Gamedec im Test

Ein neues Cyberpunk Rollenspiel für Solospieler, mit hervorragender isometrischer Grafik, keinen Kämpfen aber viel Text und einer tollen Geschichte? Das muss ich mir ansehen!

Nachdem das heute als Kulthit verehrte Planescape: Torment (Black Isle Studios) im Jahr 1999 erstmals in diese Richtung gegangen ist und Kämpfe nicht wirklich das zentrale Element im Spiel waren, hat mich Disco Elysium vor 2 Jahren mit einer ähnlichen Konzeption vollkommen begeistert. In Disco Elysium sind Kämpfe im klassischen Sinn nicht mehr wirklich vorhanden und der Schwerpunkt des Spieles liegt auf unzähligen Entscheidungen und Handlungen, deren Ergebnisse je nach Fähigkeiten unserer Spielerfigur dramatisch unterscheidlich ausfallen können. Gamedec wirbt mit einer ähnlichen Spielmechanik – erreicht es die Klasse von Disco Elysium?

Virtual Reality im 22. Jahrhundert

Gamedec von Anshar Studios aus Polen spielt im düster-futuristischen Warschau des 22. Jahrhunderts in einer Welt, in der die virtuelle Realität ebenso wichtig wie die reale Welt ist. Menschen verbringen große Teile ihrer Zeit in verschiedenen Computerspielen – dank der fortschrittlichen VR-Technologie unter Nutzung all ihrer Sinne. Wir spielen einen Gamedec, einen Detektiv, der im Auftrag seiner Kunden Verbrechen in virtuellen (Spiel-)Welten aufklärt. Unser Ziel ist es, die Verbrecher den virtuellen Welten zur Strecke zu bringen. Dort gibt es leider die selben Probleme wie in der echten Welt – Verbrechen aller Art, von Diebstahl und Betrug bis hin zu Mord – Menschen ändern sich eben nie. Um in den Cyberspace zu wechseln legen wir uns in der realen Welt auf eine VR-Couch, setzen den VR-Helm auf, und lassen Drogen durch unseren Körper fließen um ihn in einen Ruhezustand versetzen, wie bei einem Igel im Winterschlaf. In der virtuellen Realität sind wir und unsere Sinne jedoch vollkommen einsatzbereit, um in den unterschiedlichsten Szenarien mit der Detektivarbeit zu beginnen.

Neuromancer

Gamedec zeigt das Geschehen in isometrischer Perspektive, ganz wie Disco Elysium oder Planescape: Torment. Wir bewegen uns von Raum zu Raum und interagieren mit der Umgebung. Gespräche mit den virtuellen Bewohnern sind dabei das wesentliche Handlungselement – abstruse Rätsel wie „Benutze Gummiente mit Seil“ kommen eher selten vor. Durch die Interaktion mit den verschiedenen Figuren und Hotspots erhalten wir Informationen. Verschiedene Dialogoptionen hängen von bereits getroffenen Entscheidungen, also bisherigen Interaktionen mit anderen Charakteren, Dingen oder Situationen, sowie unseren Charakterwerten und unserem bereits erworbenen Wissen ab. Und genau hier ist auch der wesentliche Unterscheid zu Disco Elysium – ausgewürfelt wird nämlich rein gar nichts. Gamedec ist eigentlich kein Rollenspiel mit Zufallsentscheidungen, sondern ein absolut lineares Spiel, das sich aufgrund von Gesprächen und Handlungen in unzählige Richtungen entwickeln kann. Die meisten Entscheidungen, die wir treffen, blockieren entweder bestimmte Pfade oder öffnen sie. Also eher ein „Choose-your-own-Adventure“-Spiel mit sich verzweigenden Handlungssträngen.

Die Stärke von Gamedec sind die unzähligen Handlungsstränge, die sich im Verlauf des Spieles ergeben können. Wenn ihr andere Gesprächsoptionen auswählt, verändert sich auch die Geschichte in vollkommen unterschiedliche Richtungen. Einfach alle Dialogoptionen nacheinander auswählen geht nicht. Es gibt auch selten ein „richtig“ oder „falsch“ – es gibt einfach vollkommen unterschiedliche Auswirkungen unserer Handlungen. Wir können basierend auf unserer eigenen Ethik, Integrität oder einfach unseres Gerechtigkeitssinnes agieren und so unsere eigene Geschichte erleben – also doch eine Art Rollenspiel, auch ohne Kämpfe und ohne dem Auswürfeln von Ergebnissen. Die wesentlichen Gameplay Elemente bestehen im Lesen von Texten und der Auswahl von Dialogentscheidungen.

Viele Handlungsverzweigungen

Wir können nicht permanent sterben oder das Spiel verlieren, die Geschichte geht immer voran – nur eben teilweise komplett unterschiedlich je nachdem welche Entscheidungen wir zuvor getroffen haben. Wie im echten Leben können die Folgen unserer Entscheidungen sofort, langfristig oder im Verborgenen eintreten und erst dann auftauchen, wenn wir sie am wenigsten erwarten. Jede Entscheidung ist wichtig und hat Konsequenzen, nicht wie in den späteren Telltale Adventures, wo es kaum Abweichungen von der vorgegebenen Geschichte gab. Andere Figuren in Gamedec können durchaus – aufgrund unserer Entscheidungen – sterben.  Nicht nur die Welt von Gamedec passt sich an jede unserer Entscheidungen an, mit dem Fortschreiten der Geschichte verändert sich auch unser Held und wir können neue Fähigkeiten (Professions) freischalten, die uns in Gesprächen neue Optionen geben.

Detektivarbeit wie bei Sherlock Holmes

Neben den vielen Gesprächen müssen wir die in den Dialogen oder auch durch das beobachten der Umgebung gesammelten Informationen nutzen, um daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Diese Deduktionsmechanik erinnert stark an Sherlock Holmes: Crimes and Punishments. Das Spiel stellt uns wesentliche Fragen, die sich im Verlauf des Spieles ergeben, und wir bekommen die bereits gefundenen Hinweise angezeigt. Mit diesen Informationen können wir bestimmte Schlussfolgerungen ziehen – aber vorsichtig, wenn unsere Deduktion falsch ist, bleicht sie falsch auch wenn wir später aufgrund neuer Hinweise eigentlich zu einer anderen Lösung gekommen wären.

Verschiedene Spiele

Es gibt rund 10 verschiedene virtuelle Welten (Spiele) zu erforschen und Verbrechen aufzudecken. Die Welten, in die wir dabei eintauchen können sind vollkommen unterschiedlich. Das Spektrum reicht von einer Jurrassic Park Welt bis zu einem virtuellen Bauernhof oder meinem Liebling, dem „Twisted and Perverted“-Spiel für Erwachsene. Neben der virtuellen Realität gibt es auch im 22. Jahrhundert immer noch eine echte Welt – auch hier sind verschiedene Orte zu besuchen, Gegenstände zu manipulieren und Gespräche zu führen. Die einzelnen Szenarios sind nicht extrem umfangreich und bestehen im Regelfall nur aus rund einem Dutzend Lokationen. Viele der Ideen in den Spielwelten sind ziemlich originell und bieten genug Abwechslung, sodass es von Gebiet zu Gebiet interessant bleibt.

Die Wissensfundgrube – der Kodex

Eine absurd große Anzahl von Kodexeinträgen, die während des Spieles laufend freigeschalten werden, geben Details zur Hintergrundgeschichte. Teilweise fühlt man sich fast wie in einem nicht enden wollendem Tutorial und wird laufend aus dem eigentlichen Spiel herausgerissen. Zeitweise habe ich wirklich den Eindruck gehabt, die Entwickler haben mehr Energie in die Kodexeinträge gesteckt als die eigentliche Geschichte mit ihren Gesprächen. So sehr ich optionale Hintergrundinformationen eigentlich gut finde, hier wäre ein wenig mehr Zurückhaltung wohl nicht schlecht gewesen.

Zusammenfassung

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