Wer hat Lust, das Leben eines Ritters im Jahr 1403 aus der Nähe zu erleben? Dafür gibt es aktuell nichts Besseres als das eben erschienene Kingdom Come: Deliverance II von den Warhorse Studios. Die Fortsetzung soll den bereits guten Vorgänger noch weiter verbessert haben – mal sehen!
Warhorse Studios aus Prag hat bisher nur ein Spiel herausgebracht. Das 2018 erschienene Kingdom Come: Deliverance hat damals die Kritiker und Spieler begeistert, und das zu Recht. Eine derart komplexes Action-Adventure/Rollenspiel/Survivalspiel im Mittelalter hat es bis dahin noch nie gegeben. Schwertkampf, Bogenschießen, Schleichen, Reiten, eine dramatische, brutale Story mit vielen Wendungen und Zwischensequenzen… das Spiel war einfach gut. Kein Wunder, dass es sich laut Publisher über acht Millionen Mal verkauft hat. Mich hat es immer ein wenig an des Spielgefühl von GTA IV oder V erinnert – nur eben im Mittelalter.
Nun wird die Geschichte fortgesetzt – Kingdom Come: Deliverance II setzt die Story des ersten Teiles fort. Wir spielen wieder Heinrich von Skalitz, den (adoptierten) Sohn eines Schmiedes, der nach all den dramatischen Ereignissen des ersten Teiles nun als persönlicher Leibwächter für den Adeligen Hans Capon arbeitet. Wir begleiten ihn auf einer Mission, aber tief in uns sitzt der Wunsch nach Rache an Markvart. Rache für den Mord an unseren Zieheltern, und außerdem wollen wir uns das edle Schwert zurückholen, das unser Ziehvater vor seinem Tod geschmiedet hat und das als Trophäe gestohlen wurde.
Audentes fortuna iuvat
Das Spiel beginnt und alles erscheint friedlich – unser Herr, Sir Hans Capon, hat den Auftrag, einen Brief zu Lord Otto von Bergow zu bringen. Nachdem die Post im Jahr 1403 ebenso zuverlässig wie die Paketdienste heute war, bringen wir den versiegelten Brief lieber persönlich vorbei. Also reiten wir in einer kleinen Gruppe von sechs Männern durch das – damals recht dünn besiedelte – Böhmen und freuen uns auf ein wenig Abwechslung im Pub, nachdem wir den Brief abgegeben haben.
Böhmen war damals allerdings gerade in Aufruhr, denn König Sigismund aus Ungarn hat Anspruch auf den Thron erhoben, nachdem der rechtmäßige König, sein Bruder König Wenceslas IV, von Rebellen gefangen genommen wurde. Solche Ansprüche hat man damals am besten mit einer Armee unterstützt, die nun durch das Land zieht und jeden Adeligen, der sich nicht unterwerfen will, bekämpft. Es gibt also Königstreue, Rebellen und natürlich auch noch Banditen, die durch die Gegend ziehen. Kurz, das Land versinkt gerade in Chaos und Krieg. Mittelalter eben.
Natürlich klappt das mit der Übergabe des Briefes und nachfolgenden Erholung im Pub nicht wie geplant. Unvorsichtiges Handeln führt zum Tod unserer Leute, wir selbst und unser Herr entrinnen nur schwer verletzt und finden Zuflucht bei einer alten Heilerin (mit einer sehenswerten Tochter), die uns wieder auf die Beine hilft. Der Brief ist weg, ebenso unsere Kleidung, Waffen, Pferde, Begleiter, unser treuer Hund und alles andere, was wir mit uns gehabt haben. Sogar unsere Fähigkeitspunkte wurden reduziert – wegen der schweren Verletzung. Unsere Feinde durchsuchen die Gegend nach uns – keine gute Ausgangslage.
Open World
Wir müssen uns nun in dieser Welt zurecht finden. Dazu gehört eine ordentliche Ausrüstung. Schwert, Schild, Armbrust, Rüstung, ein Gürtel für ein paar Waffen, ein Beutel für ein paar Tränke. Allerdings ist das ganze Management des Inventars wesentlich komplexer als bei den meisten anderen Spielen. Der Helm beispielsweise – ihr könnt euch nicht einfach irgendeinen Blechkübel über den Kopf ziehen – ihr benötigt auch eine weiche Unterlage unter dem Helm. Sonst schmerzen die Dinger nämlich fürchterlich, besonders wenn jemand mit seiner Waffe darauf einschlägt. Ebenso ist es mit der Rüstung – die kann nicht einfach direkt am Körper getragen werden, da gehört ein gepolsterter Wamst dazwischen.
Ihr könnt das Spiel auf unterschiedliche Weise angehen – mit Eloquenz, mit Herumschleichen (bitte nicht in voller Rüstung), oder mit brutaler Gewalt. Schon bald steht ihr vor eine großen offenen Welt – kleine Dörfer, geschäftige Städte, mächtige Festungen – bewohnt von einer Vielzahl von NPCs, mit denen wir interagieren können – freundlich oder brutal? Bald haben wir mehrere Nebenquests zur Auswahl, die uns von unserer Hauptaufgabe ablenken können – die allerdings das Spiel auf unterschiedliche Weise beeinflussen können. Und damit meine ich nicht, das wir beispielsweise eine Questbelohnung in der Form von 100 Groschen erhalten – sondern durch neue Verbündete oder Feinde, oder Entwicklungen, die sich auf die Hauptgeschichte auswirken. Nicht einmal das geniale Witcher 3 hat es so gut geschafft, eine Welt wirklich realistisch wirken zu lassen. Wir brauchen Nahrung, einen Platz zum Schlafen, ein wenig Geld… einfach alles zu stehlen, was irgendwo herumliegt ist nicht gesund – das führt zu Problemen mit den rechtmäßigen Eigentümern.
Die realistische Darstellung geht manchmal vielleicht sogar ein wenig zu weit. Ihr müsst beispielsweise natürlich auch in Kingdom Come: Deliverance II Tränke brauen. Zuerst sucht ihr die Zutaten, meistens irgendwelche Kräuter. Dann braucht ihr einen Ort, um den Trank zu brauen. Einen Kessel, ein Feuer, ein Mörser. Ihr schaut euch in einem Buch die Anleitung an, wählt dann die Flüssigkeit (Wasser, Wein, Öl,…), erhitzt diese auf die korrekte Temperatur, nehmt die korrekte Menge der Kräuter, zermalmt diese (wenn notwendig) im Mörser, fügt sie dem Trank hinzu und füllt das Ergebnis dann in einer Flasche ab. Jeder Arbeitsschritt erlaubt leichte Variationen, je nach Rezept. Das alles benötigt Zeit – das einfache Brauen eines Trankes dauert ein wenig länger als das schnelle Craften einer neuen Laserpistole in den meisten Sci-Fi Survival-Spielen…
Die Welt von Kingdom Come: Deliverance 2 ist deutlich größer als im Vorgänger. Sie ist jedoch auch mit spannenden Geschichten gefüllt und nicht nur leeres Blendwerk. Einwohner, die ihrem Tageswerk nachgehen (arbeiten, schlafen…), ihre eigenen Geschichten und Probleme haben und eine Vielzahl von (oft sehr kreativen) Quests und anderen Aktivitäten, denen ihr nachgehen könnt lassen das Königreich von Böhmen so richtig zum Leben erwachen – wirklich großartig, aber auch ein wenig beängstigend. Kingdom Come: Deliverance 2 ist kein Spiel für eine Nacht – das wird euch länger vor den Bildschirm fesseln!
Kampf
Die Welt von Kingdom Come: Deliverance II ist brutal. Wir können zwar viele Kämpfe vermeiden, aber so ganz ohne Kampf geht es nicht. Und wenn wir kämpfen, sollten wir nicht verlieren – denn eine Niederlage bedeutet im Regelfall unseren Tod (und das Zurücksetzen an den letzten automatischen Speicherpunkt). Die wichtigste Waffe im Nahkampf war – zumindest für einen Ritter – das Schwert. Das zu führen ist aber nicht ganz so einfach. Die Dinger sind nämlich groß und schwer, dementsprechend sollten wir unsere Schläge mit Bedacht führen und nicht wie ein Irrer damit herumfuchteln. Die Simulation des Schwertkampfes ist gut gemacht. Angriffe von oben, unten und von den Seiten, ebenso können wir gegnerische Angriffe parieren. Nach einer perfekten Parade können wir besonders massiv zurückschlagen. Wenn wir mit unserem Schwert einen ungepanzerten Gegner treffen, verursachen wir hohen Schaden, wenn unser Gegner jedoch eine Rüstung trägt, hält er einige Treffer aus. Wir müssen ihn ermüden, um eine Schwachstelle zu finden. Und jedenfalls müssen wir eine gewisse Fähigkeit im Kampf erlangen – trotz der unzähligen anderen möglichen Aktivitäten im Spiel kommen wir um Kämpfe nicht ganz herum.
Schwerter sind aber natürlich nicht die einzigen Waffen im Spiel – es gibt eine ganze Menge an verschiedenen, realistisch implementierten Waffen, natürlich auch Fernkampfwaffen, von Bögen bis hin zur tödlichen Armbrust. Neben kämpfen interagieren wir ganz natürlich mit der Welt – wir können schleichen, springen, laufen, ein wenig klettern, reiten, schwimmen wie ein Hund, unterhalten uns mit anderen Bewohnern im Multiple-Choice Verfahren (unter Zeitdruck). Die Details im Spiel sind unglaublich – wir müssen essen und schlafen, unsere Waffen in Schuss halten – aber wir müssen uns auch manchmal waschen, oder wir stinken wie die Pest und das war sogar im Mittelalter ein wenig unangenehm. Duschen waren im Mittelalter in den Unterkünften keine vorhanden, aber es gibt Waschtröge und Flüsse. Auch Badehäuser gibt es in den Städten – und die dienen nicht nur zum Baden…
No Bugs – aber Head Bobbing
Technisch hat mich die PC Version weitgehend überzeugt. Keine Abstürze, keine (andauernden) Clippingfehler, keine sonstigen Fehler (ok, einmal war der Text offensichtlich falsch), die mir in meinen mehrstündigen Spielesessions aufgefallen wären. Manchmal kam es allerdings zu merkbaren Framerateeinbrüchen bei aufwändigen Schatten. Und das alles bei einer wirklich tollen Darstellung der Umgebung – detaillierte Wildnis, detaillierte Dörfer. Der technische Zustand des Vorgängers war damals bei Erscheinen wesentlich bescheidener. Die minimalen Anforderungen an die GPU sind schaffbar – eine NVIDIA GeForce GTX 1060 (6GB) oder AMD Radeon RX 580 sollte es jedoch schon sein. Ich habe vor allem mit einer Nvidia GeForce RTX 3060 auf dem Fernseher unter 4K gespielt und kein Problem mit der Performance gehabt.
Das Spiel zeigt euch die Welt aus der Egoperspektive. Wenn ihr euch durch die Gegend bewegt, wackelt euer Kopf. Normalerweise führt das bei mir zu Übelkeit und ich drehe es in den Optionen so rasch wie möglich ab. Leider kann man es in Kingdom Come: Deliverance II nicht abdrehen. Komischerweise führte es jedoch bei mir zu keiner Übelkeit – ich würde es zwar trotzdem gerne ganz abdrehen, aber es ist zumindest so sparsam eingebaut, dass das Game für mich trotzdem spielbar bleibt.
Kaufen könnt ihr Kingdom Come: Deliverance II auf Steam, im Epic Store und natürlich ebenso im PlayStation oder XBox Store.
Zusammenfassung
FAZIT Tobias (PlayStation 5)
Wie bereits der erste Ableger ist Kingdom Come: Deliverance II eine Hommage an klassische Rollenspiele. Doch anders als in typischen Fantasy-RPGs mit Drachen, Dämonen oder anderen magischen Kreaturen, finden wir uns hier mitten in der angespannten politischen Lage Böhmens im 15. Jahrhundert wieder – und stolpern dabei mehr oder weniger ungewollt in große Ereignisse hinein. Wie bereits im ersten Teil sind wir kein strahlender Held in glänzender Rüstung, sondern ein einfacher Mann, der ums Überleben kämpft und sich durch harte Arbeit seinen Platz in der Welt erarbeitet. Dies wird besonders in den ersten Spielstunden deutlich, in denen wir buchstäblich mit heruntergelassener Hose dastehen. Diese gnadenlose, aber realistische Spielwelt stellt uns vor zahlreiche Entscheidungen, welche für mich den besonderen Reiz des Spiels ausmachen: Investieren wir unser hart verdientes Geld in bessere Ausrüstung oder nehmen wir lieber Unterricht, um unsere Fähigkeiten zu verbessern? Sind wir ein Ehrenmann, der jeder Jungfrau in Not hilft, oder ein skrupelloser Gauner, der nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist? Die Vielfalt der Entscheidungsmöglichkeiten und die kreativen Lösungswege in den meist hervorragend designten Quests sorgen dafür, dass sich jede Spielhandlung einzigartig anfühlt. Dazu wirkt sich im Vergleich zum Vorgänger alles flüssiger, natürlicher und durchdachter. Das Kampfsystem wurde überarbeitet und ist nun zugänglicher, ohne an Komplexität und Anspruch zu verlieren. Die Spielmenüs sind übersichtlicher zu bedienen, während unser Protagonist Heinrich nun über deutlich mehr Dialogoptionen verfügt. Auch das Erkunden der Welt fühlt sich deutlich lohnenswerter an, da es mehr Geheimnisse und Belohnungen zu entdecken gibt. Einziger Wermutstropfen ist hier wieder mal die Technik. In der PS5-Version kam es gelegentlich zu Bugs – etwa feststeckende Pferde in Zäunen oder NPCs, die in ihren Animationen hängen bleiben. Diese Probleme lassen sich jedoch meist durch kurzes Warten im Spiel beheben und trüben das Gesamtbild nur minimal. Abgesehen davon ist Kingdom Come: Deliverance II ein gewaltiges Upgrade gegenüber seinem Vorgänger.
Trotz seines realistischen und historischen Settings vermittelt das Spiel ein Gefühl von Abenteuer, politischen Intrigen und Geheimnissen – fast so, als befänden wir uns doch in einer magischen Welt. Jedem Rollenspielfan empfehle ich daher selbst in die Rolle von Heinrich von Skalitz schlüpfen. Denn Kingdom Come: Deliverance II ist wahrlich ein Rollenspiel, welches einem König gebührt.
FAZIT Sven (PC)
Die Story von Kingdom Come: Deliverance II setzt nahtlos nach dem ersten Teil fort. Dennoch ist das Spiel auch für Neueinsteiger kein Problem, da Vorkenntnisse nicht vorausgesetzt werden. Es kommt immer wieder zu Rückblenden, die Neueinsteiger über die Ereignisse der Vergangenheit aufklären. Auch die doch recht komplexe Spielsteuerung wird in unzähligen Tutorials während der ersten Spielstunden vorgestellt, sodass es auch für völlige Neulinge ein Leichtes ist, in die liebevoll gestaltete mittelalterliche Welt in einem vom Bürgerkrieg zerrissenen Königreich einzutauchen.
Kingdom Come: Deliverance II ist eines der besten mittelalterlichen Open-World Action-RPGs, das ich je gespielt habe. Es muss sich auch vor den inzwischen ein wenig in die Jahre gekommenen Genregrößen wie Witcher 3 oder Skyrim nicht verstecken. Es bietet das, was ich erstmals bei Spielen wie Ultima VI: The False Prophet (Origin, 1990) empfunden habe – eine realistische Weltensimulation, in der ihr die Freiheit habt, euch so zu verhalten wie ihr wollt – aber auch mit den Konsequenzen eures Handelns leben müsst. Die Geschichte entfaltet sich langsam und lässt euch so richtig in die authentisch modellierte, gnadenlose mittelalterliche Welt eintauchen – wo ihr dann für unzählige Stunden verweilen könnt und immer neue Details entdecken werdet. Absolute Meisterklasse!
FAZIT Hannes (PC)
Kingdom Come: Deliverance II ist definitiv so ein Rollenspiel, welches man extrem lieben oder hassen wird. Auf der einen Seite schaffen es die Entwickler die Härte der mittelalterlichen Welt so grandios einzufangen, wie bisher kein anderes Rollenspiel, die böhmischen Landschaften sind mit viel Liebe zum Detail gestaltet, Protagonist „Heinrich“ wächst einem sehr schnell ans Spielerherz und die Geschichte ist großartig und humorvoll erzählt. Für mich persönlich gab es dann aber doch ein paar Punkte, die von den Entwicklern sicher genau so gedacht waren, mich aber oftmalig genervt hatten. Der Schwierigkeitsgrad ist zeitweise sehr hoch im Spiel, bedingt durch das träge Kampfsystem und das lästige Speichersystem (Ein Mod schafft hier Abhilfe, für alle, die gerne öfter speichern wollen). Dazu gesellen sich oft ellenlange Dialoge und überharte Kämpfe, welche die Geduld dann doch ziemlich strapazieren. Trotzdem bleibt unter Strich ein grandioses Rollenspielabenteuer und ein erster Anwärter auf das Spiel des Jahres!