Jon Shafer galt noch vor gar nicht so langer Zeit als Shooting-Star in der Entwicklerszene. Bereits mit 21 Jahren war er Lead-Designer bei Firaxis und dort unter anderem für Civilization V verantwortlich. Kurz darauf gründete er mit Conifer Games sein eigenes Studio und sammelte per Crowdfunding Geld für ein neues Projekt. Nach knapp sechs Jahre ist es endlich soweit und mit Jon Shafer’s At the Gates erscheint nun endlich das von vielen Fans langerwartete, rundenbasierte Strategiespiel.
„At the Gates is a hard, slow game“ – diese Warnung stammt nicht von mir, sondern ist auf einer der ersten Dialog-Fenster des Tutorials zu lesen, beschreibt das Spiel aber schon sehr gut und ist bei weitem auch nicht übertrieben. Alles was ihr bislang aus dem Genre der rundenbasiertern 4X-Strategiespeiele kennt, könnt ihr hier nämlich getrost vergessen. Das beginnt einerseits schon damit, dass man zwar ein Volk auswählen kann (zu Beginn gibt es nur die Goten, weitere werden erst freigeschalten, wenn man sie im Spiel besiegt oder mit ihnen Bündnisse geschlossen hat), aber man dabei nur einen Stamm befehligt. Genauso beschränkt sich eure Regentschaft auf eine einzelne Siedlung und das über die gesamte Spieldauer hinweg.
Im Vergleich zu einem Civilization klingt das natürlich nach einem sehr abgespeckten Gameplay, die Wahrheit liegt aber im Detail. So konzentriert sich At the Gates sehr auf das Mikromanagement eures Volkes. Dieses besteht in seiner kleinsten Einheit aus so genannten Clans, welche individuelle Fähigkeiten, Begabungen sowie spezielle Eigenheiten besitzen. Alle paar Runden schließen sich euch neue Familien an – je höher euer Ruhm ist, desto schneller wächst euer Stamm. Die Aufgabe des Spielers ist es nun, den Clans Aufgaben zuzuweisen und sie entsprechend auszubilden. Hört sich simpel an? Ist es ganz und gar nicht!
Clan-Management
Das ergibt sich zum einen daraus, weil sich At the Gate einige Anleihen aus dem Genre der Rouge-like Games nimmt, wie etwa die bei jedem Spielstart zufallsgenerierte Spielewelt. Auch das Erforschen dieser und Kämpfe mit ihren Bewohnern stehen stark im Vordergrund, denn ohne Expansion und das Finden neuer Rohstoffquellen wird euer Stamm schon bald den Hungertod erleiden. Eine Geschichte gibt es zwar nicht, dafür aber zwei verschiedene Siegbedinungen: Entweder ihr erobert eine der insgesamt zwei römischen Hauptstädte oder ihr erringt den Titel „Magister Militium“ und werdet zum römischen Heeresführer. Während Ersteres auf traditionelle Kriegsführung abzielt, basiert der zweite Weg eher auf einer ökonomischen Vorgehensweise, denn ihr müsst nicht nur ein Jahr lang einen Clan für den Schutz Roms abstellen, sondern auch wertvolle Ressourcen abgeben.
Der Herrscher-Alltag schaut in jeder Runde ziemlich ähnlich aus: Wir erforschen im Rahmen eines hierarchisch aufgebauten Technologiebaums rundenweise einen von mehr als 160 Berufen in den Disziplinen Landwirtschaft, Viehzucht, Handwerk, Metallbau, Entdeckung oder Ehre, schicken immer einen Clan in die Ausbildung und managen unsere Untertanen bei ihren jeweiligen Tätigkeiten. Und so lassen wir etwa Sammler Beeren pflücken, Holzfäller Bäume schlagen und Vermessser das Land erkunden. Die jeweiligen Clans verfügen aber nicht nur individuelle Fähigkeiten, die man mittels Training sogar noch ausbauen kann, sie haben auch bestimmte Bedürfnisse. Werden diese nicht befriedigt werden sie immer unproduktiver und verweigern schlussendlich sogar ganz die Arbeit. Außerdem muss man immer für die Versorgung der Untertanen sorgen. Jedes Feld auf der Karte beliefert die drauf befindlichen Einheiten mit einer gewissen Menge an „Supply“, in Wintermonaten oder in Wüstengegenden ist das weniger, als im Sommer und auf grünen Wiesen. Auch hier sinkt die Moral und Gesundheit, wenn weniger Angebot als Nachfrage herrscht.
Sämtliche Clans die sich im Einzugsgebiet der Siedlung befinden müssen sich darüber aber weniger Gedanken machen, denn die bekommen stets einen kleinen Bonus spendiert – alle anderen können in harten Zeiten ein Lager aufschlagen und gewinnen dadurch wieder ein paar Versorgungspunkte auf Kosten der Produktivität. Das Einzugsgebiet kann man unter bestimmten Voraussetzungen erweitern oder man verlegt einfach seine Siedlung in eine rohstoffreichere Region. Das geht aber nur so lange ihr keine befestigten Gebäude aus Holz oder Stein errichtet habt. Und natürlich werden nicht nur Arbeiter ausgebildet, denn dank der Disziplin Ehre lassen sich auch Soldaten trainieren, die ihr dann gegen Banditen oder andere Stämme kämpfen lassen könnt. Verhandlungen mit KI-Kollegen beschränken sich auf Tribut zahlen, Bündnisse vorschlagen oder Krieg erklären. Hat man sich für letzteres entschieden gibt es kein zurück mehr – zumindest habe ich bislang keine Möglichkeit gefunden wieder Frieden zu schließen.
Komplex – zumindest auf den ersten Blick
Wie eingangs schon erwähnt ist das Gameplay sehr von Mikro-Management geprägt und das fällt sehr komplex sowie extrem umfangreich aus. Wobei vielleicht nicht ganz so wie es auf den ersten Blick den Anschein hat, denn einerseits verwendet man bei fast jedem Durchgang immer die gleichen Berufe, wodurch der ausufernde Technologiebaum ad absurdum geführt wird, anderseits gibt es dann noch das Spielelement der Karawane. Diese schaut alle paar Runden bei euch vorbei und bietet diverse Waren zum Kauf an, sodass es eigentlich nicht notwendig ist, diese selber zu produzieren. Hat man erst eine funktionierende Wirtschaft aufgebaut, mit der man genügend Gold erwirtschaftet, ist das Spiel eigentlich auch schon gelaufen. Bis dahin ist es zwar ein mühsamer Weg, hat man das aber erst einmal geschafft, bleibt die Langzeitmotivation auf der Strecke.
Optisch präsentiert sich At the Gates mit seinem wunderhübschen Karten, die aussehen wie handgemalte Wasserfarben-Gemälde, als sehr ansprechend. Die Soundkulisse ist dafür nur mittelprächtig, wobei man jedoch anmerken muss, dass das Spiel ohne angeschlossenes Audio-Gerät den Start von vornherein verweigert. Auch weitere, kleinere technische Baustellen machen sich gelegentlich bemerkbar und auch die Menüführung ist manchmal etwas umständlich ausgefallen. Und nicht zu vergessen: In At the Gates gibt es ausschließlich englische Bildschirmtexte zu lesen. Wer also keine entsprechenden Kenntnisse vorweisen kann, der wird sich sehr schwer tun, die teilweise doch sehr verzahnten Spielmechaniken überhaupt zu verstehen.
FAZIT
Trotz all der Kritik die ihr hier nun vom mir lesen werdet, möchte ich eines gleich klar stellen: Jon Shafer’s At the Gates erzeugt für mich etwa die gleiche Sogwirkung wie ein Civilization oder andere herausragende Vertreter des 4X-Genres. Dieses „nur noch eine Runde…“ stellt sich auch hier schon nach wenigen Minuten ein und man versucht seine Clans immer weiter zu optimieren. Das große „ABER“ betrifft aktuell noch das Endgame. Hat man nach den ersten, durchwegs mühsamen Stunden einen funktionierenden Wirtschaftskreislauf aufgebaut, bleibt nämlich nicht mehr viel zu tun übrig. Man kauft sich einfach alle für den Sieg erforderlichen Güter bei der Karawane und wartet. Eine etwas aggressivere KI-Gegner, umfangreichere Diplomatie-Möglichkeiten oder ein vielschichtigerer Technologiebaum mit sinnvollen Berufen die meine Clans erkennbar in ihrer Entwicklung voranbringen, hätten At the Gates sicherlich gut getan. Was bleibt ist ein hübsches Strategiespiel mit teilweise sehr innovativen und fordernden Mechaniken, die aber scheinbar irgendwie nicht zu Ende gedacht wurden. Die Hoffnung stirbt aber zuletzt, denn sofern man diese Kritikpunkte mit kommenden Updates ausmerzen kann, wird sich auch die so dringend notwendige Langzeitmotivation einstellen. Und wenn wir ehrlich sind: Civilization V wurde auch erst nach dem Weggang von Jon Shafer und mit der ersten Erweiterung zu dem hervorragenden Genreverterter, als der er heute gesehen wird.
Was ist Jon Shafer’s At the Gates? Rundenbasierte 4X-Strategie mit komplexen Mikro-Management Gameplay-Elementen.
Plattformen: PC
Getestet: Version 1.0 auf PC Intel Core i7-6700, 16GB RAM, GeForce GTX 745
Entwickler / Publisher: Conifer Games / Conifer Games
Release: 23. Jänner 2019
Link: Offizielle Webseite
Gesamtwertung: 5.6
Einzelwertungen: Grafik: 6 | Sound: 6 | Handling: 6 | Spieldesign: 4 | Motivation: 6