Onkel Toms Spieleecke #43

Wir schreiben irgendeinen Tag, an irgendeinem Datum. Das Zeitgefühl mag langsam flöten gehen, aber die Welt dreht sich weiter, das Wetter ist schön und irgendwann wird auch die aktuelle Krise vorbeisein. Ich kann mit meiner Kolumne keine Leben retten oder wirtschaftliche Sorgen lindern, aber vielleicht gefällt einer meiner Spieletipps und macht die ganze Situation für kurze Zeit etwas erträglicher. Diesmal im Programm: Wie und was spielt Onkel Tom mit Freunden, während er brav zuhause bleibt.

Pen & Webcam

Ich bin zwar eher ein introvertierter Stubenhocker, aber selbst ich hatte vor „eh schon wissen“ ein Privatleben, das sich gelegentlich sogar außerhalb der eigenen vier Wände abspielte. Schon seit Jahren treffe ich mich – wann immer es eben geht – mit einer Gruppe von Freunden zum gemeinsamen Plaudern, (zu viel) Essen und natürlich Spielen. Die Terminfindung ist für acht (mehr oder weniger) Erwachsene + zwei Kinder nicht immer einfach, auch ohne Ausgangsbeschränkungen. Neben diversen Brett- & Kartenspielen beschäftigen wir uns dabei meistens mit dem in unseren Breiten wohl bekanntesten Pen & Paper-Rollenspiel: Das Schwarze Auge.

Diese gemeinsamen Nachmittage und Abende sind in gewohnter Form derzeit natürlich nicht möglich. Ganz ausfallen müssen sie aber trotzdem nicht, denn was derzeit unzählige berufliche Meetings ersetzt, eignet sich auch sehr gut für den Rollenspielabend: Videokonferenzsoftware! Zumindest die Gesichter & Stimmen der Freunde gelegentlich zu sehen bzw. zu hören ist eine Wohltat während dieser nicht ganz einfachen Zeit. Wir nutzen dabei Jitsi Meet – kostenlos, verschlüsselt, anonym und als Nutzer muss man noch nicht einmal Software oder einen Plug-in installieren, der Browser genügt. Dank solch, sicherlich göttlichen Wirkens, arbeitet Eberhelm Treublatt, Geweihter der Hesinde, weiter daran Aventurien vor dem ruchlosen Borbarad zu retten und im Namen der Zwölf… ok, sorry, habe die Selbstbeherrschungsprobe versemmelt…

Geh nicht über Los, ziehe 4 Karten und ärgere dich nicht

Aber auch auf klassische Brett- und Kartenspiele muss man nicht unbedingt verzichten. Viele bekannte Brettspiele wurden schon – manchmal besser, manchmal schlechter – digital umgesetzt. Aber in den fast schon unendlichen Weiten des Computerspiel-Universums findet sich auch eine ganz allgemeine Möglichkeit, seine Lieblings(brett)spiele mit Freunden in der Ferne zu spielen: Tabletop Simulator.

In den meisten Belangen ist er genau das: ein Simulator, nicht mehr und nicht weniger, für alle Arten von normalerweise analogen Spielen. Tische, Karten, Figuren, Würfel, Spielsteine usw. usf. werden physikalisch halbwegs realistisch simuliert. Sie können bewegt, gedreht, aufgehoben und abgelegt werden. Würfel können geworfen, Karten gemischt und Objekte aus Behältern genommen werden. Man kann – muss aber nicht – auch gewisse programmatische Abläufe einprogrammieren. Es ist zum Beispiel durchaus komfortabel, wenn das Spiel für eine entsprechende Anzahl Spieler automatisch aufgebaut wird. Das bedeutet aber eben auch: Dem Simulator ist meistens mehr oder weniger egal, wie die Regeln aussehen. Wenn ihr Poker- und UNO-Karten auf einem Schachbrett stapeln und mit Würfeln beschweren wollt, dann wird euch der Simulator gewähren lassen. „Ganz wie in echt“ möchte ich fast sagen, denn wenn jemand sich bei einem „echten“ Spiel nicht an die Regeln halten will, dann wird auch dort keine göttliche Hand vom Himmel kommen und ihn oder sie aufhalten.

 

Interessant war zu bemerken, dass – sowohl in den Reviews, als auch im eigenen Bekanntenkreis – viele genau das nicht ganz verstehen. Wer jedoch damit leben kann, darf sich über viele, WIRKLICH viele Einsatzmöglichkeiten freuen. Nebst einigen offiziellen (und entsprechend kostenpflichtigen) Erweiterungen gibt es eine extrem fleißige Community, die ohne Übertreibung tausende bekannte Brett- und Kartenspiele dank Workshop-Integration digitalisiert hat, um diese auch virtuell anzuspielen. Der Tabletop Simulator ist und will kein Ersatz für das persönliche Spielen vor Ort sein. Aber er kann eine Alternative sein – jetzt momentan für fast alle, aber auch sonst für Freunde & Bekannte, die man nur selten oder schwer persönlich trifft.

Links, rechts, links … nein, das andere links!

Neben Rollenspielen im virtuellen Raum und simulierten Brettspielen habe ich mich aber natürlich auch mit ganz traditionellen Mehrspielertiteln beschäftigt. Biped zum Beispiel ist ein netter kleiner Koop-Titel, der uns als kleinen Service-Roboter auf die Erde schickt, um ein interstellares Navigationsnetzwerk zu reparieren. Theoretisch auch alleine spielbar, macht der Titel aber eigentlich nur zu zweit wirklich Spaß. Spielen sollte man auf jeden Fall mit einem Gamepad, denn die beiden Füße unserer Roboter – Arme haben sie keine – wollen getrennt gesteuert werden und diesen zudem als Armersatz, um Hebel und Kisten zu greifen und zu manipulieren.

 

Es gilt gleich zweierlei zu meistern: Einerseits die eigene Bewegung, andererseits die Synchronisation mit dem Mitspieler. Und besonders garstige Hindernisse verlangen beides gleichzeitig. Es gibt zum Beispiel Plattformen, die bei jeder Berührung durch ein (farbiges) Roboterbein ihre Farbe wechseln. Berührt nun eine andere Farbe, als die gezeigte, die Plattform, löst sie sich ganz einfach in Luft auf und unsere süßen kleinen Roboter verabschieden sich in den Abgrund. Daher unbedingt als Team zusammenarbeiten und schön abwechselnd die metallenen Füßchen abstellen. Richtig spannend wird es, wenn man dann noch unter Zeitdruck steht … und die Plattform sich bewegt … und man Hindernissen ausweichen muss. Ok, manchmal ist das Spiel fast schon gemein, aber das daraus resultierende, manchmal fast hysterische Hin und Her über den Voice-Chat gehört in gewisser Weise dazu und macht auf irgendwie einen Teil des Spielspaß aus.

Nichts we weg here

Apropos Hysterie und Stress: Escape Rooms haben sich in den letzten Jahren als beliebte Möglichkeit für gemeinsames Puzzeln in der Gruppe etabliert. Diese gibt es natürlich auch in den verschiedensten digitalen Varianten und mit einem guten Freund habe ich mir in den letzten Wochen nach und nach die We Were Here-Titel vorgenommen. Die inzwischen drei Teile umfassende Reihe machte 2017 den Anfang mit dem kostenlosen We Were Here. Wenn auch nur ca. eine Stunde lang, machte die Kostprobe vielen scheinbar Lust auf mehr und es folgten die kommerziellen Nachfolger We Were Here Too (2018) und We Were Here Together (2019). Technisch wie spielerisch merkt man von Titel zu Titel Verbesserungen, die größere Erfahrung der Entwickler und natürlich auch, dass ein bisschen mehr Budget in den Entwicklungsprozess fließen konnte. Gameplaytechnisch bleibt man dem selben bewährten Grundgerüst allerdings treu: Gespielt wird zu zweit, wobei die beiden Protagonisten oft getrennte Wege gehen müssen. Statt eines einzelnen Raums müssen wir nämlich gleich aus einem ganzen Schloss flüchten. Mysteriöse Apparate, tödliche Fallen und auch eine Portion Übernatürliches stehen jedoch zwischen uns und unserer Freiheit. Bei allen Puzzles und Rätseln gilt stets, dass man für die Lösung zusammenarbeiten muss. Die Hinweise für das Entschlüsseln eines Bilderrätsels findet zum Beispiel unser Mitspieler und muss diese halbwegs verständlich über Funk beschreiben. Auch mechanische Puzzle müssen in Absprache gelöst werden, da bestimmte Schalter, Hebel usw. sonst unerreichbar bleiben. Was die Komplexität betrifft sind die Rätsel keine besondere Herausforderung, der gelegentliche Zeitdruck schon eher. Wenn die Stufen einer Wendeltreppe sich nach und nach in die Wand verabschieden, weil der Mitspieler einfach nicht den richtigen Würfel findet, dann kann man zum Beispiel schon nervös werden ….

 

 

Für das authentischste Erlebnis sollte man übrigens auch kein externes Programm zum Chatten verwenden, sondern den eingebauten Voice-Chat nutzen, der sich wie ein Walkie-Talkie verhält. Taste drücken, sprechen, loslassen – gleichzeitig reden geht nicht. Diese zusätzliche Herausforderung sollte man nicht unterschätzen, denn nichts ist peinlicher und manchmal auch tödlicher, als im falschen Moment den Sendeknopf nicht oder eben schon gedrückt zuhalten.

Es kommt ein Danach

Ein sehr langer und sehr ungewohnter April nähert sich dem Ende. Im Laufe des Mais und der kommenden Monate wollen wir alle versuchen – langsam, mit Bedacht und der nötigen Vorsicht – zu so etwas ähnlichem wie Normalität zurückzukehren. Ich halte es für ziemlich offensichtlich, dass die ganze Geschichte uns als Gesellschaft nachträglich verändert hat und auch noch weiter verändern wird. Inwieweit, wie lang, ob gut, ob schlecht wird allerdings erst die Zukunft zeigen.

Bis in diese – ungewisse aber hoffentlich wieder bessere – Zukunft
Euer Onkel Tom

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