Fallout 4 – TEST

Langsam muss ich wirklich nachdenken, zum wievielten Male es mich in das post-apokalyptische Ödland von Fallout verschlägt. Manche Teile der Reihe habe ich mehr, andere weniger gespielt, ja sogar dem extrem schwachen Brotherhood of Steel habe ich vor Jahren eine (sehr kurze) Chance gegeben. Selbst auf meinem Handy müssen die armen Bewohner von Fallout Shelter unter meiner Knute als Aufseher leben. Kurzum: Gespielt habe ich sie alle, würde mich auch als durchaus großer Fan bezeichnen, auch wenn es sicher viele gibt, die deutlich mehr Zeit als ich mit den Spielen verbracht haben.

Tagebuch der Apokalypse

Darum stand für mich von Anfang an fest, dass auch die Bewohner und Kreaturen von Fallout 4 eher früher als später mit mir Bekanntschaft machen würden. Wie bei allen Titeln, die mich *wirklich* interessieren, mied ich ganz bewusst jegliche Berichterstattung vorab, sah mir eigentlich keine Trailer an und lies die Sache einfach auf mich zukommen. Darum möchte ich auch ganz bewusst – es könnte ja noch andere geben, die wie ich denken – so wenig Worte wie möglich zur (Vor)geschichte des Charakters verlieren, in dessen (oder deren) Rolle wir uns diesmal finden. Nur ein wichtiger Twist sei verraten: Er (oder sie) hat die Welt noch vor dem großen Krieg gekannt und erlebt und muss in der neuen, komplett zerstörten Welt nach den Resten seiner Familie suchen.

Das ist auch schon fast wieder das Ende der gefährlichen Spoiler. Eines muss ich in diesem Zusammenhang leider trotzdem noch loswerden: Ich finde es nämlich sehr schade, dass mich gerade die Hauptgeschichte diesmal fast überhaupt nicht packen konnte. Fast immer gab es interessantere Alternativen zu entdecken und zu erforschen. In Fallout 3 ist man das noch geschickter angegangen: Das Durchleben der eigenen digitalen Kindheit an der Seite unseres Vaters ersetzt nicht nur das Tutorial, sondern erreicht auch, dass die Suche nach dem verschwundenen Erzeuger später zu einer treibenden Kraft werden kann. Anders Fallout 4: Die Idee einen Charakter zu spielen, der noch die Welt vor dem Krieg erlebt hat ist ja ganz nett, aber man hätte mehr daraus machen können. Wir beginnen das Spiel als Erwachsener, ohne Vorgeschichte, aber offensichtlich mit Frau (oder Mann) und Kind. Zeit und Muße, diese auch kennenzulernen, wird uns allerdings nicht gewährt. Daher zu erwarten, dass ein paar Zeilen Dialog, gefolgt von einem einschneidenden Ereignis eine tiefe emotionale Bindung zu virtuellem Kind und Kegel entstehen lassen, war vielleicht doch etwas zu optimistisch.

Viel seltsamer ist aber eigentlich, dass mich dieser Umstand insgesamt trotzdem kaum gekümmert hat. Die Welt von Fallout 4 und die Geschichten und Aufgaben, die man in ihr erleben und finden kann sind wieder einmal so groß, vielfältig und vielschichtig, dass man die weniger interessanten Abschnitte problemlos vergisst und verzeiht.

Altbekanntes, wenig Neues, aber trotzdem gut

Grafisch und spielerisch hat sich nicht so viel getan, man nutzt die (natürlich weiter entwickelten) Mechaniken und Engine von Fallout 3. Flora und Fauna sehen allerdings deutlich besser aus, die Texturen detaillierter und auch die NPCs (meines Erachtens eine der häufigsten Schwächen von Bethesda) sehen halbwegs ansehnlich aus. Trotzdem: Grafikgranate ist Fallout 4 keine. Aber die Community arbeitet bereits daran und man darf sich auch mit einem etwas älteren bzw. schwächeren Spielerechner in das Ödland wagen.

Auch bezüglich Gameplay findet man wirkliche Änderungen nur im Detail: So erhält man zum Beispiel die ikonische Power Armour-Rüstung schon sehr früh im Spiel. Die Rüstung verhält sich diesmal wie das Exoskelett, das sie eigentlich sein soll. Für die Nutzung muss man quasi „einsteigen“ bevor man dann Gegnerhorden zum Beispiel mit einer Mini-Gun plättet, die man ohne Rüstung nicht einmal anheben könnte. Die Sache hat allerdings einen Haken: Zum Betrieb werden spezielle Energiekerne benötigt, die man nicht mal eben im (ausgebombten) Supermarkt nebenan findet. Die zweibeinige Vernichtungsmaschine sollte also wenn nicht dringend benötigt irgendwo geparkt werden.

Viel? Zu viel? Oder nur zu viel auf einmal?

Arme Entwickler! Wie man es auch macht, man macht es falsch. Die einen mögen es nicht, wenn ein Spiel Sie zu sehr an die Hand nimmt, andere hätten die eine oder andere Gameplay-Komponente doch gerne etwas genauer erklärt. Fallout 4 macht nur die erste Kategorie glücklich, denn den Anteil an Tutorial-Elementen als minimalistisch zu bezeichnen wäre bereits eine große Übertreibung. Das wäre zumindest für erfahrene Fallout 3 und Fallout: New Vegas ja eigentlich kein Problem, denn Steuerung und Basis-Gameplay wurden wie erwähnt praktisch 1:1 übernommen. Wäre kein Problem, wenn da nicht komplett neue Crafting- und Basenbaus-Systeme wären. Eigentlich erfreulich: Waren früher 95% der Funde im Ödland nutzloser Schrott, der nur das Inventar zumüllte und selbst im besten Fall nur einige erbärmliche Kronkorken einbrachte, betätigen wir uns diesmal als plündernder Recycler. Fast alles, was nicht niet- und nagelfest ist, lässt sich in seine Basiskomponenten herunterbrechen, aus denen wir wiederum Upgrades für unsere Waffen und Rüstungen basteln können. Zusätzlich kann man sich auch als Koch und/oder Hobby-Chemiker versuchen und so für Geschmacks- und anderwertige Explosionen sorgen. Wer lieber im großen Stil bastelt, darf auch ganze Camps konstruieren. Findet man ein entsprechend geeignetes Plätzchen oder macht man sich die Bewohner einer existierenden Siedlung zum Freund, darf man sich als Stadtarchitekt versuchen. Von der einfachen Baracke bis zum mehrstöckigen Bollwerk darf man alles aufziehen, Möbel basteln und platzieren und im Garten vielleicht noch ein paar mutierte Pflänzchen anbauen. Stehen dann auch noch Wasser- und Stromversorgung wird unser neues Reich leider auch für fiese Banditen interessant und wir müssen uns auch noch um den Bau von Verteidigungsanlagen kümmern. Klingt ja alles ganz nett. Das Problem: Bis auf einen mickrigen Einleitungstext wird das System nirgends erklärt und teilweise hilft nur Trial & Error, bevor man etwas sinnvolles zustande bringt. Zwar werden viele (so wie ich) trotzdem und fast unbemerkt (zu) viel Zeit in den Siedlungsbau stecken, aber das komplette Crafting-System wirkt dabei immer irgendwie aufgesetzt. Wie schon gesagt gibt es kein Tutorial, die Bedienung ist alles andere als durchdacht und ganz ehrlich: Auch Vorteile bringt es eigentlich kaum welche. Die gefundenen Waffen kann man etwas stärker, die Rüstungen etwas stabiler machen, aber ob sich der der damit verbundene Aufwand lohnt, ist fraglich.

FAZIT

Anfangs war Fallout 4 für mich ein Spiel der Widersprüche: Nach den ersten paar Tagen musste ich feststellen, dass ich die Hauptgeschichte komplett links liegen gelassen hatte – aber trotzdem schon 20 sehr unterhaltsame Stunden verbracht hatte. Ähnliche Situationen an anderen Fronten: Der Siedlungsbau ist mühselig und umständlich, das Crafting-System relativ schwach und nicht unbedingt nötig. und trotzdem packe ich fast jeden Schrott in meine digitalen Taschen und renne regelmäßig zur heimatlichen Werkbank zurück. Irgendwas haben die Entwickler also selbst hier richtig gemacht. Und alles andere ist sowieso genau das, was ich mir von einer guten Fallout-Fortsetzung erwartet habe.

Gesamtwertung: 8.8

Einzelwertungen: Grafik: 8 | Sound: 8 | Handling: 10 | Spieldesign: 8 | Motivation: 10

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