Filmkritik: Blade Runner 2049

Wenn ein jahrzehntealter Kult-Klassiker eine Fortsetzung bekommt, bedeutet das in der Regel nichts Gutes. Zu viele große Namen und Franchises wurden in den letzten Jahren zu lauwarmem Massen-Kino verwurstet und ebenso viele, wenig vielversprechende Aufwärmaktionen stehen in den Startlöchern. Wenn sich aber einer der besten derzeit in Hollywood agierenden Regisseure mit dem Team des Originals zusammensetzt, um die Welt von Blade Runner wieder aufleben zu lassen, darf man sich durchaus etwas mehr erwarten. Und glücklicherweise werden selbst diese Erwartungen bei weitem übertroffen.

INHALT

Aufgrund eines Anschlags auf das gesamte Datennetzwerk (allgemein als das Blackout bekannt), einige Jahre nach den Ereignissen rund um Rick Deckard, gehen alle Aufzeichnungen bezüglich untergetauchter Replikanten verloren. Diese synthetisch hergestellten und genetisch verbesserten Menschen, die vor allem zur Kriegsführung und für schwerste Arbeiten eingesetzt wurden (und werden), werden auch im Jahr 2049 noch von Blade Runnern aufgespürt und „in den Ruhestand geschickt“. Und genau so einer ist Detective „K“, der bei einem anfangs nach Standardprozedur klingenden Auftrag auf Informationen stößt, die nicht nur sein Leben völlig aus der Bahn werfen, sondern auch die Machtgefüge der Welt in der er lebt, in ihren Grundfesten erschüttern könnten.

© 2017 Sony Pictures Entertainment GmbH

KRITIK

Vielleicht sollte ich zu Anfang eingestehen, dass ich ein großer Fan des originalen Blade Runner aus dem Jahr 1982 bin. Ich habe den Film in all seinen Fassungen mehrmals gesehen und er ist fester Bestandteil meiner Top 3 der liebsten Filme. Man mag sich also meine Hin- und Hergerissenheit vorstellen, zwischen Vorfreude, großen Erwartungen und Furcht davor, einen weiteren leeren Abklatsch eines Kleinods der Filmgeschichte vorgesetzt zu bekommen.

Glücklicherweise hat es Regisseur Denis Villeneuves nicht nur geschafft, meine Befürchtungen vom Tisch zu wischen, er hat auch alle Hoffnungen und Erwartungen, die ich mir insgeheim zu machen erlaubte, mühelos übertroffen. Blade Runner 2049 schafft es nicht nur die unterkühlte Film-Noir Atmosphäre von damals erneut einzufangen, er nimmt auch die komplexen Themen und Gedankenansätze des Originals auf und spinnt sie weiter, ohne zu sehr zu den ausgetretenen Pfaden zurückzukehren und Gefahr zu laufen, ein verkapptes Remake zu werden.

Letzteres liegt vor allem an der hervorragenden Arbeit von Drehbuchautor Hampton Fancher, der schon für Blade Runner die Buchvorlage des grandiosen Philip K. Dick (Do Androids Dream of Electric Sheep?) fürs Kino adaptierte. Wie damals, extrahiert er die Grundideen- und aussagen der Vorlage und baut darauf seine Geschichte auf. Die ist an der Oberfläche wieder eine Detektivgeschichte über einen Mann, der versucht ein Rätsel zu lösen, transportiert damit aber in erster Linie große, existentielle Fragen. Was macht Menschlichkeit aus? Ab wann ist dem Menschen perfekt nachempfundenes Wesen keine Kopie mehr, sondern ein vollwertiger Mensch? Und wie, falls es uns jemals möglich sein sollte so etwas zu erschaffen, werden oder sollten wir damit umgehen?

Auch in diesem Aspekt schafft es Villeneuve, die Essenz des Vorgängers einzufangen. Beide Filme erzählen eine an sich relativ einfache Geschichte, die in den Köpfen der Zuschauer viele komplexe und tiefgreifende Fragen aufwirft, sich aber davor hütet konkrete Antworten auf diese Fragen zu liefern und uns mit nicht mehr als Denkansätzen zurücklässt. Die Sorgen einerseits für ein langes Nachwirken des Gesehenen, andererseits für viel Interpretationsspielraum und lassen einem bei mehrmaligem Ansehen immer wieder neue Ansätze entdecken.

© 2017 Sony Pictures Entertainment GmbH

In diesem Zusammenhang kommt aber leider auch einer meiner wenigen Kritikpunkte ins Spiel. Blade Runner 2049 ist mit seinen 163 Minuten Laufzeit nicht gerade ein kurzer Film. Und auch wenn er zu keinem Zeitpunkt (trotz der vielen, langen Einstellungen und allgemein recht ruhigen Gangart) langweilt, so gibt es doch ein paar ganz kleine, nicht unbedingt störende, aber doch überflüssige Szenen. Und zwar immer dann, wenn man meint dem Publikum etwas sicherheitshalber noch etwas genauer erklären zu müssen. Das ist bei weitem nicht so dramatisch wie damals im Kinoschnitt des Originals, mit seinen Voiceover-Erklärungen, nichtsdestotrotz ist  das aber vollkommen überflüssig und hätte dem Film die eine oder andere Minute Laufzeit genommen.

Die Besetzung ist fabelhaft. Im Vorfeld wurde viel über das ausdruckslose Gesicht von Ryan Gosling in den Trailern gewitzelt, doch genau das, und die wenigen Momente in denen er Emotionen zeigt, machen seine Performance im Kontext seiner Figur so wunderbar. Harrison Ford bringt den sichtlich gealterten und von seinen Erlebnissen schwer gezeichneten Deckard zurück auf die Leinwand und liefert damit seine beste Leistung seit vielen Jahren ab. Auch die vielen Nebendarsteller brillieren in teils sehr wenigen Auftritten so sehr, dass man gern mehr von ihnen sehen würde. So etwa Robin Wright als K’s Vorgesetzte, der beeindruckende Dave Bautista als untergetauchter Replikant, Sylvia Hoeks als Speerspitze der neuen, zu Gehorsam verpflichteten Replikanten-Generation und natürlich Jared Leto, der den unter einem ausgeprägten Gott-Komplex leidenden Entwickler der „neuen“ synthetischen Menschen, Niander Wallace mimt. Dem haucht Leto trotz zu wenig Screentime und charakterlicher Tiefe so viel Leben und Bedrohlichkeit ein, dass man unweigerlich seinen Hut ziehen muss. Besondere Erwähnung sollte hier noch Ana de Armas finden, die mit Joi wohl eine der schwierigsten Rollen zu spielen hat und dies mit Bravour meistert.

Über all den bereits erwähnten Qualitäten steht die brillante optische und akustische Umsetzung. Seinen Kultfilm-Status trägt Blade Runner, trotz aller inhaltlicher Tiefe, vor allem wegen seiner wegweisenden audiovisuellen Präsentation. Und auch hier enttäuscht die Fortsetzung nicht. Was Kamera-Meister Roger Deakins und das Set-Design Team hier geleistet haben ist unglaublich. In den knapp 3 Stunden Film gibt es nicht eine einzige Einstellung die nicht atemberaubend schön anzusehen ist. Jedes Detail passt, jedes technische Gimmick ist eine nachvollziehbare Weiterentwicklung der Technologie des Originals. Dazu kommt ein Soundtrack der zwar nicht die visionäre Brillanz des damaligen Meisterwerks eines Vangelis erreicht, sich aber stilistisch über weite Strecken am großen Vorbild orientiert und es in den richtigen Momenten zitiert.

© 2017 Sony Pictures Entertainment GmbH

FAZIT

Wo soll ich anfangen? Blade Runner 2049 ist mehr als nur ein würdiger Nachfolger eines großen Klassikers. Es ist ein intelligenter, harter SciFi-Film, der uns über das Mensch-Sein an sich nachdenken lässt, ohne dabei die selben Wege wie sein Vorgänger auszutreten. Es ist der wohl optisch beeindruckendste Film den ich seit vielen Jahren sehen durfte, voller Bilder die sich auf ewig in mein Gehirn brennen werden. Aber vor allem ist Blade Runner 2049 ein Musterbeispiel dafür, was entstehen kann wenn sich die Meister auf ihrem Gebiet zusammentun und mit der gleichen Vision an einem Strang ziehen, um den besten, ihnen möglichen Film im Andenken an einen Klassiker zu schaffen, ohne sich dabei von Fokustests, Gewinnstatistiken oder Franchise-Plänen beeinflussen zu lassen.

Passende Beiträge

Flint: Treasure of Oblivion im Test

ANTONBLAST im Test

The Spirit of the Samurai im Test