Der Herbst: Die Tage werden kürzer, die (Spiel)nächte länger. Onkel Tom hat wieder ein paar Tipps, die hoffentlich spielerische Farbe in den Alltag bringen, wenn es draußen nur mehr kalt und grau ist.
Revolution durch Kommunikation
Erwacht in einer Art Gruft und an der Oberfläche wartet eine turmartige Stadt voller Bewohner, die man nicht versteht: Willkommen in Chants of Sennaar, einem Puzzle-Adventure, in dem fast alle Puzzles daraus bestehen, die aus Symbolen und Glyphen bestehende Sprache & Schrift zu verstehen. Wir sind auch nicht die einzigen, die mit Kommunikationsschwierigkeiten zu kämpfen haben: Die unterschiedlichen Ebenen des Turms werden von unterschiedlichen Gruppen bewohnt, die jede ihre eigene Sprache und Schrift haben und sich schon lange voneinander abgeschottet haben. Dadurch ist auch das Verständnis der anderen Sprachen verloren gegangen und inzwischen beäugt man sich nur mehr misstrauisch und Kontakt geschweige denn Reisen zwischen den Ebenen gibt es nicht mehr. Doch den Turm plagen immer mehr Probleme, die nur durch Zusammenarbeit gelöst werden können …
Wenn Leute nicht mehr miteinander reden (können), dann kommt es irgendwann zu Missverständnissen und Konflikten – nicht nur im Spiel. In der Realität ist das Wiedererlernen des Miteinander-Redens leider deutlich komplexer, im Spiel stehen uns hingegen einige Hilfsmittel zur Verfügung. Wir können uns zu den einzelnen Symbolen / Glyphen Hinweise und vermutete Bedeutungen notieren, die beim Schweben über Texten, Beschriftungen und Dialogen auch eingeblendet werden. Wiederkehrende Gesten, Objekte und Personen skizziert sich unser Charakter zudem automatisch in ein Notizbuch. Sind wir uns sicher, dass wir die zugehörigen Symbole kennen, dann können wir versuchen sie zuzuordnen. Stimmen alle Zuordnungen auf einer Notizbuch-Doppelseite, dann wird diese quasi „aufgelöst“ und die offizielle Bedeutung des Wortes wandert in unseren Sprachsatz – bei Texten im Spiel dann auch optisch anders dargestellt.
Auf Grammatik muss man natürlich größtenteils verzichten. Deklinationen, Konjugationen, Zeitformen usw. wären – verständlicherweise – zu komplex. Aber zumindest unterschiedliche Arten von Verneinungen gibt es und auch wie man eine Mehrzahl bildet oder Sätze baut, unterscheidet sich von Sprache zu Sprache. Das stellt aber natürlich auch zusätzliche Herausforderungen dar. In minimalen Dosen mischt das Spiel dann auch noch andere Spielelemente ein – mal muss man schleichen, mal dürfen im Spielkontext analoge Versionen von Flappy Bird oder Whac-A-Mole gespielt werden usw. Insgesamt eine gelungene und ansprechende Mischung aus Adventure und Puzzle-Spiel, die man absolut empfehlen kann. Es gibt auch eine kostenlose Demo auf Steam, falls man seine linguistischen Fähigkeiten vorab testen möchte.
Am Boden der Tatsachen
Ein typischer amerikanischer Vorort Anfang der 1990er: Cartoons im Fernsehen, billiges Fastfood, Frieden und Beschaulichkeit soweit das Auge reicht. Die Idylle wird nur durch das Verschwinden einiger Teenage gestört, aber die werden schon wiederauftauchen. Das tun sie auch … in einem fremden Garten … geschrumpft auf die Größe einer Ameise.
Die Rollenspielspezialisten von Obisidian wagen mit Grounded einen – immer noch rollenspiellastigen – Vorstoß in das Survival-Genre. Die unterschiedlichen Bereiche des Gartens – Wiese, Hecke, Sandkasten, Fischteich usw. – fungieren als Biome und es warten unterschiedliche Ressourcen, Gegnern und Herausforderungen. Die sagen wir „Inspiration“ durch den Familienfilmklassiker „Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft“ ist nicht zu übersehen. Gleichzeitig schlägt die Geschichte aber auch immer wieder dunklere Untertöne an, es gibt düstere und bedrohliche Ecken des Gartens und auch der Schwierigkeitsgrad ist insgesamt durchaus fordernd. Also nicht unbedingt ein Kinderspiel (Achtung: Wortspiel …), auch wenn es vielleicht stellenweise danach aussieht.
Andere Survival-Titel mögen mehr Möglichkeiten beim Bauen und Kämpfen bieten und eine (noch) größere Welt haben. Aber manchen ist das dann schon wieder zu viel und Grounded liefert ein schönes Gesamtpaket ab, das über zahlreiche Spieltage im Garten gefallen kann.
Vor Prince of Persia war: Karateka
Spieleentwickler Jordan Mechner mag vielen nur durch Prince of Persia ein Begriff sein, doch schon einige Jahre davor, während er noch studierte, veröffentlichte er ein in vielerlei Hinsicht revolutionäres Spiel: Karateka. Als titelgebender Karateka (= jemand, der Karate betreibt) kämpfen wir uns durch die Burg des Schurken Akuma, der unsere geliebte Prinzessin Mariko entführt hat. Mechner erschuf dabei ein – für die damalige Zeit versteht sich – bahnbrechendes Spiel, das fast schon eine cineastische Erfahrung war. Dank des Einsatzes von Rotoskopie (das Erzeugen von Animationen indem man Video-Einzelbilder abzeichnet) bot es außerdem ungewohnt realistische und flüssige Kampfanimationen.
Entwickler wie Publisher haben schon länger erkannt, dass sich auch mit älteren Titeln und Marken Geld machen lässt. Gefühlt vergeht kein Monat in dem nicht zumindest ein Remake oder Remaster eines Klassikers erscheint. Manche davon sind gut, manche weniger – Konami ist bei seiner sehnsüchtig erwarteten Metal Gear Solid: Master Collection Vol. I zum Beispiel leider sehr lieblos vorgegangen. Digital Eclipse zeigt in Zusammenarbeit mit Jordan Mechner hingegen, wie man es richtig macht:
Nicht nur einfach ein altes Spiel, das in einen Emulator gepackt wurde. The Making of Karateka ist eine interaktive Dokumentation, eine Zeitreise in die Anfänge der Videospielentwicklung voller interessanter Anekdoten, Erfolge aber auch Rückschläge. Alte Fotos, Video und Skizzen erlauben, gepaart mit neu produzierten Interviews unerwartet tiefe und persönliche Einblicke. Dazwischen spielt man verschiedene Versionen von Mechners ersten Spielen, wie zum Beispiel das nie veröffentlichte Deathbounce, aber natürlich auch Karateka selbst: vom ersten Prototyp bis zur finalen Version, sowie unterschiedlichen Portierungen für spätere Systeme. Liebe Publisher, liebe Entwickler: So und nicht anders sollte die Konservation des digitalen Kulturguts Computerspiel öfters aussehen!