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Mindlock – The Apartment im Test

„Hallo! Mein Name ist Guybrush Threepwood und ich möchte Pirat werden!“ – was steckt doch für ein unbändiger Enthusiasmus in diesen ersten Zeilen von Monkey Island. So prekär der Berufswunsch Pirat doch eigentlich ist, so ansteckend wirkte doch diese kindliche Sehnsucht der Hauptfigur. Das nun erschienene Point & Click-Adventure Mindlock – The Apartment ist zu diesem unbeschwerten Einstieg auf Mêlée Island der härtest mögliche Kontrast.

Wir lernen Protagonist Colin Walker zu Beginn seines Tages als eine Person kennen, die keinen Funken Freude für seinen Beruf oder gar sein Leben empfindet. Viel mehr sieht er sich in der ultimativen Sackgasse angekommen, welche sich Tag für Tag wiederholt. Colins herrschsüchtiger Vater hat ihn in einen faden Bürojob bei der Toaster & Toaster Corporation gedrängt, der so gar nicht zu den Stärken und Interessen des jungen Mannes passen will. Umso mehr ist Colin sein Dasein eine Last und er wickelt Tag um Tag mehr schlecht als recht ab. Einzige kleine Farbtupfer sind sein Hamster Sparky und das gelegentliche Kochen in seiner Küche. Auch optisch wird uns ein junger Mann präsentiert, der bleich, hager und gebückt durch seine Wohnung geistert.

Routine ist das ganze Leben

Man kann recht leicht herauslesen, dass wir es hier nicht mit einer unbeschwerten Heldenreise in die Karibik zu tun haben, sondern mit einem überaus düsteren und erwachsenen Spiel. Es liegt gerade in der ersten Stunde eine große Schwere in der Handlung – eine Stimmung, welche man als Spieler zweifelsohne aushalten muss. Das Spiel inszeniert gekonnt ein Leben, dass sich durch und durch falsch anfühlt und man sich berechtigterweise auch bange fragen muss: wo wird das noch enden? Begonnen hat alles mit dem Allround-Talent Rouven Schumacher aus dem Saarland. Nach ersten Erfahrungen mit der Erstellung eigener Comics, Musikvideos und kleiner Videospiele hat sich dieser mit der Firma Roof Cut Media selbstständig gemacht und quasi als Ein-Mann-Unternehmung innerhalb von zwei Jahren Mindlock – The Apartment entwickelt.

Nachdem wir Colin geholfen haben, sich mühevoll für den anstehenden Büroalltag zu rüsten, kommt eine weitere Tonalität hinzu, nämlich eine Verquickung aus Mystery- und Horrorelementen. Die Wohnungstür ist plötzlich verschwunden! Zeitgleich verändern sich die einzelnen Räume kontinuierlich und werden zunehmend absonderlicher. Ebenso erscheinen immer mal wieder unvermittelt unwirkliche Gestalten, welche sogleich auch wieder verschwinden. Seit mich als Kind der schlurfende Zombie-Pirat LeChuck am Ende von Monkey Island 2 zuverlässig zu Tode erschreckt hat (wem es genauso gegangen ist, möge gerne einen Kommentar hinterlassen), bin ich bei einem Adventure nicht mehr zusammengezuckt. Nun kam aber Mindlock – The Apartment, dem das Herauskitzeln dieser Reaktion in einer Szene mit Bravour gelungen ist.

Für Colin ist das Nahziel nunmehr, irgendwie einen Weg aus seiner Wohnung zu finden. Das Eingesperrtsein in den fünf Räumen wird aber zu keiner Zeit repetitiv oder eintönig. Zu gut versteht es der Schreiber, eine zum Schneiden dichte Atmosphäre zu erzeugen und diese mit einer nuancierten Geschichte zu verknüpfen. Jede noch so kleine Veränderung an der eigenen Realität erzeugt Spannung. Was hat sich verändert? Lag das schon zuvor auf dem Boden? Soll ich den Duschvorhang aufziehen?

Man wird aber ebenso in Umgebungen geworfen, die nichts mit den eigenen vier Wänden zu tun haben, für optische Abwechslung ist also durchaus gesorgt. Auch weil man des Öfteren in einen Erinnerungs- bzw. Planungsmodus überwechselt, welcher sich mit seiner bunten und skizzenhaften Comic-Grafik deutlich von der realistischeren Optik des restlichen Spiels abhebt.

Technisch einwandfrei

Die 2D-Grafik, welche über Visionaire Studio 5 umgesetzt worden ist, weiß sehr zu gefallen. Handlungsorte und Charaktere sind ungemein detailliert gezeichnet. Auch die Animationen sind aufwendig umgesetzt. Nahezu alle Aktionen der Figuren haben eine grafische Entsprechung, was für ein so kleines Projekt sensationell ist. Das Adventure läuft sehr stabil, bei der Technik und den Rätsellogiken sind mir keine Ungereimtheiten aufgefallen. Die deutschen Sprecherrollen sind rundum perfekt gecastet. In einer kleinen Rolle findet sich auch Monty Arnold, welcher bereits Rufus in der Deponia-Reihe seine Stimme geliehen hat. Die Musik weiß mit treibend düsteren und rockigen Stücken gleichfalls zu gefallen. Auch hier hat Rouven Schumacher selbst Hand angelegt. Es wurde gar ein eigenes Musikvideo ins Spiel integriert.

Wer hat an der Uhr gedreht…

Auch spielmechanisch funktioniert Mindlock – The Apartment gut und bietet bekannte Genrestandards – wenngleich es auch einzelne Aspekte gibt, die bei einem Point & Click-Adventure heutzutage besser gelöst werden könnten. Recht häufig sind kleine Minispiele zu absolvieren. Diese sind in der Regel schlüssig in die Geschichte integriert und fix gelöst. Es gibt dabei leider auch Ausreißer. So war für mich insbesondere die Reparatur einer Uhr viel zu kleinteilig und bremsend für die Handlung. Das Spiel gibt über Dialoge zwar zunehmend Hinweise auf die Rätsellösung, aber eine Möglichkeit des Überspringens wie auch eine integrierte Lösungshilfe hätte ich als überaus angenehm empfunden.

Manche Aufgaben setzen eine schnelle Abfolge von Aktionen voraus. Hier tritt zutage, dass die Steuerung ein wenig hakelig geraten ist. So öffnet sich das Inventar eher träge und für eine Interaktion muss der jeweilige Gegenstand per Drag & Drop auf das gewünscht Objekt gezogen werden. Dies gelingt nicht immer auf Anhieb und führt manches Mal dazu, dass Colin ein- oder zweimal mehr als nötig eine Handlung ausführen muss. Leider kann man immer nur einen Speicherstand nutzen. Mehrere Spielenden gibt es nicht, was es zwar weniger akut macht, zwischen Spielständen wechseln zu können, aber dennoch hätte ich gerne die Möglichkeit gehabt, besondere Situationen ohne nochmaliges Durchspielen erneut aufrufen zu können.
Kritisch könnte man noch ergänzen, dass das gängige Komfort-Feature der Schnellreise nicht implementiert worden ist. Ich gehe hier zugunsten der Entwickler aber davon aus, dass dies sogar ein Stilmittel sein kann, Colin bewusst auszubremsen und sein Dahinschleichen zu zelebrieren. Da man regelmäßig in kleinen Räumen ohne lange Laufwege unterwegs ist, habe ich diese Möglichkeit nie vermisst.

Für Genre-Fans wirklich nett: im Inventar darf ungeniert alles miteinander kombiniert werden. Man hat sich sichtlich Mühe gegeben, dass auch die exotischsten Versuche mit einem eigenen Kommentar versehen werden.

Hier tritt auch zutage, dass das Adventure durchaus Humor transportiert – und das gerne auch pechschwarz. Die Dialoge sind dabei so gut geschrieben, dass hier nichts erzwungen oder „out of character“ wirkt. Gerade Colin kommentiert oft trocken und unverblümt seine Situation. Die Gradwanderung, ihn dabei einerseits als einen Charakter darzustellen, der kontinuierlich über seine Umwelt schimpft und hadert, er dabei jedoch sympathisch genug bleibt, mit ihm über die circa 6 Stunden dauernde Spielzeit mitzuleiden, gelingt den Machern durch eine toll geschriebene Handlung. Diese stellt kluge Fragen, beschließt diese im Nachgang aber nie mit dem belehrenden Zeigefinger. Die Idee für das Spiel kam Rouven Schumacher während der COVID-19-Pandemie. Also in einer Zeit, in welcher viele Haustüren aufgrund des Lockdowns verschlossener als sonst gewesen sind und man verstärkt auf sich selbst und seine inneren Dämonen zurückgeworfen war.

Zusammenfassung

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