Es mag ein persönlicher Spleen sein, aber wenn ich abseits des Massenmarktes über ein wirklich gutes Spiel „stolpere“, fühle ich mich ein bisschen wie ein Entdecker, der einen verlorenen Schatz gehoben hat. Objektiv gesehen natürlich kompletter Humbug.
Selbst wenn wir heutzutage von einem Geheimtipp, einem Underdog sprechen, der unter dem Radar fliegt, sind es oft genug immer noch (viele) Tausende, die den Titel gespielt oder zumindest davon gehört haben. Ich bin diesen Umstand niemandem neidig, ganz im Gegenteil. Heutige Entwicklungskosten, Preisstrukturen usw. bedeuten, dass der durchschnittliche Entwickler viel mehr als nur tausende Kopien verkaufen muss, bevor es finanziell auch nur ansatzweise rentabel wird. Da genügt es meist nicht, ein Underdog zu bleiben. Darum leiste ich gerne meinen kleinen Beitrag, damit der subjektive Geheimtipp auch ein objektiver Erfolg wird. Darum auch diesen Monat ein paar persönliche Schätze, die ich gerne auch mit euch teilen möchte.
Regeln sind zum Ändern da
Bei Spielen lasse ich gerne gelten: Weniger ist manchmal mehr und ein gewisser Grad von Abstraktion – besonders bei der Grafik – kann in Ordnung oder sogar eine richtig gute Idee sein. Baba Is You als grafisch ansprechend zu bezeichnen wäre zum Beispiel eine ziemliche Übertreibung. Freundlicher gesagt: Die Grafik ist gewöhnungsbedürftig. Aber das ist auch schon mein einziger und nicht wirklicher Kritikpunkt an dieser kleinen Puzzle-Perle.
Die Regeln bestimmen das Spiel. Die Regeln sind Teil des Spiels. Die Regeln zu ändern ist das Spiel. Noch einmal ohne die absichtliche Obskurität: Baba Is You stellt die Regeln des Spiels als Blöcke dar: Was ist beweglich, was starr, was tödlich, was eine Siegbedingung. Der Clou ist, dass man die Blöcke bewegen und die Regeln damit ändern kann. Tödliche Lava im Weg? Kein Problem, wir legen einfach fest, dass Lava ab sofort überquerbar ist. Spielfigur eingesperrt? Wir machen ein anderes Objekt zu unserem Avatar. Was im Einzelschritt einfach klingt, kann schnell zu unglaublich komplexen Lösungswegen führen, an die sich nur jene wagen sollten, die gerne viel und auf Umwegen um mehrere Ecken denken.
Ohren auf, Augen zu
Nicht ganz so anspruchsvoll, aber nicht weniger kreativ – und das auf ganz andere Weise – ist Unheard. Ungewöhnliche Puzzle-Titel scheinen eine Spezialität des chinesischen Entwicklers zu sein, der schon mit Death Coming und Iris Fall ähnlich atypisches abgeliefert hat. Diesmal steckt man uns in den fiktiven Job eines Akustischen Detektivs. Nur durch das Nachhören ungewöhnlich detaillierter Audioaufnahmen (Big Brother lässt grüßen) müssen wir diverse Kriminalfälle – vom Identitätsdiebstahl über Kunstraub bis hin zu Mord – aufklären.
Unsere einzigen Hilfsmittel: Eine schematische Karte des Tatorts, in deren Grenzen wir uns bewegen können und eben unsere Ohren. Wir folgen den einzelnen Personen akustisch, identifizieren sie durch Gesprächsfetzen, Kombination von Fakten oder das Prinzip der Elimination. Mit der Zeit rekonstruieren wir den Ablauf der Ereignisse und beantworten entscheidende Fragen wie Täter und Opfer. Bei gerade mal fünf Fällen ist der Rätselspaß leider schnell wieder vorbei, doch die dafür zu bezahlenden fünf Euro sind auf jeden Fall gut investiert.
Studentenjob
Noch günstiger als günstig ist natürlich kostenlos. Wenn das Spiel dann auch noch gut oder zumindest interessant ist, dann ist das eine feine Sache. Richtig beeindruckt sollte man aber spätestens sein, wenn man erfährt, dass man es mit einem Studentenprojekt zu tun hat.
Burning Daylight ist allerdings weniger Spiel, als semi-interaktiver Film und nach nicht einmal 45 Minuten ist man am Ende angelangt. In dieser Zeit demonstrieren die 12 Studenten des Animation Workshops in Dänemark aber ein tolles Gespür für Inszenierung und Atmosphäre und zeichnen – praktisch ganz ohne Worte – das Bild einer dystopischen, in virtuellen Realitäten gefangenen Gesellschaft. Auf jeden Fall einen Blick wert – kostet ja auch nichts.
Sandbox in der Sandbox
Gehen wir mit der Teamgröße noch weiter runter. Supraland wurde (fast) im Alleingang von David Münnich entwickelt. Das Spiel beschreibt sich selbst als Mix aus Portal, Zelda und Metroid und steckt sich seine Ziele damit verdammt hoch, verfehlt sie aber auch nicht komplett.
In Supraland ist die bekannte Welt eine Sandkiste, der Erschaffer ein kleiner Junge und die Bevölkerung Männchen aus der Stanzform. Als die blauen den roten Männchen gänzlich ohne Provokation das Wasser abdrehen, soll unser Avatar herausfinden, warum. Was folgt ist ein über 10-stündiges Action-Adventure, das sich nicht wirklich vor anderen Genre-Größe verstecken muss. Abwechslungsreiche Areale müssen erforscht, knackige (Physik-)Rätsel gelöst sowie zahlreiche Fähigkeiten und Upgrades gefunden bzw. gekauft werden. Die Story ist minimalistisch und das Kampfsystem könnte noch etwas flüssiger sein, aber alles in allem war ich wirklich beeindruckt und kann nur jedem empfehlen zumindest die Demo auszuprobieren.
Indiana Jones meets X-COM
Über den Trailer von Pathway bin ich eher zufällig gestolpert. Die gut gemachte Pixelgrafik gefiel, das RPG-Spielkonzept mit rundenbasierten Kämpfen im wilden Afrika der 1930 klang vielversprechend. Ich fühlte mich stark an X-COM (in meiner Generation noch mit Bindestrich geschrieben) und an Indiana Jones and his Desktop Adventures erinnert. Letzteres muss man nicht wirklich kennen, es war ein eher obskurer Computerspielableger der bekannten Filmreihe, der kurze, zufallsgenerierte Abenteuer für zwischendurch bot. Die Variation ließ zu wünschen übrig, die Grafik bzw. das User Interface war selbst für 1996 altbacken, aber viele hatten trotzdem ihren Spaß daran.
Zwei Jahrzehnte später teilt Pathway leider zumindest einige dieser Probleme. Grafik und User Interface sind in Ordnung und der Abwechslungsreichtum ist deutlich größer. Trotzdem lässt sich bei gerade mal fünf Abenteuern – Anfang und Ende der Geschichte sind stets fix, nur das Dazwischen wird als Abfolge von Zufallsereignissen und -kämpfen abgewickelt – wiederholen sich Ereignisse früher oder später. Momentan leider eher früher. Auch die rundenbasierten Kämpfe machen nach einer Weile nicht mehr soviel Spaß. Zu eingeschränkt sind die Möglichkeiten, zu unausgewogen manchmal die Platzierung oder das Verhalten der KI. Die Entwickler scheinen auf jeden Fall motiviert und versprechen noch einige Nach- und Verbesserungen. Mich persönlich würde es sehr freuen, denn Pathway hat viel Potenzial, das es aber selbst noch nicht ganz gefunden hat.
Next Gen VR
In letzter Zeit ist es in meiner Kolumne rund um das Thema VR eher ruhig geworden. Tatsächlich hat meine VIVE in den letzten Monaten nur wenig Nutzung gesehen. Es war ein schleichender Prozess, der viele Gründe hatte: Weniger interessante Titel reduzierten die Grundmotivation die Brille umzuschnallen. Platz für den VR-Aufbau habe ich nur in einem Kellerzimmer, welches ich auch als Heimkino nutze. Außer im Winter, da ist es zu kalt und da müsste man vor dem Spielen etwas einheizen. Dann ist noch mein Bruder in eine neue Wohnung gezogen und der Heimkinokeller durfte (und darf noch immer) als Zwischenlager für seine Umzugskartons herhalten. Kurzum: mangelnde Motivation gepaart mit widrigen Umständen. Doch dann passierten zwei Dinge: Ein ebenfalls VR-interessierter Kollege legte mir Beat Saber ans Herz und Valve kündigte die Valve Index an.
Zu beiden kann man nicht viel sagen: Zur Index nicht, weil noch zu wenig bekannt. Aber ich zähle schon die Stunden zur (vermuteten) Enthüllung Anfang Mai. Zu Beat Saber nicht, weil es einfach genial und genial einfach ist. Mich haben schon andere Rhythmusspiele in VR begeistert, bestes Beispiel Audioshield. Beat Saber geht noch einen Schritt weiter, weil es viel mehr Aktivität fordert. Während man in Audioshield die einfliegenden Beats „nur“ blocken musste, verlangt Beat Saber, dass man sie – beidhändig mit Lichtschwertern bewaffnet – im wahrsten Sinne des Wortes zerteilt. Bewertet wird dabei nicht nur die Schwungkraft, sondern auch die Richtung der Schnitte ist vorgegeben und verlangt dadurch ein deutlich höheres Maß an Koordination und Reflexen als andere Titel. Aus Lizenzgründen gibt es leider keinen offiziellen Weg eigene Songs einzuspielen. Zu der entsprechenden Annahme, dass es inoffizielle Wege geben könnte darf ich natürlich keine Angaben machen. Und erst recht nicht darüber spekulieren, wie verdammt viel Spaß es macht, zu seinen Lieblingssongs die Lichtschwerte zu schwingen …
Viele wenn …
Wenn demnächst die Index enthüllt wird, wenn sie nicht enttäuscht und wenn ich die Zeit habe, werde ich in meiner nächsten Kolumne also vermutlich wieder etwas mehr über das Thema VR zu berichten haben. Wenn ihr das dann auch lest, würde mich das natürlich freuen.
Bis dahin beste Grüße
Onkel Tom