Marvel´s Spider-Man im Test

Als Insomniac Games auf der E3 2016 ankündigte, an einem Spider-Man Titel zu arbeiten, gingen Vorfreude und Skepsis bei mir Hand in Hand. Einerseits erschien es mir positiv, dass mit Insomniac Games ein Studio gefunden wurde, welches bereits mit Spielen wie Ratchet & Clank Erfahrung mit guter Action und launigem Humor sammeln konnte, andererseits hegte ich auch schwere Zweifel, ob es möglich wäre, dem Wandkrabbler ein würdiges Denkmal im Gaming-Bereich zu setzen. Kann mich das neueste Abenteuer der freundlichen Spinne von nebenan vom Gegenteil überzeugen?

Spider-Man, Spider-Man …

Spider-Man alias Peter Parker wurde von Marvel-Legende Stan Lee und dem Comic-Zeichner Steve Ditko erschaffen. Seinen ersten Auftritt hatte er im August 1962 in der 15. Ausgabe von Amazing Fantasy. Seither hat die netzschwingende Quasselstrippe bereits mehr Inkarnationen in der Film-, Gaming- und Comic-Kultur hervorgebracht als Stan Lee Cameos zählt. Insgesamt durften wir daher schon ganze drei Mal die frühen Lehrjahre Spideys auf der großen Leinwand sehen. Gut, dass sich Insomniac Games für einen anderen Lebensabschnitt des Spinnenmannes entschieden hat.

In Marvel´s Spider-Man treffen wir auf einen Peter Parker, welcher mit seinen 23 Jahren bereits voll im Erwachsenenleben steht. Acht Jahre sind seit jenem verhängnisvollen Spinnenbiss und der Erkenntnis, dass auf große Kraft auch große Verantwortung folgt, vergangen und Peter hat erfolgreich einige der bekannten Fixpunkte seiner Lore hinter sich gebracht. So versauern Electro, Scorpion, der Geier und Rihno zu Beginn des Spieles bereits seit einiger Zeit im Gefängnis. Spider-Man genießt bei der Bevölkerung einen etwas gespaltenen Ruf: Während die einen seinen selbstlosen Einsatz für New York schätzen und ihn als eine Art Maskottchen feiern, sehen die anderen in ihm einen rücksichtslosen Randalierer, der nur zum Jux halb Manhattan kurz und klein schlägt. An dieser unfairen wie falschen Sichtweise trägt vor allem eine Person die Hauptschuld: J. Jonah Jameson. Der ehemalige Herausgeber des Daily Bugle moderiert mittlerweile die erfolgreiche Radio-Talkshow „Just the Facts“. Hauptthema: natürlich die Spinne in Turnleggings. Fakten sind im Übrigen auch bei Jameson eine Frage der Auslegung, und so diffamiert er Spider-Man, wo er nur kann.

Peter nimmt das Mobbing durch den cholerischen Moderator gelassen hin, hat er doch ganz andere Probleme: Wie schon zu High-School-Zeiten ist es für Parker nicht ganz so einfach, das Leben als Privatperson und sein Treiben als Superheld unter einem Hut zu bringen. Gibt er der einen Seite Vorzug, leidet die andere unweigerlich darunter. So kommt er kontinuierlich zu spät zur Arbeit im Labor von Doktor Otto Octavius, dessen liebster – und einziger – Assistent er ist. Peters Entscheidung für den idealistischen, brillanten, doch leider kommerziell komplett erfolglosen Dr. Octavius zu arbeiten, bringt unglücklicherweise auch die Tatsache mit sich, dass Peter chronisch pleite ist und daher seine Miete nicht zahlen kann. Jüngstes Opfer seines Doppellebens ist zudem die Beziehung mit Mary Jane. Die hübsche Journalistin hat sich von unserem Helden getrennt, da sie es nicht mehr ertragen konnte, Peter laufend in Gefahr zu wissen. Als ob das alles dann nicht schon genug wäre, zieht am Horizont auch noch eine neue Bedrohung für die Stadt auf: Mr. Negative.

… does whatever a Spider can!

Marvel´s Spider- Man hat viele Stärken, die größte ist in meinen Augen allerdings seine Geschichte. Die Art und Weise, wie Insomniac Games bekannte und geliebte Figuren neu interpretiert, fand ich äußerst gelungen. So ist MJ kein Supermodel oder eine aufstrebende Schauspielerin, sondern eine toughe Journalistin, welche die Gefahr nicht scheut. So etwas wie die Jungfrau in Nöten kennt diese MJ vermutlich nur aus Märchenbüchern. Und dann wären da noch Dr. Octavius, ein herzensguter Mensch, der sein Genie für seine Ideale einsetzt, dabei, aber immer wieder übersehen wird, sowie Norman Osborn, der Bürgermeister von New York, der zwar immer noch skrupellos beim Erreichen seiner Ziele ist, jedoch sehr unter dem Verlust seiner verstorbenen Frau leidet.

Der Plot selbst ist ebenfalls sehr gut geschrieben. Wie bereits erwähnt, sehen wir hier einen Spidey, der schon seine Erfolge feiern konnte. Dadurch wirkt er selbstbewusst, vielleicht auch ein wenig überheblich. Fakt ist allerdings, dass jene Superschurken, mit denen Peter es bisher zu tun hatte, nicht mehr als Übungsmaterial waren. Kenner der Comics dürfte auffallen, dass die drei bekanntesten und vermutlich auch gefährlichsten Gegenspieler des Wandkrabblers zum Zeitpunkt des Geschehens von Marvel´s Spider-Man noch nicht existieren. Das heißt, dass die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft seine größten Herausforderungen und Schicksalsschläge möglicherweise noch vor sich hat. Mit diesem Wissen bekommt man manchmal schon ein seltsames Gefühl im Bauch, wenn Spidey etwas zu locker in Konfrontationen geht.

Apropos Bösewichte! Mr. Negative, alias Martin Li, mag zwar in den Comics ein Schurke der zweiten bis dritten Reihe sein, doch als Hauptantagonist für Marvel´s Spider-Man ist er hervorragend geschrieben. Er hat klar nachvollziehbare Motive und seine Taten als Mr. Negative stehen im krassen Gegensatz zu seinem Handeln als Martin Li – dieser ist nämlich eigentlich ein überzeugter Philanthrop. In Kombination ergibt das eine herrlich zerrissene Figur, die man mit Spannung verfolgt.

Besser gut geklaut als schlecht erfunden

Beim Gamplay orientiert sich Marvel´s Spider-Man ganz klar an einem großen Vorbild: der Arkham-Reihe von Rocksteady. So übernimmt Insomniac Games Elemente wie das Kampfsystem aus den Abenteuern der Fledermaus. Ähnlich wie Batman kämpft sich Spidey in einem Free-Flow-System durch seine Gegner, das heißt, wir teilen mit der Vierecktaste saftig Schläge aus, während wir mit Kreis feindlichen Angriffen ausweichen und bei richtigem Timing kontern. Mit jedem Treffer, den wir landen, ohne selbst getroffen zu werden, wird unser Kombozähler in die Höhe getrieben. Mit dem Erreichen eines bestimmten Kombostandes lassen sich brachiale Finisher aktivieren. Dadurch kann man selbst stärkere Gegner umgehend aus den Socken hebeln. Peters Kampfstil unterscheidet sich insofern von dem des dunklen Ritters, dass er sich erstens wesentlich geschmeidiger bewegt, zweitens erheblich weniger Schaden einstecken kann als die Fledermaus, und drittens seine Umgebung besser in den Kampf einbindet. So können wir bösen Buben Gullydeckel an den Kopf werfen, ganze Arbeitsgerüste über sie zusammenbrechen lassen, oder wir kleben sie mit einem der zahlreichen Gadgets einfach an der Wand fest.

Die Story-Missionen in Marvel´s Spider-Man sind toll und abwechslungsreich gestaltet. So zerschlagen wir Verbrechernetzwerke, holen Hubschrauber vom Himmel und retten Geiseln das Leben. Dabei bleibt uns meist die Wahl, ob wir eine Mission mit einer harten Handkante lösen wollen oder vielleicht doch eher den Sneaky Pete bevorzugen. Die Vorgangsweise ändert nichts am Endergebnis, allerdings ist es ein schönes Gefühl, seinen eigenen Stil zu finden. Gelegentlich schlüpfen wir auch in die Haut von Nebencharakteren. Diese Abschnitte fühlen sich spielerisch etwas austauschbar an, fügen der Geschichte jedoch ein paar interessante Perspektiven hinzu. Besonders gelungen fand ich das Pacing. So wechselt sich brachial inszenierte Hollywood Action – welche manchmal von unaufdringlichen Quick Time Events unterstrichen wird – mit ruhigen Charaktermomenten ab. Dadurch entsteht ein sehr toller Spannungsbogen, der uns bis zum Schluss fesselt und neugierig auf die nächste Storysequenz macht.

Als nicht ganz so gelungen empfand ich die Nebenaufgaben, welche Marvel´s Spider-Man in seiner Open World bietet. Es gilt, Verbrecherneste auszuheben, Wahrzeichen zu fotografieren, Tauben einzufangen oder Untersuchungen für den Umweltschutz im Namen von Harry Osborn zu unternehmen – richtig begeistern konnte mich von diesen Quests jedoch kaum eine. Sie fühlten sich zu sehr nach Fleißaufgaben an. Mir ist wichtig, dass ein Auftrag mir etwas über die Spielwelt erzählt; da nehme ich dann gerne auch stumpfes Abklappern von Fixpunkten auf der Map in Kauf. Die einzige Sammelquest, die mich mit etwas Background versorgte, war allerdigns jene rund um Peters vergessene Rucksäcke. Die wurden dann auch mit Begeisterung gesammelt.

Spektakuläres Schwingen durch ein wunderschönes New York

Marvel´s Spider-Man ist zweifelsohne das aktuell schönste Game auf der PS4. Die Mimik der Hauptfiguren ist atemberaubend. Insomniac Games schafft es wirklich, allein durch Blicke zu erzählen, was sich im Inneren seiner Protagonisten abspielt. Eine Tatsache, welche die ohnehin schon sehr cineastische Inszenierung noch einmal zusätzlich unterstreicht.

New York ist wohl eine der schönsten Städte, die je in einem Computerspiel inszeniert wurden. Das liegt nicht nur an der beeindruckenden Weitsicht, den unzähligen Wasserlacken (ja, es gibt sie!) oder den belebten Straßen. Nein, es sind Dinge wie die Tatsache, dass sich hinter den Fenstern, auf die man als Wandkrabbler unweigerlich klatscht, richtige Räume befinden, geschmückt mit diversen liebevollen Details. Da hätte es sich Insomniac Games wesentlich leichter machen können – schön zu sehen, mit welcher Leidenschaft das Team Marvel´s Spider-Man entwickelt hat. Da kann ich auch damit leben, dass sich manche Bürger sehr ähnlich sehen; Im Grunde fällt das aber kaum auf. Ich will mich durch die Straßen schwingen, nicht mit Passanten essen gehen.

Das Schwingen macht über 90% eurer Fortbewegung aus. Zum Glück! Denn was Insomniac Games mit ihrer Schwungmechanik gelungen ist, ist kaum zu glauben. Zum einen ist sie so stylisch in Szene gesetzt, dass selbst so manche Kinoinkarnation Spider-Mans grün vor Neid wird, zum anderen, geht sie dank der genialen Steuerung so intuitiv von der Hand, dass wir schon nach kurzer Übungszeit so gekonnt und elegant durch Häuserschluchten schwingen und gleiten, dass man meinen könnte, wir hätten nie etwas anderes gemacht. Ähnlich wie in den Assassin’s Creed-Spielen findet Peter mit Betätigung der R1-Taste automatisch den besten Weg über Wände hinweg durch die Gebäudekluften. Wenn dann auch der epische Soundtrack erklingt – der mich übrigens frappierend an den Score von Danny Elfman erinnert – gibt es für mich keine Zweifel mehr: ICH BIN SPIDER-MAN!

Fazit

Ist Insomniac Games mit Marvel´s Spider-Man das bester Spidey-Game ever gelungen? Verdammt, JA! Sei es das Storytelling oder die Inszenierung mit liebenswerte Charaktere, einem spannenden Antagonisten und bewegend-tragische Momenten, die nicht nur durch plumpe Gags aufgelöst werden – Spider-Man bringt, alles was ich mir von einem Spiel mit dieser Lizenz wünsche. Ja, ich schiele dabei auf dich, Marvel Cinematic Universe! Sowohl die Neuinterpretation der Figuren als auch die Tatsache, dass wir einen Spidey sehen, der bereits seit acht Jahren aktiv ist, finde ich sehr gelungen. Marvel´s Spider-Man stiehlt sein Gameplay fast schon dreist beim Bruder im Geiste – Arkham Asylum. Das ist,aber halb so schlimm, da es jene Elemente mit genug eigenen Ideen ausbaut. Dadurch bekommt Altbekanntes neuen Wind und macht immer noch unheimlich Spaß. So toll die ca. 20 Stunden lange Story mit ihren abwechslungsreichen Missionen auch ist, so lahm und Monoton sind die Nebenaufgaben. Das simple Abklappern von Punkten auf der Map, ohne sinnvollen Grund, trägt nicht gerade zur Motivation bei. Klar, bei Abschluss bekomme ich Marken, mit denen der Anzug verbessert werden kann, aber Begeisterungsstürme bleiben da bei mir leider aus. Umso mehr begeistern konnte mich dafür die tolle Schwungmechanik. Also wenn ihr schon immer mal wissen wolltet, wie es ist, die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft zu sein, dann solltet ihr bei Marvel´s Spider-Man unbedingt zuschlagen!

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Was ist Marvel’s Spider-Man? Das unumstritten beste Spiel rund um die Abenteuer der freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft
Plattformen: PS4
Getestet: Retail-Version
Entwickler / Publisher: Insomniac Games / Sony
Release: 7. September 2018
LinkOffizielle Webseite

Gesamtwertung: 9.2

Einzelwertungen: Grafik: 10 | Sound: 10 | Handling: 10 | Spieldesign: 8 | Motivation: 8

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