Gran Turismo 7 im Test

Ihr kennt das sicher: Aus irgendeinem Grund müsst ihr nach Jahren wieder an dieses eine Spiel denken, dass ihr „früher“ so richtig toll fandet. In eurer Erinnerung war einfach alles daran großartig. Es sah fantastisch aus, bot bis heute ungeschlagenen Spielspaß und überhaupt war früher alles besser. Dann macht ihr Nägel mit Köpfen: Holt die alte Konsole aus der Lade, kramt das Spiel heraus, staubt das Scartkabel ab und … seid maßlos enttäuscht. Gran Turismo 7 ist ganz genauso. Nur ohne den Teil mit der Enttäuschung.

Rennspiele gibt es viele. Und ebenso viele unterschiedliche Arten sie miteinander zu vergleichen und aneinander zu messen: Die Anzahl der Autos, die Güte der Fahrphysik, die Qualität des Sounds, die Grafik, der Umfang, die Langzeitmotivation und so weiter und so fort. Egal welchen dieser Maßstäbe man dabei angesetzt hat und welcher neue Emporkömmling auch immer sich zum Kräftemessen ankündigte: Gran Turismo war immer zumindest ganz oben mit dabei. Klar: Forza Motorsport war in vielen Belangen in so umfassender Weise ein Gegner auf Augenhöhe, dass es am Ende am persönlichen Geschmack lag, welche der beiden Serien man als „besser“ empfindet, doch am Ende des Tages war Gran Turismo doch immer einzigartig. Und zwar im Sinne der fast schon schrulligen, japanischen Detailversessenheit, der unnachahmlichen Präsentation und vor allem auch in Hinblick auf das Zugeständnis wirklich alles an Autos zu bieten, was die Szene hergibt. Und das umfasst LMP-Geschosse und Hypercars eben genauso wie die Karren, die man tatsächlich vor seiner Haustüre stehen hat. Und das auch, wenn man gerade erst mit seinem zusammen gekratzten Taschengeld den ersten fahrbaren Untersatz erbeutet hat.

Und ja, Gran Turismo 7 ist hier keine Ausnahme. Im Gegenteil. Das neue, „echte“ GT spannt diesen Bogen so weit wie noch kein anderer Teil, verschreibt sich voll umfassend er Liebe zu Autos in all seinen Ausprägungen und liefert dabei ein wahres Monster von einem Rennspiel, wenn auch kein perfektes. Aber der Reihe nach …

Musik und Kaffee?!

Egal ob Mensch, Lokal, Film oder eben Spiel: Der erste Eindruck ist wichtig. Das weiß mittlerweile auch die Rennspielwelt und verwöhnt uns dementsprechend immer öfter mit mehr oder weniger mitreißenden Einstiegs-Sequenzen, die uns unmissverständlich klarmachen, was uns erwartet. Denkt etwa an die diversen Opener-Missionen in Need for Speed-Teilen. Oder erst unlängst das grandiose Intro in Forza Horizon 5, das euch nach und nach in unterschiedlichen Autos aus einem Flugzeug nach Mexiko wirft. Gerade im Vergleich zu letztgenannten Beispiel wird beim Auftakt in GT7 schnell klar, dass man es hier mit einem ganz anderen Biest zu tun hat. Das Intro-Video ist lang, kombiniert in Teil 1 klassische Musik mit einem Schnelldurchlauf der Auto-Geschichte und hübsch geschnittenen Gameplay-Szenen in Teil 2.

Und dann ist es soweit: Das erst mal in GT7 selbst losfahren … in einer Music Rallye. Heißt: Am Steuer eines Oldtimers ein quasi watscheneinfaches Rennen bestreiten und dabei darauf achten, dass euch die „Beats per Minute“ des Songs nicht ausgehen, bevor er vorüber ist. Okayyyy … danach gehts aber direkt in einem Red Bull X1 bei sturzbachartigem Regen nach Spa Francorchamps, oder? Nein. Es geht ins Kaffeehaus. Dieses ist nämlich der zentrale Dreh- und Angelpunkt von allem, was euch in GT7 in Sachen Progression so erwartet. Und das ist einiges! Nur ist eben anfänglich davon noch nichts zugänglich. Polyphony nimmt sich Zeit dabei euch in die Welt von ihrem neuesten Spross einzuführen. Und das ist gut so. Ein „Menü“ nach dem anderen – also gewisse Aufgaben wie bestimmte Autos zu sammeln oder sonst etwas zu erledigen – verschafft euch langsam aber doch Zugang zu immer Bereichen der Weltkarte, die als „Hauptmenü“ des Spiels dient.

Und so entfaltet sich innerhalb der ersten, ich würde sagen fünf bis zehn Stunden des Spiels, je nachdem wie talentiert und versessen auf „Goldmedaillen“ ihr so seid, nach und nach das volle GT7-Universum vor euren Augen: Erst der Gebrauchtwagenhändler mit sich regelmäßig änderndem Angebot, das teilweise unglaubliche Schnäppchen beinhalten kann und uns zum ersten Auto (einer von drei japanischen Kleinwagen, versteht sich). Das „World Circuits“-Stadion, in dem wir Einzelrennen, Cups und Meisterschaften finden. Die Werkstatt, in der wir unserem Auto einen neuen Anstrich samt deutlich erweitertem Livery-Editor ebenso verpassen können wie eine Kotflügelverbreiterung, Felgen und Spoiler, sowie Service-Leistungen à la Wäsche, Ölwechsel oder Motorüberholung vornehmen lassen können. Der Tuning-Händler, in dem wir die Performance unserer aktuellen Karre nach ausreichend freigeschaltenen Bereichen bis ins Perverse steigern können. Der Multiplayer-Part (ja, auch der muss über die „Story“ erst freigeschalten werden), der stark auf GT Sport aufbaut, aber auch einen lokalen Split-Screen Modus bietet. Die Fahrschule, der Neuwagen-Händler, der Scapes-Bereich mit über 2.500 Hintergründen für Fotos, die Missionen mit ihren teils zum Brüllen lustigen und coolen Rennen etwa am Steuer alter Fiat 500er, die bergauf immer langsamer und langsamer werden … Ihr seht: Hier gibt es jede Menge zu tun.

Aber gerade diese langsame und absolut tiefenentspannte Einführung über das Café, in den sich auch immer wieder Szene- und Branchengrößen wie etwa der Designer des ersten Mazda MX-5 und viele andere virtuell einfinden und Anekdoten zum Besten geben, sorgt dafür, dass man sich nie erschlagen fühlt. Ganz im Gegenteil. Es ist ein wahrer Genuss sich hier Stück für Stück tiefer in den Kaninchenbau ziehen zu lassen und dabei „nebenbei“ seine Fahrzeugsammlung zu erweitern und immer wieder Neues zu erfahren.

Start, links, X

Apropos „fahren“: Natürlich wäre das alles nur halb so lustig – wenn überhaupt – wenn aber das Fahren nicht auch Spaß machen würde. Und das tut es. Es sollte für niemanden eine Überraschung sein, dass Gran Turismo sich seit jeher als Simulation versteht. Ergo ist das Fahrverhalten der Autos durchaus anspruchsvoll und realitätsnah. Gleichzeitig ist sich Polyphony aber auch des Breiten-Appeals seines Produkts bewusst und bietet daher eine breite Auswahl von Fahrassistenten, die es auch absoluten Autospiel-Nackbatzeln recht problemlos möglich machen sollte, hier schnell Erfolge zu feiern. Heißt: Neben Settings für die Traktions-Kontrolle, Antischlupf-Regellung und das ABS gibt es noch zahlreiche weitere Helferlein bis hin zu automatischem Bremsen und Lenken. Auch Schwierigkeitsgrade gibt es selbstverständlich unterschiedliche. Leider aber derer nur drei. Das können andere Titel besser. Und wenn wir schon beim Meckern sind: Es gibt nach wie vor kein ordentliches Schadensmodell. Über ein paar optische Dellen und Kratzer bei gleichzeitig eingeschränkter Performance geht das ganze nicht hinaus. Echte Fanboys mögen das vielleicht als „Tradition“ abtun. Das Argument, dass die Auto-Hersteller da nicht mitspielen  gilt jedenfalls schon lange nicht mehr. Siehe Forza, Grid, NFS … quasi jedes andere, aktuelle Rennspiel eigentlich.

Und wenn wir schon bei Vergleichen mit Mitbewerbern sind: Das durch Codemasters irgendwann einmal „erfundene“ und mittlerweile etwa auch bei Forza übernommene Zurückspulen fehlt hier ebenso. Ob das gut oder schlecht ist, sei jedem selbst zu beurteilen überlassen. Ich persönlich hatte auch meinen ganz persönlichen „nur in Gran Turismo-Spaß“ daran, in einer Fahrschulprüfung geschätzte 50x „Start, links, X“ zu drücken um diese eine Prüfung mit der Haarnadelkurve in Suzuka neu zu starten, weil ich eben unbedingt diese Goldmedaille wollte und ca. 30x schon beim Einlenken absehbar war, dass das nix wird. Klar: zumindest die Option darauf zu haben auch zurückspulen zu können, wäre sicher nett gewesen. Aber so war GT eben immer und so ist es auch heute noch. Und irgendwie finde ich das gut.

Was Gran Turismo auch immer schon war, ist ein Spiel ohne nennenswert überzeugende KI-Gegner. Und leider hat sich auch daran nichts geändert. Die Computer-gesteuerten Opponenten fahren immer noch recht stur ihrer Linie hinterher und reagieren kaum auf Spieler-Manöver. Allerdings gibt es hier mit Sonys Sophy-KI-Projekt, das anhand von GT Sport entwickelt wurde, ja Hoffnung. Mir persönlich ist unklar, ob diese per Patch auch in GT7 nachgereicht werden könnte. Von dem ausgehend, was ich bis jetzt im Reviewcode erlebt habe, wäre es aber jedenfalls wünschenswert.

Licht, Schatten und platte Grastexturen

Ach fein, gleich die nächste Überleitung! „Wünschenswert“ wäre für mich auch gewesen, wenn sich Polyphony bei der Grafik etwas mehr Mühe gegeben hätte. … Na? Gerade den Monitor mit Kaffee/Wasser/sonstigem Getränk voll gespuckt? Hat der Posch gerade WIRKLICH gesagt, die Grafik sei nicht gut?! Ist der denn blind?! Oder blöd?! Nein, bin ich nicht (hoffe ich). Ich bin nur detailversessen und verwöhnt. Letzteres vor allem von Spielen wie Forza Horizon 5 und Horizon: Forbidden West nämlich. Während die Qualität der über 400 im Spiel enthaltenen Automodelle und der Beleuchtung nämlich ohne Frage über jeden Zweifel erhaben ist (ehrlich: die sind teilweise ATEMBERAUBEND), so können die Umgebungen doch nicht ansatzweise damit mithalten. Während ich in Forza Horizon also in einer gigantischen Open World bis auf einen einzelnen Kieselstein irgendwo auf einem Berg oder ein Blatt irgendwo im Dschungel ranzoomen kann und glaubhaft davon überzeugt werde, dass eben jenes Asset in der ganzen Welt nie wieder vorkommt, erkennt man in GT7 immer wieder, dass der Asphalt der Rennstrecke selbst aus vielen kleinen „Boden-Kacheln“ besteht und so manche Umgebungstexturen knapp am Prädikat „matschig“ vorbeischrammen. Und während in Horizon: Forbidden West eigene Shader die Welt glaubhaft mit Moos und Gras überziehen, sehe ich in GT7 neben der Strecke immer noch dieselben platten 2D-Grasbüschel wie schon in GT6 aus Anno-Dazumal oder auch in GT Sport. Und ja, natürlich ist GT7 grafisch „nur“ eine Evolution von GT Sport, weil es ja eben ein Cross-Gen-Titel ist und dementsprechend nicht das volle Potenzial der Playstation 5 ausschöpfen kann, auf der ich das Spie getestet habe. Aber das ist Horizon auch … Und hab ich schon von den teils deutlich sichtbaren Pop-Ins auf Umgebung und Autos erzählt? *Seufz*

Aber genug genörgelt. Zum Schluss bekommt ihr noch den Eindruck, ich wäre tatsächlich der Meinung, Gran Turismo 7 sei kein hübsches Spiel; denn das ist es. Egal ob im Performance- oder Raytracing-Mode, wobei in letzterem die namensgebenden Spiegellungen nur außerhalb der eigentlichen Rennen zum Einsatz kommen: GT7 bietet reichlich Anlässe zum Staunen. Und das nicht nur in Sachen Optik, sondern auch in puncto Sound. Alles vom kleinen Hybrid-Toyota Yaris mit seinem typischen Jaulen bis rauf zum Rasseln, Knallen, Zischen und Brüllen eins ausgewachsenen GT1-Monsters wird hier glaubhaft durch eure Lautsprecher gejagt. Und wann dann noch am jederzeit einblendbaren Wetterradar Regenwolken aufziehen, lässt Polyphony endgültig seine „Detail- und Realismus-Versessenheits-Muskeln“ spielen. Nicht nur prasselt der Regen akustisch sehr glaubhaft aufs Blech, Glas und Karbon eurer Autos, auch physikalisch tut sich dann einiges. Dabei meine ich aber nicht nur, dass sich der Grip eurer Autos verändert – das versteht sich von selbst. Die Regenschauer ziehen tatsächlich in unterschiedlicher Intensität per Wolken über die Strecke. Auf kleinen Tracks fällt das kaum auf. Auf größeren wie etwa dem Nürburgring aber kann das so weit gehen, dass ihr den Grand Prix-Kurs gerade noch auf klatschnasser Strecke bei strömendem Regen unterwegs wart, den Sprunghügel allerdings bei staubtrockener Strecke attackieren könnt. Ebenso trocknen nach vorübergezogenen Regenschauern die Ideallinien tatsächlich deutlich schneller ab als die Bereiche daneben und ihr könnt sogar versuchen aufgezogene Regenreifen durch bewusstes Fahren im Nassen wieder abzukühlen, wenn sie euch bei abtrocknender Strecke zu heiß werden.

Ja, so ist Polyphony. Und mit der Entscheidung im „Belohnungs-Screen“ nach einem Rennen als einzigen Hintergrund-Sound das typische Knistern eines gerade hart ran genommenen und nun abkühlenden Autos zu verwenden, erobern die Japaner auch nach dutzenden Spielstunden jedes Mal wieder mein Herz. Herrlich!

Zum Schluss noch zu einigen Playstation 5-eigenen Spezialitäten. Konkret gibt es derer, neben dem Raytracing-Mode, den ich bereits erwähnt habe, zwei: Einerseits kann Gran Turismo 7 die Geschwindigkeit der SSD der PS5 voll ausnutzen. Das heißt ganz konkret, dass die immer noch vorhandenen Ladescreens vor einem Rennen teilweise so schnell wieder verschwinden, dass man kaum mitbekommt, was dort überhaupt angezeigt wurde. Vom Menü in ein Rennen und wieder zurück zu springen klappt hier also wirklich fast unverzüglich. Das macht es auf der PS5 beispielsweise auch deutlich erträglicher, dass bei Aufgaben-Serien wie etwa den Fahrschulprüfungen darauf vergessen wurde, einen eigenen Button mit „zum nächsten Event“ einzubauen. Und andererseits ist da natürlich noch der Dualsense-Controller. Dieser sorgt mit feinsten Vibrationen und adaptivem Widerstand auf den Triggern tatsächlich ein ganz neues Level an Immersion zu schaffen. Man „spürt“ das Auto tatsächlich; kann mit einem Controller in der Hand besser abschätzen als je zuvor, wie dicht die Reifen sich bereits an ihrer Haftungsgrenze bewegen. Natürlich sind echte Cracks immer noch mit einem Lenkrad am besten bedient. Für Controller-Fans wie mich ist die Spielerfahrung dadurch aber tatsächlich ein ganzes Stück besser geworden.

Zusammenfassung

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