Filmkritik: Atomic Blonde

Nach dem willkommenen, aber doch überraschenden Erfolg von „John Wick“ 2014 (und auch dessen Nachfolgers Anfang dieses Jahres), scheint es so als würden wir ein, zumindest kleines, Revival des Genres der harten, „realistischen“ Action-Thriller erleben. David Leitch, einer der beiden Regisseure des ersten „John Wick“ und ursprünglich Stuntman sowie Stunt-Koordinator, veröffentlicht nun seinen ersten Film nach dem Durchbruch und seine Handschrift ist unverkennbar.

INHALT

Im Herbst 1989 ist Berlin ein politisches Pulverfass. Die Mauer, welche die Stadt, und damit auch die Nation, seit über 25 Jahren teilt, steht kurz vor dem Fall. Alle großen Mächte haben hier ihre Finger im Spiel und so verwundert es kaum, dass sich hier eine Menge Agenten verschiedenster Geheimdienste tummeln. Als eine Liste auftaucht, die Namen und Daten aller in Berlin operierenden Geheimdienstler enthält und ein britischer Agent ermordet aufgefunden wird, wird die ohnehin schon angespannte Lage noch prekärer. Deshalb schickt der Mi6 eine seiner besten Agentinnen, Lorraine Broughton, nach Berlin um die Liste ausfindig zu machen und in ihren Besitz zu bringen.

Dort angekommen muss sie sich sogleich mit dem französischen Geheimdienst, dem amerikanischen CIA und dem russischen KGB herumschlagen. Doch dem nicht genug, auch ihr eigener Kontaktmann, der seit Jahren in Berlin stationierte David Percival, hat seine ganz eigenen Methoden um an sein Ziel zu kommen und macht ihr das Leben schwer.

© Focus Features LLC.

KRITIK

Atomic Blonde ist unverkennbar eine Reminiszenz an das schmutzig-harte Action-Kino der 80- und 90-Jahre. Da liegt es natürlich nahe, den Film auch in dieser Zeit anzusiedeln. Das Berlin zur Zeit des Mauerfalls bietet eine wunderbare Kulisse und gleichzeitig einen hervorragenden Aufhänger für knallharte Agenten-Action. Glücklicherweise begnügt man sich aber nicht nur damit ein passendes Setting zu haben, sondern impft den Film dazu auch mit dem Style und der Atmosphäre dieser Zeit. Von der Kleidung der Akteure, über die Set-Ausstattungen (Einrichtungen, Fahrzeuge, usw.) bis hin zur Songauswahl des Soundtracks, alles wie aus einem Guss.

Bei John Wick sind Leitch und sein Co-Regisseur Chad Stahelski noch so gut wie ohne Story ausgekommen. Ein Backstory-Grundgerüst und eine Motivation für John, sich mit der russischen Mafia anzulegen, war alles an Story das nötig war. Hier zeigt sich Leitch in seinem neuen Film ambitionierter und versucht sich an einem verworrenen Agenten Katz-und-Maus Spiel mit Überraschungen, Wendungen und allem was dazu gehört. Und der Spagat zwischen fesselnder Action und spannendem Geheimdienst-Thriller gelingt ihm auch – zumindest fast. Um als letzteres wirklich überzeugen zu können, sind einige der Charaktere zu durchschaubar und vor allem am Ende macht viel davon einfach keinen Sinn.

Das soll nicht heißen, sie treffen (aus Sicht des Publikums) dumme, oder falsche Entscheidungen. Die Handlungen der Charaktere sind durchaus nachvollziehbar, nur warum sie diese setzten, also ihre Motivation dahinter, bleibt zu oft unerklärt. Man hat den Eindruck der Drehbuchautor hatte hier sehr wohl ein sehr genaues Bild aller Akteure und deren Motivation im Kopf, doch dieses Bild hat es nicht in den fertigen Film geschafft. Möglicherweise einfach nur um den Film nicht zu lange werden zu lassen, oder auch um den Fokus auf Action nicht zu verlieren. In jedem Fall ist das schade, denn das Potential zu einem wirklich starken Spionage-Thriller ist eindeutig vorhanden. Dass alles beduetet aber nicht, dass die Story nicht funktioniert. Es wäre nur mehr Potential vorhanden gewesen als genutzt wurde. So ist sie dann doch nur wieder Aufhänger für die Action, und die ist es dann ohnehin, die Atomic Blonde ausmacht. Hier fühlt sich der Regisseur Zuhause und das kann man sehen.

© Focus Features LLC.

Obwohl man von der Verfolgungsjagd bis zur knackigen Schießerei alles geboten bekommt, was zum guten Ton des Action-Films gehört, liegt doch der Fokus eindeutig auf Hand-to-Hand Combat. Ähnlich wie auch schon Keanu Reeves für John Wick, hat auch Charlize Theron ein beinhartes Training über sich ergehen lassen um glaubwürdig die diversen Kämpfe darstellen zu können. Und die sind mitunter atemberaubend. Beeindruckend durchchoreografiert, verzichtet man auf die heutzutage so weit verbreiteten, überstilisierten Stakkato-Schnittfolgen. Stattdessen arbeitet man mit langen Einstellungen und schneidet nur da, wo es nötig ist.

Dazu kommt, dass hier glaubwürdig gekämpft wird. Um gegen Gegner bestehen zu können, die teils um 2 Köpfe größer und vermutlich doppelt so schwer sind wie sie, muss sich unsere Heldin auf anderen Wegen helfen, als durch pure Kraft. Was ihr an Kraft fehlt, macht durch ihre Schnelligkeit, die Zuhilfenahme aller ihr zur Verfügung stehenden Gegenstände, sowie den Fokus darauf nur dorthin zu schlagen, wo sie den größten Schaden ausrichtet. Außerdem versuchen die Kämpfenden hier auch Schläge abzublocken, anstatt sich einfach nur minutenlang (ohne erkennbare Folgen) aufs Maul zu hauen. Auch die Anstrengung eines solchen Kampfes wird verdeutlicht, wenn nach zwei Minuten alle Kontrahenten kaum noch laufen können – unabhängig davon wieviel sie einstecken haben müssen, einfach aus Erschöpfung.

Die Besetzung ist erstklassig. Charlize Theron muss nicht mehr beweisen, dass sie alles spielen kann und trotzdem kann man sie für die harte Arbeit nur bewundern, die sie ganz offensichtlich in die Rolle gesteckt hat. Aber auch abgesehen von der Stuntarbeit überzeugt sie als unterkühlte, zähe Überlebenskämpferin, unter deren harter Schale doch noch irgendwo ein Herz schlägt. James McAvoy als ihr undurchsichtiger Kontaktmann wandert den schmalen Grat zwischen sympathischen Sidekick und gefährlichem Kontrahenten mühelos und scheinbar macht es ihm Spaß. In kleineren Rollen wäre noch der glücklicherweise in den letzten Jahren wieder aktivere, und wunderbare John Goodman und die immer noch viel zu klein gecastete Sofia Boutella. Erstmals aufgefallen in Kingsman und zuletzt als böse ägyptische Prinzessin in Die Mumie, fällt sie eigentlich immer positiv auf, scheint es aber trotzdem nicht über (mehr oder weniger wichtige) Nebenrollen hinauszuschaffen.

Handarbeit ist das Credo bei Atomic Blonde. Stunts, Kämpfe, Schießereien, nichts davon ist am Computer entstanden und auch das lässt den Film glaubwürdiger wirken als die meisten anderen. Es gibt die eine oder oder andere Szenen, die aussehen als hätte man CGI zur Hilfe genommen, aber allein die Tatsache, dass man es nicht mit Sicherheit sagen kann, spricht für die Qualität derselben. Die Soundeffekte sind knackig und roh, was seinen Teil zur teilweise recht exzessiven Brutalität der Kämpfe beiträgt. Dem Soundtrack gebührt hier auch eine Erwähnung. Man arbeitet mit vielen, durchwegs bekannten Songs der Zeit (sogar Falco ist zu hören), doch wirken sie hier nicht aufgesetzt und effekthaschend, sondern fügen sich perfekt in die Stimmung des ganzen Films, sowie der jeweiligen Szene ein.

© Focus Features LLC.

FAZIT

Mit Atomic Blonde hat Regisseur David Leitch einen knallharten Spionage-Actionthriller abgeliefert, der sich vor allem durch seine perfekt in Szene gesetzten Kampfsequenzen und deren überzeugende Darstellung, von der Masse hervorhebt. Auch wenn man dem Film dramaturgische Schwächen vorwerfen kann, macht er dank der adrenalintreibenden Action, dem kitschigen 90er Style und einer tollen Besetzung, viel Spaß. Vor allem jene, die mit den harten Action-Krachern des zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts aufgewachsen sind oder ein Faible dafür haben, denen wird Atomic Blonde eine große Freude bereiten.

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