F1 2017 im Test

Keine echte Konkurrenz zu haben kann schnell dazu führen, nicht unbedingt mehr immer nur Höchstleistung abzuliefern. Das ist im Rennsport ganz genauso wie in der Wirtschaft. Wenn die „externe Motivation“ in Form eines Kontrahenten fehlt, der einem im Windschatten klebt, muss also der eigene Ansporn, immer besser zu werden, herhalten. Glücklicherweise hat Codemasters just davon offensichtlich mehr als genug. Denn obwohl sie als langjährige, exklusive Formel 1-Lizenzhalter eigentlich eine ruhige Kugel schieben und sich auf die blinde Kaufwut der Fans verlassen könnten, haben sie im Vergleich zum Vorjahr doch noch einmal die KERS-Akkus voll aufgeladen, alle DRS-Passagen komplett ausgereizt und frische Reifen aus dem Lager geholt. Das Ergebnis: Das definitiv beste Formel 1-Spiel aller Zeiten.

Schon in meinem Preview zu F1 2017 habe ich angemerkt, dass Codemasters‘ Vergangenheit mit der F1-Lizenz nicht immer nur ein steter Höhenflug war. Ganz im Gegenteil. Mit so manchem Teil legten die Briten gar eine richtig schöne Bauchlandung hin. Doch letztes Jahr dann zeigte sich mehr als bloß ein leichter Silberstreif am Horizont. F1 2016 war gut … richtig gut. Dennoch hatten die Fans – wie sie nun einmal sind – das eine oder andere zu meckern. Nun hätte sich Codemasters denken können „Ach, wenn euch das nicht gefällt, dann kauft doch das andere F1-Spiel …. Haha!“. Taten sie aber nicht. Im Gegenteil. Sie haben zugehört und die Schraubenschlüssel überall dort angesetzt, wo es das Spiel nötig hatte. Und auch nur dort. Denn ebenso wichtig wie die veränderten Teile des Spiels sind auch die, die man mehr oder minder in Ruhe gelassen hat. Die nämlich, die schon gut waren. Die Kampagne zum Beispiel.

Nach wie vor das Herzstück des Spiels ist der gemeinte Karriere-Modus, in dem ihr einen Fahrer – oder eine FahrerIN (endlich!) – gestalten und euch dann ein Team eurer Wahl als Rennstall aussuchen könnt. Dabei stellt jedes natürlich ausgehend von seiner Situation andere Erwartungen an euch. So will Haas „einfach“ versuchen den schon recht guten Start in die F1 so fortzuführen und sich im Mittelfeld festzubeißen, während Renault sich einen Aufschluss zur Spitzengruppe erhofft und Mercedes Benz nichts anderes als den Weltmeister-Titel erwartet – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wie alles weitere in Sachen Karriere so läuft erklärt euch daraufhin eine ebenfalls aus dem Vorgänger bekannte Gestalt: Eure Managerin. Leider – um einen der wenigen Kritikpunkte gleich hier anzubringen – bewegt sich diese aber, so wie alle Menschen im Spiel, ebenso hölzern wie im Vorgänger. Auch die Mimik wirkt irgendwie „merkwürdig“. Autos kann Codemasters … Menschen irgendwie nicht so. Irgendwie blöd, dass es nun aber just von diesen sogar noch mehr gibt als zuvor. Schon wenig später kommt ihr nämlich auch noch mit eurem Technik-Chef zum Plaudern, der euch den neuen Technik-Baum des Spiels näherbringt. Dieser lässt selbst so manches Rollenspiel vor Neid erblassen und verpasst dem Karrieremodus, gemeinsam mit vielen frischen Möglichkeiten zur Taktikfestlegung während der Rennen, eine ganz neue Tiefe. Positiver Nebeneffekt: Die eigentlich netten, aber mit der Zeit doch irgendwie lästigen Missionen (Reifenverschleiß optimieren, Ideallinie lernen, Pace halten, usw.) mit denen ihr während der Trainingssessions vor jedem Rennen Erfahrungspunkte sammeln könnt, behalten so doch auch nach einigen Stunden immer noch ihren Reiz – einfach weil der Tech-Tree so viele tolle Möglichkeiten bietet das Team und den Wagen aufs nächste Level zu heben.

Lieblingsmensch

Ganz neue Breite bringt hingegen die dritte Person, mit der ihr es im Laufe der Karriere zu tun bekommt: Jonathan. Millionär und Autosammler, der euch mit seine historischen Schlitten – die ganze Liste gibt’s im Preview – so manch spannendes Event fahren lässt. Das lockert das Geschehen ungemein auf. Vor allem auch, weil Codemasters das Fahrverhalten ebenso wie Optik und Sound der alten Boliden richtig gut hinbekommen hat. Die heulenden V12- oder V10-Motoren noch einmal hören zu können ist einfach herrlich. Auch das deutlich brutalere, rohere Fahrgefühl von zum Beispiel Ayrton Sennas legendärem Turbo-McLaren sind einfach ein Erlebnis.

Doch auch die aktuellen F1-Boliden wurden natürlich gut eingefangen und digitalisiert. Das neue Regelwerk mit noch einmal deutlich mehr Grip sorgt gepaart mit dem guten Geschwindigkeitsgefühl des Titels für einen quasi ständig hohen Adrenalinpegel. Sehr wichtig für diesen ist übrigens auch die KI, die nun stufenlos bis auf 110% geschraubt werden kann. Dabei wird es so über 75% dann auch für erfahrene Piloten durchaus spannend. Die anderen Piloten fahren dann nämlich nicht einfach nur schneller, sondern auch menschlicher. Gehen in Zweikämpfen also auch mal Risiken ein, übertreiben es, beharren auf ihre Linie und bauen im Windschatten gehörig Druck auf … da kann man schon mal schweißnasse Hände bekommen.

Ob diese dann übrigens gerade ein Lenkrad oder doch ein Gamepad umklammern ist fast egal. Klar: Echte Cracks werden auch weiterhin auf ein Force-Feedback-Volant schwören und damit sicherlich gut beraten sein. Wir „Normalos“ sind aber auch mit dem Controller bestens bedient. Dort wurde nämlich intensiv daran gearbeitet, durch „feinere Vibrationseffekte“ ein besseres Gefühl dafür an den Spieler weiterzugeben, was gerade im Fahrwerk des Autos so passiert. So hat man sowohl auf der Bestzeitjagd im Qualifying, aber auch in Zweikämpfen immer eine überraschend gute Idee davon, wieviel „Reserven“ die Reifen wohl noch haben – zumindest mit ein wenig Übung, versteht sich.

Alles eine Frage der Technik

Wer keine Zeit oder Lust für Übung hat, kann sich aber natürlich auch nach wie vor noch mit den zahlreichen Fahrhilfen befassen. Von einer in Stufen regelbaren Traktionskontrolle oder Ideallinie, bis hin zur Bremsautomatik wird jede Menge geboten, das das Rennfahrerleben deutlich leichter machen kann. Und dann ist da – für den Fall eines Falles – immer noch das altbewährte Rückspulfeature, das auch diesmal vom dank gutem Schadensmodell quasi jederzeit möglichen Totalschaden bis hin zum kleinsten Verbremser alles ungeschehen machen kann.

Der einzige Part des Spiels, in dem dieses nicht zur Verfügung steht ist freilich – Überraschung – der Mehrspielermodus. Maximal 22 Fahrer können hier gegeneinander antreten, 2 Plätze sind stets für Zuseher reserviert. Werden nicht alle Startplätze von echten Zockern belegt, übernimmt auf Wunsch die KI, während die nicht vergebenen Slots für Gamer aus Fleisch und Blut ebenfalls zu Spectator-Sitzen werden. In unseren kurzen Test-Sessions (ich geb‘s zu – ich bin nicht so der Online-Spieler), hat zumindest am PC alles bestens funktioniert. Vor allem auch, weil nun auf allen Plattformen eine Server-Liste zur Verfügung steht, man sich sein Rennen also selbst aussuchen kann und nicht auf Matchmaking-Algorithmen angewiesen ist. Cross-Plattform-Gaming geht aber leider nach wie vor  nicht. Ebenso wenig wie Splitscreen-Partien. Die Entwickler erklären das schlicht mit technischen Limitationen durch die Konsolen-Hardware.

Apropos Hardware: Zeit um über die Technik zu reden. Wir haben F1 2017 auf einer regulären PS4 und dem PC getestet. Auf der Konsole macht das Spiel dabei einen soliden Eindruck. Die Grafik ist hübsch, die Framerate stabil, wenn auch gefühlt sicher nicht ständig bei 60FPS. Nur in den Zwischensequenzen (zB mit eurer Managerin) kommt es gelegentlich zu Tearing. Am PC hingegen legt die Engine noch einmal ein Schauferl drauf (zum Beispiel auch eine Unterstützung für Ultra-Widescreen-Monitore, wie ihr an den Screenshots seht). Auf maximalen Settings sorgen zusätzliche Licht-Effekte, feinere Schatten und knackigere Texturen für ein optisch durchaus beeindruckendes Gesamtbild. Dass es einen nicht gänzlich vom Hocker haut liegt einzig an der in seinem Kern doch schon etwas angestaubten EGO-Engine. Das hat aber freilich auch seine Vorteile: Für maximalen Grafikgenuss reicht zumeist schon Mittelklasse-Hardware. Die Anforderungen sind angenehm moderat.

Was bleibt noch zu sagen? Achja: Neben dem Karrieremodus warten natürlich noch Einzel-Events darauf euch die Zeit zu vertreiben. Ebenso, wie Championships genannte Kurz-Kampagnen mit speziellen Rahmenbedingungen und Zielen. Und dann sind da noch die online herunterladbaren Events. Hier will sich Codemaster ganz speziell an die eSportler unter uns wenden. Hier sind schlicht, immer zeitlich begrenzt, möglichst viele Punkte in einem vorgegebenen Setting zu erreichen. Punkte werden verliehen für die Platzierung, Zeit, die Verwendung oder eben Nicht-Verwendung von Fahrhilfen und den Fahrstil. Das alles wird sodann international geranked und ihr könnt euch so in immer neuen Rahmen mit euren Freunden oder eben der ganzen Welt messen.

FAZIT

Viel bleibt nicht zu sagen. Codemasters: Volltreffer! Der ohnehin schon gute Vorgänger wurde dort, wo es nötig war verbessert und dort, wo schon alles gut war, nicht verschlimmbessert. Das, in Kombination mit den historischen Autos, der soliden Technik und tollen Fahrphysik, vor allem aber der motivierenden Karriere, summiert sich zu nicht weniger als dem in meinen Augen besten Formel 1-Spiel unserer Zeit zusammen. Chapeau.

Gesamtwertung: 9.2

Einzelwertungen: Grafik: 8 | Sound: 10 | Handling: 10 | Spieldesign: 10 | Motivation: 8

Passende Beiträge

Call of Duty®: Black Ops 6 im Test

Life is Strange: Double Exposure im Test

PRIM im Test