Der Spionage-Thriller ist ein fast ausgestorbenes Genre. Seine Blütezeit hatte er, wenig überraschend, vor dem Abflauen des Kalten Krieges in den 70er und 80er Jahren. Danach gab es kaum erwähnenswerte Filme dieser Art. Die Kunst des Genres, langsam Spannung aufzubauen und den Zuschauer lange im Unklaren zu lassen, wer denn nun eigentlich der Gute ist, ist jedoch zeitlos und sollte, gut umgesetzt, auch heute noch funktionieren. Entgegen dem was uns die Trailer vorgaukeln wollen, ist Red Sparrow keine Agenten-Romanze und auch kein Action-Film. Es ist ein Versuch, das klassische und mit vielen Perlen bestückte Genre wieder aufleben zu lassen. Und das funktioniert besser als erwartet.
INHALT
Die überaus talentierte und vor allem disziplinierte Ballerina am russischen Staatsballet, Dominika Egorova, scheint gerade an der Spitze angekommen zu sein, als sie bei einem Bühnenunfall wieder alles verliert. Ein komplizierter Beinbruch setzt ihrer so vielversprechenden Karriere ein jähes Ende. Zu den Problemen die ihr dieses Schicksal selbst bereitet kommen große finanzielle Sorgen, denn die Versorgung ihrer pflegebedürftigen Mutter ist sehr teuer.
Da tritt Vanya, ihr Onkel, auf den Plan und bietet Hilfe an. Der ist ein hohes Tier beim russischen Geheimdienst und macht seiner Nichte ein fragwürdiges Angebot: Sie soll sich mit einem beim Präsidenten in Ungnade gefallenen Groß-Industriellen treffen, um sensible Informationen zu beschaffen. Der Mann ist sehr vorsichtig, aber bekennender Fan von Dominika.
Obwohl sie sich anfangs dagegen wehrt, willigt sie schließlich in den Deal, der die Versorgung ihrer Mutter sicherstellen soll, ein. Doch als das Treffen mit dem Mann furchtbar schiefgeht, steht Dominika vor einer Wahl, die eigentlich keine ist und besiegelt damit augenscheinlich ihre Zukunft im Dienste der Partei als „Sparrow“, speziell ausgebildete Agenten, die durch Sex und professionelles Lügen ihre Zielpersonen manipulieren.
KRITIK
Ich sollte an dieser Stelle vielleicht zuerst erwähnen, was Red Sparrow nicht ist. Denn wie so oft, wenn die Marketing-Abteilungen der großen Studios nicht wissen wie sie einen etwas ungewöhnlichen Film vermarkten sollen, gaukeln sie uns in den Trailern einfach vor, es handle sich um etwas ganz anderes, von dem sie annehmen, dass es uns gefällt. Der Film ist also ganz weit weg von einem Action-Reisser. Es gibt vielleicht drei oder vier Szenen, die man mit gutem Willen als Action bezeichnen könnte, aber das war es auch schon. Auch die in den Trailern groß propagierte Romanze Dominikas mit ihrem Gegenspieler beim CIA ist, wenn auch tatsächlich vorhanden, weit weniger relevant als man annehmen sollte.
Was also übrig bleibt, ist ein recht harter, nichts beschönigender Thriller, der gemächlich seinen Spannungsbogen aufbaut und sich über weite Strecken auch vom Publikum nicht in die Karten blicken lässt. Das fängt schon bei der Figur der Dominika an. Als Protagonistin sollte sie eigentlich der Bezugspunkt und Sympathieträger des Publikums sein. Und auch wenn man immer wieder mit ihr fühlt, ob der teils grauenhaften Dinge die ihr im Laufe der Handlung widerfahren, so ist sie doch keine sympathische Person. Sie ist jähzornig, überaus ehrgeizig und manchmal erschreckend gefühlskalt. Man weiß nie so recht woran man bei ihr wirklich ist, und das ist eine mutige Drehbuch-Entscheidung.
Einen solch schwierigen Hauptcharakter möglich macht vor allem das bewundernswerte Spiel von Jennifer Lawrence. Die 27-jährige, die mit Charakter-Rollen groß geworden ist, scheint nach ihren großen Auftritten (X-Men und die Panem-Reihe) genug vom Mainstream-Blockbuster-Kino zu haben und sucht sich scheinbar nun die allerschwersten Rollen aus. Sowohl ihr Part in Mother im vorigen Jahr, als jetzt die Dominika sind nicht nur schauspielerisch fordernde Rollen, sondern verlangen einer Akteurin sicher auch mental einiges ab. Und wie schon im vergangenen Jahr liefert sie auch hier beeindruckende Arbeit ab. Ihr Charakter mag ein undurchschaubarer und nicht immer nachvollziehbarer sein, doch ist das dem Drehbuch geschuldet (und beabsichtigt) und nicht ihrer Darstellung. Red Sparrow ist auch eine Charakterstudie einer Frau, die durch die Hölle geht und nur mit Hilfe ihrer antrainierten Disziplin und eisernem Willen überlebt.
Der Rest des Ensembles ist leider nicht so komplex geschrieben, bleibt aber durchaus interessant. Erwähnenswert ist Matthias Schoenaerts, der den schmierigen Vanya mimt, und der immer hervorragende Jeremy Irons in einer leider recht kleinen Rolle. Joel Edgerton als CIA-Handler macht seine Sache zwar durchaus gut, das Drehbuch gibt ihm aber leider nicht allzuviel zu tun.
Ein weiteres, herausragendes Element des Films ist der Soundtrack. James Newton Howard, der schon lange seiner Höchstform hinterherläuft, scheint hier seine Größe wiedergefunden zu haben. Die emotionalsten Momente von Red Sparrow verdanken ihre Wirkung zu einem guten Teil seiner musikalischen Untermalung. Auch technisch gibt es an dem Film nicht wirklich etwas auszusetzen. Kamera-Arbeit und Schnitt fallen zwar nicht durch herausragende Ideen auf, sind aber durchwegs gelungen und kompetent komponiert.
Und doch wird der Film die Geister des Publikums scheiden. Nicht nur weil er manchen mit seiner ruhigen Art zu langweilige sein wird oder für andere die Charaktere zu wenig als Identifikationsfiguren taugen. Schon die Thematik des auch im aktuellen zwanzigsten Jahrhundert immer noch brodelnden kalten Krieges an sich und die nicht zu leugnende Färbung zu Gunsten der USA mag so manchen sauer aufstoßen. Die menschenverachtenden Praktiken seine Gefolgsleute gefügig zu machen, die im Namen des Allgemeinwohls praktiziert wurden und werden, sind kein Geheimnis. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es auf der Gegenseite denn in Wahrheit so viel besser und menschlicher zugeht.
Die andere Sache, die wohl für viel Diskussionsstoff sorgen dürfte, ist die sehr explizite Darstellung von Sex als Waffe. Der Film ist bemüht zu zeigen, dass der Gewinner dieses Spiels die befehlsgebende Instanz ist. Jedoch schreckt er auch nicht davor zurück, vor Augen zu führen, wie Menschen für diese Arbeit „vorbereitet“ werden. Manche gehen in dieser Aufgabe auf, doch die meisten müssen um jeden Funken Selbstachtung und Würde, die ihnen bleiben mögen, kämpfen. Und das mag einem sensibleren Publikum zu weit gehen.
FAZIT
Red Sparrow ist ein Film der es sich ganz eindeutig nicht leicht macht, gemocht zu werden. Zu langsam, zu unpersönlich und nicht zuletzt zu brutal in seiner Darstellung gewisser unschöner Realitäten, um für ein großes Publikum geeignet zu sein. All das ändert aber nichts an der Tatsache, dass man es mit einem durchgehend spannenden, recht realistisch gehaltenen Spionage-Thriller zu tun hat, der sich nie in die Karten schauen lässt und bis zur letzten Minute fesselt. Wer dem Genre etwas abgewinnen kann oder vielleicht dessen alte Klassiker vermisst, der sollte sich den Film auf keinen Fall entgehen lassen. In jedem Fall sei der Hut vor einem sehr mutigen, wenn auch stellenweise etwas holprigen, Skript und einer hervorragenden Hauptdarstellerin gezogen.