Filmkritik: The Irishman

Wer meinen geistigen Ergüssen hier vielleicht schon länger folgt, der weiß, dass ich mich so gut wie ausschließlich mit Kino-Veröffentlichungen beschäftige. Auch wenn die großen Streaming Anbieter immer wieder erwähnenswerte Programme zu bieten haben, wird das Kino doch immer mein Hauptaugenmerk haben. Wenn allerdings The Irishman, der neue Film von Martin Scorsese exklusive auf Netflix erscheint, muss man schon mal eine Ausnahme machen.

INHALT

In den 50er-Jahren trifft der patente Lastwagenfahrer und Gewerkschafter Frank Sheeran auf Russell Bufalino, ein schon damals recht großes Tier bei der ansässigen Mafia. Frank, selbst Ire, hat im Krieg an der italienischen Front nicht nur italienisch, sondern auch sehr viel über Befehlsausführung und das Töten gelernt. Beides macht ihn bei Russel und auch diversen anderen wichtigen Männern von Anfang an beliebt und schnell wird er zum Mann für delikate Aufgaben.

Einer dieser Jobs ist es, auf den gefeierten, aber von der Justiz und Rivalen verfolgten Gewerkschafts-Präsidenten Jimmy Hoffa aufzupassen. Aus dieser Verbindung ergeben sich nicht nur geschäftliche Vorteile für Frank, sondern auch eine tiefe und langjährige Freundschaft mit Hoffa. Doch die wird auf eine harte und gefährliche Probe gestellt, als dieser, nach einem mehrjährigen Gefängnisaufenthalt, zurück auf den Thron will. Dort hat die Mafia mittlerweile ihren eigenen Handlanger sitzen und ist nicht mehr gewillt, Jimmys Spielchen zu spielen. Und so gerät Frank in einen Zwiespalt aus Freundschaft und Pflichtbewusstsein, aus dem es keinen schmerzlosen Ausweg gibt.

©2019 NETFLIX

KRITIK

Martin Scorsese ist vor allem für seine im Mafia-Milieu angesiedelten Filme bekannt. Trotz der Tatsache, dass einige seiner anerkannt besten Werke (so etwa Taxi Driver oder The Wolf Of Wall Street) nicht, oder nur am Rande mit dem organisierten Verbrechen zu tun haben und der Mann sich gerade in den letzten Jahren immer öfter ganz andere Stoffe sucht. Dass er nun, im doch schon recht stolzen Alter von 77 nach fast 15 Jahren wieder zum Genre zurückkehrt, hat viele überrascht. Doch nachdem man den Film gesehen hat, drängt sich einem eine Antwort auf die Frage nach dem „Warum“ auf. Denn The Irishman wirkt in seiner ganzen Stimmung und Erzählweise wie ein Abgesang an die Romantisierung der Mafia-Kultur und dem dafür verantwortlichen Genre.

In seinen 3 Stunden und 20 Minuten vermittelt der sehr lange, aber an keiner Stelle langweilige Brocken durchgehend die Message, dass in diesem immerwährenden Spiel um Geld und Macht eigentlich immer alle verlieren. Die wenigen, die nicht schon frühzeitig unter die Räder kommen (oder vor einen Pistolenlauf), kommen ins Gefängnis und sterben dort. Die paar Ausnahmefälle, die auch das überleben, haben dann im hohen Alter mit den zwischenmenschlichen Konsequenzen zu leben, die ihnen ihr zwar vielleicht im Angesicht der Familie ehrenvoller, aber ganz sicher nicht moralischer Werdegang beschert hat. Das machen, unter anderem, die vielen kurzen Einblendungen klar, die immer dann auftauchen, wenn ein unbedeutendes Mafia-Mitglied auftaucht. Da ist dann zu lesen, wann und woran derjenige gestorben ist. Natürliche Tode sind kaum darunter.

Gleichzeitig ist The Irishman aber trotzdem das, was man sich von einem Scorsese Mafia-Film erwartet. Es geht um Freundschaft, Verrat, Intrigenspiele und Geld. Alles angesiedelt in der Realität der 50er, 60er und 70er Jahre. Auch wenn die genauen Umstände rund um das Verschwinden von Jimmy Hoffa bis heute nicht eindeutig geklärt sind, hält sich der Film doch weitestgehend an die haute an den wahrscheinlichsten angenommenen Umstände zu dem Fall. Dabei nimmt man sich auch kein Blatt vor den Mund, was die Verstrickungen damaliger Größen aus Politik und High Society in die Machenschaften der Mafia anbelangt. All das inszeniert der Altmeister so präzise und fast schon Beiläufigkeit, dass man die Leistung dahinter leicht übersehen kann. Denn in ungeübteren Händen würde so ein Streifen ganz schnell zur Seifenoper oder einem Actionfilm verkommen. Oder noch schlimmer, einfach todlangweilig sein, bedenkt man die gewaltige Laufzeit.

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Zu dieser sei angemerkt, dass dem Film 20-30 Minuten weniger nicht geschadet hätten. Vor allem das Ende wirkt ein bisschen so als hätte Scorsese nicht so recht gewusst wie er die Geschichte zu Ende bringen soll. Man fühlt sich in dieser Hinsicht fast ein wenig an Die Rückkehr des Königs erinnert, auch hier hat man den Eindruck mehrere Enden zu sehen, die einfach aneinandergereiht wurden. Das wäre aber auch der einzige, echte Kritikpunkt, der wirklich zu bekritteln ist. Und wie bereits erwähnt: Dieses Hinausziehen am Ende mag überflüssig sein, schlecht oder gar langweilig ist lange nicht.

Die Besetzung ist, wie zu erwarten bei diesen Namen, über jeden Zweifel erhaben. Robert DeNiro in der Titelrolle, der nie wirklich schlecht ist, liefert die beste Leistung seit langem ab. Al Pacino, der Jimmy Hoffa mimt und nie zuvor mit Scorsese zusammengearbeitet hat, brilliert als fast schon manischer Gewerkschaftsboss und einige weitere liefern in kleineren Rollen meisterliche Arbeit ab. Doch einer stellt sie alle in den Schatten: Der nach fast 10 Jahren extra aus dem Ruhestand zurückgekehrte Joe Pesci stiehlt ihnen allen, trotz relativ wenig Screentime, die Show. Diese Präsenz, die der kleine, ebenfalls schon mit großen Schritten auf die 80 zugehende Mann, zu vermitteln vermag, grenzt an Zauberei.

Wenig überraschend, gibt was die technische Umsetzung anbelangt, rein gar nichts zu bemängeln. Da der Film immer wieder zwischen verschiedenen Zeitebenen hin- und herspringt, ist ein präziser und schlüssiger Schnitt unumgänglich und hier auch zweifelsfrei vorhanden. Erwähnung muss auch das CGI finden, was für einen Scorsese-Film recht ungewöhnlich ist. Das Erzählen einer Geschichte, die sich über fast 50 Jahre zieht, bietet sich dafür an, die Mimen via Computer altern, bzw. jünger werden zu lassen. Das funktioniert im Großen und Ganzen überraschend gut und nur wer ganz genau hinsieht, erkennt dass dieser angeblich erst um die 40 Jahre alte Robert DeNiro zwar dementsprechend aussieht, sich aber doch irgendwie wie ein alter Mann bewegt. Der langjährige Scorsese-Kollaborateur Robbie Robertson legt einen sehr schönen, aber dezenten Soundtrack hin und rundet damit den Gesamteindruck ab.

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FAZIT

Es würde einen nicht wundern, wäre The Irishman Martin Scorseses letzter Film im Mafia-Genre. Er wirkt wie ein Abgesang ans Genre, ein Eindruck, der möglicherweise auch durch das hohe Alter seiner Darsteller verstärkt wird. Die sind allesamt Größen ihrer Zunft und machen ihren guten Namen alle Ehre, allen voran Joe Pesci. Abgesang oder nicht, im kern ist der Film ein perfekt inszeniertes Sittenbild einer Unterwelt, die so heute nicht mehr existiert und deren Effekt auf die Individuen in ihr. Die fast dreieinhalb Stunden, die The Irishman dauert, müssen zwar nicht sein, da gerade die letzten 30 Minuten etwas planlos wirken, tun dem Film aber nur sehr bedingt weh, denn Langeweile kommt keine auf.

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