Ghost of Tsushima im Test

Bei Open World Action-Games denkt man unweigerlich an die mittlerweile schon zum Meme gewordene „Ubisoft-Formel“: Solider Gameplay-Mix aus diversen beliebten Genres, riesige Karten voller Marker, die zu irgendwelchen Nebenbeschäftigungen führen, und eine Story die das ganze Konstrukt dann mehr oder weniger überzeugend zusammenhält. Das Ganze wird dann noch in ein möglichst spektakuläres Setting gepflanzt und in hübsche Grafik verpackt. Was passiert, wenn man ein im Genre etabliertes, aber nicht an die strengen Regeln der „Formel“ gebundenes Entwickler-Team wie Sucker Punch an diese Rezeptur lässt, das zeigt deren aktuelles Werk, Ghost of Tsushima.

Last man standing

Die Samurai der Insel Tsushima haben sich versammelt um in einer letzten, großen Offensive ihre Heimat gegen die einfallenden Mongolen zu verteidigen. Angeführt von Lord Shimura stürzen sie sich in den Kampf mit den Barbaren und werden vernichtend geschlagen. Während Shimura gefangen genommen wird, überlebt sein Neffe Jin Sakai als einziger das Schlachtfest nur knapp. Von der Diebin Yuna notdürftig zusammengeflickt, hat der ehrenvolle Samurai nun nur ein Ziel vor Augen: Seinen Onkel aus den Fängen des Khan zu befreien und seine Heimat zurückzuerobern.

Mit nichts als seinem Katana ausgerüstet beginnt Jin also seine lange Reise durch die vom Krieg geschundenen Ländereien von Tsushima und tut, was ein guter Samurai eben so tut: Er hilft dem gemeinen Volk wo auch immer er kann, sucht nach Verbündeten die ihn im Kampf gegen die Mongolen unterstützen stählt seine Kampfeskraft sowie seine Ausrüstung, um gegen den übermächtigen Gegner bestehen zu können. Bewerkstelligt wird das via diverser Hauptmissionen, die teilweise in beliebiger Reihenfolge absolviert werden dürfen, um einen Akt der übergreifenden Geschichte abzuschließen. Damit schaltet man dann nicht nur den nächsten Akt, sondern auch ein weiteres der 3 großen Gebiete der Spielwelt frei.

Der Ablauf dieser Hauptquests erinnert stark an Red Dead Redemption 2. Nicht allzu lange, aber intensive Abenteuer, die teils schwer gescriptet daherkommen, was auch die selben Probleme wie im Vorbild birgt: Sobald so eine Mission angenommen ist, ist es vorbei mit Freiheit. Das Abschweifen vom aktuellen Ziel funktioniert entweder gar nicht, oder führt zum Missionsabbruch und man kann von vorne beginnen. Die Quests sind die Einschränkung zwar zumeist absolut wert, jedoch kann diese Eigenheit gerade zu Beginn, wenn man sich dieses Umstandes noch nicht bewusst ist, zu so einigem Frust führen.

Es gibt viel zu tun, pflücken wir erst mal ein paar Blümchen

Der eigentliche Star von Ghost of Tsushima sind aber eindeutig die Nebenmissionen. Über die stolpert man entweder beim erforschen der ausladenden Landschaften, oder bekommt sie von gesprächigen NPCs die mit einer Sprechblase markiert sind. Diese Neben-Aufträge sind es, die mehr als alles andere die bedrückte und wenig hoffnungsvolle Atmosphäre das Spiels vermitteln. Happy Ends sind dünn gesät wenn es um die Leben und Schicksale der kleinen Leute inmitten eines brutalen Krieges geht. Die Dinge so zu zeigen ist durchaus ein mutiger Schritt, in einem Genre das Power Fantasy lebt, also üblicherweise davon lebt dem Spieler das Gefühl zu geben, alles zu schaffen und unbesiegbar zu sein. Doch kann eben auch nicht der größte Held überall zugleich sein und nicht jedes Problem lässt sich mit einer scharfen Klinge lösen.

Natürlich sind Haupt- und Nebenmissionen aber nicht alles, was es auf Tsushima zu tun gibt. Wie im Genre üblich gibt es allerlei mehr oder weniger versteckte Orte zu entdecken, die einem entweder dabei helfen, sich für die kommenden Abenteuer zu stählen, oder einfach nur zur Zerstreuung dienen. So gilt es in abgelegenen Onsen (heiße Quellen) zu baden, in einem kleinen Minigame Bambus zu köpfen, oder an besonders malerischen Orten kleine Haikus zu kreieren. Während ersteres die Lebensenergie von Jin ein wenig erhöht, gibt es fürs reimen nur rein kosmetische Stirnbänder. Daneben gibt es versteckte Schreine zu finden, Mongolen-Artefakte zu sammeln und Siedlungen von den barbarischen Eroberern zu befreien.

Sehr willkommen ist die ungewöhnliche Methode, mit der und uns das Spiel zu all diesen Dingen führt. Denn die altbekannten Marker auf der Karte sucht man (anfangs) vergeblich. Stattdessen sollte man beim herumreisen die Augen offen halten. Denn sollte man sich in der Nähe eines interessanten Punktes befinden, taucht ein hübscher gelber Vogel auf, der uns zwitschernd zu eben jener Stelle führt, sollten wir ihm folgen. Andere Plätze wieder werden etwa von oben erwähnten NPCs angesprochen und erscheinen dann erst auf der Karte. Auch den Weg dorthin kann man sich wie gewohnt weisen lassen, jedoch verzichtet man hier auf knallige Anzeigen und Wegweiser. An Stelle dieser tritt der Wind, der immer in die Richtung des ausgewählten Ziels weht. Das mag nicht besonders realistisch sein, ist aber in jedem Fall atmosphärischer als ein dicker roter Pfeil in der Ecke des Bildes.

War da noch was? Ach die Mongolen!

Die große Frage ist also: Wie spielt sich das ganze denn nun? Verdammt gut, auch wenn die grundsätzliche Gameplay-Loop sich nicht von diversen anderen Genre-Vertretern unterscheidet. Man läuft oder reitet auf seinem treuen Ross von A nach B, trifft dabei auf Wegelagerer oder mongolische Patrouillieren und befreit kleine, am Wegesrand liegende Siedlungen von Belagerern. Dazwischen gibt es immer wieder größere Festungen einzunehmen oder zu infiltrieren, oftmals im Zuge der Hauptmissionen. Zunächst geht das nur auf die direkte Art, was Jins Samurai-Ehre geschuldet ist, würde er doch nie einen Gegner kaltblütig von hinten überfallen, ohne ihm die Chance auf einen ehrlichen Kampf zu geben. Recht schnell sieht er aber ein, dass er mit seiner löblichen Einstellung gegen die übermächtigen (und weit weniger ehrenvollen) Mongolen nicht weit kommen wird und lässt sich in der Kunst des lautlosen Tötens unterweisen.

Abgesehen von spezifischen Missionen, die es erfordern nicht entdeckt zu werden, bleibt es aber grundsätzlich dem Spieler überlassen, wie er an die jeweiligen Situationen herangehen möchte. Ob das nun erhobenen Hauptes (und Schwertes) durchs Eingangstor, oder heimlich über die Dächer sein sollte, in jedem Fall stehen dem Spieler eine ganze Menge an Werkzeugen zur Erfüllung seines Zieles zur Verfügung. Etwa Wurfmesser, Rauchbomben, ein Bogen mit dem sich nicht nur Gegner lautlos ausschalten lassen, sondern auch Bienen- oder Hornissennester aufstacheln lassen, um Widersacher von sich abzulenken. Im direkten Kampf greift Jin in erster Linie auf sein geliebtes Katana zurück, doch auch hier hat er einige Optionen, denn nach und nach lernt er bis zu 4 verschiedene Kampfhaltungen durch das Beobachten (oder im Zweikampf besiegen) von gegnerischen Anführern. Jede davon verfügt über spezielle Kombos, die besonders effektiv gegen etwa Speere, Schwerter oder auch Schildträger wirken. Diese Stances können beliebig während des Kampfes gewechselt werden und gehen nach ein bisschen Eingewöhnung recht intuitiv von der Hand, was besonders im fortgeschrittenen Spielverlauf auch nötig ist, will man aus den teils recht intensiven Kämpfen als Sieger hervorgehen.

Im Zuge einiger Haupt- bzw. Nebenmissionen kommt es auch immer wieder zu Duellen mit besonders starken Gegnern. Die gestalten sich spielerisch zwar genau wie die regulären Kämpfe, sind aber atmosphärisch und spannend aufbereitet. Am Ende bringen diese Begegnungen, ebenso wie das Abschließen von Quests, das Befreien von Siedlungen oder das Ausschalten streunender Gegner Legendenstatus, der hier als Äquivalent zur Erfahrungsleiste dient. Damit verdient man Skill-Punkte, die sich auf diverse passive und aktive Fertigkeiten verteilen lassen. Die Ausrüstung kommt zwar optisch vielfältig, vor allem in Form von mit gesammelten Blumen gekauften Farbschemen daher, jedoch hat nur die Körperrüstung und das Schwert tatsächlichen Einfluss auf unsere Werte, bzw. Fähigkeiten. So gibt ersteres diverse Kampf oder Schleichboni, die zwar bei Rüstungsschmieden aufgewertet, aber niemals verändert werden können. Das Katana dagegen bleibt zwar immer das selbe, kann aber mit bis zu 6 im Laufe des Abenteuers gesammelten Talismännern belegt werden, die passive Effekte mit sich bringen. Alle Ausrüstungsteile und Waffen können beim entsprechenden NPC für das Bringen der erforderlichen Materialien verbessert werden. Letztere finden sich überall auf der riesigen Insel, mal mehr mal weniger schwer zu beschaffen. So müssen für etwa für Tierhäute selbige erst erlegt werden, um an die seltenen Ressourcen zu kommen.

Aber erst noch ein paar Blümchen pflücken…

Mechanisch unterscheidet sich Ghost of Tsushima also nur in Details von der großen Masse an Open World Spielen, die jedes Jahr den Markt fluten. Was es aber aus dieser Masse hervorhebt ist vor allem die wirklich atemberaubende Präsentation. Immer wieder erwischt man sich dabei, anstatt zum nächsten Ziel zu reiten, einfach irgendwo an einer Küstenklippe zu stehen und den sagenhaften Ausblick zu genießen. Bambuswälder durch die das Licht der Morgensonne bricht, zerklüftete berge über denen Gewitter toben, oder malerische Seen in der Abenddämmerung. Keine 3 Schritte kann man laufen bevor man aufs neue ins Staunen verfällt. Dazu kommen detailverliebte Siedlungen und sehr authentisch wirkende Outfits und Rüstungen. Einzig die an sich sehr gut gelungenen und diversen Gesichter wirken manchmal, besonders in Zwischensequenzen und Nahaufnahme, seltsam flach. Doch das ist ein seltener und angesichts der im übrigen Spiel gebotenen Brillanz verzeihbarer Makel.

Gleiches darf auch über Musik und Soundkulisse gesagt werden. Sei es das leise Rauschen des Windes in einem abgelegenen Waldstück oder wilde Kampfklänge inmitten eines intensiven Scharmützels, alles klingt als wäre man vor Ort. Die Musik bleibt natürlich dem Setting entsprechend klassischen japanischen Klängen treu und drängt sich nie in den Vordergrund, passt sich aber perfekt jeder Situation an und fügt sich immer perfekt ins Gesamtbild ein. Auch die Synchronisation ins Deutsche, sowie ins Englische ist hervorragend gelungen. Erwähnung hier sollte aber auch die komplett japanisch vertonte Variante finden. In Verbindung mit dem jederzeit anwählbaren Schwarz-Weiß Modus ist so das Flair eines feudalen Japans kaum zu überbieten. Dieser Modus ist nicht nur ganz offensichtlich von den Werken des legendären Regisseurs Akira Kurosawa inspiriert, sondern auch nach ihm benannt.

Auch auf technischer Seite gibt es kaum etwas an dem Game auszusetzen. Selbst im hochauflösenden Setting bleibt immer alles angenehm flüssig und Bugs waren so gut wie keine zu finden. Winzige Grafik-Clitches, wie ein durch eine Hausecke fliegender Vogel sind alles was es hier zu beanstanden gibt. Im Performance Modus läuft die Sache tatsächlich butterweich, sieht dabei aber nicht großartig schlechter aus. Die Entscheidung ist also eine die hier ganz von den Prioritäten des jeweiligen Spielers abhängt.

FAZIT

Abgesehen von ein paar wenigen Details, bleibt Ghost of Tsushima der allseits bekannten Open World Formel weitestgehend treu. Doch eben diese Details, wie das Fehlen von offensichtlichen Wegweisern und tausenden von Questmarkern auf der Karte, sowie die grandiose optische Präsentation und die wunderbar unpathetischen Nebenquests, lassen einen unglaublich tief in die Welt eines vom Krieg gebeutelten feudalen Japan eintauchen. Damit können sich dann sogar Zweifler des Genres, wie ich einer bin, an den Fernseher fesseln. Sucker Punch macht hier eigentlich keine echten Fehler, alles ist mindestens so gut wie von vergleichbaren Konkurrenten gewohnt. Wem diese Art Spiel ohnehin liegt, der hat eigentlich keine brauchbare Ausrede sich diese Perle nicht zu holen. Es sei denn, er kann Samurais und dem alten Japan so gar nichts abgewinnen… aber diese wenigen Banausen sollten es auch noch versuchen.

Was ist Ghost of Tsushima? Ein Open-World Action Abenteuer im feudalen Japan.
Plattformen: PS4
Getestet auf: PS4 Pro
Entwickler / Publisher: Sucker Punch Productions / Sony Interactive Entertainment
Release: 17. Juli 2020
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 9.2

Einzelwertungen: Grafik: 10 | Sound: 8 | Handling: 10 | Spieldesign: 10 | Motivation: 8

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