Kingdom Come: Deliverance im Test

Was haben die Entwickler von Warhorse Studios denn da aus dem Hut gezogen? Nein, keine Bogensehne, sondern ein simulationsartiges Mittelalter-Rollenspiel, angelehnt an historische Fakten. Während die Trailer vorab ein kampfintensives RPG vermuten ließen, liegt die wahre Stärke von Kingdom Come: Deliverance jedoch an anderer Stelle. Wohlan Heinrich, nimm das Heft in die Hand, schlag ein wenig über die Stränge und immer der Nase nach.

Die Geschichte um den Hauptprotagonisten Heinrich beginnt eigentlich harmlos. Im kleinen Dorf Skalitz geht es, abgesehen von den typischen Problemen im Mittelalter, friedlich zu. Doch wie das Leben so spielt, kann Ruhe oft ein Zeichen dafür sein, dass man sich im Auge eines Tornados befindet. Die Ereignisse überschlagen sich zügig, und an der Seite des Schmiedesohns wird der Spieler in den authentischen Strom des Lebens und Sterbens im 15. Jahrhundert gezogen.

Gleich in den ersten Spielstunden wird klar, worum es sich im Erstlingswerk von Warhose Studios drehen wird. Kingdom Come: Deliverance will vor allem eine Simulation sein. Realitätsgetreu muss der Charakter im Spiel regelmäßig essen und schlafen. Zumindest waschen ist optional, erstunken ist ja noch keiner. Und außerdem kann das körpereigene Odor mit entsprechenden Spezialisierungspunkten im Spiel Vorteile verschaffen. Erlittene Wunden können Blutungen verursachen die, nicht ordnungsgemäß verbunden, Heinrich schnell dahinraffen. Und wer dem Trankmischen frönen möchte, muss Rezepte genau befolgen, ob es sich nun um die exakte Zeitmessung mittels Sanduhr oder das korrekte Bedienen des Blasebalgs dreht.

Buckel sind zum runterrutschen da

Während diese Mechaniken im Großen und Ganzen gut bewältigbar und plausibel sind, wurde beim Speicher-Prinzip übers Ziel hinausgeschossen. Gespeichert wird generell nur an vorgegebenen Stellen, entweder nach Zwischensequenzen oder einem Schläfchen. Da zwischen diesen Stellen je nach Entdeckertrieb durchaus ein längerer Zeitraum liegen kann, wird quasi im freien Fall gespielt. Wer das erste Mal nach einem Erkundungstrip und einem daraus resultierendem, ansehnlichen Groschen-Zuwachs im Portemonnaie unerwartet in einem Faustkampf zu Tode geprügelt wird, wird diese Stunde Spielzeit schmerzlich vermissen. Und Kingdom Come: Deliverance verfluchen. Zwar gibt es einen Schnaps, mit dem der Fortschritt jederzeit gesichert werden kann, dieser macht jedoch verdammt schnell betrunken, wodurch sich Tätigkeiten wie Bogenschießen erheblich schwieriger durchführen lassen. Außerdem ist die gebrannte Delikatesse so teuer, dass, obwohl uns zu Beginn drei Ampullen spendiert werden, unser Protagonist danach längere Zeit auf dem Trockenen sitzt.

Es sei denn Heinrich wirft einen nicht unerheblichen Teil seiner hart gestohlenen oder verdienten Groschen für Schnaps aus dem Fenster. Dann kann er sich jedoch andere Dinge, wie Übungsstunden für Waffen, die Fähigkeit zu lesen oder bessere Ausrüstung, nicht so schnell leisten. Alternativ sucht unsere Hauptperson vor jedem Abenteuer für eine Stunde ein Bett auf um ein Spielstand sicherndes Schläfchen abzuhalten. Keine elegante Lösung, wenn auch die Intention der Entwickler dahinter verständlich ist. Der Akteur soll aus seinen Fehlern lernen, und nicht immer wieder die F9-Taste missbrauchen, um einen neuen Versuch starten zu können. Weißt du noch, wie du von der Leiter gefallen bist und deshalb die letzten 40 Spielminuten wiederholen musstest? Gar nicht mal so lustig. Dennoch soll die Geschichte wohl mehr an einen mit Meilensteinen gespickten Fluss und nicht an eine wilde Zick-Zack-Fahrt erinnern.

Das sind mir alles böhmische Dörfer

Und dieser Fluss spült unseren Heinrich durch so ziemlich jede Ecke der moderat großen Karte. Die Handlung selbst ist hierbei kein nobelpreisverdächtiger Thriller, sondern ein linearer aber passender Begleiter auf unserem Weg, der trotzdem ein oder zwei Überraschungen bereithält. Er führt uns zu den relevanten Orten der böhmischen Gegend und überlässt dem Spieler dann die Wahl, wie er mit den entstandenen Situationen umgehen möchte. Meist spielen sich die Möglichkeiten in einem Spektrum zwischen sprechen, kämpfen oder weglaufen ab. Kingdom Come: Deliverance versteht es zudem vorzüglich, Heinrich klarzumachen, dass er als Sohn eines Schmieds am unteren Ende der Nahrungskette steht. Selbst als er nach wenigen Spielstunden eine Art Ausbildung erhält werden wir immer wieder darauf hingewiesen, dass wir zum Pöbel zählen, und nicht zum adligen Gefolge.

Ausbildung ist übrigens ein gutes Stichwort. Ähnlich wie in anderen Rollenspielen verbessern sich Fähigkeiten je öfter sie benutzt werden. Alle paar Stufenaufstiege werden dann noch Spezialisierungen gewählt, die öfters aber Vor- und Nachteile mit sich bringen. Soll sich unsere Hauptfigur in adligen Kreisen besser verständigen können oder eher mit dem Fußvolk? Kann Heinrich sich besser erholen, wenn er im Stall schläft oder eher in Luxusbetten? Hat er als Kind viel herumgeturnt und ist daher agiler, aber nicht so gut mit Worten, weil er dabei öfter auf den Kopf gefallen ist? So sind unterschiedliche Spielstile möglich, die zum Ausprobieren und in weiterer Folge zum Wiederspielen anregen sollen. Außerdem kommt die Frage nach Kosten und Nutzen auf, wodurch automatisch abgewogen wird, ob eine Fähigkeit zum derzeitigen Stand und Spielstil hilfreich ist oder nicht.

Das kann ja kein Schwein lesen

Zusätzlich können Talente gegen Bares bei Lehrern vertieft werden. Diese in Stufen von „Anfänger“ bis „Meister“ eingeteilten Trainings verbessern etwa den Umgang mit Stangenwaffen oder die Lesefähigkeit und haben genauso Einfluss auf Quests (Achtung Spoiler). In einem Dialog hat es Heinrich aufgrund zu geringer Redefähigkeit nicht geschafft, seinem Gegenüber notwendige Informationen zu entlocken. Nun soll er in den Archiven einer Stadt danach suchen. Nachdem der Schreiber mittels einer Gelenksalbe bestochen wurde, gewährt dieser Zugriff zu den gewünschten Büchern.

Blöd nur: Unser Überlebenskünstler kann (noch) nicht lesen. Zum Glück willigt der Schreiber ein, die kryptischen Zeichen in für Heinrich verständliche Sprache umzuwandeln. Dies ist nicht nur ein gutes Beispiel für die Konsequenz, da anstatt lesen zu lernen die Kohle lieber für Schnaps ausgegeben wurde. Sondern gleichfalls dafür, dass die dichte und lebendige Atmosphäre durchaus misstrauisch machen können. Hat der Schreiber vielleicht etwas absichtlich falsch übersetzt? Allein dass dieser Gedanke auftaucht ist ein gutes Zeichen für die Authentizität. Schlussendlich hat er uns doch nicht belogen. Schade, ein zünftiges Fausttraining kann man nämlich immer brauchen.

Hals- und Beinbruch für den Prügelknaben

Auseinandersetzungen waren im Mittelalter wohl ohnehin meist unvermeidbar. Mit hoher Redekunstfertigkeit kann sich unser Held in Kingdom Come: Deliverance oft rausreden. Oft, aber nicht immer. Die Kämpfe erinnern dabei sehr an Chivalry: Modern Warfare. Mittels Maus wird der Schlagwinkel sowie die Art des Angriffs bestimmt. Zu simplen Hieben und Stichen gesellen sich noch erlernbare Kombinationen, Finten und gute Beinarbeit hinzu. Dies funktioniert in Duellen auch passabel, sobald es aber zu Massenkämpfen kommt, mündet die Auseinandersetzung in einer einzigen Fummelei. Hierbei ist vor allem der Fokus- bzw. Zielwechsel ein Ärgernis, da er bei mehr als einem Gegner Präzision vermissen lässt.

So seyed gegrüßt, werte Simulation

Zudem lässt der Simulationsgedanke hier ebenso grüßen. Gut gepanzerten Opponenten ist es egal, ob ihre Rüstung einen Schwertstreich abbekommt, Eisen kennt ja keinen Schmerz. Da stärkere Gegner aber sehr gut abblocken, ausweichen und kontern können, sind Konzentration, Kompetenz und ein wenig Glück notwendig, um zu triumphieren. Gemeine Ganoven sind vergleichsweise einfacher zu besiegen, während spezielle Gegner unbesiegbar wirken. Eine Serie aus perfekten Blocks, Kontern und Ausweichbewegungen frustrieren mit der Zeit, da die Möglichkeiten, selbst etwas besser zu machen, sehr gering erscheinen. Als Alternative winkt natürlich der Bogen, aber wie ein aufgescheuchtes Huhn herum zu hampeln und unserem gut gepanzertem Gegenüber 5 Pfeile zu verpassen funktioniert nicht immer, und Distanzen sind schnell überbrückt. Das Zielen ohne Fadenkreuz will übrigens gut trainiert werden, spätestens bei der Hasenjagd verhungert Heinrich sonst stehenden Fußes.

Ohne Zweifel sorgt ein gewonnener Zweikampf für ein gutes Gefühl, öfters artet er aber mehr in Arbeit denn in Spaß aus. Darüber hinaus sollte der Hauptakteur bei länger andauernden Konflikten doppelt auf der Hut sein. Wer in einer Auseinandersetzung, die vor allem bei mehreren Teilnehmern länger dauern kann, gleich zu Beginn eine blutende Wunde abbekommt, kann diese erst verbinden, wenn sich Heinrich nicht mehr im Kampf befindet. Folgt noch ein guter Treffer gehen die Lichter aus, da ein Wiederherstellen der Lebenspunkte während des Disputs nicht möglich ist. Die Grenzen zwischen Spielspaß und Einflüssen aus dem wahren Leben bietet definitiv noch viel Spielraum für Anpassungen.

Bitte einen Zahn zulegen

Wie es scheinbar der aktuelle Spiele-Zeitgeist gebietet, ist Kingdom Come: Deliverance zu Release alles andere als bugfrei. Viele, insgesamt eher kleinere Fehler, summieren sich wiederholt zu regelmäßigen Frustmomenten. Etwa wenn in größeren Kämpfen mitten im Schwung oder Schuss die Frames plötzlich auf einen pro Sekunde fallen, oder der Ton in Zwischensequenzen durch Abwesenheit glänzt oder die Sequenz gar ganz abbricht. Was Schade ist, denn abgesehen von der fehlenden Lippensynchronisation ist die deutsche Lokalisierung in Ordnung, die namhaften Synchronsprecher verrichten ebenso gute Arbeit. Ab und an kam es vor, dass Quests nicht richtig gestartet werden konnten, was das unfreie Speichern noch schwerer wiegen lässt. Und wenn ein fremder Wirt in einem erstmals betretenen Dorf unseren Helden mit „Hallo Heinrich“ begrüßt, dann scheint uns unser Ruf wohl vorauszueilen, immerhin sind wir das erste Mal in der Gegend. Zwar liest sich das nicht schwer, und schwere Bugs gab es tatsächlich während der Kampagne nie, aber jeder Ragequit beginnt mit einem Bug-Tropfen.

Auch die Technik ist keineswegs frei von Kritik. Die verwendete CryEngine sorgt zwar für durchaus ansprechende Aus- und Ansichten. Die Licht- und/bzw. Schatteneffekte sind hübsch, die Weitsicht toll. Trotzdem haut das Gesamtwerk den Wichter & Co-Verwöhnten Zocker nicht vom Hocker. Dafür sind vor allem die diversen Objekte zu grob und die Charaktere nicht realistisch genug modelliert. Gerade deswegen fällt der wohl vor allem mangelnder Optimierung zu Grunde liegende, große Hardware-Hunger des Games besonders negativ auf. Um hier alle der wirklich zahlreichen Optionsregler auf „ultra hoch“ schrauben zu können, muss ein echtes Biest von einem Rechner – idealerweise mit mindestens zwei High-End-Grafikkarten – unterm Tisch stehen.

FAZIT – PC-Version

Ärgerlich sind die zahlreichen Bugs, die zu Release eines Spiels eigentlich nicht sein dürfen, allemal. Zwar erfordern sie in den seltensten Fällen ein Laden des letzten Spielstandes, aber im falschen Moment kann einen so ein Problemchen zur Weißglut treiben. Andere Themen wie Speicher- oder Kampfsystem können individuell bewertet werden. Doch hoffentlich bessert Warhorse Studios hier selbst nach und baut nicht auf die Mod-Community, die schon so manchem Spiel ein längeres Leben verschafft hat.

Kingdom Come: Deliverance liefert im Kern eine solide Mischung aus Spiel und Simulation, in die gerne eingetaucht und Zeit verbracht wird. Nicht nur, dass diese Nische in den letzten Jahren selten bedient wurde, auch das Werk selbst ist in Sachen Authentizität durchaus bemerkenswert. Wer also versteht, dass dies kein RPG a la Skyrim ist, dafür aber Geduld, Wille zur Einarbeitung und ein Auge fürs Detail mitbringt, kann über einen Kauf nachdenken. Oder zumindest zugreifen sobald die ersten Patches eingetrudelt sind. Wenn dieser fehlerbehaftete Hase noch ein klein wenig im Patch-Pfeffer schmort mausert sich Kingdom Come: Deliverance einem astreinen Nischentitel, der nicht dezidierte Mittelalter-Fans gleichermaßen ansprechen kann. Dafür leg ich Heinrichs Hand ins Feuer.

Analyse & Fazit – Konsolenversionen

Johannes Posch

Explizit für die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Versionen – also PC, Xbox One und Playstation 4 – durfte auch ich mir Kingdom Come: Deliverance ansehen. Um genau zu sein kam dafür eine Standard-PS4 und Xbox One, eine Playstation 4 Pro und natürlich auch ein PC zum Einsatz. Und grundsätzlich gibt es bei den Konsolenversionen rein technisch wenig zu meckern. Die Framerate ist überall stabil, die Optik gut und so manch Ärgernis mit Grafikbugs wie zumindest ich sie am PC vorgefunden habe, bleiben auf den Konsolenversionen aus.

Im direkten Vergleich wird die stabile Performance auf der Xbox One mit den höchsten Abstrichen bei der Optik erkauft. In Relation zur PS4-Version wirkt sie etwas pixeliger, rechnet intern offensichtlich mit niedrigerer Auflösung. Der Wechsel zur PS4 Pro bringt gerade in Sachen Schärfe einen großen Sprung nach vorn (die Xbox One X dürfte hier gleichauf liegen), ist sonst aber nicht weiter optimiert. Damit bleibt die Grafikkrone mit großem Abstand der PC-Version übrig. Hier machen sich die höheren Settings auch durch bei den Konsolenversionen komplett fehlende Details wie in Schlammwege gedrückte Holzplanken oder andere Feinheiten bemerkbar. Die machen die Welt aber nur einen Tick lebendiger und gehen einem nicht ab, wenn man nicht weiß dass sie an sich da sein könnten – Konsolenspieler können also beruhigt sein.

Auch, da auch die Steuerung mit den beiden Controllern gut funktioniert … aber auch mit ihnen keineswegs perfekt ist. Das Kampfsystem mit manuell zu wählender Schlagrichtung ist auch hier gewöhnungsbedürftig, die Navigation durch die sehr komplexen Menüs ebenso und auch die Tatsache, dass man durch Drücken der Kreis- bzw. B-Taste sprintet, wodurch man sich währenddessen nicht mehr umsehen kann.

Dem Spielspaß an sich tut aber auch das alles keinen Abbruch. Unterm Strich sei also gesagt, dass Kingdom Come: Deliverance auch auf der PS4 und Xbox One ein mal so richtig „anderes“ Spielerlebnis mit interessantem Simulations-Anstrich ist. Sicherlich kein Spiel, bei dem man mal eben so eine halbe Stunde zum Abschalten reinzockt oder sich von Story und Co. berieseln lassen kann, aber eine richtig herausfordernde Mittelalter-Erfahrung … die aber auch auf den Konsolen noch ein wenig „Patch-Liebe“ in Sachen Balancing gebrauchen könnte.

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Was ist Kingdom Come:Deliverance? Ein an historische Fakten angelehntes Singleplayer-Rollenspiel im Mittelalter-Szenario mit guter aber hardwarehungriger Grafik.
Plattformen: PC, PS4, Xbox One
Getestet: Version 1.2 auf PC Intel Core i5-4590, 8GB RAM, GeForce GTX 960
Entwickler / Publisher: Warhorse Studios / Deep Silver
Release: 13. Februar 2018
LinkOffizielle Webseite

Gesamtwertung: 7.2

Einzelwertungen: Grafik: 8 | Sound: 6 | Handling: 6 | Spieldesign: 8 | Motivation: 8

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