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Erica im Test

Eine der größeren Überraschungen der gamescom 2019, war der sofortige Release des Live-Action Thrillers Erica. Interaktive Filme gibt es ja schon ein paar Jahre und auch Spielfilm-DVDs griffen diesen Trend immer wieder in ihrem Bonusmaterial auf. Ich erinnere mich nur zu gut an eines der Mini-Spiele auf der Disc von Harry Potter und der Stein der Weisen, bei dem man, mithilfe seiner Fernbedienung, den Zugang zur Winkelgasse finden musste. Doch ein richtig großer Erfolg dieses Genres blieb irgendwie immer aus – bis jetzt?

Die junge Erica leidet an Albträumen, in denen sie immer wieder ein schreckliches Trauma aus ihrer Kindheit durchleben muss. Eine Tages bekommt sie ein Paket zugestellt, das mehr als nur alte Wunden in ihr aufreißt. Verstört vom Inhalt des Pakets – zwei blutige abgehackte Hände – wendet sie sich an die Polizei. Diese bringt sie hilfsbereit zu Dr. Flowers, einem alten Freund ihrer Familie, bei dem es sich um den Leiter des Delphi-Hauses handelt. In der kleinen Klinik hat Erica als Kind viel Zeit verbracht, da ihr Vater dort als Arzt und ihre Mutter als Krankenschwester gearbeitet hatten. Doch seltsame Vorfälle lassen in Erica Zweifel aufkommen, ob sie hier wirklich sicher ist.

Smartphone oder Controller, das ist hier die Frage!

Spielen könnt ihr Erica, indem ihr entweder am Touchpad eures Controllers, oder aber am Display eures mobilen Gerätes, die benötigten Wischmuster durchführt. In eurem App-Store des Vertrauens könnt ihr problemlos und schnell die Begleitapp auf euer Gerät laden und seid auch schon bereit um loszulegen. Um die Verbindung zwischen eurem mobilen Gerät und der PlayStation herzustellen, müsst ihr darauf achten, dass sich beide im selben WLan befinden. Notfalls könnt ihr auch direkt mit der Konsole einen Hotspot herstellen.

Ich habe einen Durchgang mit meinem Handy und einen mit dem Controller durchgeführt und kann sagen, dass die Steuerung am Display des mobilen Gerätes um einiges flüssiger und einfacher funktioniert hat. Hierbei habe ich versehentlich zweimal die Verbindung, durch eine ungünstige Positionierung des Smartphones und meiner Knie am Sofa,  getrennt. Ansonsten kam es zu keinen Problemen. Das Spielen mit dem Controller ist etwas unpräziser und hat mich manchmal eine nicht gewollte Entscheidung treffen lassen, da ich bei der Änderung der Wischrichtung den Druck zu sehr verringert und dadurch eine frühzeitige Eingabe ausgelöst habe.

Ihr müsst eure Entscheidungen mit Bedacht wählen.

Swipe right!

Ihr steuert nicht Erica selbst, sondern führt Aktionen für sie durch und entscheidet den weiteren Spielverlauf. Gleich zu Beginn werdet ihr mittels eines Benzin-Feuerzeuges an die Mechanik des Spiels herangeführt. Durch Wischen von rechts nach links öffnet ihr den Deckel, durch die Bewegung von oben nach unten dreht ihr das Rad, um das Feuer zu aktivieren. Weiße Linien am Bildschirm zeigen euch, welche Art von Bewegung ihr durchführen müsst. Doch nicht nur für simple Aufgaben, wie das Benutzen eines Zippos oder Aufdrehen eines Wasserhahnes seid ihr verantwortlich, ihr wählt auch Ericas Antworten und Aktionen. In diesen Momenten erscheinen Worte in weißer Schrift auf eurem TV-Bildschirm und ihr müsst einen kleinen Lichtpunkt zu eurer gewünschten Reaktion ziehen und dann loslassen.

Mit dieser Technik könnt ihr auch entscheiden, was Erica erkunden oder auf welchen Punkt sie sich fokussieren soll. Nicht alle Handlungen, die ihr durchführen könnt sind wichtig für den Spielverlauf, machen aber eine Menge Spaß. Das Paket, das ihr zu Beginn erhaltet, könnt ihr beispielsweise in eurer gewünschten Schnelligkeit öffnen. Ich wollte es so dramatisch wie möglich gestalten und habe den Inhalt, so langsam wie möglich, zum Vorschein gebracht. Nach einer kurzen Eingewöhnung fühlt sich das Wischen sehr intuitiv an und kann ohne den Blick vom Fernseher zu wenden, durchgeführt werden.

Und, Action!

Die meiste Zeit gliedert sich das Betätigen diverser Aktionen gut ein und ich finde auch das Sauberwischen eines Spiegels amüsant. Doch bei in manchen Szenen ist der Kontrast zwischen den laufenden Live-Action Szenen und den gestoppten Entscheidungsmomenten zu stark für meinen Geschmack ausgefallen. Wenn es darum geht, dass Erica eine Antwort gibt, dann fügt sich der Moment gut in den Verlauf, denn die Schauspieler bewegen sich weiter und sprechen mit den Augen – es wirkt authentisch und lebendig. In anderen Szenen wirkt es aber abrupt gestoppt und die ausgeführten Aktionen, beispielsweise das Öffnen eines Geschenkes, leider sehr Stop-Motion-artig.

Cineastisch ist Erica wunderschön anzusehen, Framing, Lighting und Bildkomposition sind durchgängig stimmig und schaffen eine einzigartige Atmosphäre. Zu dem gesellt sich ein, wie die Faust aufs Auge passender, Soundtrack aus der Feder von Austin Wintory, dessen Klänge mich schon im Indie-Hit Journey verzaubert haben. Doch allen voran muss natürlich auch das Cast gelobt werden, das eine glaubhafte Performance abliefert. Und – ja ich schreibe das jetzt wirklich, obwohl ich an diesem Punkt eigentlich immer etwas auszusetzen habe – die deutsche Synchronisation ist fabelhaft geworden.

Dr. Flowers bietet euch seine Hilfe an.

What if…?

Was wäre wenn ich zu einem Zeitpunkt eine andere Entscheidung getroffen hätte, wäre ich dann noch immer hier? Dazu gibt es eine sehr empfehlenswerte Doctor Who Folge, in der einer der Companions des Doctors an einer Ampel nach links anstatt rechts fährt und deren Leben dadurch einen komplett anderen Lauf nimmt. Und Flavourworks hat sich bei Erica dieses Konzept zu Herzen genommen. Der Entwickler lässt euch viele Entscheidungen treffen, die jeweils eigene Folgen haben. Nach meinem ersten Durchlauf musste ich gleich einen zweiten anhängen, da ich jetzt so viele Fragen hatte. Und eines hatten diese alle gemeinsam, sie begannen mit: „Was wäre, wenn…?“

Hier verbirgt sich auch der immens hohe Wiederspielwert des Thrillers. Meine beiden Durchläufe hätten sich nämlich nicht unterschiedlicher gestalten können. Ich habe zwei verschiedene Geschichten erlebt, die sich zwar oberflächlich ähnlich, aber doch grundlegend verschieden waren. Ich habe bewusst andere Möglichkeiten genommen, um zu sehen, welche Auswirkungen sie haben und bin positiv überrascht über die Tiefe dieser. Die Entscheidung an ein klingelndes Telefon in einem scheinbar leeren Haus oder doch den langen, nur schwach ausgeleuchteten Gang zu Erkunden fällt einem nicht leicht und ich persönlich wollte unbedingt wissen, was passiert wäre, wenn ich mich anders entschieden hätte.

FAZIT

Ich wurde von Erica mehr als nur positiv überrascht. Interaktive Filme dieser Qualität können in Zukunft gerne vermehrt auf den Markt kommen, denn ich hatte wirklich gute Unterhaltung beim Durchleben von Ericas Abenteuer. Flavourworks hat viel Liebe zum Detail in ihr Werk gesteckt und das spürt man deutlich beim Spielen. Ein weiterer großer Pluspunkt ist der immens hohe Wiederspielwert, der durch die vielen Verzweigungen geboten wird. Selbst nach zwei Durchgängen habe ich noch nicht genug von Erica und noch so einige Fragen, deren Antworten ich im nächsten Durchlauf herausfinden werde! Meiner Meinung nach wird hier eine optimale Kombination aus Film und Spiel geboten, bei dem nicht nur Videospieler, sondern auch Filmliebhaber auf ihre Kosten kommen. Ich denke, dass Erica gerade die Pforten für die Zukunft des Interaktiven Films geöffnet hat und bin gespannt, was uns auf diesem Gebiet noch erwartet.

Was ist Erica? Interaktiver Live-Action Thriller
Plattformen: PlayStation 4
Getestet: PS4 Pro
Entwickler / Publisher: Flavourworks / Sony Interactive Entertainment Europe
Release: 20. August 2019
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 9.2

Einzelwertungen: Grafik: 8 | Sound: 10 | Handling: 8 | Spieldesign: 10 | Motivation: 10

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