Onkel Toms Spieleecke #15: Mai 2015

Ich bin über 30 und Gamer, seit ich denken kann. Damit wäre es eigentlich mein verbrieftes Vorrecht viel Zeit mit Jammern „mit gerechtfertigter und überfälliger Kritik“ an allem zu verbringen, was videospieltechnisch seit 1990 passiert ist: Spiele waren früher nämlich viel fordernder/länger/bugfreier; EA war immer schon das personifizierte Böse, das ist nichts Neues, es gibt keine neuen Spielideen mehr usw. usf. Kurzum: Früher war eigentlich alles besser und die ganze Computerspieleindustrie befindet sich seit Jahrzehnten in einem Eilzug Richtung Abgrund in den Höllenschlund.

Retro-Charme oder: Erinnerung vs. Realität

Gut, gelegentlich packt auch mich ein gewisser Frust und manche Entwicklungen und Trends stören mich tatsächlich. Gerade die penetrante „Früher war alles besser“-Fraktion verursacht mir trotzdem regelmäßig arge Kopfschmerzen. Ganz extreme Vertreter dieser Gattung gibt es nämlich in meinem eigenen Bekanntenkreis. Neues Spiel erscheint und immer wieder heißt es dann „Die Animationen schauen um nichts besser aus als auf der PlayStation“ und „Die Texturen haben auf dem N64 schon realistischer ausgesehen“. Nein. Einfach nur nein. Ich glaube ihnen sogar, dass sie wirklich dieser Überzeugung sind, denn gerade bei lieb gewonnenen Dingen spielt uns die eigene Erinnerung oft einen Streich. Fakt ist aber: Während mancher Pixelgrafik-Vertreter halbwegs in Würde gealtert ist und immer noch einen gewissen Charme versprühen kann, sind alte 3D-Spiele vor allem eines: alt. Was uns teilweise als „realitätsnah“ und „hyper-realistisch“ in Erinnerung geblieben ist, war in Wirklichkeit eine polygonarme Ansammlung von Ecken und Kanten, in die unsere damals noch fittere Fantasie erst mächtige Jedi-Ritter, sexy Archäologinnen und böse Aliens interpretieren musste.

Ich glaub mich knutscht ein Wookie

Meinen ganz persönlichen Dämpfer, was Videospiel-Erinnerung betrifft, versetzte mir mein kürzliches Wiedersehen mit Star Wars: X-Wing Alliance. Ich hatte das Spiel bei Erscheinen verschlungen und – obwohl eigentlich kein Fan von Flugsimulationen jeglicher Art – in kürzester Zeit durchgespielt. Bei einer Zusammenräumaktion vor einigen Jahren flossen darum beinahe bittere Tränen, als ich feststellen musste, dass eine der beiden Installations-CDs spurlos verschwunden war. Doch dann vor Kurzem die Erlösung: Alle alten X-Wing-Teile wurden auf GOG und Steam veröffentlicht! Während viele sich aber vor allem über X-Wing vs TIE Fighter & Co. freuten, konnte ich für meinen Teil Alliance gar nicht schnell genug in den digitalen Warenkorb bekommen. Nur ein paar Downloadminuten später auch gleich das (auch aus heutiger Sicht!) tolle Intro angesehen. Und dann wurde ich wie von einer Hyperraum-Vollbremsung zurück in die Realität gerissen. 15 Jahre sind halt doch eine lange Zeit und irgendwie hatte ich die Spielgrafik … besser … in Erinnerung. Zugegeben, es hätte noch viel schlimmer kommen können, denn immerhin werden halbwegs vernünftige Auflösungen (wenn auch nur 4:3) unterstützt. Aber trotzdem: Manches sollte vielleicht wirklich nur eine Erinnerung bleiben und niemals in gnadelose Licht der Gegenwart gezerrt werden …

Misssster Freeman

Auch wenn manche Valve bzw. Steam nicht oder nicht mehr mögen: Ich bin immer noch ein Fan. Zugegeben: Manche ihrer Ideen in letzter Zeit waren vielleicht nicht ganz durchdacht, mehr als ein eigenes Spiel alle 15 Jahre wäre wirklich nett und vor allem in Support-Fragen hinken sie noch kräftig hinterher. Wer allerdings auch nur ein ganz klein wenig Erfahrung mit der Spiele-Branche, großen Firmen im Allgemeinen und/oder großen Plattformen hat, muss trotzdem zugeben: Sie bemühen sich redlich und haben schon extrem viel erreicht. Trotzdem gibt es noch viel zu tun.

1998 war die Welt noch in Ordnung. (Ja, früher war alles besser :p): Valve war mindestens so gut, wie EA böse, denn sie schenkten uns Half-Life – Gottkaiser des Shooter-Genres, Spiel des Jahr(es | zehnts | hunderts | tausends). Auch ich fand Half-Life gut, bin auch durchaus ein Fan des Universums geworden, aber einmal Durchspielen war mir mehr als genug. Das Fan-Projekt Black Mesa sprang mir trotzdem vor einigen Jahren sofort ins Auge und schaffte es sogar in eine Ausgabe der guten alten Gamers.at. Die Idee: ein komplettes Remake von Half-Life in der der Source-Engine von Half-Life 2. Leider wurde es immer wieder sehr still um das Projekt. Nicht einmal war ich der fixen Überzeugung, dass das Projekt längst eingestellt worden war – auch wenn ein erster spielbarer Teil auftauchte, der allerdings vor dem Wechsel in die Alien-Dimension Xen endete. Wieder einige Zeit später wurde dann plötzlich bekannt, dass Black Mesa auf Steam veröffentlicht, dort verkauft und in weiterer Folge auch fertiggestellt werden soll. Doch dann wieder lange Funkstille. Aber vor einer guten Woche dann die Überraschung: Black Mesa landete tatsächlich im Steam-Store! Zwar noch als Early Access und auch hier noch exklusive Zen und allem was danach folgt, aber bereits auf eine neuere Version der Source-Engine konvertiert und auch sonst noch einmal ordentlich aufpoliert im Vergleich zur kostenlosen Mod. Mit aktuellen Titeln kann man natürlich trotzdem nicht mithalten – auch die aktuelle Source-Engine ist nicht mehr ganz taufrisch –, aber das wäre auch zuviel des Guten. So ist Black Mesa ein wirklich tolles Remake geworden, welches anders als ein Reboot nicht Gefahr läuft, den Charme des Originals zu zerstören. Ein Muss für alle Half-Life-Fans!

Angespielt …

Viele Spiele beginne ich in dem (vermeintlichen) Wissen, dass sie nur ein Lückenfüller sein werden: lustig für einige Stunden, ein interessanter Beitrag zu dieser Kolumne, aber schlussendlich doch eine weitere Karteileiche in meiner übergehenden Bibliothek bestenfalls angespielter Titel. Dieser Rolle wurde in den vergangenen Wochen zum Beispiel Guns, Gore & Cannoli mehr als gerecht. Ein zeitweiliger, von Hand gezeichneter Sidescroller, der mich stark an die Metal Slug-Reihe erinnert. Man nehme einfach den Arcade-Klassiker, stecke ihn in eine Gangster-Welt der 1920er, füge noch die Videospielwunderdroge „Zombies“ hinzu und fertig ist die Geschichte rund um Mobster Vinnie Cannoli. Der Stil gefällt, Local Coop mit bis zu vier Spielern ist unterhaltsam, aber schlussendlich fehlt mir persönlich einfach das gewisse Etwas. Ein einfaches Upgrade-System oder Online-Multiplayer wären ein Schritt in die richtige Richtung gewesen.

Weder in bleibender Erinnerung noch lange auf meiner Festplatte wird wohl auch Wolfenstein: The Old Blood bleiben. Ich spiele ja ganz prinzipiell kaum Shooter und noch weniger spiele ich bis zum Ende durch – das endlose Geballere wird mir einfach unglaublich schell langweilig. Wolfenstein: The New Order hatte hingegen irgendetwas an sich, was mich bis zum Ende durchhalten lies. Diesen nicht genauer definierbaren „Charme“ hoffte ich, auch im Prequel zu finden, suchte allerdings vergeben. Old Blood ist durchaus gelungen, bietet nicht weniger aber auch nicht mehr als sein Vorgänger, aber das war mir diesmal einfach nicht genug.

… und dann doch weitergespielt

Wie aber schon angedeutet entpuppt sich mancher Lückenfüller dann doch als kleine Perle. Was Assassin’s Creed betrifft, bin ich immer noch übersättigt und Unity verstaubt seit der Erstinstallation auf meiner Festplatte. Nur das Wissen, dass man mit 2.5D neue Gameplay-Wege beschreitet und der mehr als faire Preis von gerade mal zehn Euro liesen mich Assassin’s Creed Chronicles: China überhaupt eine Chance geben. Und ich war mehr als angenehm überrascht! Natürlich ist der Aufwand der bezüglich Technik, Story und Gameplay betrieben wurde nicht mit einem der großen Brüder vergleichbar, aber für ein paar Minuten zwischendurch ist es geradezu perfekt. Außerdem finde ich es gut, dass endlich mal eine Frau in die Hauptrolle schlüpfen darf und ein Ausflug in den asiatischen Raum war innerhalb der Serie längst überfällig. Ich bin gespannt, ob die beiden folgenden Chronicles-Titel den guten Ansatz aufgreifen können. Ich hoffe sehr, dass nicht einfach nur ein paar Texturen ausgetauscht werden, um aus China Indien bzw. Russland zu machen …

Die zweite positive Überraschung des Monats war für mich persönlich Invisible, Inc. Ich hatte es nur am Rande verfolgt, war aber dann sehr überrascht, als einige von mir respektierte Seiten voll des Lobes über den Titel waren. Vielleicht ist es hier nötig, noch an eine gewisse Eigenheit von mir zu erinnern: Ich lese keine Tests und keine Vorschauen. Das mag seltsam wirken für jemanden, der zehn Jahre hauptberuflich nichts anderes getan hat, aber vielleicht ist das sogar der entscheidende Grund: Ich habe genug Artikel für zwei Leben gelesen. Für Tipps, die mich zu einem guten Spiel bringen, bin ich durchaus dankbar. Aber am Ende des Tages will ich selber spielen und entscheiden was mir gefällt und was nicht. (Auch einer der vielen Gründe warum ich niemals, niemals, nie die Faszination eines Let’s-Plays verstehen werde, aber das ist eine andere Geschichte.) Darum also Invisible, Inc. besorgt, praktisch ohne Vorwissen, gerade mal die Store-Page überflogen und einen Trailer angesehen. Und damit beinahe komplett eingefahren. Dynamisch generierte Level und Aufgaben? Eigentlich kurze und extrem fordernde Kampagnen, die einen eigentlich dazu zwingen sollen, das Spiel wieder und wieder von vorne anzufangen? Danke, wo ist bitte der Ausgang? Einen reinen Zeitvernichter brauch ich nicht, darum haben es Free2Plays bei mir schon schwer und MMOs brauchen es eigentlich gar nicht erst versuchen. Tatsächlich war ich knapp davor das Spiel der Mark of the Ninja-Macher als Fehlinvestition abzutun, aber irgendwie lies mir die Begeisterung so vieler anderer keine Ruhe. Also noch einmal zwei Missionen probiert und plötzlich machte es doch irgendwie „Klick“. Invisible, Inc. setzt das Credo „Weniger ist mehr“ perfekt um und Zug um Zug wuchs mir das brillant einfache und einfach brillante XCOM-ähnliche aber viel flüssigere Gameplay ans Herz. Und jetzt entschuldigt mich bitte, meine Agenten warten …

Pause, Siesta, Spielunterbrechung

Wie angekündigt – und von manchen vielleicht sogar schon herbeigesehnt – habt ihr jetzt eine Weile Ruhe vorm alten Tom. Job und Uni fordern mich im Moment mehr als genug und darum wird es ein paar Wochen keine neue Kolumne geben. Außerdem möchte ich die Pause nutzen, um meine monatliche Kolumne tatsächlich etwas monatlicher zu gestalten. Soll in Normaldeutsch heißen: Ab sofort kommt mein Monatsrückblick auch tatsächlich erst am Anfang des Folgemonats – macht irgendwie auch mehr Sinn. Läuft alles nach Plan gibt es Anfang August ein Wiederlesen in Form eines kombinierten Juni/Juli-Rückblicks. Soweit alle Klarheiten beseitigt? Wunderbar, dann bis demnächst!

Euer Onkel Tom

 

Links des Monats:

Assassin’s Creed Chronicles: China
http://store.steampowered.com/app/354380/

Black Mesa
http://store.steampowered.com/app/362890/

Guns, Gore & Cannoli
http://store.steampowered.com/app/322210/

Invisible, Inc.
http://store.steampowered.com/app/243970/

Star Wars: X-Wing Alliance
http://store.steampowered.com/app/361670/

Wolfenstein: The Old Blood
http://store.steampowered.com/app/354830/

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