Das neue Jahr hat für mich zwar gleich einmal mit Volldampf begonnen, trotzdem war es mir wichtig, die Kolumne nicht schon wieder schleifen zu lassen. Ich bin aber Pessimist und Realist genug, um zu wissen, dass ich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch dieses Jahr weder den monatlichen Rhythmus, noch das geplante volle Dutzend an Beiträgen schaffen werde. Aber lassen wir es auf den Versuch ankommen.
Ich halte ja nicht wirklich was von Neujahrsvorsätzen: Wenn man wirklich etwas (an sich) ändern will, dann sollte man das nicht an so etwas abstraktem, wie einen Kalenderwechsel festmachen. Durchziehen oder eben nicht, das ist der einzig wahre Knackpunkt. Wäre ich allerdings tatsächlich angehalten einen Neujahrsvorsatz zu fassen, dann wäre es wohl etwas in die Richtung „Spiele länger spielen“. Das mag jetzt einige überraschen, aber ich denke das hat damit zu tun, dass die meisten – und das schließt auch den Großteil meiner Familie und Freunde mit ein – konsequent einer ziemlichen Fehlannahme über mich anhängen. Ich spiele nämlich (wirklich) nicht so viel, wie alle glauben.
Schon während der Zeit, an der ich mich noch hauptberuflich mit dem Thema befasst habe, musste ich immer wieder feststellen, dass extrem viele Leute meinen, dass mein Beruf automatisch bedeutet, dass ich extrem viel spiele. Auch jetzt noch scheint mir, dass viele immer noch glauben, dass ich fast jede freie Minute mit einem Gamepad oder einer Maus in der Hand verbringe bzw. verbringen kann. Tut mir leid, wenn ich hier Weltbilder zerstöre, aber dem war und ist nicht so.
Der durchschnittliche Videospielredakteur spielt sicher mehr bzw. länger, als die meisten „normalen“ Spieler. Das funktioniert aber nur dann, wenn das Spielen auch tatsächlich zu seinem vorwiegenden Aufgabenbereich zählt. Als Chefredakteur war mein Job mehr organisatorischer Natur. Mehr als 100 E-Mails pro Tag waren keine Seltenheit, lange Telefonate die Regel und ganz nebenbei habe ich noch die IT des kompletten Verlags geschupft. Für von mir verfasste Tests stand Spielen natürlich schon am Programm, aber schon damals gab es sicherlich viele Hobby-Gamer, die – rein in Stunden gerechnet – mehr Zeit vor dem Spiele-PC oder der Konsole verbrachten als ich.
Ich würde schon, aber …
Jetzt verdiene ich meinen Lebensunterhalt schon seit mehr als drei Jahren mit anderen Dingen und entsprechend sind die Möglichkeiten zu spielen noch weniger geworden. Trotzdem glauben die meisten immer noch, dass ich doch sicher unglaublich viel zocke. Das hat wohl damit zu tun, dass ich der Branche ja zumindest teilweise erhalten geblieben bin. Zusätzlich täuscht der Umstand, dass ich bei Gesprächen rund um aktuelle Spiele und Trends immer noch sehr gut mitreden kann. Beides täuscht allerdings darüber hinweg, dass viel von meinem Wissen auf Erfahrung, Buchwissen oder einfach nur Interesse zurückzuführen ist. Und nicht auf unzählige Spielstunden, wie viele automatischen vermuten. Ziehen wir zum Beispiel die mehr als 4 Wochen seit der letzten Kolumne als Referenz heran. Wenn meine Schätzungen und die Statistiken von Steam nicht komplett daneben liegen, dann sprechen wir von einer Gesamtspielzeit von nicht einmal 15 Stunden. 15 Stunden in einem Monat – das ist nicht nichts, aber auch nicht wirklich viel. Im Vergleich zu den meisten wirklichen Gaming-Enthusiasten – egal ob berufstätig oder nicht – aber tatsächlich lächerlich wenig. Fairerweise: Meistens schaffe auch ich doch ein paar Stunden mehr im Monat.
Die Gründe für mein Wenigspielen sind vielfältig und teilweise habe ich über sie schon an anderer Stelle geschrieben. Über das offensichtlichste Problem – genügend Zeit – muss ich hier nicht schreiben, das kennt jeder Berufstätige. Ein zweiter Grund ist sicherlich mein Geschmack oder vielleicht besser ausgedrückt meine Übersättigung. In meinen bald drei Jahrzehnten als Computerspielender, davon mehr als eines sogar als aktiver Teil der Industrie, habe ich tatsächlich und trotzdem die sprichwörtlichen „Tausenden von Spielen“ angespielt und/oder gesehen. Ich bin nur mehr schwer zu begeistern und ich bin der Erste, der zugibt, dass ein Teil von mir diese Begeisterungsfähigkeit auch irgendwie vermisst. Diese Gründe, in Kombination mit meinem trotzdem ungebrochenen Interesse am Thema Computer- und Videospiele selbst haben mich zu einem „hit and run“-Spieler werden lassen. Mit dieser Wortschöpfung möchte ich beschreiben, dass ich von Jahr zu Jahr immer mehr Titel nur ganz, ganz kurz anspiele. Kaum habe ich Gameplay & Atmosphäre aber absorbiert und eine grobe Ahnung der Hintergrund-Story, ziehe ich schon wieder weiter zum nächsten Titel. Manchmal gefallen mir die Spiele, manchmal nicht – das Absurde ist, dass man das anhand der reinen Spielzeit kaum mehr beurteilen kann, denn die ist mit 30 bis 60 Minuten pro Titel inzwischen relativ konstant.
Und genau das möchte ich eben ändern. Erstens glaube ich, dass ich bei einigen Titeln etwas verpasse, weil ich nicht mehr Zeit mit bzw. in ihnen verbringe. Zweitens war ich selbst genug „Schaffender“ – auch wenn es nur Artikel und nicht ganze Spiele waren – um zu wissen, dass so eine halbherzige Auseinandersetzung mit dem Endprodukt fast schon etwas von Respektlosigkeit hat. Auch wenn ich von niemandem – am wenigstens mir selbst – jemals erwarten würde, dass er sich deshalb durch einen uninteressanten/schlechten/langweiligen Titel quält. Zu guter Letzt ist es auch eine finanzielle Frage. Spiele sind zwar (teilweise) günstig wie nie und mit ein wenig Geduld kann man vor allem am PC (fast) alles zum Schnäppchenpreis bekommen, aber auch viele kleine und mittlere Einkäufe läppern sich mit der Zeit. Darum: Mehr Zeit mit den Spielen verbringen, die ich schon habe!
Aus dem Fundus
Im vergangenen Monat hat das zum Beispiel bedeutet: Endlich mal wieder ein paar der Titel aus den letzten monatlichen Humble Bundles nachholen. Den Anfang darf Western Press machen, nicht unbedingt ein Spiel für Hasser von Quick Time Events. Im wildesten Wilden Pixelwesten gilt es – gegen den Computer oder gegen einen Freund –, in einem Pistolenduell zu bestehen. Wer schneller zieht, gewinnt. Und wer schneller zieht, entscheidet sich daran, wer eine Abfolge von zehn Tasten (Tastatur) oder Buttons (Gamepad) zuerst möglichst fehlerfrei drückt. Genau wie im Skifahren geht es hier um jedes Hundertstel. Mögen die nervösesten Finger gewinnen…
Als Jugendlicher habe ich zahlreiche Stunden mit SimTower und seinem Quasi-Nachfolger Yoot Tower verbracht. Während viele andere Simulationen von ganzen Städten und/oder Ländern bevorzugten, war mir der Mikrokosmos eines Hochhauses immer lieber, den ich nach Belieben planen und erweitern konnte. Dass sich seither eigentlich kaum Titel mit dem Sub-Genre der Tower-Simulation beschäftigt haben, ist mir erst so richtig aufgefallen, als ich Project Highrise entdeckt habe. Noch einmal einige Komplexitätsstufen über Yoot Tower angesiedelt, hat das Spiel einige schöne Jugenderinnerungen in mir geweckt.
Wenn ich Okhlos: Omega als Mob-Simulator bezeichne, hat das nichts mit der Cosa Nostra und Konsorten zu tun. Der Mob den ich meine, ist der, der Frankensteins Monster mit Mistgabeln gejagt hat und/oder aus Demonstrationen entstehen kann. Und wir rekrutieren und steuern als Toga tragender Philosoph diesen Mob … im alten Griechenland … gegen die Götter der Antike und andere mythologische Unwesen. Klingt etwas verwirrend und chaotisch? Dann probiert erst einmal das Spiel aus …
SteamWorld Dig war einer der ersten „Geheimtipps“, die ich in den Anfängen dieser Kolumne präsentiert habe. SteamWorld Heist – von den selben Machern und im selben von Robotern bewohnten Universum angesiedelt – hatte ich daher schon länger am Radar, auch wenn es ein komplett anderes Spielprinzip verfolgt. SteamWorld Dig ist ein Plattformer im Metroidvania-Stil in dem auch viel gegraben werden darf. SteamWorld Heist ist hingegen ein rundenbasiertes Strategiespiel mit einem Twist: Zielen muss man komplett selber. Auch sonst hat sich viel getan, die Erde ist nicht mehr und der Steampunk angehauchte Western-Stil wurde kurzerhand in den Weltraum verfrachtet. Die Grafik gefällt mir immer noch, das komplett andere Gameplay hat seinen Reiz und die gut portionierten Missionen erlauben auch kurze Spielesessions zwischendurch. Ich hätte zwar auch gerne gewusst, wie es mit Rusty, dem Held aus dem ersten Teil, weitergegangen ist, aber ein gutes Spiel ist ein gutes Spiel.
Es ist schon eine Weile her, dass ich einen Trailer von Jotun gesehen habe. Die handgezeichnete Grafik blieb mir zwar in positiver Erinnerung, aber wäre er nicht im Humble Bundle gelandet, hätte ich dem Titel wohl eher keine Chance gegeben. In der Zeit der nordischen Mythologie angesiedelt, muss man als Thora, einer tapferen Wikingerin, der durch einen Unfall ein heldenhafter Tod im Kampf verwehrt blieb, beweisen, dass man trotzdem einen Platz in Walhalla verdient hat. Die Mischung aus Action-, Puzzle- und Erforschungselementen sollte eigentlich genau meine Kragenweite sein, aber irgendwie war mir das Gameplay auf Dauer dann doch zu wenig flüssig und abwechslungsreich. Da half auch die (zumindest meisten) ansprechende Grafik nicht. Für echte Wikinger und solche, die es trotz Brustumfang von unter 1m gerne wären, aber sicher einen Blick wert.
Das war es damit wieder für diesen Monat. Wenn alles klappt, lesen wir uns in ungefähr circa einem Monat wieder. Andererseits wie heißt es doch so schön: Kein Plan überlebt die erste Feindberührung…
Euer Onkel Tom