Onkel Toms Spielecke #22: April 2016

Vive Vive Vive, Vive. Vive Vive? Vive Vive Vive! (Wer den Hinweis nicht verstanden hat: Onkel Toms Spielecke dreht sich diesen Monat um ein ziemlich singuläres Thema…)

Dank Vorbestellungsfiasko & Co. bin ich wahrlich nicht einer der Ersten, der seinen Senf zu HTC Vive abgeben darf. Darum – und weil ich in diesem persönlichen Blog sowieso mache, was mir passt – will ich niemanden mit technischen Details langweilen und auch über die drei (wirklich sehr netten!) Spiele, die jeder Vive-Käufer aktuell als Draufgabe bekommt (Job Simulator, Fantastic Contraption und Tilt Brush) wurde wirklich schon genug berichtet. Stattdessen ein paar persönliche Eindrücke, ein paar exotischere Spieltitel und natürlich jede Menge Geschwafel aus meiner digitalen Feder.

Es kann nur eine(n) geben

Die Fairness verlangt, dass ich vielleicht noch einmal kurz erkläre, warum ich schon so lange auf die Vive fixiert war (und bin) bzw. die Lösungen von Sony (Playstation VR) und Facebook (Oculus Rift) überhaupt nicht am Radar hatte und habe. Dazu muss ich kurz etwas ausholen: Ich gehöre zu den 5-15% der Weltbevölkerung, die mit den inzwischen allgegenwärtigen 3D-Filmproduktionen ein Problem haben. Ich leide – abgesehen von ganz normaler Kurzsichtigkeit – eigentlich unter keiner angeborenen oder erworbenen Sehbeeinträchtigung, aber (Kino)filme in 3D sind mir leider trotzdem „unangenehm“ – egal ob mit Shutter- oder Polarisations-Brille. Der 3D-Effekt wirkt für mich irgendwie falsch und – im Falle von Shutter-Lösungen – flattrig. Zusätzlich wirkt auch nur leichtes Streulicht von der Seite ungemein lästig und wenn ich aus irgendwelchen Gründen dann auch noch körperlich nicht ganz fit bin, stellt sich je nach Film sogar ein leichtes Gefühl der Übelkeit ein. Da im Kino inzwischen quasi 3D-Zwang herrscht und ich nicht auch noch Preisaufschläge für „unwohl fühlen“ und „dämlich aussehen“ (Hände an die Brille gepresst, um Streulicht zu reduzieren) bezahle, tendieren meine Kinobesuche schon länger gegen Null. Aber das ist eigentlich eine andere Geschichte, erklärt aber vielleicht, warum ich 3D-Technologien gegenüber skeptisch eingestellt bin. Lange wurden meine Zweifel auch immer wieder bestätigt: NVIDIAs 3D Vision-Brillen? Flatterndes Bild, extrem anstrengend für die Augen. Die erste Generation von Nintendos 3DS? Ein Graus. [Anm.: Der New 3DS scheint hier um einiges besser, aber hier fehlt mir noch Langzeiterfahrung aus erster Hand]. Und dann war da natürlich noch die Oculus Rift. Vor inzwischen doch einiger Zeit durfte ich den Free2Play-Mech-Shooter HAWKEN mit einer Rift (es war allerdings noch das DK1-Modell) ausprobieren. Es war eine unglaubliche Erfahrung, ich war total begeistert – und anschließend war mir einen halben Tag lang schlecht. Es ging nicht um die Latenz und auch nicht die Auflösung, die Diskrepanz zwischen dem Gesehenen und der nicht wahrgenommenen Bewegung war einfach zu groß. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war das Thema VR für mich für den Moment erledigt. Trotzdem interessiert verfolgte ich das Thema, lernte ein wenig etwas über die Hintergründe der mich plagenden Simulator- bzw. VR-Sickness, wie sie inzwischen genannt wird. Und dann hörte ich irgendwann zum ersten Mal von Valves Plänen für Steam VR. Tracking im Raum klang schon am Papier um einiges spannender, als sämtliche Angebote des Mitbewerbs. Als dann auch noch immer mehr erste Eindrücke von Leuten veröffentlicht wurden, die mit der Vive plötzlich KEINE VR-Sickness mehr verspürten, war ich Feuer und Flamme. Und als ich vor knapp 7 Monaten das erste Mal selbst eintauchen durfte, war es endgültig um mich geschehen, weil endlich klar war: Auch für mich würde es in Zukunft VR geben.

Fette Beats, Rätselspaß und Monsterkloppen

Inzwischen konnte ich mich zwei Wochenenden lang mit der Vive auseinandersetzen und einige Favoriten haben sich ganz klar herauskristallisiert:

The Gallery – EP1: Call of the Starseed ist die erste Episode eines Adventures mit Rätseleinschlag. Auch wenn Story und Ambiente eigentlich komplett anders sind, habe ich mich zumindest „gefühlsmäßig“ an meine erste Begegnung mit Myst erinnert gefühlt: Ich hatte mal wieder das Gefühl wirklich in eine fremde Welt einzutauchen, die erforscht und entdeckt werden will. Außerdem: Ein genial gelöstes Inventar und die Story wird durch Audiokassetten vorangetrieben, die man in einen Walkman einlegen muss …

Audioshield ist der auf VR ausgelegte Nachfolger des beliebten Rhythmus-Spiels Audiosurf. Die Anpassung des Spielkonzepts ist eigentlich trivial: Statt auf starren Linien kommen die Beats – farbige Geschosse passend zum aktuell gewählten Song – in einem dreidimensionalen Raum auf einen zugeflogen und müssen mit unseren Schildern – virtuell fixiert an den beiden Controllern – geblockt werden. Nicht trivial ist allerdings der dadurch generierte Spielspaßgewinn. Durch die proaktive „Jagd“, das Springen und Greifen nach den Beats kommt ein ganz anderes Rhythmusgefühl auf und selbst „gestandene Kerle“ (Namen der Redaktion bekannt) beginnen plötzlich mit dem Hinterteil zu wackeln. Sehr zur Belustigung eines eventuellen Publikums versteht sich …

Der Early Access-Title Vanishing Realms macht schon jetzt fast alles richtig: Es bietet am noch kleinen und jungen VR-Markt ein „richtiges“ Rollenspiel an, das die neuen Steuerungs- und Bedienungsmöglickheiten perfekt ausnützt: das Schwert wird geschwungen, das Schild im letzten Moment hochgerissen und den tödlichen Fallen weicht man entweder aus oder kriecht sogar unter ihnen hindurch. Durch kräftige Verwendung von Assets aus dem Unity Store (genau dafür ist er ja da!) hält man trotzdem die Kosten niedrig und bietet trotzdem einiges an Content.

Noch viel, viel mehr

Auch einige andere Titel haben mir sehr gut gefallen: Eine wirklich tolle, wenn auch sehr kurze Erfahrung bietet Unseen Diplomacy. Hier muss man als Agent in eine feindliche Basis eindringen und die Kommandozentrale erreichen. Dabei werden die Möglichkeiten des Raum-Trackings voll ausgenutzt: Durch Luftschächte wird gerobbt, durch Laserstrahlen schlängelt man sich wie Tom Cruise in Mission Impossible und schwindeleregende Abgründe werden via schmaler Laufstege überwunden. Mit knapp 10 Minuten pro (randomisierten) Spieldurchgang eine kurze, aber extrem lohnende Spielerfahrung.

Wer es gerne ruhiger angeht und ganz prinzipiell ein guter Einstieg für alle VR-Neulinge ist theBlu. Drei wunderschön animierte Unterwasserwelten können hier erforscht werden, Interaktionsmöglichkeiten sind aber praktisch nicht vorhanden und damit fällt der Titel eigentlich schon in die Kategorie VR-Film.

Mehr Action, aber auch erste Kratzer an meinen Controllern (die zum Glück SEHR stabil gebaut sind) habe ich hingegen #SelfieTennis zu verdanken. Hier spielt man Tennis – gegen sich selbst. Man schlägt auf der einen Seite auf und während der Ball fliegt teleportieren einen das Spiel auf die andere Seite, um den Ball anzunehmen. Klingt desorientierend, klappt aber nach kurzer Eingewöhnung überraschend gut und macht auch Laune. Wenn man allerdings 1,93m groß ist sollte man in einem normal hohen Raum keine Sprungannahme probieren (…)

Nur kurz angespielt – mit Aussicht auf mehr – habe ich schlussendlich noch Cloudlands: VR Minigolf und Modbox. Ersteres ist, wie der Name schon vermuten lässt, ein virtueller Minigolfkurs, der es dank VR mit dem Realismus seiner Bauten nicht so genau nehmen muss. Die Umsetzung der eigentlichen Spielphysik/mechanik scheint mir hingegen sehr realistisch: Ich bin genauso schlecht wie im wirklichen Leben.

Modbox ist eine Early Access-Sandbox-Titel. Im Geiste der berühmt-berüchtigten Garry’s Mod gibt es kein Spielziel, das man sich nicht selbst erschaffen hat. Schon jetzt kann man viel Unfug treiben und ich bin sehr gespannt, was hier noch auf uns zukommt.

Man(n)/Frau muss auch davon leben können

Ein allgemeines „Problem“ von VR Titeln habe ich noch gar nicht angesprochen: den Preis. Nicht nur der Anschaffungspreis des Basissystems ist relativ hoch, auch die Titel selbst lassen Humble Bundle und Steam Sale verwöhnte PC-Spieler kräftig schlucken. Selbst Titel die „nur“ ein bis zwei Stunden Spielspaß bieten, kosten gerne einmal 20€. Das wollen viele nicht verstehen, aber man muss das Ganze auch aus der Sicht der Entwickler sehen. Computerspielentwicklung ist anstrengend, zeitraubend und kostenintensiv. VR-Computerspielentwicklung ist – teilweise, aber nicht nur, weil auch noch relativ neu – noch etwas anstrengender, zeitraubender und kostenintensiver. Und dann kommt noch der nicht ganz unbedeutende Umstand hinzu, dass die potenzielle Zielgruppe (also jene, die überhaupt eine Vive besitzen) weniger als 0,001% des PC-Gesamtmarktes ausmachen. Das Resultat: VR-Spielentwickler müssen sich sehr genügsam zeigen, was ihre Einnahmen betrifft – und das, obwohl sie scheinbar sowieso schon hohe Preise verlangen.

Aber auch für die schmalste Geldbörse (a.k.a. kostenlos) gib es einige interessante Erfahrungen, die ich kurz empfehlen möchte: Der absolute Must Have-Titel ist natürlich The Lab, eine Sammlung von Mini-Games und VR-Erfahrungen die Valve persönlich zusammengestellt hat. Das (nicht wirklich) dezente Portal-Setting lässt mich hierbei allerdings nicht ganz objektiv sein…

Colosse ist ein (kurzer) aber interessanter kostenloser „Film“ in VR der die folgenreiche Begegnung zwischen einem Jäger und einem Titanen erzählt. Die IKEA VR Experience zeigt hingegen anhand einer frei begehbaren IKEA Küche schon einmal ein Beispiel, was wir uns in Zukunft von VR im Nicht-Spiele Bereich erwarten dürfen. Und auf jeden Fall mehrere (Rundum)blicke wert ist Realities. Hier können mittels Photogrammetrie aufgezeichnete Orte aus aller Welt besucht werden. Die Weltreise aus der Mitte des Wohnzimmers heraus ist nicht nur atemberaubend, sondern auch ein weiterer Fingerzeig für die außergewöhnlichen Möglichkeiten von VR. Viele Destinationen sind ja nicht nur wegen des fehlenden Geldes für „Normalsterbliche“ nicht erreichbar. Viele Orte stehen unter Schutz, sind extrem schwer erreichbar oder sogar schlichtweg gefährlich. Man denke nur an die Möglichkeiten: das Innere der Pyramiden, die Gräben der Terrakotta-Armee, aber auch tiefster Dschungel, hohe Bergspitzen und vielleicht auch erdnahe Planeten und Trabanten. Die Möglichkeiten sind beinahe grenzenlos!

    

Natürlich gibt es auch noch VR-Titel, die weder Spiel noch interaktive Erfahrung sind. Virtual Desktop beispielsweise will als Desktop-Ersatz in der VR-Welt agieren. Der eigene Desktop als im Raum schwebende Leinwand mit 6m Durchmesser? Kein Problem! Die Software kann aktuell schon einiges mehr als die von Steam verbaute Desktop-Ansicht und unterstützt außerdem auch das Abspielen einiger 3D-Filmformate, z.B. von YouTube. Wegen noch mangelhafter SteamController-Unterstützung aber (noch) kein Must-Have aus meiner Sicht.

Und ihm wird doch schlecht

HTC und Vive bieten zwar die Technologie um VR-Übelkeit bei Menschen wie mir zu verhindern, aber die Software muss eben auch mitspielen. Wird meine Bewegung nicht wirklich getrackt und wiedersprechen sich Innenohr und Auge, dann ist der Spielspaß für mich leider immer noch in Rekordzeit vorbei. Trailer, Screenshots und Beschreibung von FATED:The Silent Oath – ein narratives Adventure in einem mythologischen Wikinger-Setting – hatten mich z.B. sehr neugierig gemacht. Den Hinweis, dass mit Gamepad gespielt werden muss, nahm ich zwar wahr, dachte mir aber nichts dabei. Das interaktive Intro samt Kutschfahrt gefiel mir auch noch, doch dann ging das eigene Spiel los. Nur ein paar virtuelle Schritte mit dem Gamepad, die ich in der realen Welt eben nicht machen konnte und schon war ein ziemliches Schwindelgefühl da und das Spiel für mich vorbei. Ein ähnliches, wenn auch nicht ganz so stark ausgeprägtes Problem hatte ich mit dem von vielen hochgelobten Multiplayer-Shooter Hover Junkers. In einem Endzeitsetting kämpfen die Spieler um Rohstoffe und Erweiterungen für ihre schwebenden Schrottplattformen. Die sehr gute Grundidee: Die jeweilige Plattform ist so groß, wie der für VR abgesteckte Spielbereich. In diesem kann man sich frei bewegen, sein Schiff z.B. um Deckungsmöglichkeiten erweitern und dann (hoffentlich) gut geschützt auf vorbeifliegende Gegner ballern. Das Problem: Das Schiff selbst muss sich auch irgendwie bewegen und sobald die Landschaft vorbeisaust, bleibt leider meine Magengrube auf der Strecke. Wirklich schade, denn vor allem die Waffen und ihr Handling wurden wirklich kreativ für die Vive Steuerung umgesetzt. Sogar von dem von mir hochgeschätzten The Vanishing of Ethan Carter gibt es inzwischen eine VR Version – die ich mich aber nicht „traue“ zu spielen, da leider nur mit Gamepad und ohne Raumtracking spielbar.

Things to do, VR places to see

Noch bin ich experimentierfreudig, aber ich fürchte, dass mir Technik-Demos – und mehr ist der Großteil des bisherigen Angebots nicht – auf Dauer nicht genügen werden. Ich warte und hoffe sehr auf weitere Episoden von bzw. andere Titel im Stil von Vanishing Relams und Call of the Starseed. Auch der nur einmal kurz als Demo angespielte Zombie-Shooter Arizona Sunshine hat es mir sehr angetan. In diese Richtung sollte die virtuelle Reise meiner Meinung nach gehen! Fix ist auf jeden Fall aber eines: Nicht jeder und noch nicht einmal die Meisten werden in dieser Generation schon eine VR-Lösung besitzen. Aber Virtual Reality ist hier um zu bleiben und Computerspiele werden nie mehr so sein wie früher. Davon bin ich überzeugt.

Euer Onkel Tom

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