ELEX im Test

Der Essener Entwickler Piranha Bytes gehört mit seiner 20-jährigen Geschichte sicher zu den langlebigsten Studios, nicht nur im deutschsprachigen Raum. Über all die Jahre ist man dem Rollenspiel als Genre treu geblieben und hat sich anfangs mit der „Gothic“- und später mit der „Risen“-Reihe einen Namen gemacht. Auch ein Maximum von drei Teilen scheint eine Studio-Regel zu sein, denn nun startet man, nach dem 2014 erschienen „Risen: Titan Lords“, mit dem brandneuen „ELEX“ in eine ganz andere Welt, voll mit neuer Lore und Abenteuern, aber auch mit alten Tugenden und Problemen.

Mord unter Mördern

Wir befinden uns auf dem Planeten Magalan, wo eine blühende, futuristische Zivilisation vor rund 160 Jahren von einem Meteoriteneinschlag fast gänzlich zerstört wurde. Die wenigen, die von der Katastrophe verschont blieben, wurden hunderte Jahre in ihrer Entwicklung zurückgeworfen und mussten in dieser, nun unwirklichen und von mutierten Tieren überrannten Welt, ums nackte Überleben kämpfen.

Abgesehen von all der Zerstörung und dem Chaos den der Einschlag mit sich gebracht hat, schenkte der Meteorit den Einwohnern auch das Elex, eine seltsame, kristalline Substanz mit allerlei nützlichen und gefährlichen Eigenschaften. Denn es lässt sich sowohl ans Energiequelle einsetzten, als auch direkt konsumieren, was dem Einnehmenden zwar übermenschliche Fähigkeiten verleiht, aber auch zu irreparablen Mutationen führt.

In dieser archaischen Welt haben sich die übrig gebliebenen Menschen recht schnell zu Gruppierungen zusammengeschlossen, um ihr Überleben zu erleichtern. Sie alle haben sehr unterschiedliche Einstellungen, was den Wiederaufbau der Zivilisation, gesellschaftliche Regeln oder auch den Umgang mit Elex angeht. Die Albs etwa sind eine militärisch organisierte Vereinigung, deren Mitglieder sich bewusst durch die Einnahme des abhängig machenden Elex stärken, gleichzeitig aber zu emotionslosen Befehlsempfängern werden. Immer auf der Suche nach neuen Elex-Quellen, machen die Albs vor nichts und niemandem Halt, um an die für sie lebenswichtige Ressource zu kommen.

Ein solcher Alb ist auch Jax, ein hochrangiger Offizier, der auf dem Weg zu einem heiklen Einsatz in seinem Jet abgeschossen wird. Doch anstatt gerettet zu werden, versucht sein Vorgesetzter ihn zu exekutieren. Das Unterfangen scheitert zwar, doch nun steht Jax, als unser Spielcharakter, schwer verwundet und ohne Ausrüstung mitten in der unwirtlichen Welt da und muss nicht nur seine Haut retten, sondern auch herausfinden warum man ihn loswerden wollte.

Gärtner, Pfarrer und Halsabschneider

Gleich nach dem kurzen Tutorial werden wir von einem freundlichen NPC eingeladen, ihn in die Hauptstadt der Berserker zu begleiten, wo wir uns Ausrüstung und Informationen besorgen können. Dieser Einladung können, müssen wir aber nicht folgen. Das Spiel ist in diesem Punkt ähnlich offen wie seine geistigen Vorgänger, oder auch die Elder Scrolls Reihe, mit einer von Anfang an vollständig begehbaren Karte, die man nach Lust und Laune erforschen kann, so man denn möchte.

Folgt man seinem Retter und erreicht die Stadt, lernt man recht schnell die Eigenheiten und Regeln der Berserker kennen. Diese sind, entgegen dem recht kriegerisch klingenden Namen, eine recht friedliche Truppe, die mit Hilfe von Magie versucht, den Planeten wieder erblühen zu lassen. Dabei lehnen sie die Nutzung von Elex komplett ab und kommen daher, mit ihren Holzhütten, Lederrüstungen, Äxten und Bögen, der typischen Fantasy-Kultur am nächsten.

Daneben gibt es noch die Kleriker und die Outlaws. Erstere haben sich eine Art Religion rund um das Elex aufgebaut und versuchen ganz im Gegensatz zu den Berserkern, diese Materie so umfassend wie nur möglich zu nutzen um Technologie und Forschung voranzutreiben. Den Outlaws sind strenge Regeln oder Religionen herzlich egal, sie sind ein lose organisierter Haufen von Leuten, die tun was nötig ist um zu überleben. Handeln, stehlen, brandschatzen, alles ist erlaubt, bei dieser sehr an Mad Max erinnernden Fraktion.

Hilfe, was tun?

Sobald man sich in einer der Städte etwas umgesehen und mit den Einwohnern gesprochen hat, fängt sich das Questlog recht schnell an mit allerlei Aufgaben zu füllen. Erfreulicherweise ist das Quest-Design sehr gut gelungen. Standard-Dienstbotengänge findet man kaum und viele der Aufträge lassen sich auf mehrere Arten lösen. Da ist zum Beispiel dieser Berserker, der illegalen Handel mit einem Outlaw treibt, dann aber kalte Füße bekommt und von uns möchte, dass wir seinen Abnehmer eliminieren, damit alle Beweise gegen ihn vernichtet sind. Natürlich können wir das einfach tun und uns unsere Belohnung abholen. Oder wir reden mit dem Outlaw und helfen ihm dabei den anderen zu erpressen, um weiterhin mit ihm zu handeln. Oder wir gehen zum Vorgesetzten unseres Auftraggebers, verpfeifen diesen und verbessern dadurch unseren Stand mit den Berserkern.

Auch unsere Entscheidungen und Gespräche können weitreichende Folgen haben, die allerdings im Gegensatz zu den meisten Spielen erfrischend unvorhersehbar sind und dadurch ein wenig an die Witcher-Serie erinnern. All das ist zwar grundsätzlich eine tolle Sache, wenn man in Rollenspielen seine Freiheit liebt, hat aber auch seine Schattenseiten, denn gerade die ersten Stunden in ELEX verlangen dem Spieler viel Geduld und Frustresistenz ab.

Das fängt schon mit den Quests an. Die sind zwar wie erwähnt sehr schön designt, weisen aber in keinster Weise darauf hin, ob sie für den Spieler geeignet sind. So schickt mich beispielsweise eine der ersten Nebenquests die ich bekommen habe. in den Wald auf die Suche nach einem verlorenen Bogen. Dort angekommen muss ich aber feststellen, dass sich besagter Bogen mitten in einem Lager voller Elite-Mutanten liegt, die mich mit einem Schlag töten. Erschwerend kommt hinzu, dass die allermeisten Aufträge wirklich meilenweit über die Karte verteilt sind. Wenn man dann am Ende des gerade zu Beginn recht beschwerlichen Weges feststellen muss, dass man hier nichts ausrichten kann, wird das schnell ermüdend.

Taschenrechner und Excel-Tabelle

Das Level- und Skill-System in ELEX entfernt sich ein wenig vom üblichen Standard und orientiert sich an seinen Wurzeln. Wenn man ein Level steigt kann man ausschließlich seine Hauptattribute (also Stärke, Ausdauer, Intelligenz, usw.) steigern. Zum Erlernen, beziehungsweise verbessern von Fähigkeit, muss man einen Lehrer für besagte Skills finden. Diese unterrichten glücklicherweise nicht nur eine Fähigkeit, sondern immer gleich eine ganze Unterkategorie, wie etwa Waffenskills, Crafting oder soziale Fähigkeiten.

Erlernt müssen sie natürlich trotzdem einzeln werden, und der jeweilige Lehrer will dafür nicht nur bezahlt werden, es gibt auch gewisse Attribut-Voraussetzungen, die man erfüllen muss, um einen gewissen Skill lernen zu können. Wenn man zum Beispiel Schlösser knacken gelehrt bekommen möchte, muss man sowohl seine Geschicklichkeits- als auch seine Intelligenzwerte auf mindestens 15 gesteigert haben. Bestimmte Waffenfertigkeit setzen noch viel höher an.

Auch hier arbeitet das System wieder gegen den Einsteiger. Denn ganz abgesehen von den Schwierigkeiten passende Trainer zu finden, bevor man alles erforscht hat, muss man sich vom ersten Level an sehr genau überlegen, in welche Attribute man seine Punkte investiert. Sonst steht man dann mit Level 10 da und kann noch immer keinen einzigen Skill lernen, weil man für keinen die Voraussetzungen erfüllt. Es sei der Fairness halber erwähnt, dass man im Menü schon eine Übersicht über alle Skills und deren Voraussetzungen zur Verfügung hat. Spreadsheet und ein Plan was man denn mit seiner Skillung vorhat, sind trotzdem unerlässlich.

ELEX Souls

Beim action-orientierten Kampfsystem wird schnell offensichtlich, dass bei Piranha Bytes wohl ein paar Dark Souls Fans arbeiten. Es gibt die leichte, schnelle Attacke, den langsamen, schweren Schlag, sowie einen Ausweich- und Parier-Button. Dazu kommt eine Ausdauer-Leiste, an der jede oben erwähnte Aktion zehrt und die einen wehrlos zurücklässt, sollte sie mal leer werden.

Was auf dem Papier ganz gut klingt, spielt sich leider in der Realität sehr hakelig und frustrierend. Gegnerische Angriffe starten ansatzlos, bewegen sich im Vergleich zu unserem eher gemächlichen Jax viel zu schnell und die Hitboxen sind kaum nachvollziehbar. Mal trifft mich ein Angriff nicht, obwohl ich erst nach dem Schlag weggerollt bin, mal trifft er mich trotzdem ich schon fast hinter dem Gegner stehe.

Dazu kommt ein weiteres Problem, mit dem sich der Spieler in den ersten Stunden herumschlagen muss: Wer nicht von Anfang an fleißig Punkte in seine Ausdauer investiert, sieht im Kampf schnell alt aus. Zwei Schläge, einmal ausweichen und die Leiste ist leer, was uns den Monstern hilflos ausliefert. Außerdem ist deren Verhalten sehr aggressiv. Immer wieder wird man von irgendwoher angegriffen, ohne je einen Gegner gesehen zu haben, was auch schnell dazu führt, dass man plötzlich umstellt ist, ohne Chance der Situation Herr zu werden. Auch die Flucht ist keine Option, da einem die Ausdauer ausgeht, lange bevor die Angreifer die Lust verlieren, uns zu verfolgen.

Neue Waffenskills, Zauber und Fernkampfwaffen machen die Sache zwar ein wenig einfacher, aber auch hier muss erst so manche Stunde in das Spiel investiert werden, um darauf überhaupt erst Zugriff zu bekommen.

Das Crafting ist dagegen, wenn auch ziemlich simpel gehalten, recht gut gelungen. Hat man erst die entsprechenden Skills gelernt, benötigt man nur noch ein Rezept und kann, sofern man die dort angeführten Materialien besitzt, an einer Werkbank drauf los basteln. Ob Waffen, Rüstungen, Modifikationen für Erstere oder einfach Tränke und Buffs, so ziemlich alles kann man selber machen, Skill und Rezept vorausgesetzt.

The good the bad and the ugly

Kommen wir zur Technik. Die Welt von Magalan ist wunderschön und voll mit abwechslungsreichen Landschaften, Details und versteckten Örtchen, die es zu entdecken gibt. Man verzeiht es hier gern, dass die Grafik nicht ganz mit den modernen Standards, was Texturschärfe oder Beleuchtung betrifft, mithalten kann.

Was man nicht so leicht verzeiht sind die teilweise fast schon lächerlich schlechten Animationen (es gibt zum Beispiel keine Fall-Animation, man steht einfach in der Luft, bis man am Boden aufschlägt) und die viel zu häufig wiederkehrenden Gesichter. Die einzige Möglichkeit einige der wichtigsten NPCs zu unterscheiden, ist anhand ihrer Rüstungen. Die sind glücklicherweise von Fraktion zu Fraktion verschieden.

Dafür läuft das Spiel im Großen und Ganzen flüssig und problemfrei. Abgesehen von ein paar kleinen Glitches (durch Wände sehen, an einem Baumstumpf hängen bleiben), die in Open-World Games dieser Art nichts ungewöhnliches sind, gibt es nichts auszusetzen.

Soundtechnisch geht ELEX ebenfalls in Ordnung. Die Musik passt gut, drängt sich aber nie in den Vordergrund und die Sprachausgabe (deutsche und englische) ist gut gelungen. Sie ist es auch die den für Piranha Bytes so typischen Humor vermittelt. Trocken und ein wenig derbe, muss einem der einfach liegen, was bestimmt nicht bei Jedermann der Fall ist.

FAZIT

ELEX hat unglaublich viel Potenzial. Eine große, lebendige Welt, komplexe Skill- und Crafting Systeme, viele Freiheiten sein Abenteuer so zu gestalten wie man möchte. Und trotzdem kann man es Neueinsteigern in die Werke von Piranha Bytes kaum empfehlen. Die ersten 10 Spielstunden sind ein reiner Test der eigenen Frustgrenze. Das Leveln, das Kämpfen, ja sogar die Story, die erst ab dem zweiten Drittel wirklich Fahrt aufnimmt, scheinen neuen Spielern zuzurufen: „Geh weg, wir wollen dich hier nicht!“ Wer das allerdings ignorieren kann und durchhält, wird mit einem großen und am Ende doch recht epischen Rollenspiel-Abenteuer, in einer großen, offenen Spielwelt belohnt. Alte Gothic oder Risen Hasen werden sich ohnehin wohlfühlen und können bedenkenlos zugreifen. Für alle anderen: Bitte mit Vorsicht genießen!

Gesamtwertung: 6.8

Einzelwertungen: Grafik: 6 | Sound: 8 | Handling: 6 | Spieldesign: 8 | Motivation: 6

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