Overpass im Test

Lasst uns diesen Test mit einem kurzen „Deep-Dive“ in die deutsche Sprache beginnen und uns das Wort „Rennen“ genauer ansehen. Zur Definition sagt der Duden: „sportlicher Wettbewerb, bei dem die Schnelligkeit, mit der eine Strecke zurückgelegt wird, über den Sieg entscheidet“. OK, zutreffend und richtig. Kombiniert mit allgemeinem Sprachverständnis in manchen Situationen aber dennoch irreführend. Immerhin bedeutet „Schnelligkeit“ (übrigens laut dem Duden das Tempo einer [Fort]bewegung) nicht automatisch auch „schnell“ im Sinne von hoher Geschwindigkeit. Nichts macht das klarer als Overpass; ein Rennspiel, bei dem man aber trotzdem nie wirklich schnell ist … nur schnell wütend vielleicht.

Wer hinter Overpass mit seinem fetzigen Cover ein Rennspiel im Sinne von Motorstorm, MX VS ATV oder dergleichen erwartet, dem sei folgendes gesagt: Drück den „Zurück-Button“ deines Browsers und lies einen anderen Test – irgendeinen anderen – und vergiss Overpass so schnell du kannst. Wer allerdings als Fan von Games wie Spintires oder Mudrunner hier gelandet ist, der darf gern weiterlesen um herauszufinden, warum auch er oder sie sich lieber nach einem anderen Zeitvertreib für die Zeit der COVID-19 Ausgangssperren umsehen sollte.

Reset, Reset, Reset, Controller -> Wand

Es ist eine Geschichte, so alt wie die Videospiele selbst: Am Anfang steht eine wirklich gute Idee, am Ende ein frustrierter Spieler. Was ist passiert? Irgendwo zwischen der guten Initialzündung und dem erwartungsfrohen Zocker sind auf dem oh so Abzweigungs-reichen Entwicklungsweg ein paar Design-Entscheidungs-Abzweigungen genommen worden, die man sich besser hätte verkneifen sollen. So auch bei Overpass. Die eigentliche Idee ist nämlich richtig gut: Statt den tausendsten 08/15-Offroad-Racer zu programmieren, entschied sich der schwedische Entwickler Zordix eine gerade Fahrt aufnehmende Nische in Angriff zu nehmen: die der realistischen und viel Geschicklichkeit fordernden Offroad-Games ala Spintires und Mudrunner. Ich persönlich war sofort Feuer und Flamme. Vor allem aber, weil ich mir etwas in der Art wie „Formula Offroad zum selber spielen“ erhofft habe (wer’s nicht kennt – hier klicken bitte). Dann habe ich überrissen, dass man in Overpass „nur“ UTVs und ATVs, also kleine 4×4 Buggys und Quads wird pilotieren dürfen – immerhin lizenzierte von Polaris, Yamaha, Arctic Cat und Suzuki. „Gut“, dachte ich mir, „dann wird es wohl eher „Extreme 4×4 Off-Road zum selber spielen“ (hier erneut ein Beispielvideo für euch). Auch cool!“

Heißt: Ihr seid stets allein auf den Strecken unterwegs, müsst versuchen möglichst schnell über all das Geröll und rauf auf die steilen Hänge zu kommen, knifflige Hindernisse zu überwinden und dabei möglichst wenig Strafsekunden zu sammeln. Die setzt es zum Beispiel für das Touchieren oder Durchbrechen der Streckenbegrenzung oder der Markierungshütchen. Erklärt wird euch  das alles in einem von Emmet Walsh eingesprochenen Tutorial zu Beginn der Karriere – mehr zum Aufbau und Content des Spiels im zweiten Teil des Artikels. Dort werden euch auch die Grundsätze des Offroadens näher gebracht. Also beispielsweise lieber zu langsam als zu schnell fahren (tatsächlich schleicht ihr gefühlt die halbe Zeit durch die Landschaft), immer nur mit einem Rad nach dem anderen auf ein Hindernis zu fahren (also quer, nicht frontal) und die drei Antriebsarten eurer Gefährte ideal nutzen: reiner Hinterradantrieb (braucht man eigentlich nie), Allrad mit offenen Sperren und Allrad mit aktivierten Differenzialsperren. Bei Letzterem wird verhindert, dass alle Kraft an ein in der Luft hängendes, durchdrehendes Rad geschickt wird. Die Kehrseite: Euer Wendekreis wird deutlich größer.

Mit diesen drei Tipps im Kopf und einer eigentlich simplen Steuerung im Gepäck sollte der gefühlsbetonten Schlammschlacht nichts mehr im Wege stehen. Der Haken an der Sache: Das Ganze ist einfach zu schwierig um Spaß zu machen. Und zwar nicht „Dark Souls-schwierig“, sondern einfach nur „schlecht schwierig“. Heißt: Allzu oft kippt euer Fahrzeug auf die Seite oder purzelt gleich komplett einen Hügel hinunter, ohne dass es rein physikalisch wirklich Sinn ergibt. Zudem wirkt die Physikengine auch sonst etwas unausgegoren. Allzu oft macht es den Anschein als käme zu wenig Kraft der Räder auch am Boden an – vollkommen egal, ob man nun die Differenzialsperren aktiviert hat oder nicht. Auch die Möglichkeit auf einem ATV mit dem rechten Analogstick das Körpergewicht des Fahrers zu verlagern, hat gefühlt zu geringe Auswirkungen. So wird jedenfalls der „Reset-Button“ schon bald eurer bester Freund. Blöd nur, dass just das Reseten euch allzu oft an eine Stelle in den Kurs setzt, an der zu wenig Entfernung zum nächsten Steilhang vorhanden ist, um ausreichend Schwung zu holen. Und hat man sich dann tatsächlich mal erfolgreich eine Runde durch den Kurs gekämpft, kommt man drauf, dass man diese im Rahmen der Karriere-Events insgesamt dreimal fahren muss – den ganzen Mist also noch zwei weitere Male vor sich hat. Damit ist das Gameplay also nicht nur frustrierend schwierig, sondern auch noch frustrierend repetitiv … famos.

Das Rundherum

So „nischig“ das Setting und Gameplay in Overpass ist, so „mainstream“ ist der Rest. Will heißen: Euch erwartet ein Bereich für „Schnelle Rennen“, in denen ihr alle 40 Strecken der sechs mit Waldstücken über Flussbetten bis hin zu Strandabschnitten durchaus abwechslungsreichen Locations von Anfang an auswählen und mit den Reifen aller im Spiel enthaltener Fahrzeuge nach Belieben durchfräsen könnt, ein Karriere- und ein Multiplayer-Modus. Zuerst zur Karriere: Diese besteht, nach dem oben erwähnten Tutorial, aus einer Art Gitternetz, in dem ihr Rennveranstaltungen startet, euch Sponsoren und deren Gelder sichert und euren Fuhrpark individualisieren und tunen, sowie euren Fahrer oder eure Fahrerin neu einkleiden und stylen könnt. Indem ihr euch hier nach und nach voranarbeitet, sammelt ihr immer mehr Punkte, um am Ende an den World Finals teilnehmen zu können. Die Präsentation ist dabei aber – wie im gesamten Spiel – sehr puristisch. Alles wird über schnöde Menüs geregelt. Da sind andere Spiele schon viel weiter, wie etwa auch WRC 8 und Co. von Milestone, mit ihren schicken, interaktiven 3D-Hauptquartieren.

Im Mehrspielerpart erwarten euch hingegen drei Spielarten: Online, Splitscreen oder Hot-Seat … wobei Letzteres nichts anderes bedeutet als dass man an ein und derselben Konsole abwechselnd den Controller in die Hand nimmt. Warum man dann nicht einfach gleich im Splitscreen spielt (schön, dass es ihn hier noch gibt), wäre mir ein Rätsel – zumal auch hier keine Kollisionsabfrage enthalten ist. Obwohl man also gleichzeitig auf derselben Strecke fährt, kann man den anderen nicht abdrängen oder dergleichen … gut so, die ganze Chose ist ja immerhin so schon schwierig genug. Wenig überraschend gibt es somit auch im Online-Mehrspielermodus keine Kollisionen. Wohl überraschend ist aber, dass es bei den Rennen zwar Ghosts gibt, aber keine Anzeigen dafür, wie weit euer Kontrahent gerade vor oder hinter euch ist. Hat man den Ghost also mal aus den Augen verloren, ist man wieder vollkommen allein auf der Piste und hat keine Ahnung, wie viel Vorsprung man eigentlich im Sack oder aufzuholen hat.

Zum Schluss noch ein paar Worte zur Technik: Die dynamische Terrainverformung – also dass ihr mit den Reifen Furchen in Schlamm und Co. drückt – ist wohl das Highlight der Engine, aber weiß Gott kein Kinnladenklapper mehr. Immerhin kennt man dergleichen bereits aus DiRT Rally 2.0 ebenso, wie dem bereits erwähnten MudRunner und Co. Der Rest ist solide, aber auch nicht mehr als das. Die Fahrzeuge sind ausreichend detailverliebt modelliert, die Strecken hübsch und die Performance solide, auch wenn es in der getesteten PS4 Pro-Version öfter zu merklichen Rucklern und Pop-Ups kam. Unverständlich eigentlich – die Konsole kann auch deutlich hübschere Spiele weit flüssiger darstellen. Auch beim Sound gibt es keine echten Highlights zu vermelden. Die Motorensounds sind gerade gut genug um nicht zu sehr zu nerven (mehr aber auch nicht) und die Musikuntermalung passt mit ihrer rockigen Ausrichtung gut zum Gesamtkonzept.

FAZIT

Ganz ehrlich: Ich hätte hier jetzt wirklich gerne geschrieben, dass Overpass zwar ein Titel mit Ecken und Kanten ist, aber dafür eine interessante Nische bedient, der Rennspielfans gerade in Zeiten des „Zuhause bleibens“ eine Chance geben sollten … kann ich aber nicht. So gut die Idee sein mag, so cool ich persönlich die Extreme Offroad-Szene finde: Overpass ist einfach kein gutes Spiel. Die Technik höchstens Durchschnitt, der Umfang zwar gut, die Präsentation aber „meh“ und das Gameplay auch nach längerer Eingewöhnungszeit schlichtweg zu unausgegoren, zu undurchsichtig und zu frustrierend als dass ich irgendjemandem guten Gewissens ans Herz legen könnte, sich das Spiel zu kaufen. Schade.

Was ist Overpass? Offroad-Herausforderung mit lizenzierten Buggies und Quads.
Plattformen: PC, PS4, XBox One, Nintendo Switch
Getestet: PS4
Entwickler / Publisher:  Zordix Racing / BigBen Interactive
Release: 27. Februar 2020
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 3.6

Einzelwertungen: Grafik: 6 | Sound: 6 | Handling: 2 | Spieldesign: 2 | Motivation: 2

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