Observer im Kurztest

Das in Polen ansässige Entwicklungsstudio Blobber Team lieferte mit Layers of Fear eines meiner persönlichen Highlights 2016. Das fast schon als Kunstwerk anmutende Horror-Adventure erlaubte uns eine Reise in die Psyche eines schizophrenen Malers und bewies eindrucksvoll, dass Horror auch jenseits von Blutfontänen und Jumpscares funktionieren kann. Mit Observer liefern die Polen wieder einen Trip in die menschliche Psyche. Doch Observer ist trotz diverser unheimlicher Elemente kein Vertreter des Horror-Genres, sondern ein waschechter Cyberpunk-Thriller im Geiste eines Philip K. Dick.

Willkommen in Neo-Krakau

Krakau 2084. Die uns bekannten Gesellschaftsstrukturen, Regierungen und Werte sind nur mehr blasse Erinnerungen in den Köpfen Jener die nicht von der Grausamkeit des großen Krieges verschlungen wurden. Doch auch jene, die überlebten, fanden ihr Ende. Sie wurden Opfer einer virtuellen Seuche. Und so waren es ihre eigenen Implantate, welche sie letztendlich doch zu Grabe trugen. So blieb es einer kleinen Handvoll Menschen vorbehalten, mit anzusehen wie sich aus der Asche von Tod und Chaos CHIRON erhob. Ein übermächtiger Konzern, welcher sich (wie für das Cyberpunk-Genre typisch) in die Regierungsspitze hievte und kurzer Hand die fünfte polnische Republik ausrief. In der mutigen, neuen Welt von CHIRON herrscht ein strenges Klassensystem. Jene Menschen der Klasse A stehen über weite Teile über dem Gesetz. Klasse B bildet die neue Mittelschicht. Klasse C wird von Hunger, Leid und Armut gepeinigt.

Inmitten dieser Unterschicht findet sich der gealterte Polizist Daniel Lazarski (gesprochen und verkörpert von Blade Runner Legende Rutger Hauer) wieder. Er hat den Anruf seines tot geglaubten Sohnes in einen verfallenen Wohnkomplex zurückverfolgt. Noch ahnt er nicht, dass ihn diese Spur zu den tiefsten Abgründen des menschlichen Seins führen wird.

Der Observer

Auf der Suche nach der Wahrheit über seinen Sohn stehen Daniel Lazarski ein paar praktische Gadgets zur Verfügung. Denn Daniel ist ein Observer. Mitgliedern dieser Spezialeinheit der polnischen Polizei ist es möglich, sich per Implantat und Kabel in die Gedankenwelt seiner Mitmenschen zu Hacken. Eine Erfahrung die durchaus nützlich, aber auch zutiefst verstörend sein kann. Denn manche Gedanken sind einfach nicht für das Auge anderer Menschen bestimmt.

Fokus auf Ermittlung

Wer sich von Observer ein schnelles Action-Game erwartet, wird zwangsläufig enttäuscht. Denn im Fokus von Observer steht die Ermittlung. So erkundet ihr Tatorte mit einem an die Arkham Games von Rocksteady erinnerten Scanner. Dieser Scanner lässt sich dabei in zwei Modi umschalten: Tech und Bio. Im Tech-Modus werden interessante Gegenstände elektronischer Natur hervorgehoben. Der Bio-Modus macht Spuren biologischen Ursprungs in der Umgebung sichtbar. Das Gameplay wird dabei nie sonderlich kompliziert und variiert leider auch selten, erfüllt aber seinen Zweck. Auch lassen sich diverse Informationen von den Mietern innerhalb des Gebäudes erlangen. Diese Gespräche sind durchzogen mit Themen wie häusliche Gewalt, Drogensucht oder religiösem Fanatismus. Die Dialoge sind gut geschrieben und wurden von mir oft als abstrakt bis tief verstörend empfunden.

Im späteren Verlauf von Observer rückt das Erleben der Erinnerungen Anderer ins Zentrum. Diese Passagen haben mir sehr gut gefallen. Wie es mit Erinnerungen nun mal so ist sind diese oft mit der subjektiven Wahrnehmung des Besitzers verwoben und folgen selten einer klaren Struktur. Oft vermischen sich Diese mit anderen Erinnerungen, oder es weben sich Angstmomente des Besitzers in die Erinnerungen ein, welche nicht immer im Kontext dazu stehen.

Starke Atmosphäre

Atmosphärisch braucht sich Observer vor keiner Großproduktion zu verstecken. Die engen, vermüllten Gänge erzeugen ein angenehm unangenehmes Gefühl der Klaustrophobie. Die grellen neonfarbenen Lichter der Hologramme und Werbetafeln vermitteln permanent eine Stimmung der Unruhe. Die Erinnerungssequenzen sind toll designet und lassen in keiner Sekunde an der Kreativität der Entwickler zweifeln. Lobend erwähnt sollte an dieser Stelle auch Rutgar Hauer sein. Mit seiner markanten Stimme haucht er seinem Daniel Lazarsky sehr viel Leben ein und trägt damit erheblich zur tollen Atmosphäre bei. Im Allgemeinen finde ich es toll, dass er bei einer so kleinen Produktion mitmacht.

Solide Technik

Die Qualität der Grafik ist für einen kleineren Titel durchaus angemessen. So gibt es viele tolle Lichteffekte, und auch die Außenbereiche sind technisch toll umgesetzt. Man kann eventuell über teils sehr verwaschene Texturen, oder kleinere Grafikfehler meckern. Aber ich hätte sie nicht als immersions brechend empfunden. Die Steuerung von Observer ist mit Maus und Tastatur manchmal ein wenig sperrig, aber nach einer kleineren Eingewöhnungsphase hatte ich damit keine Probleme mehr. Der Sound ist sehr gut inszeniert. Die englischen Sprecher bewegen sich alle auf hohem Niveau, und auch der Score unterstreicht die beklemmende Atmosphäre zusätzlich.

FAZIT

Aus der Sicht des Gameplays vielleicht etwas mager, liefert Blobber Team mit Observer einen erzählerisch spannenden Cyberpunk-Thriller im Geiste alter Klassiker des Genres, wie „Träumen Androiden von elektronischen Schafen?“ oder „Neuromancer“. Die Story wusste mich bis zum Schluss zu fesseln. Die beklemmende Atmosphäre und teils verstörenden Erinnerungssequenzen hielten meinen Nerven zusätzlich gespannt. Auch sehr zu begeistern wusste Rutger Hauer als Daniel Lazarsky. Abschließend kann ich sagen, dass ich mit Observer und seinen fünf bis sechs Stunden Spielzeit meinen Spaß hatte. Actionliebhaber sollten jedoch einen weiten Bogen um Observer machen. Allen anderen wünsche ich viel Spaß bei ihrem Trip nach Neo-Krakau.

Gesamtwertung: 7.2

Einzelwertungen: Grafik: 8 | Sound: 8 | Handling: 6 | Spieldesign: 6 | Motivation: 8

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