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Gran Turismo 6 – Test

Ohne Herz, wären wir nur Maschinen. Alfa Romeo ist schon eine Weile nicht mehr unbedingt dafür bekannt, die besten Autos der Welt zu bauen. Dennoch wissen sie immer noch (oder jetzt wieder), wie man Werbungen macht. Sprüche wie der als Unterüberschrift zitierte „ohne Herz wären wir nur Maschinen“ oder der neue „just drive“ gehen direkt ins Herz. Und DAS ist es, das einen Autofan ausmacht. Sprich es an, und die kannst ihn begeistern. Warum ich das erzähle? Weil das Team um Kazunori Yamauchi das ganz offensichtlich nicht nur weiß, sondern auch nutzen kann.

Gran Turismo 6 ist ab der erste Minute nicht weniger als eine Ode an das Automobil; Ein Spiel von Autoverrückten, für Autoverrückte. Und somit, soviel sei schon jetzt gesagt, das beste Rennspiel aller Zeiten. … Bam! Es ist gesagt. Xbox- oder Forza-Fans mögen an dieser Stelle bitte einfach die Seite verlassen oder mir Beweise für das Gegenteil (oder ihre Gefühlsausbrüche) via Mail an posch@gamers.at schicken. Ich bin ziemlich zuversichtlich sie alle widerlegen zu können. Und das basierend auf meinen nun in Folge natürlich auch hier niedergeschriebenen Erkenntnissen. Für mich persönlich steht und fällt jedes Rennspiel mit der erfolgreichen Bearbeitung von vier Grundpfeilern: Umfang, Fahrphysik, Technik und … Mojo. Gehen wir doch mal alle vier durch:

Umfang

Wollte man hier nun möglichst professionell sein, könnte man vermutlich Tabellen aufbringen und haarkleine Aufstellungen zu allem machen, was einem im Spiel erwartet. Ich finde das aber zum einen zu mühsam, zum anderen auch unnötig. Die essenzielle Botschaft kommt nämlich wohl auch dann noch perfekt rüber, wenn ich folgendes schreibe: Gefühlt bietet GT6 mehr Hersteller als Forza 5 Autos und Strecken als alle Kurse im Microsoft-Konkurrenten zusammen Kurven. Etwas sachlicher ausgedrückt: Der Umfang von GT6 ist nicht weniger als umwerfend und nahezu lückenlos. Die über 1200 Autos bieten von top-aktuellen Modellen wie dem via Gratis-Update hinzugefügtem BMW M4 bis hin zu Ikonen der Automobil-Branche wie dem Ferrari Dino 246 GT alles, was das Herz begehrt … und noch mehr. In welchem anderen Spiel kann man immerhin auch mit einem Mond-Buggy auf dem Erdtrabanten herumfahren?! Hier geht das! Zudem flattern regelmäßig Einladungen in den virtuellen Gamer-Postkasten, man möge doch beim Goodwood Festival of Speed mitfahren. Oder aber sich am Steuer eines Karts beweisen um vielleicht irgendwann den Red Bull X 2014 fahren zu dürfen. Die jüngste Inkarnation des fiktiven Über-Rennwagens, der zusammen mit Polyphony exklusiv für das Spiel entwickelt wurde – wie es übrigens noch viele andere außergewöhnliche Concept-Cars gerade werden. Mercedes mit seinem AMG Vision Gran Turismo nur der Anfang.

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Es sei allerdings auch angemerkt, dass Polyphony sich in Sachen Autos doch ein wenig Kritik gefallen lassen muss. Einige der Vehikel sind noch immer nicht komplett für die PS3 optimiert worden (die Interieurs zumindest) und die „über 1200“ kommen auch nur zustande, weil es von so manchem Modell nicht nur eine Version gibt, sondern gerne auch mal mehr als zehn, da von Autos wie dem Nissan Skyline R34 (hier sind es elf Autos – die Rennwagen nicht mitgezählt) beispielsweise einfach jedes Facelift und jede Sonderserie einzeln eingereiht wurde. Ein kleines Zeichen von „Übermotivation“, die auch sonst ab und an deutlich wird. Statt nämlich bereits vorhandene Features einfach zu verbessern, flüchtet man sich allzu oft in gänzlich neue. Die zuvor erwähnte Mond-Sache ist zwar cool, doch wäre es vielleicht auch ganz nett gewesen, einfach die bestehenden Rallye-Features weiter zu verfeinern, damit diese nicht immer noch so halbgar wirken.

Fahrphysik

Wenn man sich als Gaming-Journalist mit Kollegen unterhält, kommt oft und gerne die „Grundsatz-Diskussion“ zum Thema Objektivität auf … ob eine solche überhaupt möglich ist, ob sie in Hinblick auf Spiele möglich ist und ob der Drang, sie zu erreichen überhaupt sinnvoll sei. Die praktischen Auswüchse dieser Diskussion und der ihr zu Grunde liegenden Probleme werden wohl nirgends deutlicher, als wenn man über die Fahrphysik eines Rennspiels spricht. Rein technisch betrachtet, gibt es wohl wenig Themen auf der Welt, bei denen es einfacher sein sollte, objektiv sagen zu können was besser ist als etwas anderes. Mit welcher Herz-Frequenz werden wie viele unterschiedliche Parameter der aktuellen physikalischen Kräfte berechnet, die auf den Wagen wirken? Wie viele Faktoren werden dafür überhaupt berücksichtigt und woher kommen die für die Simulation herangezogenen Basiswerte? All das ist sehr interessant … aber am Ende irrelevant. Denn schon, als es noch deutlich weniger Faktoren aus deutlich weniger glaubhaften Quellen waren, die deutlich weniger aufwändig simulierte Reifenspuren in deutlich grobpixeligeren Asphalt zeichneten war es am Ende Geschmackssache, ob einem das Handling – gerade mit Controller – bei Gran Turismo nun besser gefiel als bei einem Kontrahenten, oder nicht.

pause

Deswegen halte ich es hier, wie sonst auch, ganz subjektiv: Ich mochte das Fahrverhalten von GT5 und ich mag das neue Fahrverhalten von GT6. Es hat definitiv etwas an „Feeling“ dazugewonnen – fühlt sich nun differenzierter und aufwändiger an. Was es am Ende des Tages auch ist. Die Entwickler haben die Physikengine immerhin gründlich umgekrempelt: Basisphysik, Reifen-Modell und Fahrwerks-Engine wurden komplett neu geschrieben. Eine Arbeit, die sich durchaus gelohnt hat. Gerade ältere Autos fühlen sich genauso schwerfällig und „weich“ an, wie sie es meiner Erfahrung nach in Relation zu modernen Supersportlern wie einem Nissan GT-R auch wirklich sind. Und diese – also moderne Benzin-Athleten – sind in der Regel genauso giftig oder auch gutmütig wie ihre realen Vorbilder … zumindest die, bei denen ich Vergleichswerte aus der Realität habe (was leider nicht „ganz“ alle 1200 Fahrzeuge sind 😉 ). Auch die Tuning-Features im Sinne von Einstellungsmöglichkeiten sind nach wie vor unübertroffen. Die technischen Modifikationen sind da hingegen nicht ganz das Maß der Dinge – aber immerhin da und nach Verbau deutlich spürbar.

Technik

Polyphony hat für den Sprung von GT5 auf GT6 überraschend viel an der Graphikengine des Spiels verändert. Adaptive Tesselation sorgt nun beispielsweise für ein ganz neues Level an Detaildarstellung bei den Autos selbst – die einfach unverschämt gut aussehen. Eingebettet wurde diese Technik sodann in die ebenfalls neue Rendering-Engine. Diese erlaubt nun nicht nur hübschere Schatten, sondern vor allem auch Lichter. Das fängt bei den Beleuchtungen der Strecke an und zieht sich quasi nahtlos über die Lichter an den Autos selbst, die natürlich ebenfalls perfekt in die Automodelle integriert wurden und die Tagfahr- oder Rücklichter ebenso perfekt in Szene setzen wie das zuschaltbare Abblendlicht. Wozu man das braucht? Naja: In der Nacht sollte man das Licht schon lieber einschalten, will man wissen, wo man hinfährt; GT6 bietet einen fließenden Tag/Nacht-Wechsel inklusive wechselnden Wetter-Bedingungen. Wie lange haben wir darauf gewartet?! Jetzt müsste nur noch endlich ein WIRKLICH vollwertiges Schadensmodell Einzug in die GT-Serie halten – dann wäre wohl auch ich restlos glücklich. Das gibt’s nämlich noch immer nicht – es bleibt bei optischen und begrenzten mechanischen Schäden. Komplett zerlegen kann man die Autos nicht … keines. Aber gut … wer „anständig“ fährt, sollte das ohnehin nie merken.

tesselierung

Wirklich jedem auffallen dürfte hingegen die wohl größte Schwäche des Spiels: Der Sound. Wo bei eigentlich nun schon jedem Mitbewerber die Autos herrlich kernig aus den Boxen röhren, muss sich der GT6-Zocker immer noch mit einer Geräuschkulisse zufrieden geben, die mehr an einen Fön als einen  Verbrennungsmotor erinnert. Und das auch bei solchen Sound-Monstern wie einem Mercedes SLS Black Series oder einem Aston Martin One-77 – sonst einem der best-klingenden Fahrzeuge des Planeten, hier ungefähr auf dem Niveau eines Stabmixers. Schade. Zwar wurden diesbezüglich bereits Patches versprochen … aber im Grunde würde hier meiner Einschätzung nach nur eine komplett neue Sound-Engine inklusive neuer Aufnahmen eine wirklich nennenswerte Besserung bringen. Und das dürfte sich für einen Patch wohl nicht einmal Polyphony antun. Zumal es ja auch noch andere Baustellen gäbe. Die KI zum Beispiel, die nach wie vor stur und „leblos“ wirkt. Oder auch die zuvor viel gelobte Grafik, die der doch schon einige Jahre alten Hardware stellenweise einfach etwas zu viel abverlangt und so zu Ruckeleinlagen ansetzt. Und das trotz teilweise ins Bild poppender Schatten.

Mojo

Na, die letzten drei Absätze einfach überscrollt, weil ihr erst einmal wissen wolltet, was der Posch mit „Mojo“ meint? Gut … das heißt dass ihr immerhin den Text lest und nicht gleich zum Fazit springt. Bitte einmal selbst auf die Schulter klopfen. Zweimal, wenn ihr sogar vorher noch die Absätze zu Technik, Umfang und Fahrphysik gelesen habt. Doch nun zum Thema: Mojo. Als Subjekte, die wir alle sind, reichen und harte Fakten in den seltensten Fällen, um wirklich happy zu sein. Es braucht mehr. Wir wollen angesprochen, abgeholt und begeistert werden. Und das geht in der Regel nunmal nicht mit schieren Rekordzahlen oder Engine-Bausteinen, sondern mit mehr … Mojo eben. Es ist die Kombination aus dem gebotenen Content, dessen Präsentation, Aufbau und dem „Bling Bling“, das man noch drum herum hängt. Hier ist es also vorwiegend dieser konstante, spürbare Einfluss von purer Liebe zu Autos. Es geht darum etwas zu bieten, dass uns Petrolheads berührt, anspricht. Es geht um Details!

Forza hat hier eine klare Themenverfehlung hingelegt. Sichtbare Produktionsfehler im Lack? Meeeep – setzen, Fetzen. Eine Kooperation mit so gut wie allen renommierten Automobil-Herstellern oder Design-Häusern, um anlässlich des 15. Geburtstags eigene Concept-Cars zu bauen? Volltreffer! Die Tatsache, dass man neue Spieler nicht gleich in den Multiplayer-Modus rein lässt? Bingo! Ein Intro-Film, der sich teilweise mit dem Vermächtnis von Ayrton Senna beschäftigt? *Standing Ovations!* Sobald man dann allerdings draufkommt, dass auch hier die Micro-Transactions nicht ausbleiben, setzt man sich wieder. Schade, dass dieser Trend an den sonst doch so traditionsbewussten und fast schon altmodischen Japanern nicht vorübergehen konnte. Aber gut – das sind nun mal die Zeiten, in denen wir heute leben. Und zumindest kann man das ganze ja auch ignorieren/boykottieren – auch wenn das für die Top-Autos des Spiels einiges an „Grinden“ bedeutet.

FAZIT

Gran Turismo 6 ist quasi ein „spiel-gewordener Alfa Romeo“. Er läuft nicht immer ganz rund und ist vergleichbaren Produkten in so mancher Hinsicht unterlegen (Sound, KI, Framerate), bringt dabei aber einfach unglaublich viel Herz mit. Und damit ist nicht der fast schon unfassbar große Umfang gemeint. Es ist die spürbare Liebe zu Autos, die hier mitschwingt. Die nahezu greifbare Euphorie für das, was man tut. Klar wurden in dieser Euphorie einige Fehler gemacht, doch ich persönlich sehe das dem Spiel gerne nach. Zumal man hier – gerade im Vergleich zur schon mehrmals zitierten Konkurrenz der „Next-Gen“, wirklich viel für sein Geld geboten bekommt: Content UND Herz eben.

Gesamtwertung: 9.6

Einzelwertungen: Grafik: 10 | Sound: 8 | Handling: 10 | Spieldesign: 10 | Motivation: 10

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