Last Train Home im Test

Zugfahrten dauern manchmal länger als geplant. Diese hier dauerte ein paar Monate länger. Mit Last Train Home hat THQ eine spannende Mischung aus Team-Management, Zugsimulation und Echtzeitstrategie für den PC auf den Markt gebracht. Entwickelt wurde es vom tschechischen Studio Ashborne Games aus Brünn, nahe bei der österreichischen Grenze.

Im Zuge von Kriegen kommt es immer wieder zu seltsamen Ereignissen. Die Situation der tschechoslowakischen Legion nach dem Ausscheiden Russlands aus dem ersten Weltkrieg war so eine Situation.  Sie bestand aus Freiwilligenverbänden von Auslandstschechen, vor allem jedoch aus Überläufern und Kriegsgefangenen aus den Reihen der k. u. k. Armee. Die Legion hat auf der Seite des Zarenreiches gegen die Habsburger-Monarchie gekämpft, mit dem Versprechen nach dem Sieg von Russland Unterstützung bei der Gründung eines selbstständigen Staates zu erhalten. Dummerweise ist das Zarenreich jedoch noch vor Ende des Weltkrieges selbst implodiert und aus dem Krieg ausgeschieden. Die rund 50.000 Soldaten der Legion waren nun in Russland und konnten nicht auf direkten Weg in ihre Heimat zurück kehren. In Russland selbst ist kurz darauf ein brutaler und mehrjähriger Bürgerkrieg ausgebrochen, in dem sich die Roten und die Weißen gegenseitig umgebracht haben. Die Legion wollte hier keine Partei ergreifen, sondern nur das Land Richtung Heimat verlassen.

Wer sich für die realen Ereignisse interessiert, dem kann ich nur das Buch Dreams of a Small Nation von Kevin J. McNamara ans Herz legen. Wer ein spannendes Zug/Team-Management-Spiel mit ein wenig Echtzeitstrategie und einer fiktionalen Geschichte basierend auf den tatsächlichen Ereignissen spielen will, ist jedoch bei Last Train Home richtig.

Wenn einer eine Reise tut…

Ihr wollt von der russischen Westgrenze nach Prag reisen… eigentlich nicht weit, nur ein paar hundert Kilometer. Dummerweise gibt es dafür aber gerade keine Zugtickets. Nunja, fahren wir halt über Wladiwostok (Ost-Sibirien, in der Nähe von Korea) und dann mit dem Schiff über den Pazifischen und Atlantischen Ozean zurück. Auf so eine Reiseplanung würde nicht einmal meine Frau kommen, aber genau das ist damals tatsächlich passiert. Das wir mit 50.000 Soldaten viele tausende Kilometer durch das rückständige, klimatisch extreme Sibirien mitten während einem gnadenlosen Bürgerkrieg fahren, verschärft die Lage noch ein wenig.

Naja, ein Abenteuerurlaub eben, würde meine Frau sagen.

Unsere Einheit

Ihr kontrolliert nicht die ganze Legion, sondern nur eine winzige Einheit. Anfangs habt ihr rund 15 Mann zur Verfügung. Dies wird in der Geschichte so erklärt, dass ihr nur die letzten Nachzügler der Legion seid. Der „letzte Zug“ eben. Dementsprechend findet ihr auf eurer Reise auch immer wieder versprengte weitere Soldaten, die sich euch anschließen. Bereits in der ersten Mission könnt ihr bis zu drei weitere Soldaten finden. Stirbt ein Mann, ist er permanent tot. Verletzt sich ein Mann, beeinträchtigt dies seine Moral und vor allem Leistungsfähigkeit. Ihr solltet ihn also schonen und am besten im Ambulanzwaggon einquartieren. Hoffentlich ist euer Arzt (ihr habt doch einen?) ausgeruht und verfügt über ausreichend Heilmittel. Wenn eure Einheit unter sechs Mann schrumpft, habt ihr das Spiel verloren. Ebenso, wenn die Moral eurer Einheit zu dramatisch absinkt. Die Simulation eurer einzelnen Soldaten ist extrem detailliert. Vielleicht sogar ein wenig zu detailliert, denn ihr müsst wirklich viele Dinge analysieren und beachten. Jeder eurer Soldaten hat einen eigenen Namen. Jeder eurer Soldaten hat Werte für Gesundheit, Moral und Ausdauer. Dazu hat er verschiedene Charakterzüge, positiv oder negativ. Dieb, Monarchist, guter Fischer, usw… Jeder Soldat hat einen militärischen Rang (es gibt nur 7 davon), jeder Soldat kann zu einer Tages- und einer Nachtschicht im Zug eingeteilt werden. Eure Soldaten haben bestimmte berufliche Fähigkeiten (Arzt, Aufklärer, Infanterist, Maschinengewehrschütze, Koch, usw., wobei gute Leute auch viele dieser Rollen lernen können), jeder verfügt über eine eigene Waffe, jeder hat eigene Spezial-Fähigkeiten für den Echtzeitteil des Spieles (Maschinengewehr aufbauen, Gegend mit dem Fernglas auskundschaften, Sturmangriff mit dem Bajonett, Einheiten verarzten, Granate werfen usw…), jeder verfügt über fünf verschiedene Attribute (Fitness, Geschicklichkeit, Intelligenz, Willensstärke und Charisma).

Ihr müsst Einheiten zusammenstellen, die dann auf Missionen außerhalb des Zuges geschickt werden. Dabei gibt es natürlich die oben genannten Punkte zu beachten, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Manche der (optionalen) Missionen spielen einfach auf der Übersichtskarte und werden mit Texten inklusive Wahlmöglichkeiten (Multiple-Choice) abgehandelt, andere führen zu Echtzeitstrategiemissionen. Außerdem müssen natürlich viele eurer Leute im Zug arbeiten, und wer auf eine Mission geschickt wird, nachdem er gerade eine Nachtschicht als Kohleschaufler gearbeitet hat, findet das nicht so witzig. Ihr könnt einzelne Soldaten auch auf halbe Rationen setzen oder ihnen gar jede Nahrung untersagen. In Sibirien wird es dann saukalt, womit Erfrierungen ein Thema werden. Ihr könnt die Heizung in einzelnen Waggons unterschiedlich regulieren. Ihr seht, das Ganze ist ziemlich komplex. Wer keinen Spaß mit diesen Teammanagement-Details hat, wird daran verzweifeln.

Die Vertonung der Gespräche im Spiel ist in einer authentischen Fassung erfolgt. Die Leute sprechen auf tschechisch, slowakisch und russisch. Untertitel sind natürlich verfügbar, aber auch eine deutsche oder englische Sprachausgabe kann ausgewählt werden. Nicht authentisch, aber besser verständlich.

Unser Zug

Der Zug besteht aus der Lokomotive und mehreren unterschiedlichen Waggons. Während des Spieles können weitere Waggons hinzugefügt werden (oder die Lok verbessert werden). Anfangs haben wir einen Mannschaftstransportwagen, einen gepanzerten Kanonenwagen (inklusive Maschingengewehren), einen Sanitätswagen und einen Waggon zur Lagerung unserer Vorräte. Weitere Wagen beinhalten beispielsweise eine Küche oder eine Werkstatt, um neue Dinge herzustellen. An Vorräten benötigen wir die unterschiedlichsten Dinge – natürlich Nahrung für die Soldaten, natürlich Treibstoff für den Zug, Geld um am Weg Dinge einzukaufen, Holz für Reparaturen, Metall, Stoffe, Kräuter und Schießpulver. Dazu gibt es eine Unmenge an fertigen Verbrauchsgütern, von diversen Waffen über verschiedene Munitionsarten, medizinischen Geräten, unterschiedlichen Nahrungsvorräten bis hin zum lebenswichtigen Vodka.

Der Zug fährt entlang der Schienen in Richtung Osten, zurück fahren geht nicht. Das Spiel läuft auch auf der zoombaren Übersichtskarte in Echtzeit ab, die Zeit kann beschleunigt ebenso wie vollständig pausiert werden. Wir können stehen bleiben, mit normaler Geschwindigkeit fahren oder mit Vollgas fahren, was natürlich unterschiedliche Ressourcen benötigt. Waggons werden defekt und müssen gewartet werden. Jede Position im Zug sollte von einem unserer Soldaten besetzt werden, mit einer Tag- und einer Nachtschicht. Oder auch nicht, aber ohne zugeteilte Crew können wir die Kanonen beispielsweise bei einer Mission nicht als externe Unterstützung anfordern. Ihr seht, auch das Management des Zuges bzw. der im Zug mitgeführten Ressourcen ist höchst detailliert.

Die Herausforderung in Last Train Home besteht nicht so sehr in den Echtzeitmissionen, sondern vor allem im Ressourcenmanagement. Ihr findet neue Soldaten, müsst sie aber zurück lassen weil im Zug kein Platz mehr ist. Eure Einheit besteht nur mehr aus Verletzten, aber ihr habt keinen Sanitätswagen, Arzt oder Medikamente. Eurer Zug steht still, weil ihr keinen Treibstoff mehr habt. Eure Leute erfrieren in euren Waggons ohne Heizung. Eure Leute verhungern, weil nichts zum Essen da ist. Ihr habt kein Geld, um neue Waggons, ärztliche Leistungen oder sonstige Ressourcen zu kaufen, nicht einmal zum Handeln sind mehr Waren vorhanden… Ich finde es genial, aber manchmal wünsche ich mir doch ein wenig das vergleichsweise primitive Management aus Transarctica (Silmarils, 1992), einem vergleichbaren Zugmanagementspiel aus meiner Jugend, zurück.

Echtzeitstrategie

Die einzelnen Missionen spielen sich wie ein typisches Echtzeitstrategiespiel. Oder besser: Echtzeittaktikspiel, denn ihr könnt keine neuen Einheiten kaufen oder bauen (aber immer wieder neue Einheiten finden, um diese zu requirieren). Ihr steuert jeden eurer Soldaten einzeln. Jeder hat seine eigenen Werte, Waffen, Spezialfähigkeiten. Die Grafik ist sehr detailliert, in alle Richtungen drehbar, zoombar, mit einer Übersichtskarte. An diversen Stellen (oft ein wenig abseits der einfachsten Route) können Ressourcen eingesammelt werden oder strategische Punkte eingenommen werden, beispielsweise Aussichtstürme um weiter zu sehen. Ihr eliminiert Feinde mit dem Messer lautlos von hinten, werft Handgranaten in Feindansammlungen oder lockt ganze Gruppen von Feinden in sorgfältig vorbereitete Feuerbereiche eurer zuvor aufgebauten Maschinengewehre. Zwischensequenzen während der Missionen sorgen für Abwechslung, manchmal müsst ihr auch Multiple-Choice Entscheidungen treffen. Fahrzeuge sind kaum vorhanden, zumindest nicht auf eurer Seite. Artillerieunterstützung könnt ihr manchmal von eurem Zug aus anfordern, oder ihr erobert feindliche Kanonen (die ihr aber nicht bewegen könnt). Auch Stellungen mit schweren Maschinengewehren können übernommen werden. Während der Mission bekommt ihr immer wieder kleine Aufgaben, die bei Erfolg zu Erfahrungspunkten führen, womit ihr nach der Mission einzelne Soldaten befördern könnt, um sie zu verbessern oder gar neue Klassen freizuschalten. Am Ende der Mission wird jede einzelne verbrauchte Kugel (!) oder sonstige benutzte Ausrüstung abgerechnet und die neu gefundenen (und unverbrauchten) Ressourcen in euren Zug gebracht.

Generell werdet ihr bei Last Train Home keine Massenschlachten spielen, sondern sehr story-lastige Missionen mit nur wenigen Soldaten (euer Team hat kaum mehr als 10 Soldaten, oft auch weniger) absolvieren. Das Leben jedes Soldaten zählt! Wobei… tote Soldaten benötigen keine Nahrung mehr.

Zusammenfassung

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