Filmkritik: Wind River

Taylor Sheridan ist zwar ein noch recht unbekannter Name, aber durchaus einer, den man auf dem Radar behalten sollte. Der Amerikaner war ursprünglich Schauspieler, der aber 2015 die Seiten wechselte, um Drehbuchautor zu werden und als solcher hat er sich vom Fleck weg gleich in die höchste Liga katapultiert. Schon seine erste Arbeit, das Buch zu Denis Villeneuves Drogenkriegs-Thriller Sicario, hat ihm viel Lob und einige Nominierungen eingebracht. Mit Hell or High Water, einem viel zu wenig gesehenen Film, verdiente er sich 2016 eine Oscar-Nominierung für das beste Original-Drehbuch. Nun kommt mit Wind River der erste Film, für den Sheridan nicht nur das Drehbuch geschrieben, sondern auch auf dem Regiestuhl Platz genommen hat. Und siehe da, auch hier kann der Mann auf voller Linie überzeugen.

INHALT

Es ist Winter in Wisconsin. Der Jäger Cory Lambert lebt davon, hungrige Raubtiere von den Nutztieren des nahe gelegenen Indianerreservats fernzuhalten. Auf einer seiner Touren, eigentlich auf der Suche nach einem Puma, entdeckt er die scheinbar erfrorene Leiche eines jungen Mädchens aus dem Reservat. Die hinzugezogene FBI-Agentin Jane Banner ist zwar bewandert in der Verbrechensaufklärung, aber völlig verloren in der unwirtlichen Wildnis des Gebiets und der für sie fremden Welt des Reservats. Also sucht sie Unterstützung bei Cory, welcher schnell einwilligt ihr zu helfen, denn seine Entdeckung weckt alte Dämonen in ihm, die er endgültig loswerden möchte.

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KRITIK

Wer sich die Inhaltsangabe durchliest und vielleicht auch den Trailer zu Wind River ansieht, der wird annehmen, es hier mit einem mehr oder weniger spannenden Murder-Mystery-Thriller zu tun zu haben. Und während diese Einschätzung nicht falsch ist, denn aufs Wesentliche heruntergebrochen ist er genau das, hat dieser Film doch viel mehr zu bieten.

Die Hauptrolle hier hat eindeutig der Schauplatz an dem sich die Ereignisse abspielen, denn er dient hier nicht nur als Kulisse. Viel mehr sind die harsche Wildnis, und das harte Leben der Menschen die tragenden Akteure in dieser Geschichte. Wo Nachbarn meilenweit entfernt wohnen, sich oft wochenlang nicht sehen und doch jeder jeden kennt, läuft das Leben in anderen Bahnen.

Natürlich kommt ein Film der seine Story in und um ein Reservat amerikanischer Ureinwohner strickt, nicht herum, sich auch mit diesem sensiblen Thema zu befassen. Das tut er in beeindruckender Weise. Die Trost- und Perspektivenlosigkeit des Lebens an so einem Ort einzufangen, ohne dabei ins Reißerische oder Kitschige abzugleiten, ist kein leichtes Unterfangen. Auch die Menschen dort, die auf ihre ganz eigene Weise versuchen alte Werte und Lehren in einer Welt weiterzuleben, die eben diese vergessen hat.

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All das zeigt Wind River seinem Publikum ganz wertfrei und überlässt es jedem einzelnen, sich seine Gedanken darüber zu machen. Überhaupt ist das die größte Leistung des Films. Er setzt dem Zuschauer glaubwürdige, vom Leben geformte Personen vor, die teils furchtbare, teils zumindest moralisch fragwürdige Handlungen setzten und überlässt es uns, diese Handlungen zu bewerten, zu verurteilen oder gutzuheißen.

Die erstklassige Kameraarbeit trägt einen beträchtlichen Teil dazu bei, die Trostlosigkeit des Landes und des Lebens dort zu transportieren. Ganz allgemein gibt es handwerklich an Wind River kaum etwas auszusetzten. Die nur sporadisch eingesetzte, aber eindringliche Musik fügt sich ebenfalls wunderbar ins Gesamtbild ein.

Die Besetzung hat, mit Jeremy Renner als Cory, eine schöne Überraschung zu bieten. Denn im Gegensatz zu seinem Co-Star Elisabeth Olsen, die sich schon in einigen Rollen als sehr fähige Schauspielerin bewiesen hat, blieben Renner bisher tiefgründige, schwierige Rollen verwehrt. Und was er hier abliefert, kann man hinsichtlich seiner bisherigen Karriere nur als Meilenstein bezeichnen. Den Schmerz den sein Charakter immer mit sich trägt kann man in jeder Einstellung in seinem Gesicht erkennen, auch wenn er dabei ist zu scherzen. Olsen überzeugt ebenfalls als zwar taffe, aber in dieser Umgebung verlorene Agentin, die einfach versucht das Richtige zu tun. Der gesamte Nebencast macht einen sehr guten Job und ganz besonders Gil Birmingham, als Vater des toten Mädchens, sticht hervor und bleibt einem im Gedächtnis.

Wind River ist kein angenehmer Film. Er wirft unangenehme Fragen über die Natur des Menschen auf und weigert sich versöhnliche Antworten zu geben. Auch die Auflösung des eigentlich Kriminalfalls lässt den Zuschauer bedrückt zurück, ob der anfangs unbedeutenden (und im Kontext eines Thrillers enttäuschenden) Ursachen, die zu furchtbaren Konsequenzen führen können. Doch genau das macht den Film eben zu mehr als nur einem Krimi.

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FAZIT

Wind River als Murder-Mystery zu bezeichnen würde dem Film nicht gerecht werden, auch wenn die Bezeichnung grundsätzlich nicht falsch ist. Denn viel mehr als das Verbrechen an sich, interessieren Regisseur und Autor Sheridan die Ursachen und Folgen einer solchen Tat, in einer Welt die den meisten von uns völlig unbekannt ist. Trotzdem vergisst der Film nicht was er ist, bleibt durchgehend spannend und entlässt einen nach der Auflösung zwar etwas betrübt zurück, doch mit einem Kopf voller faszinierender Fragen über Menschlichkeit, Schmerz und Stärke.

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