Nach einer (auch) pandemiebedingten längeren Auszeit – nicht krank, sondern (haupt)beruflich einfach absurd viel beschäftigt – hatte Onkel Tom endlich mal wieder etwas Zeit für seine vernachlässigte Spieleecke …
Ich merke immer mehr, dass sich mein Spielegeschmack über die Jahre doch verändert hat. Die deutlich reduzierte „Freizeit“, gepaart mit dem deutlich vielfältigeren Angebot, teils absurd günstigen Preisen und vermutlich auch ein bisschen „kenn ich schon“ hat mich sehr, sehr wählerisch werden lassen. Ein Spiel (und das gilt übrigens auch für Serie, Film und Buch), das mich nicht gleich zu Beginn „abholen“ kann, landet mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf Nimmerwiedersehen im digitalen Abstellraum. Bei diesen vier Titeln war dies eindeutig nicht der Fall und daher möchte ich sie auch euch nicht vorenthalten.
Marvel’s Guardians of the Galaxy
Obwohl kein großer Comic-Leser, haben mir die filmischen Umsetzungen des Marvel-Universums bislang gut gefallen. Spielerisch leider weniger, denn Marvels Avengers war, trotz einer passablen Geschichte und einer sympathischen Protagonistin, dann leider doch ein spielerisch langweiliger und repetitiver Reinfall. Da vom selben Publisher, fast denselben Studios und ziemlich zeitgleich entwickelt, setzte ich daher anfangs wenig Hoffnung in Guardians of the Galaxy. Umso größer die Überraschung, dass ich nach Veröffentlichung mitbekam, dass nicht wenige Leute von dem Spiel scheinbar doch sehr angetan waren.
Ein bisschen Lektüre und einen Winter Sale später kann ich sagen: Nett gemacht, so stelle ich mir ein Marvel-Superhelden-Spiel vor. In einer eigenständigen Geschichte begleiten wir das ungleiche Team in der Rolle von „Star Lord“ Peter Quill. Quer durch die Galaxis geht die Reise, verfolgt von Gangstern, Monstern und manchmal auch den Strafverfolgungsbehörden. Viele Credits werden erbeutet und auch wieder verloren und irgendwo dazwischen natürlich auch das Universum gerettet.
Spielerisch ist es ein gelungenes Action-RPG, das uns zwar meistens nur Peter direkt steuern lässt, mittels Tastendrucks kann man aber mit den KI-gesteuerten anderen Guardians interagieren. Das funktioniert schon beim Erforschen der unterschiedlichsten Planeten und Raumschiffe sehr gut, wo man z.B. Alien-Krieger Drax um das Umsetzten einer tonnenschweren Säule bittet oder Baumwesen Groot mal eben eine Behelfsbrücke über einen Abgrund wachsen lässt. Aber auch im Kampf lassen sich so schnelle Befehle geben und Kombo-Attacken vorbereiten.
Grafisch wird viel Abwechslung auf hohem Niveau geboten und exotische Planeten, gigantische Raumkreuzer und gut besuchte Alien-Märkte wissen zu gefallen. Da macht es auch nichts, dass die Schauspieler der Filme – vermutlich auch aus Kostengründen – nicht mit ins Boot geholt. Zumindest soundtechnisch hat man aber nicht gegeizt und man darf einer Auswahl von einigen Perlen der 80er und 90er lauschen. Ein Spiel, das einen beim ersten Start gleich mit „Never gonna give you up“ so richtig rickrolled kann man einfach nur gern haben …
Age of Empires IV
1997 bis 2007 war das Jahrzehnt von Microsofts Echtzeitklassiker Age of Empires. Neben den ersten drei Teilen und zahlreichen Erweiterungen wusste auch der fantasievolle Ableger Age of Mythology zu gefallen. Dann wurde es aber eher still um die Reihe. Ableger für Handhelds und erste HD-Remakes waren nur so lala und je schneller der Free2Play-Ausflug Age of Empires Online in Vergessenheit gerät, desto besser. In den letzten Jahren hat die Serie aber wieder Fahrt aufgenommen. Die technisch und spielerisch sauber umgesetzten Definitive Editions von Age of Empires I – III haben die Titel alten und neuen Spieler*innen wieder zugänglich gemacht. Sie waren aber sichtlich auch Vorbereitung für den nach 16 Jahren ersten komplett neuen Teil.
„Never change a running system” predigen angeblich viele Entwickler und IT-Administratoren. Während diese Binsenweisheit natürlich in vielen Bereich hinterfragt werden darf und sollte, ist es natürlich eine Freude, wenn man nach langer Pause einfach weiterspielen kann, als hätte es die Durststrecke nie gegeben. Technisch ist natürlich vieles anders: Die Grafik aufgebohrt, mehr Einheiten wuseln über den Bildschirm und die maximale Zoomstufe lässt uns mehr als einen Briefmarkengroßen Klecks von Stadt oder Schlachtfeld erkennen. Wobei noch etwas mehr herauszoomen nicht verkehrt gewesen wäre … aber das ist Jammern auf hohem Niveau.
Informativ und interessant ist das geschichtliche Beiwerk, das – wahlweise sogar in 4K und HDR – mitgeliefert wird. Vor fast jeder Kampagnen-Mission liefern im Stil von Dokumentationen produzierte Videos historischen Kontext zur anstehenden Schlacht. Zusätzlich werden mit jeder gewonnenen Mission zusätzliche Info-Videos freigeschaltet, die zum Beispiel erklären, wie mittelalterliche Belagerungswaffen funktioniert haben oder Burgen im Inneren dekoriert wurden.
In der Kampagne geht es in historischen Schlachten gegen den Computer. Mal ist man Angreifer, mal Verteidiger. Städte werden gebaut, Wirtschaftskreise in Schwung gebracht und Armeen aufgestellt. Ist man sich der eigenen Überlegenheit mehr oder weniger sicher, zieht man in die Schlacht und versucht die gegnerische Basis zu vernichten. Spielerisch also eine altbekannte Formel, die aber immer noch Spaß macht. Alles in allem ist Age of Empires IV also ein würdiger neuer Teil und Nachfolger.
The Ascent
Man kennt das Problem: Die Aussicht auf einen gut bezahlten Job in der Arkologie eines Megakonzerns entpuppt sich als Versklavung durch die Hintertür. Knebelvertrag und exorbitante Kosten für den Transport in eine ferne Galaxis und schon kann man sich ausrechnen, dass man bis an sein Lebensende noch nicht einmal die Zinsen abbezahlt hat. Aber der restlichen arbeitenden Masse geht es nicht besser und der Konzern schützt einen wenigstens vor seinen Konkurrenzunternehmen, die tatsächlich noch schlimmer sein sollen. Soweit, so SciFi-Standardkost. Was aber, wenn das oberste Management des Konzerns plötzlich von einem Tag auf den anderen verstummt? Gerüchte über eine Totalpleite machen die Runde und die privaten Sicherheitskräfte werden unruhig und denken – da jetzt unbezahlt – an einen Komplettrückzug. Das würde kriminellen Banden und anderen Konzernen Tür und Tor öffnen, sich die Kolonie einzuverleiben – aber nicht unbedingt inklusive der Bewohner.
Unser selbstgenerierter Charakter beschließt nicht weiter passiv zu bleiben und zu klären, was Sache ist. Bis an die Zähne bewaffnet beginnen wir mit bis zu drei Koop-Mitspielern die Höhen der turmartigen Arkologie zu erklimmen. Irgendwo ganz oben muss es doch noch einen Manager geben, den man zu Rede stellen oder notfalls zur Rechenschaft ziehen kann …
The Ascent ist ein cyberpunkiger Action-Shooter, der eine Mischung aus Dungeon Crawler und Twin Stick Shooter ist. Die Formel ist altbekannt: Monster und Gangster wegballern, Credits und Gegenstände einsammeln. Arsenal gelegentlich austauschen und mit Upgrades – die es auch für den eigenen Körper gibt – verbessern. Und dann das Ganze ein paar hundert Mal von vorne … Das Gameplay-Rad wird nicht unbedingt neu erfunden, aber das Spiel macht Laune, vor allem im Team, und sieht dabei auch noch verdammt gut aus.
Bei The Ascent ist nämlich verdammt viel Energie in die grafische Gestaltung gesteckt worden. Der Detailreichtum ist enorm, vor allem in den Hub-Locations. Normalerweise erwartet man das schon aus Budgetgründen nicht von einem Indie-Titel. Darum der Hinweis / die Bitte: Zwischendurch mal Pause machen und (auch) die Arbeit des Art Departments bewundern.
Dysmantle
Das Survival-Genre fällt normalerweise nicht in mein Beuteschema. Ich spiele meistens, um zu entspannen. Die Gehirnzellen dürfen in Form von Rätseln & Co. schon etwas gefordert werden, aber echter Stress muss nun wirklich nicht sein. Es gibt ganz tolle, wunderschöne und detailverliebte Survival-Titel da draußen. Wenn der Fortschritt mehrerer Spielstunden aber durch eine falsche Entscheidung, Hunger, Durst oder einen gelangweilten / mörderischen Mitspieler einfach weg sein kann, dann steige ich aus.
Ganz anders Dysmantle. Hier wird ein monarchistischer Inselstaat wird von einer unbekannten Katastrophe heimgesucht. Unser vorsichtiger Protagonist weiß noch nicht einmal, was genau passiert, springt aber in den heimatlichen Bunker und bleibt sicherheitshalber mal ein paar Jahre unter der Erde. Als er schließlich an die Oberfläche zurückkehrt, sieht er seine Ängste bestätigt. Die Insel ist menschenleer und nur Zombies und andere Ungeheuer durchstreifen die überwucherten und teilzerstörten Städte. Zeit abzuhauen, aber zahlreiche Hindernisse und natürlich Aufgaben liegen zwischen uns und der letzten Evakuierungskapsel.
Dysmantle orientiert sich ein wenig an der klassischen Survival-Formel, verzichtet aber auf Frustfraktoren. Stirbt man im Kampf gegen Monster oder manövriert ungeschickt in einen Abgrund, respawnt man einfach beim zuletzt freigeschalteten Lagerfeuer. Unsere unzerstörbare Ausrüstung und Bewaffnung bleiben dabei stets erhalten und nur eingesammelte Ressourcen müssen gegebenenfalls am Ort unseres Ablebens erneut eingesammelt werden. Essen und Trinken ist optional und bietet nur (meist permanente) Buffs. Neue Gegenstände können mit fortschreitender Erfahrung oder nach dem Finden entsprechender Rezepte gebastelt werden. Die dazu nötigen Ressourcen holt man sich aus der Spielwelt – und zwar der ganzen Spielwelt. (Fast) alles ist mit dem entsprechenden Werkzeug zerstörbar. Hakt man anfangs noch Sträucher und Mülltonen für Holzreste und Metallschrott klein, werden irgendwann ganze Häuser zerklopft.
Die im Comicstil gehaltene Grafik ist nett anzusehen und bietet mit zahlreichen Gebieten über mehrere Klimazonen auch einiges an Abwechslung. Das einfache und entschleunigte Gameplay hat mich packen können und das Zerlegen ganzer Kleinstädte hat fast schon etwas Therapeutisches. Dazwischen erforschen, jagen, sammeln, kämpfen und gelegentlich ein Rätsel lösen: Viel mehr will mein kleines armes Gamer-Herz doch gar nicht und ich freue mich noch auf einige Stunden auf der Insel.
Das war es für 2021 von meiner Seite. Wir lesen uns 2022 hoffentlich wieder öfter!
Onkel Tom