Meine letzte Kolumne endete mit vielen Wenns: „Wenn demnächst die Index enthüllt wird, wenn sie nicht enttäuscht und wenn ich die Zeit habe, werde ich in meiner nächsten Kolumne also vermutlich wieder etwas mehr über das Thema VR zu berichten haben.“. Die Index wurde enthüllt – und sofort bestellt. Zeit hatte ich kaum, enttäuscht wurde ich trotzdem nicht. Darum wenig überraschend: mal wieder ein kleines VR-Special in Onkel Toms (VR-)Spieleecke!
Was ist die Index, was macht sie neu / anders / besser…
Kurzzusammenfassung VR-Brillen und Valve: Valve experimentiert seit Jahren mit VR-Technologien und hat hier auch schon mit Oculus zusammengearbeitet. Oculus wurde aber von Facebook geschluckt und macht mit der Rift und seinen Ablegern schon länger sein eigenes Ding, inklusive Exklusiv-Titel und abgeschottetem Store. Handyhersteller HTC baute schließlich mit Valve zusammen die HTC Vive und damit die erste Hardware für SteamVR (= die Software-Plattform, die aus Valves VR-Bemühungen entstand). Wie schon Oculus wollte aber auch HTC schließlich sein eigenes Ding machen und bietet jetzt scheinbar nur mehr Standalone-Lösungen an, inklusive Exklusiv-Titel und abgeschottetem Store. Ein Schelm wer eine Tendenz mit rein monetären Motivationen zu erkennen glaubt. Valve, allein gelassen (verraten und verkauft trifft es vielleicht auch ein bisschen?) beschließt: Dann bauen wir halt unsere eigenes VR-Headset. Hallo Valve Index!
Klassische Tests der neuen VR-Brille gibt es wie Sand am Meer. Von mir gibt es darum nur eine Kurzzusammenfassung der neuen Features und ein bisschen persönliche Meinung & Kritik zu den Vorteilen, Nachteilen und der Entwicklung des Markts. Zuerst einmal mit dem Halbwissen aufräumen: „Die Index kostet über 1.000 €“. Falsch, oder zumindest: nicht ganz richtig. Ich muss etwas ausholen…
Die Valve Index ist „nur“ das VR-Headset selbst. Dieses bietet im Gegensatz zur ursprünglichen Vive (und auch fast allen Mitbewerbern) eine deutlich höhere Auflösung, ein in alle Richtungen deutlich vergrößertes Gesichtsfeld und eine fast schon extreme Bildwiederholfrequenz von bis zu 144Hz (hier braucht es aber schon ziemlich heftige Grafik-Hardware im angeschlossenen PC). Kurzum: Coole Grafik, wenn die Hardware des dahinter angeschlossenen PC passt. Der Tragekomfort wurde insgesamt extrem gesteigert, das Gewicht reduziert. Eine kleine Revolution sind auch die eingebauten Lautsprecher (NICHT Kopfhörer). Diese liegen nicht an, sondern schweben quasi über den Ohren des Trägers. Das bietet nicht nur enormen Tragekomfort (kein Druck, kein Schwitzen), sondern bietet auch fantastischen Raumklang – immer noch passiert es mir regelmäßig, dass ich bei einem Geräusch kurz nachdenken muss, ob das jetzt von innerhalb oder von außerhalb des Spiels (a.k.a. lästige Realität) gekommen sein könnte. Die Valve Index kostet 539 €.
ABER: Um die Brille nutzen zu können, benötigt man noch zwei sogenannte Basis-Stationen – damit die Brille weiß, wie und wo man sich in seinem Spielbereich und damit im Spiel bewegt. Diese Stationen kosten 159 € im Einzelverkauf. Bitte trotzdem noch kurz warten, bevor man jetzt addieren anfängt.
Valve hat nämlich zeitgleich auch passende Controller veröffentlich: die Valve Index Controller, ehemals als Knuckles bekannt. Festgezurrt über Handrücken bzw. Handfläche sind diese nicht unbequem zu tragen und müssen nicht mehr festgehalten werden. Gepaart mit sehr gutem (aber noch nicht perfektem) Tracking aller 10 Finger hat man damit plötzlich fast schon richtige Hände im Spiel. Etwas aufheben? Einfach danach greifen. Mitteilungsbedürftig? Zeig es mit einer Handgeste. Drücken, wischen, zwicken, winken, klopfen, draufhauen – die Möglichkeiten sind enorm und für mich eindeutig die Richtung, in die sich VR-Steuerungen entwickeln sollten. Ein Paar Valve Index Controller kosten 299 €.
539 + 2x 159 + 299 … das sind wir natürlich schon deutlich über 1.000 €. Wer wirklich das komplette Set will, zahlt im Bundle auch tatsächlich 1.079 €. Brille und/oder Controller sind aber auch mit den Controllern und Basisstationen der HTC Vive kompatibel. Wer also schon eine Vive hat(te) oder günstig an eine gebrauchte kommt, kann Controller und Basisstationen weiterverwenden und eben „nur“ 539 € ausgeben. Die meisten werden sich allerdings auch die Controller gönnen wollen und zahlen dann 799 € für das Paket. Die Basisstationen bieten für die meisten Vive-Besitzer tatsächlich kaum einen Mehrwert, da ihr Hauptvorteil die Möglichkeit ist, mit mehr als 2 Basisstationen Spielflächen bis 10 x 10m abzudecken. Damit größer als die meisten Wohnungen und sogar Stockwerke und damit eigentlich nur für kommerzielle Einsätze relevant.
Hardware also gut, was ist mit den Spielen?
Gleich vorweg: Valve selbst hat es verabsäumt einen eigenen Titel für den Index-Launch fertigzustellen. Man arbeitet intern angeblich an (mindestens) drei VR-Titeln, aber Infos oder gar ein Release-Date gibt es für keinen einzigen. Das führt mich zu meinem einzigen wirklichen „Problem“ mit der Index bzw. genauer gesagt den neuen Controllern: Jetzt habe ich so tolle neue Hardware, vor allem was die Steuerung betrifft, aber wo sind die passenden Spiele? Nicht nur mangelt es an „neuen“ Titeln, auch die meisten bereits existierenden VR-Titel zeigen scheinbar wenig
Motivation, die neuen Möglichkeiten aktiv zu unterstützen. Nicht missverstehen, niemand verlangt oder erwartet eine komplette Generalüberholung mit voller Finger-Tracking-Unterstützung. Der damit verbundene Aufwand wäre in vielen Fällen mit der Entwicklung eines komplett neuen Spiels vergleichbar. Aber wenigstens eine alternative Controller-Bedienung anbieten und ggf. ein paar Screens austauschen, wenn der Controller im Spiel gezeigt wird.
Natürlich gibt es die obligatorischen (und kostenlosen) Tech-Demos: Aperture Hand Lab wurde extern von den The Gallery-Machern für Valve entwickelt und bietet eine Portal-inspirierte Einführung in die Möglichkeiten der neuen Steuerung. Mit Personality Cores Hände schütteln, einschlagen und Schere-Stein-Papier spielen ist witzig, das aber auch nur kurz. Das komplett unabhängig entwickelte Moondust bietet da schon ein wenig mehr: Granaten (und kleine Roboter) auf Ziele (und kleine Roboter) werfen; mit ferngesteuerten Carts über die Mondoberfläche (und durch kleine Roboter) rasen; Mondgestein zertrümmern, um eine Rakete mit Treibstoff zu befüllen; und in einem Art Steckkasten-System das Raumschiff seiner Träume zusammenbauen. Das alles macht Spaß, ist aber natürlich kein Ersatz für vollwertige Spieleerlebnis.
Einzelne Blockbuster der ersten VR-Generation haben den Support natürlich längst eingebaut. Der beliebte Zombie-Shooter Arizona Sunshine beispielsweise hat ungefähr zeitgleich mit der ersten DLC-Erweiterung Dead Man nachgelegt. Nicht nur in der neuen Mini-Kampagne, die in einen von Zombies überrannten Raketen-Silo führt, auch im Hauptspiel profitiert man vom Fingertracking. Dieses lässt die Bedienung der Waffen viel natürlicher anmuten, vor allem wenn es um das Zielen mit zweihändigen Gewehren geht. Auch die höhere Auflösung der Brille selbst macht sich bemerkbar – sogar ich alter Zivildiener treffe jetzt beim Zielen über Kimme und Korn (manchmal) den hässlichen Zombiekopf. Auch das atem(be)raubende Action-Ballett Superhot VR macht gleich noch einen Tick mehr Spaß, wenn man Wurfgeschosse und Waffen jetzt wirklich greifen und werfen kann. Selbst der simple Arcade-Shooter Space Pirate Trainer hat zumindest grundlegende Unterstützung der Controller bekommen, da man jetzt nach seinem Waffenarsenal greifen kann.
Bei viel zu vielen Titeln wurde aber leider noch wenig bis gar nichts getan. Beliebte Titel wie zum Beispiel Budget Cuts oder Raw Data lassen noch viele Wünsche offen und man merkt, dass die Steuerung für andere Controller gedacht ist. Auch wer – vor allem dank besserer Auflösung und größerem Sichtbereich – auf die Open World-Giganten Fallout 4 VR und The Elder Scrolls V: Skyrim VR spekuliert, sollte seine Erwartungen kräftig zurückschrauben. Beide Titel hat Bethesda seit über einem Jahr und trotz einiger noch existierender Probleme nicht mehr gepatcht. Durch das Nichtkennen der Controller ist die Steuerung mit den Knuckles ohne händische Controller-Umbelegung komplett unmöglich und selbst dann noch mühselig. Auch technisch ist vor allem Fallout 4 alles andere als optimiert und die höheren Anzeigefrequenzen bringen die Physik-Engine komplett durcheinander. An diesen Problemen muss – wie bei Bethesda so oft – wieder einmal die Community selbst arbeiten. Ich hoffe aber sehr, dass sich das noch ändern wird.
Mehr Unterstützung bei neuen Spielen
Anders sieht die Sache natürlich bei wirklichen Neuerscheinungen aus. Vacation Simulator, Nachfolger der quirligen Job Simulator hat schon kurz nach Release Fingertracking wirklich hervorragend ergänzt. Ob Grillen am Strand, Schifahren im Winter Resort oder Fische fangen im idyllischen Wald-Biom: Die Vorteile der Steuerung werden einem schnell bewusst beim Urlauben – bzw. dem, was sich die leicht irregeleiteten Roboter der Zukunft darunter vorstellen. Auch das Team des kostenlosen Waltz of the Wizard hat nachgelegt, erlaubt sich allerdings für die Waltz of the Wizard: Extended Edition zumindest ein paar Euro zu verlangen. Diese bietet dafür neben neuen Inhalten auch volle Index Controller-Unterstützung. Feuerbälle aus den Fingerspitzen schießen? Jeden Euro wert würde ich sagen …Technisch und spielerisch interessant, aber nicht ganz mein Metier: The Thrill of the Fight. Der Boxsimulator profitiertt natürlich enorm von den neuen Steuerungsmöglichkeiten und nach ein paar Runden kommt man auch entsprechend ins Schwitzen. Meinen VR-Sport werde ich trotzdem weiterhin lieber in und mit BeatSaber betreiben …
Die Suche nach dem Grund
Aber warum unterstützen so wenige die aktuell mit Abstand beste VR-Hardware? (Achtung: Persönliche Meinung!). Wie so oft: Alles eine Frage des Geldes. Der VR-Markt an sich ist schon klein, aber die – meiner Meinung nach kurzsichtigen – Strategien vieler Firmen zersplittern ihn noch weiter. Wie schon eingangs erwähnt: Im Vertrieb will natürlich jeder seine eigene Plattform ganz vorne sehen und die früher nur von Konsolen gewohnte, nervige Plattform- und/oder Hardware-Exklusivität ist längst Normalzustand. Nachvollziehbarer, aber nicht weniger lästig: die unterschiedlichen Herangehensweisen an Umsetzung und Hardware. Die einen verbinden sich der Leistung wegen mit einem PC, die anderen bieten eine – für viele Belange durchaus praktische – All-in-one-Lösung, verzichten dafür aber natürlich auf viel Leistung und Qualität. Selbst bei der Steuerung kommt man aus wirtschaftlichen, technischen und spielerischen Gründen und Hintergedanken nicht auf einen Nenner: Vom minimalistischen Point-and-Click Controller über das klassische Gamepad bis eben zum vollen Fingertracking ist alles dabei. Nur welcher VR-Spielentwickler soll das alles unterstützen? Und viel wichtiger: Wer soll das bezahlen?
Normalerweise weiß ich Valves „hands-off“-Mentalität durchaus zu schätzen – auch wenn sie so manchen Nachteil mit sich bringt. Ich will bei weitem nicht, dass jetzt auch Valve anfängt Exklusiv-Titel aufzukaufen. Selbst eine erkaufte quasi-exklusive Steuerung könnte schon in die falsche Richtung gehen. Aber zumindest mehr Unterstützung / Anreize für die Entwickler, zumindest eine grundlegende Unterstützung der neuen Controller einzubauen. Und bitte endlich auch entsprechende Hinweise im Steam Store, ob auch die Index Controller konkret unterstützt werden, mit und ohne Finger-Tracking. Und last but not least natürlich: Wann kommen endlich die versprochenen VR-Titel von Valve selbst?
Und dann noch die Sache mit dem Klick
Am liebsten hätte ich dieses letzte Thema unerwähnt gelassen, weil ich inzwischen wissen sollte, wann es sinnlos ist, sich in eine Kontroverse einzumischen. Aber die journalistische Sorgfaltspflicht etc., auch wenn dies „nur“ eine Meinungs-Kolumne ist… Der Hintergrund: Auf jedem der beiden Controller findet sich auch ein kleiner analoger JoyStick zur Fortbewegung, Menünavigation und dergleichen. Wie eigentlich jeder Controller-JoyStick der letzten Jahre kann man den JoyStick auch hineindrücken, um eine zusätzliche Aktion auszulösen. Es hat sich zum Beispiel in den meisten Shootern etabliert, dass man bei gedrücktem JoyStick sprintet. Soweit so gut, soweit Standardkost. Aber jetzt kommt die (vermeintliche) Katastrophe, das Ende der Zivilisation und wehe man hat eine davon abweichende Meinung: Üblicherweise geben solche JoySticks beim Drücken ein haptisches Feedback in Form eines Klicks. Das funktioniert auch auf den Index Controllern so – wenn der JoyStick in Mittelstellung ist. Bei sehr, sehr vielen Controllern passiert der Klick allerdings nicht, wenn der Stick beim Drücken weit in eine bestimmte Achsenrichtung gedrückt wird.
Vielen gefällt das natürlich überhaupt nicht, sie sind anderes gewohnt. Damit ein durchaus nachvollziehbarer Kritikpunkt, der aber wieder einmal von einigen wenigen unverhältnismäßig aufgeblasen wird. Dadurch kursierendes Halbwissen schreckt potenzielle Interessenten ab und/oder schmälert neuen Besitzern die Freude am Kauf – auch wenn sie von allein vielleicht nie darauf gekommen wären. Nach aktuellem Stand lehnt Valve einen Austausch und/oder eine Reparatur in einem solchen Fall auch ab. Wohlgemerkt nur, wenn die Eingabe trotzdem erkannt wird und wirklich nur das Klick-Gefühl fehlt. Behauptungen, dass von Valve Controller auch dann nicht austauscht bzw. repariert werden, wenn das Drücken des JoySticks gar nicht erkannt wird, ist arger, aber trotzdem weit verbreiteter, Humbug. Hat Valve trotzdem beim Design ein bisschen geschlampt und/oder nicht mitgedacht? Wahrscheinlich und dafür ist Kritik auch berechtigt. Dass man nicht zigtausende Controller wegen eines haptischen, aber nicht funktionsbeeinträchtigenden Randproblems einfach umtauschen möchte, ist allerdings auch nachvollziehbar.
Die Zukunft der Zukunft
Ich glaube immer noch, dass VR oder zumindest VR-ähnliche Systeme (Stichwort AR) die Zukunft sind … aber erst in der Zukunft. Momentan und auch in absehbarer Zeit sind wir noch nicht da und daran wird auch die Index nichts ändern. Trotzdem genieße ich fast jeden meiner Ausflüge in virtuelle Spielwelten und freue mich auf hoffentlich noch viele ungewöhnliche und einzigartige Erfahrungen. Es bleibt für mich aber eine Ergänzung zum traditionellen Spielen vor einem Bildschirm oder Fernseher – und darüber werdet ihr beim nächsten Mal wieder mehr lesen.
Bis dahin viel Spaß in virtuellen und allen anderen Welten
Euer Onkel Tom