Oninaki im Test

Was wäre, wenn der Tod nicht mehr länger das Ende wäre? Was, wenn die Welt mit Gewissheit wüsste, dass er nur ein Übergang in ein neues Leben ist? Dass Seelen, die sterben, in der Geisterwelt weiterleben und schließlich wiedergeboren werden können? Was, wenn wir die Möglichkeit hätten, unsere verstorbenen Geliebten dort wiederzusehen? Genau diesen Fragen stellt sich das neue Spiel von Tokyo RPG Factory, Oninaki, und entführt uns in eine Welt, die unser Verständnis von Leben und Tod vollkommen auf den Kopf stellt.

Zwischen Leben und Tod

In Oninaki schlüpft ihr in die Rolle von Kagachi, einem Wächter, dessen Aufgabe es ist, dafür zu sorgen, dass verstorbene Seelen ihren Weg ins Jenseits finden, um dort wiedergeboren zu werden. Hierfür hat er eine besondere Fähigkeit: Er kann zwischen der Welt der Lebenden und der Geisterwelt „hinter dem Schleier“ hin und her reisen, einer anderen Dimension, in der Verblichene, die durch die Trauer ihrer Freunde und Verwandten oder durch andere Dinge, im Diesseits gehalten werden, verweilen. Das Problem an der Sache: Verbleiben diese sogenannten Verlorenen zu lange als Geister im Diesseits, können sie zu Gefallenen werden, Monstern, die all ihren negativen Emotionen freien Lauf lassen und alles und jeden angreifen, der ihnen in die Quere kommt – vorzugsweise natürlich euch auf eurem Weg durch euer Abenteuer.

Mit Daemonen im Schlepptau

Wer bereits mit den beiden ersten Werken von Spieleschmiede Tokyo RPG Factory vertraut ist, der wird von Oninaki mitunter ein wenig überrascht sein: Die Story ist diesmal sehr episodisch aufgebaut und lässt uns sowie Charakter Kagachi mehr von einem Erlebnis ins nächste schlittern, anstatt eine dichte, fortlaufende Geschichte zu erzählen – auch wenn sich im Endeffekt alles in einem großen Story-Arc zusammenfügt –, und auch das Kampfsystem hat einen eindeutigen Wandel durchgemacht: Oninaki ist mehr Hack and Slay als Rollenspiel, vereint das muntere Melee-Fest allerdings geschickt mit Rollenspielelementen.

Die Hauptprämisse des Kampfsystems besteht somit darin, mithilfe von Daemonen – besonderen Verlorenen, die sich euch anschließen können –, diverse Kampffertigkeiten zu erwerben, dir ihr dann in Live-Gefechten mit den Gefallenen nutzen dürft. Jeder Dämon hat so unterschiedliche Fertigkeiten – von Buffs und Debuffs über diverse Nah- und Fernkampf-Skills bis hin zu passiven Abilities wie erhöhtem Schaden, sofern der entsprechende Dämon in eurer aktiven Party ist. Hierbei dürft ihr bis zu vier Dämonen gleichzeitig in den Dienst stellen und dann im Kampf direkt zwischen ihnen wechseln, um ihre speziellen Angriffe – ebenfalls bis zu vier gleichzeitig – zu nutzen.

Während ihr mit Daemonen im Schlepptau auf diverse Gegner in immer stärkeren Varianten einschlagt, baut ihr Affinität zum jeweils aktiven Verbündeten auf. Erreicht dieser eine bestimmte Marke, könnt ihr in einen Trance-Modus wechseln, in dem Angriffe mehr Schaden austeilen und ihr – je nach freigeschalteten Skills eures Begleiters – auch zusätzliche Effekte nutzen könnt. Apropos Skills eurer Begleiter: Diese sind in einem Skill-Tree angeordnet und können mithilfe von Steinen, die besiegte Gegner fallen lassen, freigeschaltet werden.

Ebenfalls im Skill-Tree findet ihr die Erinnerungen des jeweiligen Daemons. Diese kleinen Textpassagen samt Illustrationen und japanischem Vorleser geben euch mehr Infos zur Hintergrundgeschichte eurer Begleiter, was auf das Spielgeschehen zwar keinen Einfluss hat, aber der Welt und ihren Bewohnern zusätzliche Tiefe beschert.

Habt ihr im Skill-Tree genügend Fertigkeiten freigeschaltet, steigt der entsprechende Begleiter im Level und seine Fähigkeiten werden stärker. Und dann wären da noch die Boni der Kampffertigkeiten selbst: Nutzt ihr diese regelmäßig, können sie erwachen, was zusätzliche Effekte freischaltet. Im Skill-Tree dürft ihr dann noch bis zu vier davon pro Fertigkeit an diese anlegen. Klingt komplex? Ist es auch.

Wächter, Daemonenmeister, Waffenschmied

Wer meint, dass das Kampfsystem mit Daemonen und Co schon anspruchsvoll genug ist, dem sei gesagt, dass es sich damit noch nicht erledigt hat: Neben rund einem Dutzend Daemonen, die ihr so rekrutieren, mit Skills versorgen und aufleveln könnt, spielen nämlich auch eure Waffen eine entscheidende Rolle im Kampf.

Jeder Daemon kommt so mit seiner eigenen Waffengattung, also beispielsweise Schwertern, Äxten oder Ketten. Diese haben einen Stärkewert sowie ab und an auch Slots, in die ihr Schattensteine legen dürft. Letztere werde von Gegnern hinterlassen bzw. findet ihr sie in Schatztruhen in der Schleierwelt. Zu ihren Effekten zählen unter anderem erhöhter Schaden gegen bestimmte Gegnertypen, schnellere Affinitätssteigerung oder Resistenzen gegen Debuffs. Zusätzlich dürft ihr eure Waffen auch durch Verschmelzen mit weiteren solchen – egal welcher Art oder Gattung – upgraden, was ihren Stärkewert erhöht. Wie ihr seht, biete das Kampfsystem von Oninaki jede Menge Möglichkeiten.

Hinter dem Schleier

Nach so viel Erläuterung zum – beinahe schon ein wenig zu – umfangreichen Kampfsystem, ist natürlich auch noch interessant, wofür ihr all diese Skills überhaupt benötigt. Während des Spielerlebnisses reist ihr, wie bereits erwähnt, stets zwischen der Welt der Lebenden und der Welt hinter dem Schleier umher. Die Maps sehen dabei immer gleich aus, allerdings tauchen unterschiedliche Gegner auf und – besonders interessant – teilweise ist ein Weiterkommen auch nur in einer der beiden Dimensionen möglich.

In der Geisterwelt startet ihr dabei immer mit der sogenannten Schleierblindheit. Dies bedeutet, dass die gesamte Umgebung lichtlos erscheint und jeder Treffer von Gegnern tödlich endet. Um diese aufzuheben, müsst ihr in der Welt der Lebenden zunächst besondere Gegner finden und diese ausschalten. Reist ihr dann durch das nach ihrem Tod erscheinende Dimensionstor in die Schleierwelt, wird die Blindheit aufgehoben und ihr könnt euch daran machen, die Umgebung, inklusive neuer Gegner, auch hier zu erkunden. Zu finden gibt es dabei Schatzkisten, die nur in dieser Dimension sichtbar sind, sowie ab und an Wurmlöcher, die euch an anderer Stelle der Map wieder absetzen, die ihr in der Welt der Lebenden nicht erreichen konntet. Der Nachteil an dem Konzept: Ihr lauft im Grunde jede Map zwei Mal ab – zunächst in der Welt der Lebenden, um die Schleierblindheit aufzuheben, und dann nochmals in der Welt hinter dem Schleier, um alle Schatzkisten zu finden.

Verlorene Seelen

Neben der Main Story, die euch von der Hauptstadt und gleichzeitigen „Basis“ Deto in eine Region nach der anderen führt, könnt ihr als Nebenquests auch Verlorene ins Jenseits schicken. Hierzu müsst ihr mit diesen in der Geisterwelt sprechen und dann bestimmte Aufgaben erfüllen, die vom Besiegen ihrer Monsterform über das Auffinden von Gegenständen bis hin zum Begleitdienst zu noch Lebenden reichen. Die Aufgaben sind wenig anspruchsvoll und laufen im Endeffekt zumeist bloß auf ein erneutes Durchlaufen bereits durchgespielter Maps hinaus – in denen überdies keinerlei Indikator dafür angezeigt wird, wo genau die entsprechende Quest-Szene getriggert wird. Zumindest ein Marker, um unnötige Laufwege zu vermeiden, wäre hier nett gewesen. Immerhin sieht man die Verlorenen – anders als die Schatztruhen – aber auch von der Welt der Lebenden aus und muss dann nur noch an entsprechender Stelle durch den Schleier treten, um sie ansprechen zu können.

Schöner Tod

Während das Spielsystem von Oninaki ein wenig durchwachsen ist, kann der Titel zumindest in einem absolut glänzen: seiner audiovisuellen Präsentation. Die Welt der Lebenden präsentiert sich in kontrastreichen Farben und wurde mit viel Liebe zum Detail geschmückt, während die Schleierwelt mit ihren lumineszierenden Artefakten und Bewohnern mystisch-magischen Charme versprüht. Die Regionen selbst zeigen sich abwechslungsreich und auch das Gegnerdesign gefällt – auch wenn hier zu großen Teilen auf farbliche Variationen von Grundtypen gesetzt wird.

Ganz besonders hervor tut sich allerdings der Soundtrack: Die schönen Melodien verleihen dem Geschehen die genau richtige Atmosphäre und verlocken dazu, manchmal einfach ein paar Minuten zu lauschen, anstatt in der Story weiterzureisen. Die Sprachausgabe ist indessen ebenfalls gelungen, allerdings leider nur in Japanisch verfügbar, und so manche Zeile (Weltenwechsel!) wiederholt sich dann doch ein klein wenig zu oft für meinen Geschmack.

FAZIT

Nach Lost Sphere und I am Setsuna war ich auch auf das dritte Spiel von Tokyo RPG Factory gespannt und wurde dabei überrascht, aber keinesfalls enttäuscht: Oninaki bricht mit klassischen Rollenspielaspekten und liefert uns stattdessen ein Hack and Slay mit jeder Menge Rollenspielelementen, die alle in Kombination schon beinahe ein wenig überfordern – oder zumindest gar nicht alle genutzt werden können, sofern man das Spiel bloß durchspielen und sich nicht in endlosem Post-Game-Content verlieren möchte. Nachteil ist das aber kaum – immerhin kann so jeder selbst wählen, auf welche Aspekte er sich fokussieren und welchen Spielstil er wählen möchte. Ein wenig Kritik muss ich hingegen an der Story walten lassen: Die episodische Erzählweise an sich würde dem Spielspaß kaum etwas abtun, allerdings kommt hier zum einen die Charakterentwicklung etwas zu kurz, und zum anderen plätschern die Geschehnisse vor allem in der ersten Hälfte des Spiels ein wenig ziel- und sinnlos dahin. Der Weg ist das Ziel trifft auf Oninaki somit vollends zu. Besonders hervortun kann sich im Gegensatz dazu die audiovisuelle Präsentation des Titels: Sowohl die Grafik beider Welten wie auch, insbesondere, der Soundtrack gefallen auf voller Länge. Alles in allem ist Oninaki sicher nicht der beste der bisherigen Titel von Tokyo RPG Factory, aber dennoch ein solides Hack-and-Slay-Rollenspiel, das vor allem dann Spaß macht, wenn man statt auf tiefgehende Stories eher auf komplexes Gameplay Wert legt.

Was ist Oninaki? Komplexes Hack and Slay mit vielen Rollenspielelementen und einer Story rund um Leben, Tod und Wiedergeburt
Plattformen: PS4, Nintendo Switch, PC
Getestet: PS4-Version
Entwickler / Publisher: Tokyo RPG Factory / Square Enix
Release: 22. August 2019
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 8.8

Einzelwertungen: Grafik: 10 | Sound: 10 | Handling: 10 | Spieldesign: 6 | Motivation: 8

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