Gears Tactics im Test

Gears Tactics versucht einen Spagat, der auf den ersten Blick zum Scheitern verurteilt scheint: es presst eine Marke, welche sich aufgrund seiner brachialen Action einen Namen unter Fans gemacht hat, in ein durch X-COM inspiriertes Strategiespiel. Was zunächst seltsam erscheint, entpuppt sich auf den zweiten Blick als natürlicher als man meinen würde, denn die Action-Reihe trägt in seinem Kern die DNA, die es für diese Art von Strategiespielen braucht: man sucht Deckung, versucht sich ideal zu positionieren und hält mit seinen Waffenbrüdern schiere Gegnerhorden im Zaum. Die Sterne stehen also denkbar günstig, aber kann sich Gears Tactics mit dem großen Platzhirsch X-COM messen?

Zwölf Jahre vor den Ereignissen des ersten Gears of War erleben wir die Geschichte des Soldaten Gabriel „Gabe“ Diaz. Die bullige Kampfmaschine und Vater der späteren Heldin Kait Diaz ist sichtlich von den Schrecken des Krieges gegen die Locust gezeichnet. Nach einem missglückten Einsatz hat sich der erfahrene Taktiker selbst degradiert und vegetiert als Mechaniker im Fuhrpark vor sich hin, frei von jeder Verantwortung. Doch leider spielt das Leben selten so wie man es sich wünscht und so findet sich Diaz plötzlich in der Rolle des Anführers eines kleinen Einsatztrupps wieder. In den Reihen der Locust hat sich mit Ukkon ein besonders gefährliches Exemplar seiner Rasse erhoben. Das mächtige und hochintelligente Wesen ist verantwortlich für immer stärkere Kreationen in den Reihen der Invasoren. So ist es an Gabe und seinen Kameraden, der durch Ukkon resultierenden Bedrohung für die Menschen ein Ende zu setzen.

Besser gut kopiert als schlecht selbst erdacht?

Wie bereits erwähnt, orientiert sich Gears Tactics in Sachen Gameplay an der X-COM Reihe. Wir steuern aus der isometrischen Perspektive bis zu vier Einheiten. Ziel ist es, optimale Deckung zu finden und dem Feind durch geschicktes Flankieren ein Maximum an Schaden zuzufügen. Auch wenn sich Gears Tactics einige Komponenten – wie die isometrische Perspektive – teilt, hat es genug spielerische Unterschiede, welche dem Game eine eigene Identität verleihen. So setzt Gears Tactics großen Wert darauf, seine Geschichte in gewohnt guter Qualität und Intensität zu erzählen. Diese treibt Gear Tactics mit schmucken und brachial inszenierten Zwischensequenzen voran. Mit einem Trupp von bis zu vier Gears könnt ihr den Locust auf die Pelle rücken. Es stehen euch verschiedene Einheiten zur Verfügung, alle mit eigenen Vor- wie Nachteilen. Der Sanitäter supportet eure Kämpfer mit Heilung und diversen Buffs, ist aber was den Schadensoutput betrifft eher solides Mittelmaß. Der Waffenspezialist sorgt mit seiner Gatling Gun für horrenden Trefferschaden, ist aber aufgrund des Gewichts seiner Ausrüstung bei der Fortbewegung eher langsam. Die Späher wiederum sind mit ihrem Tarnmodus ideal um unerkannt das Schlachtfeld zu erkunden, treffen aber mit ihrer Shotgun nur auf kurze Distanz. Außerdem gibt es noch die Vorhut und den Sniper. Um siegreich aus einer Mission hervor zu gehen, ist daher die Ausgewogenheit des Trupps der entscheidende Faktor. Gelingt der erfolgreiche Abschluss eines Einsatzes, bekommt ihr Erfahrungspunkte und könnt mit aufsteigendem Level Punkte in die jeweiligen Skill-Trees investieren und so eure Streiter weiter je nach belieben ausbauen.

Muskeln, Blut und überraschend viel Hirn

Gears Tactics spielt sich für ein Rundenstrategiespiel erstaunlich dynamisch. Dieser Effekt wird unter anderem dadurch erzielt, dass weitgehend auf ein Bewegungsraster verzichtet wird. Die Charaktere können sich frei von Mustern auf dem Schlachtfeld bewegen. Jede Figur besitzt drei Aktionspunkte. Anders als bei diversen Genrekollegen steht es uns frei die Aktionspunkte beliebig zu verteilen. Nutzen wir sie zur Bewegung, um Fähigkeiten zu aktivieren oder um drei Mal hintereinander anzugreifen – wir entscheiden. Dadurch kommt angenehmes Tempo und Freiheit in die Gefechte. Taktisch besonders wichtig sind die aus der Hauptreihe bekannten Hinrichtungen. Mit der Kettensäge oder dem Bajonett machen wir uns daran, angeschlagene Locust in kleine Scheibchen zu zerlegen. Die Kills fallen nicht nur erwartungsgemäß saftig aus, sie bringen auch einen gewaltigen strategischen Vorteil, da sie pro Nahkampfkill einen weiteren Aktionspunkt für jedes Mitglied unserer Einheit bringen. Diese werden wir auch brauchen, denn unsere Feinde sind nicht nur optisch toll gestaltet, sie agieren auch sehr clever. Dadurch sollte eine Hinrichtung immer gut überlegt sein, da euer Gear danach frei im Feld stehen könnte … mit fatalen Folgen für Leib und Leben.

Sollte es einen eurer Soldaten dennoch erwischen, habt ihr einmal pro Scharmützel die Möglichkeit, euch heldenhaft zu erheben und mit einer Verwundung zurück ins Gefecht zu ziehen. Geht der Soldat ein weiteres Mal in die Knie, muss er von einem Teamkameraden reanimiert werden. Das ist jedoch leichter gesagt als getan, denn die Locust werden versuchen euch mittels „Überwachung“ festzusetzen. Die Überwachung wird in Gears Tactics häufiger eingesetzt als zum Beispiel in X-COM 2 und es ist fast nie möglich ohne Schaden aus dieser zu entkommen. Zwar gibt es Fähigkeiten, die den Überwachungs-Modus unterbrechen können, doch da der Cooldown relativ lange ist, sollte man diese mit Bedacht einsetzen. Es ist also nicht selten notwendig, einen gewissen Schaden in das eigene Vorgehen einzukalkulieren. Ein sehr spannender Ansatz, wie ich finde.

Irgendetwas fehlt

Gears Tactics bietet die Möglichkeit seine Soldaten visuell zu individualisieren. Beim „Fußvolk“, wie ich die zufallsgenerierten Kämpfer nenne, haben wir absolute kreative Freiheit. Gesicht, Haare, Bärte (auch bei Frauen), Tätowierungen sowie Rüstungen und deren Farbe, es gibt keine Grenzen. Anders sieht es bei den drei Helden aus, welche Dreh- und Angelpunkt der Geschichte sind und auch in den Zwischensequenzen erscheinen. Hier lassen sich nur Waffen und Rüstungen anpassen.

So sehr ich die Gefechte auch mochte, so rudimentär fand ich teilweise das Missionsdesign. Beschütze diese Kisten über einen gewissen Zeitraum, rette diese Soldaten innerhalb einer gewissen Zeit, vernichte dieses Ziel und so weiter. Es ist zwar nicht sonderlich schlimm, da die Missionen die Grundlage für spannende Gefechte liefern, aber ein wenig mehr Kreativität und Abwechslung wäre doch ganz nett gewesen. Neben den Storymissionen gibt es zufallsgenerierte Nebenquests, in denen die Aufträge mit diversen Modifikatoren gewürzt werden und es winkt mächtige Beute als Belohnung, mit denen sich die Werte unserer Einheiten ordentlich verbessern lassen. Auch hier wiederholen sich die Einsätze leider nach einer Zeit, ich hatte aber meist trotzdem Spaß. Eine Missionsart habe ich jedoch hassen gelernt: Die Bergung von Kisten! In dieser muss man drei Kisten bergen, während sich das Schlachtfeld aufgrund fallender Bomben verkleinert. Hat man die drei Kisten geborgen, muss man den Extraktionspunkt  erreichen. Man weiß allerdings vorher nicht, wo dieser sein wird. Die Todeszone wandert mit jeder Runde weiter nach Norden und treibt unsere Einheit vor sich her. Birgt man die dritte Kiste ganz im Osten und der Extrationspunkt erscheint im Westen, kann man die Mission neu starten, ganz unabhängig von der erbrachten Leistung, weil man keine Chance haben wird. Da schreit der Frustfaktor!

Leider gibt es abseits der Missionen keine Taktikkomponente, da Gears Tactics vollkommen auf Basenbau und Forschung verzichtet. Schade, denn das hätte ich sehr spannend gefunden. Zwar gibt es Loot, mit dem man Waffen verbessern kann, aber über Werte entscheidet immer der Zufall und entzieht sich daher unserer Kontrolle.

Grafisch sieht Gears Tactics großartig aus! Ich konnte es auf meinem Rechner (siehe Infobox) bei maximalen Grafikeinstellungen in 4K spielen und bin dabei selten unter 45 FPS gerutscht. Gelegentlich litt das Game allerdings an kleineren Bugs. So konnte ich einige Male Missionen nicht abschließen, weil meine Figuren sich nicht mehr steuern ließen. Hierbei sei jedoch gesagt, dass ich mit einem Beta-Build gespielt habe und ein eventueller Day One Patch im Test noch nicht einbezogen ist.

FAZIT

Ich hatte viel Spaß mit Gears Tactics. Obwohl ich das Setting der Reihe immer mochte, konnte ich mich mit dem Shooter-Gameplay nie anfreunden. Insofern war ich von der Idee, das Gears-Szenario in ein Rundenstrategie Game alá X-COM zu verlegen, sehr angetan. Im Grunde ist die Reihe mit ihrem Fokus auf Deckungsgefechte mehr als prädestiniert für eine Taktikumsetzung und dadurch fühlt es sich von Minute eins mehr als natürlich an, seine Gears aus der Iso-Perspektive zu steuern. Die Gefechte sind meist – trotz rudimentärem Missionsdesign – sehr intensiv, spannend und erfordern selbst auf normaler Stufe vorausschauendes Denken. Es macht Spaß, seine Soldaten aufzubauen und zu gestalten, auch wenn leider nie ganz die Bindung aufkommt, die man zu seinen Recken in X-COM 2 aufbaut. Die Story mag zwar etwas dünn sein, ist aber, dank hochwertiger Zwischensequenzen, bombastisch in Szene gesetzt. Technisch kann Gears Tactics bis auf ein paar kleinerer Macken glänzen. Das Charakter- und Umgebungsdesign ist atemberaubend. Leider ist das Missionsdesign nicht immer auf gleich hohem Niveau und auch eine Forschungskomponente abseits der Kämpfe wäre toll gewesen. Daher ist Gears Tactics unterm Strich ein sehr gutes, aber kein herausragendes Strategiespiel geworden.

Was ist Gears Tactics? Ein Mix aus Rundenstrategie und Gears of War.
Plattformen: PC
Getestet: PC Intel Core i5-6500, 8GB RAM, Radeon RX Vega
Entwickler / Publisher: Splash Damage, Black Tusk Studios/Xbox Game Studios
Release: 28. April 2020
Link: Offizielle Webseite
Testmuster zur Verfügung gestellt von: Microsoft/Xbox

Gesamtwertung: 8.8

Einzelwertungen: Grafik: 10 | Sound: 10 | Handling: 10 | Spieldesign: 6 | Motivation: 8

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