Indie Neuerscheinungen im Mai 2021

Auch diesen Monat sind wieder einige aus der Masse hervorstechende Indie-Spiele auf Steam erschienen, die sich Sven Evil bereits für euch angesehen hat. Wer abseits der gehypten AAA-Games Lust auf ein wenig Abwechslung hat, für den sind die folgenden Spiele eine Empfehlung wert.

Das isometrische Action-Adventure Retro Machina begeistert mit einer tollen retro-futuristischen Grafik und anspruchsvollen Kämpfen, Smelter verbindet Echtzeitstrategie mit Jump ’n‘ Run, Lost Ruins ist ein japanisches Action-Adventure mit niedlicher Grafik aber hammerharten Bosskämpfen, während euch Clan O’Conall and the Crown of the Stag mit drei Kelten knifflige Rätseln und anspruchsvolle Jump ’n‘ Run Passagen absolvieren lässt. Carebotz wiederum ist eine Art Metroidvania-light mit einer an den Klassiker Thrust angelehnten Steuerung und in The Invisible Hand dürft ihr in die Rolle eines fiesen Investmentbankers schlüpfen.

Retro Machina

Beim Steam Game Festival Anfang Februar haben mir zwei Demos besonders gut gefallen: Das bereits veröffentlichte (und ziemlich gute) Foregone und das isometrische Action-Adventure Retro Machina. Retro Machina von Orbit Studio aus São Paulo (Publisher Super.com) ist nun erschienen, und meine Hoffnungen auf ein hervorragendes Spiel wurden nicht enttäuscht. Wir spielen einen an einem Fließband arbeitenden Roboter, bei dem eine Fehlfunktion aufgetreten ist und dessen Gehirn neu formatiert werden soll. Anstelle sich diesem Prozess zu unterziehen fliehen wir allerdings aus der Fabrik und entkommen über die Müllentsorgungsanlage aus der schwebenden Stadt, in der wir gearbeitet haben. Nun sind wir völlig auf uns gestellt auf der Planetenoberfläche und müssen einen Weg zurück in die Stadt finden.

Der Gegend ist voll von bereits von Pflanzen überwucherten Resten einer menschlichen Zivilisation. Was ist hier passiert? Überall irren Arbeitsroboter umher, die uns sofort angreifen. Von Menschen fehlt jede Spur. Wir bewegen uns also durch die isometrische Landschaft (ähnlich wie in Bastion), bekämpfen Roboter und lösen einfache Puzzles, um weiter voran zu kommen. Wir können andere Roboter übernehmen um für uns zu kämpfen oder unerreichbare Orte zu erforschen, während wir unseren Roboter an verschiedenen Upgrade Stationen mit neuen Fähigkeiten aufrüsten und verbessern. Stück für Stück erkunden wir die verlassene Welt und erfahren, was passiert ist. Scheinbar kam es bei den Robotern zu massiven Fehlfunktionen, und auch unser eigenes Robotergehirn beginnt sich langsam zu verändern …

Ich liebe die retro-futuristische Grafik (ähnlich dem Art Déco-Stil von Bioshock), und das Design der Welt ist super atmosphärisch. Wer Spaß an der Erforschung einer umfangreichen verfallenen und verlassenen Welt hat, dabei kleine Rätsel lösen und immer wieder gegen durchgedrehte Roboter kämpfen will, findet in Retro Machina ein ausgezeichnetes isometrisches Action-Adventure für lange Spieleabende.

Smelter

Smelter von X PLUS aus Japan (herausgebracht von DANGEN) ist eine spannende Mischung zweier populärer Genres. Nachdem unser Adam unbedingt in den blöden Apfel beißen musste, werden wir, Eva, vom Paradies direkt in eine dunkle Höhle teleportiert. Ganz alleine, nur im winzigen Bikini bekleidet, springen wir über giftige Säurepfützen um möglichst rasch aus der Höhle zu entkommen. Dabei treffen wir auf einen angeblichen Engel, dem wir aus seiner misslichen Lage helfen und der sich zum Dank bei Bedarf als unsere Rüstung um unseren Körper wickelt… und uns dadurch neue Fähigkeiten verleiht. Das wir in der Rüstung ausschauen wie Mega Man in grün ist natürlich nur rein zufällig. Unser neuer Freund nennt sich Smelter, und er war scheinbar der Herrscher über ein kleines Reich, das allerdings während seiner Abwesenheit in der Verbann… ähm, Höhle, vollkommen zerstört wurde. Wieder an der frischen Luft beginnt das eigentliche Spiel. Einerseits expandieren wir als Smelter unser Reich in einem simplen Echtzeit-Strategiespiel, andererseits durchqueren wir als Eva mit Smelter als Rüstung in Mega Man-Manier unzählige Jump ’n‘ Run Abschnitte um unseren Adam wieder zu finden.

Diese Mischung aus Echtzeitstrategie und Jump ’n‘ Run funktioniert hervorragend, ich habe seit ActRaiser (1990, SNES) keinen ähnlich gelungenen RTS/Jump ’n‘ Run Hybrid gesehen. In den Actionsequenzen sammeln wir Ressourcen für Gebäude auf der Oberwelt, und während wir unser Territorium in den Strategieabschnitten vergrößern, erlernen wir auch neue Fähigkeiten, die Eva immer mächtiger machen. Über 40 solche Power-Ups können im Laufe des Spieles erlernt werden, die dann auch unterschiedliche Lösungswege an bestimmten Stellen erlauben. Manche Upgrades bekommt Eva auch in den Jump ’n‘ Run Passagen durch schwierige Prüfungen, andere wieder sind eher leichter zu finden. Eva kann nach einiger Zeit zwischen drei verschiedenen Rüstungen wechseln, was völlig unterschiedliche Spielstile erlaubt. Allerdings dauert es ein wenig, bis wir so weit sind – anfangs müssen wir mit ein paar Basisfähigkeiten auskommen, was die ersten Stunden des Spieles ein wenig zäher macht. Die regelmäßigen humorvollen Gespräche um die Story voranzutreiben (und als Tutorial) sind sicher nicht jedermanns Sache, ich finde es jedoch gut, ein wenig Ablenkung zu bekommen. Jeder Level beinhaltet versteckte Bereiche, der Schwierigkeitsgrad wird gegen Ende jeder Zone allmählich anspruchsvoller. Der Echtzeitstrategieteil ist hingegen einfacher gestaltet, allerdings kann man auch hier rasch in eine ausweglose Situation kommen und muss den Level neu starten.

Insgesamt bietet Smelter ziemlich viel Inhalt – viele Level, viele Herausforderungen, aufwändige Bosskämpfe, eine hervorragende Pixel Art Grafik, animierte Zwischensequenzen und einen tollen Soundtrack. Fans von anspruchsvollen 2D Jump ’n‘ Runs, die auch nichts gegen ein wenig Echtzeitstrategie haben und die albernen Humor mögen, liegen bei Smelter absolut richtig.

Lost Ruins

Im Action-Abenteuer Lost Ruins von Altari Games spielen wir ein junges Mädchen, das in ein mittelalterliches Schloss teleportiert wurde. Dabei haben wir unser Gedächtnis vollkommen verloren. Das Schloss ist voll von Skeletten anderer Leute, die laut den Nachrichten auf ihren Handys (mit ziemlich langlaufenden Akkus…) scheinbar ebenso wie wir in diese Welt teleportiert wurden und (erfolglos) versucht haben, einen Ausweg zu finden. Neben Goblins und aggressiven Tieren, die uns töten wollen, treffen wir im Schloss auch die Zauberin Beatrice, die uns hilft, uns zurecht zu finden. Schon bald durchqueren wir ein Fantasy Reich voller Monster und schwer zu bezwingender Bosse, um herauszufinden wie wir wieder in unsere alte Welt zurück gelangen können. Nebenbei lösen wir auch ein paar Probleme in der Fantasy Welt, versteht sich.

Lost Ruins ist ein 2D Action-Adventure in Pixel Art, in dem wir unsere Feinde mit einer Vielzahl von Schwertern, Äxten und anderen mittelalterlichen Waffen bekämpfen. Schon bald erlernen wir auch Zaubersprüche, um Gegner zu verbrennen oder uns zu heilen. Das Spiel erlaubt uns die Nutzung der Umgebung, um unsere Ziele zu erreichen. Entflammbare Flüssigkeiten gehen in Flammen auf, wenn sie mit brennenden Laternen oder Feuerbällen in Berührung kommen, Eis-Magie lässt Gewässer gefrieren. Der Fokus des Spieles liegt weniger auf hektischen Sprungpassagen, sondern eher auf den Kämpfen und dem Management von Lebens- und Magiepunkten sowie unserem Inventar. Niedliche Charaktere, flüssige Bewegungsanimationen, viele Gegenstände zum Sammeln (Kleidung, Nahrung, Waffen, Zaubersprüche), eine automatisch mit gezeichnete Karte und Portale für die Schnellreise machen Lost Ruins zu einem fantastischen 2D Action-Adventure.

Clan O’Conall and the Crown of the Stag

Clan O’Conall and the Crown of the Stag von Hitgrab aus Toronto, Kanada, ist ein abwechslungsreiches Jump ’n‘ Run, in dem wir in die Rolle von drei Vikin… äh, Kelten schlüpfen. Mit ihnen müssen wir durch eine Vielzahl von Levels rennen, kämpfen und springen, um die Mutter aller Dämonen, Caorànach, davon abzuhalten, einen uralten Frieden zwischen den Menschen und den Feen zu zerstören. Zu diesem Zweck hat Caorànach die Hirschkrone (Crown of the Stag) aus unserem Dorf gestohlen und ganz nebenbei den Häuptling, unseren Vater, schwer verletzt. Wir spielen den Schwertmeister Kilcannon, die Jägerin Clakshot und den muskelbepackten Haggish. Jeder der drei hat spezielle Fähigkeiten und lernt im Laufe des Spiels weitere dazu. Die Jägerin kann Doppelsprünge machen, sich durch enge Lücken zwängen und mit Pfeil und Bogen kämpfen, während Haggish mit seinen Fäusten Hindernisse zertrümmern oder Bretter zerstören kann. Kilcannon hingegen kann dashen, gegnerische Geschosse zurückwerfen oder mit seinem Umhang über weite Strecken durch die Luft gleiten. Wir können jederzeit zwischen den dreien hin- und herwechseln, was für das Vorankommen auch notwendig ist. Viele Stellen können nur von bestimmten Charakteren überwunden werden, und bald ist es auch notwendig, schnell zwischen den dreien zu wechseln und die jeweils richtige Fähigkeit einzusetzen. Gar nicht so einfach, denn jeder unserer Helden hat bald eine Vielzahl von Tricks in petto.

Unterwegs treffen wir auf jede Menge Gegner, die es in Hack ’n‘ Slash-Manier zu besiegen gilt, auf mehr oder weniger einfache Rätsel und verschiedene Sprungpassagen. Figuren aus der keltischen und irischen Folklore und Mythologie helfen uns entweder oder sind knackige Bossgegner, die wir bezwingen müssen. Stirbt einer unserer Helden, werden wir zum letzten automatischen Speicherpunkt zurückbefördert, der in der Regel nicht sehr weit entfernt ist und können die Stelle mit vollkommen wiederhergestellter Lebensenergie nochmal versuchen. Alles in allem ist Clan O’Conall and the Crown of the Stag ein wirklich gutes, klassisches 2D Jump ’n‘ Run in einem unverbrauchten Szenario und mit viel Abwechslung.

Carebotz

Glasscannon Studio aus Budapest hat mich mit einem Thrust-Klon, auf den ich (nicht) gewartet habe, überrascht.  Aber ich bin trotzdem froh, dass ich Carebotz von Péter Takács entdeckt habe. Wir spielen Bibz, einen Reparaturdroiden, der gerade erst wieder aktiviert wurde. Unsere Fabrik scheint jedoch verlassen, schwer beschädigt und von Feinden überrannt worden zu sein. Die Steuerung unseres kleinen Reparaturroboters ist einfach: Wir aktivieren die Triebwerke und drehen ihn nach links oder rechts. Selbst ungeübte Spieler wie ich können mit Leichtigkeit durch die großen Tunnels navigieren. Sollten wir dennoch mit der Umgebung kollidieren, macht euch keine Sorgen, denn unser Bot nimmt nur geringen Schaden. Wir finden auch regelmäßig Reparatur-/Aufrüststationen, die jeden Kratzer aus unserem Metallkörper kostenlos entfernen.

Während das Umherfliegen einfach ist, ist es das Spiel selbst nicht. Es nimmt uns nicht gerade an der Hand. Wir müssen unsere Umgebung erkunden, lernen, wie man die Upgrade-Stationen benutzt, Ressourcen finden und unseren kleinen Reparatur-Bot aufrüsten, während wir… nun ja, beschädigte Maschinen reparieren. Die wirkliche Herausforderung sind jedoch die unzähligen Feinde. Sind es Roboter? Oder feindliche Kreaturen? Wie auch immer, sie greifen uns bei Sichtkontakt an, also sollten wir sie zuerst zerstören. Reine Notwehr. Und hier wird das Spiel ein wenig herausfordernd, denn wir sind ein Reparaturdroide, kein Kampfroboter. Unsere erste Waffe ist eher ein Spielzeuggewehr als eine brauchbare Bordkanone, aber natürlich finden wir bald Verbesserungen und zusätzliche Waffen.

Wir erkunden die Fabrik (mit Automapping), finden Blaupausen für Upgrades, finden Ressourcen, die für die Upgrades benötigt werden, töten Feinde, die uns den Weg versperren, wertvolle Ressourcen bewachen oder bestimmte Teile der Fabrikausrüstung angreifen, die wir beschützen müssen, und entdecken mehr und mehr über die Geschichte, während wir die beschädigten Roboter und Maschinen in der Fabrik reparieren. Während das grundlegende Manövrieren einfach ist (zumindest bis wir auf Hindernisse stoßen, die uns bei Berührung töten), ist das Kämpfen UND Manövrieren nicht ganz so einfach. Die Schwerkraft zieht uns langsam zu Boden, wir müssen mit einer vorderen und einer hinteren Schubdüse manövrieren, und das Abfeuern unserer Kanone erzeugt einen starken Rückstoß – unser kleiner Reparatur-Roboter ist also nicht wirklich das, was ich eine stabile Waffenplattform nenne. Carebotz ist ein liebevoll gestaltetes Indie-Spiel, inspiriert von All-Time-Klassikern wie Thrust und Astroids,  angelehnt an die Spielmechaniken klassischer Metroidvanias, voller Upgrades, Geheimnisse, herausfordernder Kämpfe und einer großen Karte zum Erkunden.

The Invisible Hand

Schlussendlich will ich euch noch kurz The Invisible Hand von Power Struggle Games vorstellen. Bei dem Spiel handelt es sich um eine Börsenhändler-Simulation, und nachdem ich seit Wall Street Wizard aus dem Jahr 1988 keine mehr gespielt habe, war ich sehr neugierig darauf. Natürlich ist The Invisible Hand keine völlig realistische Börsensimulation, aber ihr solltet schon wissen, was es bedeutet, short zu gehen oder Long-Positionen zu kaufen. Grundlegende Börsenkenntnisse sind also zu empfehlen, auch wenn uns im Spiel noch einmal alles kurz erklärt wird und die Handelsmöglichkeiten sehr vereinfacht dargestellt werden. Wir arbeiten für eine Investment-Firma und tun das, was Aktienhändler tun – kaufen und verkaufen von Aktien oder Währungen. Und natürlich ein paar Insider-Geschäfte machen. Unter „The Invisible Hand“ versteht man übrigens ein ökonomisches Konzept, das erstmals von Adam Smith in „The Theory of Moral Sentiments“ aus dem Jahr 1759 vorgestellt wurde. Es ist eine Metapher, die den unbeabsichtigten größeren sozialen Nutzen und das öffentliche Wohl beschreibt, die durch das Handeln von Individuen in ihrem eigenen Interesse entstehen.

Das Spiel beginnt mit einem (sehr) einfachen Test mit realistischen Fragen, um unsere ethische Qualifikation für den Job zu ermitteln, aber selbst Dummies bestehen ihn, weil es ein Multiple-Choice-Test ist und die richtigen Antworten bereits für uns vorausgewählt sind. Danach starten wir in unserem neuen Job als Broker in der Investmentfirma – vor dem Computer. Der bietet uns auch Zugang zu Insider-Informationen, was uns die Arbeit sehr viel leichter macht. Das Beobachten des Nachrichtentickers und der Kursentwicklung ist jedoch trotzdem empfehlenswert. Wir kaufen und verkaufen also in Echtzeit Wertpapiere, Optionen, Währungen… und wenn wir die Zeit beschleunigen wollen, gehen wir einen Kaffee trinken. Die Zeit läuft aber weiter, wir könnten dabei wichtige Dinge verpassen.

Wenn wir erfolgreich sind, und  schaltet unser Unternehmen zusätzliche Transaktionsmöglichkeiten für uns frei, und wir erhalten ordentliche Bonifikationen, die wir über das Internet auch gleich ausgeben können, um nutzlose Statussymbole zu kaufen. Verfehlen wir jedoch unsere täglichen Gewinnziele, stehen wir am nächsten Tag auf der Straße. Das Spiel beschränkt sich nicht nur darauf, vor dem Computer zu sitzen und auf die Bloomberg/Reuters Monitore zu schauen, wir können auch im Büro herumlaufen, mit Kollegen sprechen und ihnen falsche Tipps geben, Aktienkurse manipulieren… also alles tun, um besser zu sein als unsere Kollegen und den höchsten Gewinn zu machen!

The Invisible Hand ist eine sarkastische, überspitzte und nicht sehr subtile Simulation der Karriere eines (schmutzigen) Aktienhändlers in einer Investmentfirma. Der Profit ist alles, was zählt. Oder auch nicht.

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