseren Preview-Artikel – ein wirklich hübsch anzusehendes Spiel, das aber nicht unbedingt einen allzu großen Sprung darstellt. Wie denn auch: Die Engine scheint noch dieselbe zu sein, die auch für alle aktuellen Titel wie F1 2020 oder eben DiRT Rally 2.0 verwendet wird. Von Raytracing also beispielsweise keine Spur. Dadurch, dass jetzt aber eben für die kommende Konsolengeneration alle Regler in der alten Engine auf 110 Prozent gedreht wurden, wird DIRT 5 dennoch und ohne Zweifel das hübscheste Spiel von Codemasters werden, das wir bis jetzt zu sehen bekommen haben. Die Automodelle sind innen wie außen angenehm detailreich (natürlich gibt es gleich mehrere Cockpit-Perspektiven, aber leider keinen VR-Support), die Lichteffekte schick, die Schatten scharf und die Wetter- und Tag-Nacht-Effekte in Kombination mit allem vorher genannten einfach richtig fesch. Ein Augenöffner dafür, was uns in Sachen Grafik bei der nächsten Generation an Rennspielen erwartet, wird DIRT 5 zwar also vermutlich nicht, ein richtig, richtig schickes Rennspiel aber dann wohl allemal. Und auch beim Sound braucht sich DIRT 5 wenig überraschend nicht zu verstecken. Zwar konnte ich freilich noch lange nicht alle Autos „probehören“, doch die paar, die in der Demo spielbar waren klangen allesamt richtig kernig. Mischt man dann noch die für Codemasters‘ Rallye-Spiele gewohnt guten Effekte wie das Prasseln in den Radkästen und den rockig-fetzigen Soundtrack hinzu, entsteht ein erstklassiges Akustik-Gesamtpaket.
Ersteindruck
Obgleich freilich noch viele Fragen offen und viele Features unenthüllt blieben(die Entwickler rieten uns , uns auf den August zu freuen; da soll wohl eine besonders große Ankündigung folgen), machte DIRT 5 schon einen richtig guten Eindruck: Das Fahrverhalten ist arcadig, aber facettenreich und „tiefgründig“ genug um Spaß zu machen und zu fordern gleichermaßen. Die Fahrzeugauswahl bietet ein wirklich breites und interessantes Spektrum an Offroad-Boliden. Die Story-getriebene Kampagne klingt interessant und scheint aber dennoch genug Freiheiten zu bieten, auf dass man immer das spielen kann, worauf man gerade Bock hat. Und die Technik ist zwar keine Offenbarung, aber zumindest überaus solide und zumindest in Hinblick auf die bisherigen Codemasters-Titel sicherlich ein Highlight … wenn eben auch noch nicht „Next Gen“ … was wiederum alle freuen wird, die diesen ohnehin erst einmal bei den alten Konsolen bleiben wollen oder einfach schon immer am PC mal sehen wollten, wie viel aus der Engine wirklich rauszuholen ist. Long story short: Ich bin durchaus positiv gestimmt und erwarte viel von DIRT 5. Und das solltet ihr auch sein, wenn ihr auf diese Art Rennspiele steht. Ich glaub, DIRT 5 wird geil.
Was ist DIRT 5? Ein Offroad-Rennspiel-Spektakel mit Story-Modus.
Plattformen: PC, PlayStation 4, Playstation 5, Xbox One, Xbox Series X, Google Stadia
Entwickler / Publisher: Codemasters
Release: 9. Oktober 2020
Link: Offizielle Webseite