Filmkritik: Sieben Minuten nach Mitternacht

Wenn man mit großen Erwartungen ins Kino geht, passiert es leider viel zu oft, dass diese enttäuscht werden. Sieben Minuten nach Mitternacht ist eines der wenigen Beispiele, die es schaffen diese Erwartungen mühelos zu übertreffen. Regisseur Juan Antonio Bayona hat schon mit seinem internationalen Debüt „Das Waisenhaus“ gezeigt, wozu er fähig ist. Sein neues Werk hat das Zeug zum Klassiker. Tonal erinnert es stark an Guillermo del Toros „Pan’s Labyrinth“ und schafft es augenscheinlich mühelos, seine bedrückende Thematik emotional packend und in zauberhaften Bildern einzufangen.

INHALT

Conner ist 12 Jahre alt und hat es ganz und gar nicht leicht. Der verschlossene Junge lebt mit seiner krebskranken Mutter zurückgezogen am Stadtrand, irgendwo in England. Weil die durch die vielen Behandlungen zu schwach dafür ist, erledigt er den Großteil der Hausarbeiten. Die überaus stoische und strenge Großmutter macht ihm das Leben ebenso schwer, wie seine fiesen Mitschüler. Für die ist der schmächtige Junge mit der glatzköpfigen Mutter, der immer nur mit Kopfhörern auf den Ohren dasitzt und zeichnet, ein gefundenes Fressen.

Ein immer wiederkehrender Albtraum weckt Conner regelmäßig mitten in der Nacht. Auf einem Hügel vor seinem Fenster liegen eine kleine Kirche und ein Friedhof, auf dem eine uralte Eibe steht. Als sich der Gesundheitszustand seiner Mutter plötzlich verschlechtert beschließt die Oma, Conner zu sich zu nehmen. Zu allem Überfluss taucht auch noch sein Vater auf, der mittlerweile in Amerika lebt. Wieder schreckt Conner von seinem Traum hoch. Es ist sieben Minuten nach Mitternacht, und plötzlich erwacht die alte Eibe zum Leben und beginnt mit dem geschockten Jungen zu sprechen. Drei Geschichten wird ihm das Baummonster erzählen, dann will es eine vierte von Conner hören.

Bildnachweis: © StudioCanal | Szene aus „Sieben Minuten nach Mitternacht“

KRITIK

Sieben Minuten nach Mitternacht basiert auf einem Roman von Patrick Ness. Dessen Verlag hatte ihn vor einigen Jahren gebeten, eine nur als Konzept existierende Geschichte zu Papier zu bringen. Die Idee stammte von einer anderen Autorin, die es selbst nicht mehr geschafft hat das Buch zu verfassen, bevor sie an Krebs verstarb. Schon diese Entstehungsgeschichte ist einigermaßen ergreifend und zeigt auf, woher die Ideen für diese Geschichte stammen. Wer die Trailer zum Film gesehen hat, läuft Gefahr ein wenig in die Irre Geführt zu werden. Sie vermitteln den Eindruck es mit einem Märchen zu tun zu haben. Tatsächlich fühlt sich Sieben Minuten nach Mitternacht über weite Strecken hin auch wie ein Märchen an. der Film will aber viel mehr als eine phantasievoll aufbereitete Message und am Ende eine „Moral von der Geschicht“ präsentieren. Die märchenhafte Aufbereitung ist in erster Linie Mittel zum Zweck, mit dessen Hilfe der Film außergewöhnliches schafft. Dieser narrative Gehhilfe, wenn man so will, macht aus einer sehr schwierigen Thematik, die in anderer Form ganz schnell zum kitschigen Rührstück verkommen könnte, zu einem leicht zugänglichen und vor allen nachvollziehbaren Drama. Diese „Echtheit“ schuldet der Film nicht zu geringen Teilen dem großartigen Cast und dessen Drehbuch. Conner ist eindeutig der Hauptbezugspunkt hier. Das Skript vergisst aber nie, dass wir es hier auch mit einer im Sterben liegenden Frau und einer Großmutter, die Angst davor hat ihre Tochter zu verlieren, zu tun haben. Diese drei Charaktere veranschaulichen nicht nur die verschiedenen Perspektiven auf ein und dieselbe Situation, sondern auch den völlig unterschiedlichen Umgang mit ihren Emotionen.

Auch wenn es an der gesamten Besetzung kaum etwas auszusetzen gibt, so sind dann doch Lewis MacDougall (Connor) und Sigourney Weaver (Großmutter) hervorzuheben. Der junge Mann meistert die schwere Aufgabe, ein starrköpfiges, trotziges Kind darzustellen, ohne dabei die Sympathie des Publikums zu verlieren, bravourös. Und Weaver verkörpert die ungeliebte Oma gerade sympathisch genug, um sie zu verstehen. Sie handelt nicht aus Bösartigkeit, sondern hat ganz klar mit ihren eigenen, inneren Dämonen zu kämpfen. Felicity Jones macht ihre Sache sehr gut, das Script gibt ihr aber leider ein bisschen zu wenig zu tun und damit bleibt die Mutter auch die eindimensionalste unserer Hauptpersonen. Die Vaterfigur ist wohl die schwächste aller Charaktere und damit auch mein größter Kritikpunkt am Film. Ich würde soweit gehen und ihn als überflüssig bezeichnen. Noch ein Wort zu Liam Neeson, der im Original das Baummonster spricht. Er schafft es, dem Baumwesen, trotz dessen scheinbarer Teilnahmslosigkeit, mehr emotionale Tiefe und Weisheit einzuhauchen, als es dramaturgisch nötig wäre.

Bildnachweis: © StudioCanal | Szene aus „Sieben Minuten nach Mitternacht“

Zu all dem kommt noch, dass wir es hier mit einem optisch wunderschön anzusehenden Film zu tun haben. Die Special-Effects sind hochwertig und bis auf eine einzige kleine Ausnahme ganz am Ende glaubwürdig. Das Set-Design ist wunderbar detailliert und vermittelt, gemeinsam mit der ganz zart düsteren Ausleuchtung, eine unheilvolle Stimmung. Besonders hervorzuheben wären auch die visuelle sehr ungewöhnlich aufbereiteten Geschichten, die das Baumwesen erzählt. Überhaupt wird hier ein überaus gutes Händchen beim Erzeugen einer dichten, aber immer subtilen Atmosphäre, bewiesen. Ganz besonders die visuell sehr ungewöhnlich aufbereiteten Geschichten, die das Baumwesen erzählt, sind eine Augenweide.

Die Musik kommt an ein paar wenigen Stellen ein bisschen zu laut und dramatisch daher, unterstütz und unterstreicht aber im Großen und Ganzen die gesehenen Bilder wunderbar.

FAZIT

Sieben Minuten nach Mitternacht zeigt, dass man schwierige Themen, wie Liebe, Angst und Zorn, sehr wohl rührend und mitreißend behandeln kann, ohne gleichzeitig ins schmalzige abzugleiten. Die märchenhafte Erzählweise macht den Film, trotz der Thematik, auch für ein jüngeres (dem Alter der Hauptperson, Connor, entsprechend) Publikum zugänglich. Tränen werden allerdings trotzdem nicht ausbleiben, denn auch ganz ohne Kitsch geht es hier über weite Strecken, und besonders am Ende, sehr emotional zu. Doch auch auf visueller Ebene vermag der Film auf ganzer Linie zu überzeugen. Alles fügt sich perfekt ineinander und vermittelt eine unglaublich dichte Atmosphäre. Dazu kommt eine erstklassige Besetzung, die es scheinbar mühelos schafft, den vom Schicksal gezeichneten Charakteren, Leben einzuhauchen. Regisseur J.A. Bayona liefert mit Sieben Minuten nach Mitternacht ein kleines und leider viel zu wenig beachtetes Meisterwerk ab, das jeder Filmfreund gesehen haben sollte.

Passende Beiträge

Flint: Treasure of Oblivion im Test

ANTONBLAST im Test

The Spirit of the Samurai im Test