Everspace 2 – Angespielt

Wenn ein erfolgreiches Spiel einen Nachfolger erhält, setzen dessen Entwickler meistens darauf, das offensichtlich gut angekommene Rezept des ersten Teils zu verfeinern und maximal behutsam zu erweitern. Rockfish Games hingegen geht einen anderen Weg; einen mutigeren. Sie schmeißen quasi das meiste weg, was Everspace ausgemacht hat und setzen mit Teil 2 auf viel Neues. Doch wer Entsetzen und Gegenwehr unter den Fans erwartet, liegt falsch. Die Kickstarter-Kampagne war ruck-zuck überfinanziert und der Andrang auf die nun laufende Early Access-Phase groß. Und das meiner Meinung nach vollkommen zu Recht.

Das erste Everspace war ein Dogfighting-rogue-lite, bei dem jeder Tod bedeutete, dass man mit nichts anderem als den Credits, die man im vorherigen Durchlauf verdient hatte, wieder von vorne anfangen musste. Das war das Grundgerüst des Spiels – sein Fundament. Und just das haben die Entwickler nun komplett über Bord geworfen. Stattdessen setzt das kleine Team auf das ambitionierte Projekt ein Open-World, bzw. eigentlich „Open Galaxy“-Spiel mit Story auf die Beine zu stellen, die mittels gezeichneter Standbilder und Voice-Over erzählt wird. Und obgleich das Spiel noch eine Weile in Entwicklung bleiben wird und erst in 12 bis 18 Monaten released werden soll, so lassen uns die Devs doch anhand eines Early Access schon die ersten Eindrücke sammeln. Und die haben es in sich. Tatsächlich stehen die Chancen aktuell gut, dass Everspace 2 zu nichts weniger als dem neuen Benchmark für Weltraum-Games werden könnte.

Im Weltraum hört dich keiner jubeln

Habt ihr im letzten Jahrzehnt einen Weltraum-Shooter gespielt? Elite Dangerous, vielleicht? Oder Freelancer? Wenn ja, werdet ihr euch in den Cockpits der Schiffe in Everspace 2 sehr schnell sehr wohlfühlen. Als Kenner solcher Titel fühlt es sich hier innerhalb weniger Minuten wie das natürlichste der Welt an, in vollkommener Schwerelosigkeit wilde Loopings und verrückte Kehren zu fliegen, um in hitzigen Dogfights mit feindlichen Raumjägern zwischen buntem Laser-Gezucke und Tod-bringenden Raketen die Oberhand zu behalten.

Um es also kurz zu machen: Schon die ersten Minuten, die ersten Kämpfe in Everspace 2, haben mir definitiv Lust auf mehr gemacht. Die Duelle machen Spaß, die Schiffe sind flink, die Grafik ist gut, das Universum trotz Luftleere ein echter Hingucker. Doch purer Eyecandy und spannende Dogfights allein reichen im Jahr 2021 natürlich kaum, um irgendwann einen Kauf zum Vollpreis zu rechtfertigen. Doch meine Sorgen, dass Everspace 2 hier aufgrund des kleinen Teams auslassen könnte, wurden schon jetzt komplett zerstreut. Es gibt eine große Welt zu erkunden, tonnenweise Nebenaktivitäten und Rockfish hat eine feine Balance zwischen intensiven Kämpfen und tiefgehenden RPG-Systemen gefunden, die mich in Windeseile in ein schwarzes Loch aus Prozent-Werten und Loot saugen konnten.

Tatsächlich hat Everspace 2 überraschend viel mit Spielen wie Destiny 2 gemeinsam (und das meine ich auf eine gute Art und Weise). Das wird nie deutlicher als dann, wenn die Anzeige für die ultimative Fähigkeit meines Schiffes voll aufgeladen ist. Mit einem Knopfdruck verwandelt sich mein bescheidenes Schiff in den Gott des Donners und meine verhältnismäßig popeligen Laser werden durch Bögen tödlicher Elektrizität ersetzt, die der Warlock-Klasse in Destiny nicht unähnlich sind. Ist das rein physikalisch schlüssig? Scheiße nein! Aber macht es Spaß? Scheiße ja!

Viel zu tun

Zudem ist so ziemlich alles an den Schiffen aufrüstbar; von den Schilden und Panzerungen bis hin zum Energiekern und den Primärwaffen. Auch das ist nicht gerade bahnbrechend, aber es geht um mehr als nur das Ersetzen alter Teile durch neuere, die etwas höhere Zahlen haben. „Devices“, zum Beispiel, sind im Grunde Zauber, die man finden, ausrüsten und mitten im Kampf abfeuern kann. Allzu viele habe ich im Laufe meines Tests zwar nicht entdeckt, dafür einen Favoriten zu finden hat es aber dennoch gereicht: ein Virus, der sich auf gegnerische Schiffe in der Nähe ausbreitet und nach ein paar Sekunden detoniert und großen Schaden anrichtet. Herrlich hinterlistig und angenehm effektiv. Gleich auf Rang Zwei meiner Best-Of-Liste landete eine Art „Kurzstrecken-Teleporter“. Perfekt, wenn man sich rasch aus einem Kampf oder einer ungünstigen Position im Gefecht verabschieden will.

Darüber hinaus können noch weitere Perks freigeschalten werden, die einem in den Kämpfen neue Herangehensweisen erlauben. Einer davon sorgt etwa dafür, dass sich die Schilde sofort wieder aufladen, nachdem man einen Feind ausgeschaltet hat; sehr hilfreich in längeren Gefechten gegen große Gegnerscharen. Und von denen scheint es dann wohl einige zu geben.

Im Verlauf der Story lernt man darüber hinaus noch Begleiter kennen, die ihre eigenen Perks mitbringen und nicht minder nützlich sind. Ein Charakter, Delia, zum Beispiel hat eine Perk, die dafür sorgt, dass feindliche Schiffe manchmal Orbs fallen lassen, die die eigenen Waffen wieder nachladen oder Energie auffüllen. Dax wiederum (der erste Mitstreiter, dem man über den Weg läuft) verschafft euch Vergünstigungen für Reparatur-Kosten – auch sehr hilfreich.

All diese Möglichkeiten für die Weiterentwicklung des Schiffes, Charakters und Teams sind freilich toll – aber auch eine Menge zu verarbeiten. Vielleicht sogar ein bisschen zu viel. Es gibt zwar Tutorials, die einen durch einige dieser Systeme führen, ich für meinen Teil war aber dennoch oft noch unsicher und musste über experimentieren und „trial & error“ herausfinden, wie man etwa neue Crafting-Rezepte oder Upgrade-Module freischaltet. Das liegt zum Teil aber auch an der aktuell noch eher schwer zu durchschauenden Benutzeroberfläche.

Und ja – zum Ende dieses Absatzes habe ich dann auch am Kampfsystem bzw. Game-Design im All noch ein bisschen was zu meckern. Trotz der Kollegen, die man findet, ist man nämlich im Grunde am Ende doch fast ständig allein unterwegs und kämpft stets gegen mehr oder minder große Teams aus feindlichen Jägern. Leider gibt es aber weder eine Möglichkeit diese Ziele zu priorisieren, noch anhand einer Anzeige herauszufinden wie nahe welcher davon nun eigentlich ist. Außerdem hätte ich mir ganz prinzipiell gewünscht, dass die schon im Spiel enthaltenen, größeren Schiffe auch eine größere Rollte im Gameplay spielen.

Gute, alte Handarbeit

Gerade bei Weltraumspielen hat sich in letzter Zeit – zumindest bei den wenigen Vertretern, die es noch gab – der Trend zu sehr großen und deswegen generisch erstellten Galaxien und Planeten durchgesetzt. Everspace 2 geht hier einen anderen Weg und setzt tatsächlich durch und durch auf Handarbeit. Dementsprechend kann man auch nicht nahtlos durch die Welt des Spiels düsen – es gibt Ladezeiten.

Damit geht zwar leider dieser Ehrfurchts-einflößende Moment verloren, wenn man wie in No Man’s Sky in den Orbit eines Planeten eintritt und dann landet, doch die andere und in dem Fall schöner glänzende Seite dieser Medaille ist natürlich, dass kein Ort im Spiel irgendwie „komisch“, „leblos“ oder eben „generisch“ wirkt. In einer Mission etwa flog ich zu einem riesigen Schiffsfriedhof auf der Oberfläche eines Planeten, wo die Überreste gigantischer Raumschiffe wie Skelette in den Himmel ragten – sowas bekommt man in automatisch generierten Welten nicht zu sehen. Und schon gar nicht kann man dort auch noch in diese Wracks hineinfliegen – hier schon. Mehr noch: Dort fanden sich diverse Aufgaben und Auflockerungen wie zu umgehende Laserabwehrsysteme und versteckte Schalter mit denen man den Weg zu wertvoller Beute freimachen konnte. Das Navigieren durch diese engen Korridore und Höhlensysteme – vor allem während der Kämpfe – ist ein wunderbarer Kontrast zur endlosen Leere des Weltraums.

Wie, ich kann nicht Herrscher der Galaxis werden?!

Wenn es einen Aspekt von Everspace 2 gibt, den Genre-Kenner vielleicht vermissen, dann ist es die Tatsache, dass die offene Welt des Spiels wohl keinerlei Wirtschafts-Simulation beinhaltet. Ressourcen, die in einem Gebiet gekauft werden, können in einem anderen Gebiet für Profit gehandelt werden, aber es gibt keine zugrunde liegende Wirtschaft oder ein Fraktionssystem, das man manipulieren kann. Auch können keine Gebiete erobert und so Handelsimperien aufgebaut werden, obwohl es ein rudimentäres Fraktions- und Reputationssystem gibt, das einen für die Übernahme bestimmter Aufgaben belohnt. Das könnte Leute enttäuschen, die eher an hyper-komplizierte Weltraum-Simulationen wie X4: Foundations gewöhnt sind …

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