Onkel Toms Spiele für den Winter – 2023/24 Edition

Der fast schon sommerliche Herbst und das milde Jahresende macht es fast vergessen: Kalendarisch hat der Winter gerade erst angefangen! Auch wenn die Tage endlich wieder länger werden, wird es noch etwas dauern, bis man wieder draußen unterwegs sein mag. Darum ein paar hoffentlich aufmunternde Spieletipps gegen allfälligen Winterblues …

Truman trifft Big Brother

Arcadia in Amerika ist eine Stadt der 70er-Jahre. Ganz so, wie sie besonders konservative Amerikaner in Erinnerung haben: Sauber, sicher und alles und jeder hat seinen Platz und folgt geregelten Abläufen. Trevor Hills lebt hier schon sein ganzes unauffälliges und ereignisloses Leben, hat einen belanglosen Bürojob und ist mit seinem Lot eigentlich auch recht zufrieden. Das ändert sich, als eine mysteriöse Person zu ihm Kontakt aufnimmt: Trevor muss erfahren, dass sein Leben, sein Job, ja selbst die Stadt in der er wohnt alles nur Show ist. Und zwar Amerikas erfolgreichste Fernseh-Show: American Arcadia. Sieben Tage die Woche und 24 Stunden täglich beobachten unzählige Kameras das Leben der größtenteils ahnungslosen Bevölkerung.  Jeder Einwohner und jede Einwohnerin hat dabei ein Ranking, entsprechender seiner/ihrer Beliebtheit und „Einschaltquote“. Und ganz, ganz unten in diesem Ranking findet sich ein gewisser Trevor Hills. Zwar waren andere noch hinter ihm gereiht, doch diese sind seltsamerweise und im wahrsten Sinne des Wortes von der Bildfläche verschwunden. Trevors neuer Kontakt, der Kovacs genannt werden möchte, vermutet das schlimmste und möchte ihm helfen. Doch die Agenten der Produktionsfirma sind bereits auf der Jagd …

Auch das Gameplay greift die Idee eines (Spiel)Films auf und macht die Spielenden in gewisser Weise zu Zusehern: Aus unterschiedlichsten Kamera-Perspektiven steuern und beobachten wir Trevors Flucht. Größtenteils ein klassischer Plattformer sind auch gelegentliche, wenn auch nicht sehr anspruchsvolle Rätsel eingebaut. Auch hier bleibt man der Grundidee treu und übernimmt meist die Rolle von Kovacs und spielt quasi Regisseur. Dank gehackter Studiosysteme können wir unter anderem viele Lampen, Rolltore und Lifte steuern und unseren Flüchtling so unterstützen.

Die Truman-Show hat schon Ende der 90er die dystopische Vision eines verfilmten Lebens auf die Leinwand gebracht. Eigentlich überraschend, dass diese Grundidee nicht früher zu einem Spiel gemacht wurde. Das Gameplay ist zwar weder anspruchsvoll noch besonders komplex, aber als mehr oder weniger interaktiver Film weiß American Arcadia wirklich zu gefallen und sticht aus der Masse auf jeden Fall hervor. Sehens- und spielenswert!

American Arcadia auf Steam

Die Roboter haben zu tief gegraben …

Unter dem SteamWorld-Brand sind in den letzten Jahren einige wirklich gute Titel erschienen. Stets dreht es sich um eine Rasse von dampfbetriebenen Robotern in einem postapokalyptischen Universum. Dabei hat man auch schon die unterschiedlichsten Genres ausprobiert: SteamWorld Dig & SteamWorld Dig 2 sind zwei ausgezeichnete Plattformer nach der klassischen Metroidvania-Rezeptur. SteamWorld Heist ist ein solider rundenbasierter Strategietitel und SteamWorld Quest: Hand of Gilgamech ein durchaus unterhaltsamer Deckbuilder mit Rollenspielelementen. Mit SteamWorld Build folgt jetzt der erste extern entwickelte, aber nicht weniger spannende Genre-Ausflug: eine Mischung aus Städtebau-Simulation und Dungeon-Crawler.

Zeitlich parallel mit SteamWorld Dig 2 angesiedelt soll zur Hintergrundgeschichte nur soviel gespoilert werden: Der Heimatplanet unserer dampfbetriebenen Blechfreunde steht kurz vor dem endgültigen Kollaps. Also nichts wie weg und das so schnell wie möglich. Leider ist die dafür nötige Technologie längst verloren gegangen und irgendwo in den Tiefen des instabilen Planeten begraben. Wie praktisch, dass eine von uns angeführte Gruppe eine lädierte KI findet, welche weiß, wo man graben sollte …

So sieht man sich mit dualen Aufgaben konfrontiert: Einerseits eine stillgelegte Mine wieder in Betrieb nehmen. Graben, noch mehr graben, Ressourcen abbauen, Hindernisse beseitigen und Einstürze verhindern. Andererseits gilt es unsere Arbeiter auch zu versorgen. Also errichten wir rund um den Minenschacht eine oberirdische Stadt.

Anfangs genügen ein paar einfache Behausungen und die Versorgung mit Dingen des täglichen Roboterbedarfs. In größeren Tiefen stoßen wir dann aber auf Herausforderungen technischer und kämpferischer Natur, die nur von Spezialisten gelöst werden können. Diese müssen ausgebildet werden und haben höhere Ansprüche an ihre Unterbringung, ihre Umgebung und womit sie gerne versorgt werden möchten. Und bezahlen sollte das Ganze auch noch jemand. Also ist es nicht verkehrt mit entsprechenden Luxus-Einrichtungen ein paar neureiche Bots in unsere Stadt zu locken, die mit ihrem Steuergeld für die Finanzierung sorgen.

Unserer kleinen Roboterstadt beim Wachsen zuzusehen ist eine Freude und unsere beiden Aufgabengebiete sind gut aufeinander abgestimmt und ausbalanciert. Man ist auf jeden Fall einige unterhaltsame, aber nie übermäßig stressige Stunden beschäftigt, bis man den Story-Teil des Spiels erstmalig abgeschlossen hat. Theoretisch warten dann noch andere Karten, Belohnungen in Form spezieller Bonusgebäude und auch am Schwierigkeitsgrad kann man natürlich drehen. Man hat zu diesem Zeitpunkt aber meist schon raus, wie man seine Stadt anlegen muss und Warenkreisläufe optimieren sollte. Weitere Durchspielrunden werden daher vielleicht erst nach einem halben oder ganzen Jahr Pause wirklich interessant.

SteamWorld Build auf Steam

Puzzelnde Roboter-Philosophen

Wie kreativvielfältig kleinere Entwicklerstudios sein können, stellt auch das in Zagreb ansässige Croteam unter Beweis. Auf der einen Seite bekannt für die unterhaltsamen aber doch eher brachialen Serious Sam-Shooter lieferte man 2014 mit The Talos Principle einen anspruchsvollen Puzzle-Plattformer ab, der gemeinsam mit Portal immer noch als Genre-Primus gilt. Im November folgte jetzt endlich The Talos Principle II und stellt uns vor neue Herausforderungen und alte philosophische Probleme.

Des Spielers graue Zellen werden nämlich nicht nur von immer komplexeren Puzzles stimuliert, auch Fragen über das Menschsein, den Sinn des Lebens und die (nötigen?) Grenzen des Fortschritts kommen nicht zu kurz. Schon der erste Teil ließ viel Raum für Interpretation, Hinterfragen und Philosophieren. Aber nicht alle wussten vor allem letzteres zu schätzen und so wichtig und interessant viele der gestellten moralischen, ethischen und existenziellen Fragen auch sind, die Präsentation in Form von (teils langen) Texten auf verstreuten Computer-Terminals ließ doch zu wünschen übrig. Das hat man dieses Mal deutlich entschärft und es gibt mehr Interaktions- und Dialogmöglichkeiten, welche beim Verdauen der teils schwer im Magen liegenden philosophischen „Brocken“ helfen.

Einen Teil des Charmes wirklich guter Puzzle-Plattformer macht aus, dass die verwendeten Gameplay-Mechaniken bzw. vom Spieler verwendbaren „Werkzeuge“ für sich genommen eigentlich recht simpel sind. Die Herausforderung entsteht erst durch Ort, Zeitpunkt, Reihenfolge usw. ihrer Verwendung. Die etablierten Mechaniken aus dem ersten Teil wurden auch größtenteils übernommen: man leitet also wieder farbige Energiestrahlen um, betätigt und blockiert Schalter, (de)aktiviert Energiefelder und nutzt übergroße Ventilatoren um sich oder Gegenstände zu bewegen. Nach und nach werden allerdings auch neue Gameplay-Elemente eingeführt. Unter anderem mit Energiestrahl-Invertern und -Kombinierern, Teleportern und sogar Portal-Tunnlern wird für Abwechslung gesorgt und es werden stimulierende neue Lösungskonzepte ermöglicht.

Was die umfangreich Hintergrundgeschichte betrifft wäre fast alles ein potentieller Spoiler, vor allem für jene, die den ersten Teil noch nicht oder nicht fertig gespielt haben. An dieser Stelle daher nur die absolute Empfehlung genau das gegebenenfalls VOR dem Spielen von The Talos Principle II nachzuholen. Es lohnt sich beide gespielt zu haben.

The Talos Principle 2 auf Steam

Terraforming für Anfänger

Wie es halt so ist: Ein kleines juristisches Missverständnis – vielleicht den CEO eines gewissen Raumfahrunternehmens kritisiert? – und schon sitzt man ohne Rückflug-Ticket in einer Raumkapsel Richtung eines unerforschten Planeten. Eine eventuelle Rückkehr gibt es erst, wenn man als namensgebender Planet Crafter den lebensfeindlichen, dafür aber sehr rohstoffreichen Planeten mittels Terraformings für die Kolonialisierung und industrielle Ausbeutung vorbereitet hat.

Man startet also in einer kleinen Kapsel: draußen eine karge Fels- und Wüstenlandschaft, drinnen gerade genug Nahrungsmittel für die erste Spielstunde und sonst so gut wie keine Ressourcen. Wenigstens ein praktisches Multitool wurde uns spendiert mit dem die Rohstoffe des Planeten abgebaut und zum Bau erster Gerätschaften verwendet werden können.

Man sammelt also erste Rohstoffe und konstruiert sinnvollerweise zuerst ein Wohnmodul als zentrale Basis. In der Umgebung beginnt man dann mit dem Bau der für das Terraforming benötigten Infrastruktur: Windräder und Solarpanele zur Energieerzeugung; Hitzegeneratoren erhöhen die Außentemperatur; Bohrer um den Druck der Atmosphäre zu erhöhen, Sauerstoffgeneratoren, damit diese auch atembar wird usw. Das Spiel bewertet jede dieser Kategorien sowie den globalen Terraforming-Index und belohnt Fortschritte mit zusätzlichen Plänen für neue und/oder bessere Gerätschaften, Gebäude und Gadgets.

Diese Upgrades sind auch dringend nötig, denn gerade anfangs sind die Längen unserer Ausflüge durch unseren Sauerstoffvorrat sehr beschränk. Mittelfristig muss man zudem für eine stabile Versorgung mit Nahrung und Wasser sorgen. Dieser anfänglich recht stressige Überlebenskampf verliert aber mit der Zeit an Schärfe: Größere Sauerstofftanks ermöglichen immer längere Exkursionen, mit Fortschreiten des (unrealistisch schnellen) Terraformings finden wir irgendwann Wasser, bauen unsere eigenen Lebensmittel an und können irgendwann sogar ganz ohne Hilfsmittel atmen.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird The Planet Crafter fast richtig gemütlich. Wir beobachten den ersten Regenfall, sehen Seen entstehen und den Himmel langsam blau werden. Erste Pflanzen beleben die trostlose Landschaft und mittels DNA-Splicings beginnen wir sogar für erstes tierisches Leben zu sorgen. Später schicken wir sogar eigene Raketen auf die Reise und können – wenn wir möchten – ein interplanetares Handelsnetzwerk aufziehen.

Offiziell noch im Early Access will man diesen im Laufe des Jahres verlassen, sobald man die Fauna um Säugetiere und das Spiel selbst um einen kooperativen Multiplayer-Modus ergänzt hat. Schon jetzt bietet der Titel aber sehr viel Inhalt und ein schönes – wenn auch sehr unrealistisches – Spielerlebnis für ambitionierte Weltraumkolonisten.

The Planet Crafter auf Steam

 

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