In mehr als zehn Jahren als Chefredakteur habe ich so einiges mitgemacht. Hitzige Diskussionen mit der Druckerei, weil Seiten in letzter Minute noch einmal getauscht werden mussten; mehrmals Endkontrollen bis in die späten Morgenstunden, um den privaten Problemen eines Kollegen entgegen zukommen; und ein Mal auch eine große Coverstory, die ich direkt nach einem Preview-Event und komplett gejetlagt noch in der Nacht zu Papier bringen musste, um den Druckunterlagenschluss noch einzuhalten.
Alles fordernd und manchmal auch etwas zu viel für Geist und Körper. Was Schlafmangel und Stress aber wirklich bedeuten, habe ich erst vor Kurzem wirklich gelernt. Vier große, mehrtägige Veranstaltungen in fünf Wochen bedeuteten viel zu viele überstundenreiche Tage mit oft auch noch zu wenig Schlaf dazwischen. (Wenn es übrigens jemanden interessiert, was ich eigentlich genau mache → www.flave.at). Mein an sich schon kärgliches Privatleben – und dazu gehört halt leider auch mein Kolumnistendasein – kam endgültig zum Stillstand. Der einzige Vorteil: In der gleichen Zeit habe ich genug Überstunden gesammelt, um mir die vergangene und eine der nächsten Wochen komplett frei zunehmen. Daher musste ich zwar wieder einmal einen Monat ausfallen lassen, hatte dafür aber wenigstens wieder mal die Zeit Neues auszuprobieren.
Urlaub in virtuellen Welten
Geistig wie körperlich ausgebrannt waren die ersten freien Tage zwar hauptsächlich von ruhigeren Aktivitäten (Stichwort: Hängematte) geprägt, ab dann ging es aber wieder aufwärts. Glückspilz, der ich normalerweise selten bin, haben sich Publisher und Entwickler genau diese berufliche Pause auch ausgesucht, um gleich mehrere ansprechende Titel auf uns loszulassen.
Damit mich Shooter und vor allem Ego-Shooter ansprechen, mussten sie immer schon ein wenig mehr bieten. Bei Half-Life war es die Story und die Physik-Engine, bei Prey die mystischen Kräfte und die Portal-Technologie. Das neue Prey hat mit dem gleichnamigen Titel von 2006 allerdings rein gar nichts mehr gemein. Bethesda wollte scheinbar nur die teuer erworbenen Namensrechte (der eigentliche Nachfolger, Prey 2, wurde nach langer Entwicklung eingestellt) nicht verkommen lassen und/oder erhoffte sich durch die Bekanntheit des Namens höhere Initialverkäufe. Nötig hatte der Titel diese Trickserei auf jeden Fall nicht, denn inhaltlich wie spielerisch braucht er sich wirklich nicht zu verstecken. Gut, die Einflüsse von System Shock sind nicht zu übersehen, auch wenn man die vor einiger Zeit geleakten Design-Dokumente nicht studiert hat. Aber ein moderner Ableger dieses Spieltyps war schon längst überfällig. Das Kickstart-Remake des Originals kommt ja leider erst Ende 2017 (frühestens) und der offizielle dritte Teil liegt überhaupt noch in weiter Ferne. Entsprechend habe ich mich mit großer Freude durch eine von Aliens überrannte Weltraumstation gehackt, gelesen, geschlichen und ja, auch geballert. Den Story-Twist am Ende habe ich mir – aus komplett eigenem Verschulden – zwar zu früh gespoilert, gebe aber offen zu, dass ich ihn nicht erwartet hätte. Chapeau, liebe Entwickler!
Für Hirn, Herz und Weltschmerz
War Prey reine Popcorn-Unterhaltung, haben mich zwei Titel aber auch auf emotionaler Ebene berühren können. Ähnlich wie Inside hatte ich auch Little Nightmares bis zum Release überhaupt nicht am Radar. Dem Grafikstil und der Atmosphäre war ich aber schon nach dem ersten Trailer verfallen und der Plattformer besticht auch mit interessanten Gameplay-Ideen. Mehr möchte und kann ich in gewisser Weise an dieser Stelle nicht verraten. Das Spiel „erzählt“ seine Geschichte nämlich sehr subtil und lässt viele Lücken für Interpretation und die eigene Fantasie. Meine „Geschichte“ muss also nicht die von anderen sein – aber sie war auf jeden Fall schön gruselig und gruselig schön.
Little Nightmares mag ein wenig bedrückend sein, die emotionalen Daumenschrauben zieht What Remains of Edith Finch allerdings gleich um mehrere Potenzen stärker an. Erzählt wird die tragische Geschichte der Familie Finch aus Washington (Staat, nicht Stadt), welche vom Tod verfolgt scheint. Niemand ist sich so wirklich sicher ob es ein uralter Fluch, Geisteskrankheit oder einfach nur Pech ist, welches so viele Mitglieder der Familie oft schon in jungen Jahren das Leben kostet. Auf der Suche nach Antworten begleiten wir den letzten Spross der Familie, die junge Edith, durch das seit Jahren verlassene Anwesen der Finches. Wir erfahren – jedes Mal auf andere Weise, aber immer aus der Ich-Perspektive – was aus den einzelnen Mitgliedern der Familie geworden ist. Nur eines haben alle Geschichten gemeinsam: Sie enden mit dem Tod. Sicherlich kein Massentitel, bedrückend und bittersüß zugleich und ein absoluter Geheimtipp, wenn man sich auch emotional auf Spiele einlassen mag – mit allen positiven wie negativen Konsequenzen.
Angespielt
Neben dieser Weltschmerz-Pflege blieb allerdings auch noch Zeit für lockerere Titel, welche nicht ganz so viel emotionales Engagement fordern. Freunden des lokalen Multiplayers möchte ich zum Beispiel das bereits im Vorjahr erschienene Lance A Lot wärmstens empfehlen. Auf Raketen reitend (wie es halt im Mittelalter üblich war) versuchen sich tapfere Ritter in fliegenden Inselarenen (historisch ebenfalls belegbar) gegenseitig im Tjosten (a.k.a. Lanzenstechen) zu übertreffen. Einfach zu lernen, schwer zu meistern und ein Risiko für Freundschaften und Beziehungen – all das, was eben einen guten Multiplayer-Titel ausmacht 🙂
Als absolut gemäßigter und in keiner Weise übertriebener Fan der Batman: Arkham-Reihe und der Vive war ich nur ein ganz klein wenig über die zeitliche Exklusivität von Batman: Arkham VR für Sonys 360°-Monitor (auch PSVR genannt) enttäuscht. Die Zeit ist dann aber doch schneller vergangen, als gedacht und endlich dürfen auf PC-Spieler zum dunklen Ritter werden. 20 Euro mögen für eine gute Stunde Spielvergnügen viel erscheinen und auch die Bezeichnung als reine Techdemo ist leider durchaus fair. Trotzdem muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich mir ein leicht manisches Kichern nicht verkneifen konnte, als ich mich zum ersten Mal als Batman im virtuellen Spiegel gesehen habe…
Eine Last-Minute-Ergänzung zu dieser Kolumne war dann noch der Early Access-Release von Oxygen Not Included. Von den Machern von kleinen, aber feinen Titeln wie Invisible, Inc. und Don’t Starve macht die Weltraumkolonie-Simulation von Anfang an kein Geheimnis daraus, dass die (Über)lebenserwartung unserer Kolonisten irgendwo zwischen kurz und unwahrscheinlich einzuordnen ist. Der Titel ist zwar schon relativ weit und durchaus spielbar, ob jedoch Langzeitmotivation entstehen kann werden erst weitere Update und die Zeit zeigen.
Gut, aber nicht meins
Eine der vielen Herausforderungen für die meisten Spieletester ist die erwartete Objektivität bei der Bewertung. Unter anderem durch Rücksichtnahme auf das Genre, die Plattform usw. versucht man in einer Redaktion natürlich immer den oder die „Richtige(n)“ an einen Titel zu setzen. Trotzdem kann es passieren, dass der Reviewer innerlich zwiegespalten ist: Objektiv sagt ihm oder ihr vor allem die Erfahrung, dass die meisten (Leser) den Titel gut finden werden. Subjektiv und ganz persönlich gefällt das Spiel aber vielleicht gar nicht. Da muss man dann aber leider trotzdem durch, den Titel weiter- und ggf. sogar durchspielen. Alles andere wäre dem Titel, den Lesern und den Entwicklern gegenüber unfair. Auch beim Verfassen der Rezension selbst muss die Devise lauten: Bloß nichts anmerken lassen! Es wäre ja vielleicht sogar peinlich, wenn man als vermeintlicher Profi bei einem Spiel versagt hat, weil man ihn nicht versteht oder schlicht zu ungeschickt/langsam/etc. ist… Bin ich froh, dass ich mich mit solchen Überlegungen und Selbstverdrehungen nicht mehr herumschlagen muss. So kann ich nämlich offen und ehrlich über meine zwei letzten Fehlgriffe schreiben – beides gute Spiele, aber leider nicht ganz meine Geschmacksrichtung.
Mein Ausflug nach Bolivien mit Tom Clancy’s Ghost Recon Wildlands liegt inzwischen schon eine Weile zurück. Ein paar Stunden hatte ich mit der Open World-Jagd auf ein Drogenkartell sogar meinen Spaß. Dann machte sich aber Eintönigkeit breit. Zu wenig Abwechslung im Missionsdesign und eine gut gemeinte, aber doch von zu vielen Klischees gespickte Story, die der namensgebende (aber schon lange verstorbene) Thriller-Autor so wohl nie zu Papier gebracht hätte. Vielleicht wäre es anders gelaufen, wenn ich nicht kläglich daran gescheitert wäre, Mitspieler für eine regelmäßige Koop-Runde zu gewinnen. Ich werde es wohl nie erfahren…
Deutlich schneller stellte sich leider The Surge als Fehlinvestition heraus. Ein sehr interessantes Kampf- und direkt daran gekoppeltes Upgrade- & Crafting-System machte mich neugierig und eine interessant beginnende Story und ein knackiger Schwierigkeitsgrad hielten mich eine Weile bei der Stange. Doch dann wurde aus dem knackigen Schwierigkeitsgrad eine Dark Souls-inspirierte Selbstquälerei samt Upgrade-Grinding, welches allerdings nur in der Theorie die eigenen Überlebenschancen steigert. Ich weiß, dass einige Leute auf die Art Spiel stehen und gestehe auch gerne ein, dass ich vielleicht einfach zu ungeduldig und/oder zu ungeschickt bin. Aber ganz ehrlich: Meine Freizeit ist mir zu kostbar, um sie als virtuelles Kanonenfutter zu verbringen.
Das war es dann auch schon wieder. Bis zum nächsten Mal, wann immer das auch sein mag.
Euer Onkel Tom