Men of War II im Test

Obwohl das eigene Land gerade in einem höchst realen Krieg mit dem russischen Nachbarn ums Überleben kämpft, hat der ukrainische Entwickler Best Way nun nach einer längeren Pause den nächsten Teil der seit 20 Jahren laufenden Men of War-Serie herausgebracht. Handelt es sich dabei um die neue Echtzeitstrategiereferenz für Spiele aus dem zweiten Weltkrieg?

Ich bin ein riesen Fan von (so halbwegs) realistischen Echtzeitstrategiespielen, die im zweiten Weltkrieg (oder danach) handeln. Dementsprechend habe ich sie alle gespielt, Serien wie Sudden Strike, Wargame, Company of Heroes, Panzers, Close Combat, Theatre of War, Blitzkrieg oder Combat Mission haben mich unzählige Stunden vor den Rechner gefesselt, RUSE ist eines meiner all-time Lieblingsspiele. Hier ordnet sich auch die Men of War Reihe ein. Bereits im Jahr 2004 ist mit Soldiers: Heroes of World War II das erste Spiel der Reihe von Best Way herausgekommen, 2006 kam dann Faces of War und im Jahr 2009 das erste Men of War. Alle verwenden die selbe Engine, die aber kontinuierlich weiter entwickelt wurde. Danach kam Men of War: Red Tide, Men of War: Vietnam, Men of War: Assault Squad, Men of War: Condemned Heroes und schließlich das bereits vor allem für den Mehrspielermodus entwickelte Men of War: Assault Squad 2 im Jahr 2014 – übrigens am 15. Mai, also genau vor 10 Jahren. Abgesehen von DLCs (z.B. der mäßige Origins DLC, ein Remake des ersten Teiles) ist es seit dem um die Serie ruhig geworden, das erbärmliche Men of War: Assault Squad 2 – Cold War solltet ihr nach Möglichkeit ignorieren. Ich bin daher extrem neugierig, ob Men of War II an die Stärken der älteren Spiele anknüpfen kann. Wirklich vergleichbare Spiele gibt es wenig. Die Combat Mission Serie betont den überaus hohen Realismus, allerdings ist sie grafisch und technisch veraltet und die Benutzerführung ist eine mittlere Katastrophe. Das selbe gilt auch für die Spiele von Graviteam – eher ein Geheimtipp als wirklich empfehlenswerte moderne Games.

Men of War II ist überaus ambitioniert. Extremer Realismus – jede Kugel wird simuliert, ein gigantisches Arsenal an historischen Waffen (Infanterie, Artillerie, Fahrzeuge, Flugzeuge… nur Schiffe fehlen) steht zur Verfügung, es gibt unzählige Handlungsoptionen für jede Einheit, Ost- und Westfront, Einzelspieler-Kampagnen und Spielmodi, diverse Mehrspieler-Modi, eine zeitgemäße Grafik, intelligente Bots… quasi die eierlegende Wollmilchsau der Echtzeitstrategiespiele aus dem zweiten Weltkrieg. Mal sehen, ob das der Wahrheit entspricht und wie es sich so spielt.

Einzel- und Mehrspieler

Men of War II könnt ihr sowohl alleine als auch im Mehrspielermodus angehen. Das Kernstück des Einzelspielmodus sind die drei jeweils sechs (recht lange) Missionen dauernden Kampagnen. In der ersten Kampagne spielt ihr einen russischen Offizier zu Beginn des Krieges im Osten – die Wehrmacht ist gerade einmarschiert und fügt den Russen enorme Verluste zu. Könnt ihr den Vormarsch der Nazis verlangsamen? Die zweite Kampagne springt mehrere Jahre an die Westfront – hier spielt ihr einen Amerikaner während der Schlacht um Falaise, bei der der durchaus noch schlagkräftigen Wehrmacht mit ihren überlegenen Panzern massive Verluste zugefügt wurden. Und die dritte Kampagne ist schließlich komplett ungewöhnlich – hier spielt ihr nämlich einen desillusionierten deutschen Unteroffizier, der auf dem Boden des Deutschen Reiches in einem aussichtslosen Kampf gegen die anrückenden Alliierten kämpft… obwohl er kein großer Freund des Nazi-Regimes ist.

Dazu gibt es auch zwei jeweils sieben Missionen langen dynamische Kampagnen. Einerseits spielt ihr die russische Offensive in Weißrussland, andererseits die Alliierte Offensive nach der Landung in der Normandie. Dazu gibt es noch mehrere Einzelmissionen ohne weiteren Kontext, dazu Mehrspielermissionen, die ihr gegen den Computergegner spielen könnt (Skirmish-Modus). Schließlich gibt es noch den Raid-Modus, eine dynamische Kampagne mit 16 Missionen gegen den Computer und schlussendlich den Conquest-Modus – hier spielt ihr auf einer Übersichtskarte ein rundenbasiertes 4X Strategiespiel. Insgesamt sollte das ordentlich Stoff für jeden Spieler bieten, der kein Interesse am Mehrspielermodus hat. Jede einzelne Mission aus dem Einzelspielermodus kann übrigens auch kooperativ mit bis zu vier Freunden (also insgesamt fünf Spielern) gespielt werden.

Viele von Euch wird Men of War II jedoch vor allem wegen des Mehrspielermodus interessieren. Und hier gibt es 25 verschiedene Karten mit ihren Terrains und Biomen (Schnee, Wüste, Land und Stadt), sowie die Möglichkeit, die Tageszeit und das Wetter in der Lobby zu wählen. Jede Karte wird je nach Anzahl der Spieler skaliert. Automatisches Matchmaking, bis zu 20 Spieler (!) – auch wenn der Fokus natürlich auf 1v1, 2v2 oder 3v3 Schlachten liegt. Drei große Setup-Möglichkeiten (Bataillons, Combined Arms, Classic) erlauben euch, die Multiplayer Gefechte an eure Wünsche anzupassen, wobei alleine für Bataillons nochmals acht verschiedenen Spielmodi zur Verfügung stehen. Der Kampf um die Kontrollpunkte kann sehr abwechslungsreich eingestellt werden, es gibt auch einen „nur Panzer“ Modus, in dem die Panzer eine höhere Sichtweite haben. Natürlich könnt ihr jeden dieser Modi auch gegen Computergegner spielen, wenn euch die lieber als echte Menschen sind.

Kein Casual Game

In Men of War II steuert ihr jeden Soldaten einzeln. Jeder Soldat hat seine eigene Ausrüstung. Also beispielsweise ein US Pionier, der eine Handfeuerwaffe (Thompson MP), Munition dafür, dazu eine Nebelgranate, ein Minensuchgerät, ein Verbandszeug, ein wenig Dynamit, ein Messer und eine Schaufel trägt. Basierend auf seiner Ausrüstung, der Situation und seiner Ausbildung kann er unterschiedliche Dinge machen. Im Falle des US Pioniers wäre das beispielsweise, das Dynamit zu werfen oder mit Fernzündung irgendwo zu platzieren, die Nebelgranate zu werfen, das Messer zu werfen, Sandsäcke aufzubauen, einen Schützengraben auszuheben oder zu vertiefen, ein Gebäude zu stürmen, mit der Maschinenpistole auf ein Ziel zu feuern, im Nahkampf anzugreifen, die Blickrichtung zu ändern, wie ein Irrer loszustürmen, das Inventar anderer Soldaten oder von Fahrzeugen/Geräten zu untersuchen um Gegenstände aufzunehmen oder abzugeben.

Ich rede hier von einem Soldaten, den ich beispielsweise vorgestellt habe. Andere Soldaten haben andere Ausrüstung und Fähigkeiten, und es hängt auch von der Umgebung ab, was ihr gerade tun könnt. Verletzte Soldaten verarzten, sich hinter Deckung verschanzen, sich hinlegen, sich in einem Gebäude verbergen. Ihr könnt jeden Soldaten auch auf unterschiedliches Gerät loslassen, also auf Kanonen oder Fahrzeuge. Dabei reicht im Regelfall ein Mann natürlich nicht, um ein Gerät zu bedienen. So eine Panzerabwehrkanone benötigt mehrere Mann, um ordentlich ballern/nachladen zu können oder bewegt zu werden. Ihr könnt sie auch von diversen Fahrzeugen (oder von Pferden) ziehen lassen. Auch ein Panzer braucht auch eine unterschiedlich starke Crew, um alle Möglichkeiten ausnützen zu können. Der Fahrer alleine kann nicht gleichzeitig fahren und die Hauptkanone bedienen und mit dem Maschinengewehr feuern…

Men of War II ist also komplex, es ist kein casual Echtzeitstrategiespiel. Eure Leute sind zwar nicht strohdumm und legen sich unter Beschuss zumindest auf den Boden, bevor sie das Feuer erwidern. Sie verarzten sich auch, wenn sie verletzt werden, aber sonst machen sie nur wenig ohne euren Befehl. Wenn ihr ihnen einen Feuerbefehl für eine Kanone gebt, ballern sie drauf los – egal ob da noch ein Fahrzeug (he, den Laster wollte ich noch verwenden…)  oder ein anderes natürliches Hindernis im Weg steht. Das klingt jetzt extrem spannend… aber das Spiel ist ein Echtzeitstrategiespiel. Und ihr steuert im Regelfall mehrere Soldaten und Gerätschaften. Und der Gegner steht nicht nur dämlich herum, sondern bewegt sich. Wenn ihr ein Problem mit Mikromanagement und Hektik habt, ist dieses Spiel nichts für euch. Es ist allerdings (im Einzelspielermodus) möglich, das Spiel zu pausieren, sich in Ruhe umzusehen und Befehle zu erteilen, die dann nach Beendigung der Pause ausgeführt werden. In vielen der Missionen kommen laufend neue Feinde nach, außerdem kämpfen oft computergesteuerte Soldaten auf eurer Seite. Die Intelligenz der computergesteuerten Soldaten ist nur mäßig, dafür ist aber ihre Tapferkeit todesverachtend. Manchmal stehen sie nur herum, bis sie erschossen werden, dann wieder stürmen sie ohne Rücksicht auf Verluste auf ein bestimmtes Ziel. Die Wegfindung der Einheiten ist übrigens bescheiden, vor allem wenn ihr größere Truppenverbände auf einmal bewegen wollt.

Chaotische Schlachten

Ihr habt jederzeit unzählige Optionen. Befehlt ihr einem Soldaten, sein Gewehr durchzuladen, oder soll er sich ein kleines Schützenloch graben und hineinlegen? Soll er Personenminen vergraben oder doch lieber ein Tarnnetz über die MG-Stellung aufspannen? Vielleicht einen Stacheldraht bei einer exponierten Flanke ausrollen oder doch lieber ein paar Sandsäcke füllen? Soll euer Panzer einen Meter nach vorne fahren, um ein besseres Schussfeld zu erhalten? Oder wollt ihr ihn höchstpersönlich steuern, mit der Kanone die gewünschte Munitionsart auswählen und selbst abfeuern? Der Detailgrad ist umwerfend. Aber hier liegt auch das Problem. Ihr steuert oft größere Einheiten mit vielen Soldaten, Fahrzeugen, Kanonen und Flugzeugen. Kein Mensch kann die alle gleichzeitig im Detail befehligen. Pausen zwischen den Gefechten sind oft kurz (bei den Missionen läuft oft ein Timer, bis der Gegner angreift), und die Gefechte sind schnell und brutal. Das liegt vor allem an den selbstmörderischen Gegnern, die bei ihren Angriffen brutal auf breiter Front auf eure Stellungen vorrücken. Während ich noch einen meiner im Gebüsch verschwundenen Soldaten (die Grafik ist detailliert, von allen Seiten anschaubar und zoombar) suche, um ihm ein neues Magazin und ein paar Handgranaten zu geben, bricht rund herum die Hölle los und die Frontlinie versinkt in Schreien, Explosionen, brennenden Panzern und sterbenden Soldaten. Bis ich meinen versteckten Soldaten gefunden habe, ist das Gefecht schon wieder vorbei und rund herum ist alles zerstört. Natürlich werdet ihr im Laufe des Spieles besser und schneller, was die Steuerung eurer Einheiten angeht, aber dieses Element des Zeitdruckes ist durchgehend relevant. Der Computer zögert nicht und knallt eure Männer schneller ab, als ihr schauen könnt.

Beispielsweise wollte ich mich an einen Panzer anschleichen und habe dazu meine Männer in ein neben dem Panzer stehendes Gebäude geschickt. Der Panzer hat in sekundenschnelle seinen Turm gedreht und das Gebäude pulverisiert. Er hat auch immer gemerkt, wenn sich meine Soldaten hinter dem Haus versteckt haben. Er feuert seine Hauptkanone auch auf 2 Meter Entfernung zum Ziel ohne zu zögern und ohne Angst sich selbst zu beschädigen ab. Come on, das Spiel soll doch realistisch sein? Men of War II läuft in Echtzeit, und ist kein rundenbasiertes Spiel. Der Computer sieht euch sofort, wenn ihr irgendwo irgendwie in seine Nähe kommt. Durch den hohen Detailgrad mit den vielen Handlungsoptionen für jede Einheit, in Kombination mit größeren Kampfformationen von dutzenden Einheiten, in Verbindung mit einer realistischen Grafik (Hügel, Häuser, Vegetation…) und relativ großen Karten wird das Ganze verdammt unübersichtlich und hektisch!

Echtzeit-Taktik? Handelt es sich bei Men of War II um ein Echtzeittaktik-Spiel? Als Grenze zwischen Echtzeitstrategie und Echtzeittaktik gilt vor allem die Möglichkeit, während des Spieles neue Einheiten zu kaufen oder gar in speziellen Fabriken/Kasernen zu produzieren. Produktionsgebäude gibt es in Men of War II nicht, aber es handelt sich dennoch um ein Echtzeitstrategiespiel, zumindest im Mehrspielerteil. Ihr könnt nämlich während des Spieles Nachschub anfordern, sofern ihr ausreichend CP habt. Das System ähnelt dem bei den Wargame Spielen von Eugen Systems verwendeten Nachschubsystem.

Neue Einheiten verstärken dann eure Armee, ebenso könnt ihr Treibstoff oder Munition bestellen, was dann in Tankfahrzeugen, LKWs oder auch nur per Trägern zu den gewünschten Positionen gebracht wird. Diese Positionen müssen sich auf dem von euch kontrollierten Gebiet befinden. Hier gilt die selbe Regel wie auch beim Verlegen von Minen oder dem Bauen von Verteidigungsanlagen – nur auf eurer Seite des Schlachtfeldes. Bei den Einzelspielermissionen geht das aber nicht in jeder Mission, hier gibt es oftmals keinen Nachschub, den ihr anfordern könnt. Oft bekommt ihr aber von befreundeten Einheiten (in gescripteten Sequenzen) Verstärkung. Oder aber es rücken zumindest ununterbrochen verbündete Einheiten nach, um den Gegner anzugreifen.

Technik

Die Anforderungen and die Grafikkarte sind überraschenderweise recht gering. Ich habe mir Men of War II während meines Urlaubes auf meinem altersschwachen Gaming-Laptop (Nvidia 850M GPU) angesehen, und es ist eigentlich ganz gut gelaufen. Nur der Online Modus war eine Qual, trotz der eigentlich guten Internetanbindung im Thermenhotel. Always online? Ja, ursprünglich schon, Best Way wollte ein Spiel machen, das eine kontinuierliche Online-Verbindung benötigt. Die Begründung dafür war wie so oft, um Cheaten unmöglich zu machen. Es gibt Boni, die im im Einzelspielermodus freigeschalten werden und im Mehrspielermous verwendet werden können. Davon, dass dies auch als Kopierschutz dient, steht in den Marketingmitteilungen natürlich nichts. Davon, dass jedes Spiel, das Online-Komponenten benötigt, irgendwann nicht mehr funktionieren wird, natürlich noch weniger.

Fakt ist es aber, dass jedes Online-Spiel irgendwann unspielbar ist, die Frage ist niemals ob, sondern immer nur wann. Hier hat Best Way aber nun zurückgerudert. Nachdem sich die Stimmen gemehrt haben, die davon nicht sonderlich begeistert waren hat Best Way nun die Entfernung dieses Kopierschutzes angekündigt. Ob das mit der kürzlichen Abschaltung von The Crew (RIP), einem ursprünglich recht guten Rennspiel von Ubisoft mit einem tollen Einzelspielermodus, zu tun hat? Anyway, die Entfernung der online-only Voraussetzung soll im Rahmen eines Patches zügig nach dem Release passieren, und Online soll wirklich nur mehr für online Spiele und Bestenlisten notwendig sein. Gott sei Dank wird der unnötige always online Modus also wieder entfernt!

Mein Ultrawide-Monitor wird vom Spiel super unterstützt. Ihr könnt während der Missionen jederzeit speichern. Das ist natürlich extrem hilfreich – ich spiele gerade auch das alte Ground Control (Sierra, 2000), wo das nicht möglich ist und ich nun mehrmals eine Mission nach einer Stunde Spielzeit wegen eines kleinen Fehlers meinerseits neu starten musste… Save-Scumming (wie beispielsweise bei Terminator: Dark Fate – Defiance) ist aber bei Men of War II nicht wirklich notwendig, wenn ihr Einheiten verliert, sind sie eben tot. Egal, solange ihr eure Missionsziele erreicht. In der nächsten Mission bekommt ihr neue Einheiten. Men of War II ist auf englisch, die Zwischensequenzen während der Missionen sind voll vertont. Die englische Übersetzung der Texte ist jedoch immer wieder ein wenig holprig, die Aussprache schlecht, man merkt dass die Entwickler/Sprecher eine andere Muttersprache haben. Mit einem komplexen Editor könnt ihr euch eure eigenen Szenarien bauen, Mods werden vom Hersteller offiziell unterstützt. Cloud-Speicherstände werden ebenfalls unterstützt. Erhältlich ist Men of War II auf Steam oder auch im Epic Store.

Zusammenfassung

Passende Beiträge

LEGO Horizon Adventures im Test

Couchmaster Cycon³ im Test

NVIDIA feiert das 20-jährige Jubiläum von Half-Life