Road 96 im Test

Wer schon immer einmal einen klassischen Roadtrip erleben wollte, aber nicht von seiner Couch wegkommt, für den haben Entwickler DigixArt zusammen mit Publisher Plug In Digital eine Mitfahrgelegenheit der ganz besonderen Art. In ihrem neuen Indietitel Road 96 zeigt das französische Studio, dass keine fotorealistische Grafik oder eine riesige Open World notwendig sind um uns an den Bildschirm zu fesseln.

„Heute ist der 9. Juli 1996. Noch zwei Monate bis zur Präsidentschaftswahl in Pretoria. Hoffentlich gewinnt Senatorin Florres und löst diesen Diktator Tyrak ab. Das Land geht vor die Hunde. Eigentlich könnte mir das auch egal sein, ich verschwinde sowieso so bald wie möglich über die Grenze.“

So oder so ähnlich sind wohl die Gedanken unseres unbekannten Charakters am Beginn unserer Reise, die nur ein Ziel kennt: Die Grenze erreichen und diese überqueren. Aber wie so oft im Leben kommt es etwas anders als gedacht. Auf dem Weg zur Grenze begegnen wir nämlich einigen Menschen deren Worte durchaus Einfluss auf unseren Plan haben. Sollen wir uns vielleicht doch politisch engagieren? Wir könnten auch versuchen andere Reisende durch Gespräche in politische Richtungen zu lenken. Ob es wohl Auswirkungen hat, wenn wir Wahlplakate bemalen?Es gäbe aber auch noch so viele andere Möglichkeiten.

Ganz egal wie wir uns entscheiden, wir müssen mit den Konsequenzen leben. Das Gleiche gilt auch für Aussagen in Gesprächen. Rückgängig machen lässt sich davon, nämlich nichts. Leben ist auch das passende Stichwort. Als „vermisster“ Teenager müssen wir zusehen, wie wir klarkommen. Nicht nur Essen, Trinken und ein Schlafplatz sind wichtig für uns. Wir brauchen auch Geld um mit Taxi oder Bus die knapp 2000 Kilometer bis zur Grenze zurückzulegen. Trampen geht natürlich auch. Dabei treffen wir auch immer wieder neue Charaktere von denen wir nicht nur einiges über Pretoria und seine Geschichte erfahren, sondern auch neue Fähigkeiten wie Computer hacken oder Schlösser knacken können wir von ihnen lernen.

Sie erzählen uns ihre Geschichten und persönlichen Beweggründe wieso sie Einfluss auf die Wahl nehmen wollen. Ob dramatische Erlebnisse in der Vergangenheit oder fast schon terroristische Pläne. Jeder den wir in Pretoria kennenlernen trägt sein Päckchen.

Dank Menschen wie dem Brigades Mitglied und LKW Fahrer John, der Nachrichtenmoderatorin Sonya oder den durchgeknallten Bankräubern Stan und Mitch, die uns einige Kilometer mitnehmen, kommen wir recht schnell an die Grenze. Dort angekommen haben wir mehrere Möglichkeiten unentdeckt an der Grenzwache vorbeizukommen. Über die Berge, versteckt in einem LKW oder auch durch einen Tunnel. Die Gefahr dabei verhaftet oder sogar getötet zu werden ist nicht nur reine Theorie. Unabhängig wie das Ganze hier endet beginnen wir gleich im Anschluss eine neue Episode und somit einen komplett neuen Durchgang mit einem anderen Teenager. Zwischen 1 und 2 Stunden dauert dabei ein Durchlauf, von dem wir 6 – 10 absolvieren können bis wir den eigentlichen Abspann und eines der drei möglichen Hauptenden sehen.

Do it again!

Im nächsten Durchgang haben wir schon einiges an Vorwissen. Das sorgt dafür, dass wir jetzt um einiges entspannter durch Pretoria laufen. Wir bewundern die schön designte Welt, genießen den unglaublich guten Soundtrack oder wählen bei Gesprächen ganz bewusst die Antwort aus, die unser Gegenüber mehr über seine oder ihre Geschichte erzählen lässt, statt uns erklären zu lassen, wie man auf der Straße überlebt. Zwischendurch arbeiten wir als Barkeeper*in oder Tankstellenmitarbeiter*in um an Geld zu kommen. Nach und nach erkennen wir wer hier mit wem in Verbindung steht und wieso die Dinge sind wie sie sind. Ob wir uns tiefer in die Geschichte ziehen lassen oder einfach nur schnellstmöglich zur Grenze wollen ist dabei uns überlassen. 

Nur nicht vom Weg abkommen!

Allzu große Abschweifungen darf man sich nicht Erwarten. Die Levelabschnitte sind schlauchartig aufgebaut und erlauben es uns leider nicht mal ansatzweise vom Weg abzukommen.

Wer Walking Simulator kennt weiß aber durchaus, dass man sich von einem Game auch mal an die Hand nehmen lassen darf und auch soll, um das Erlebnis zu bekommen, das sich die Entwickler*innen für uns ausgedacht haben. 

Die Geschichte wirkt aber trotz starker Führung nicht allzu vorhersehbar. Datingtipps geben während wir mit einer Nagelpistole aus deinem fahrenden LKW feuern ist nun wirklich nicht gerade typisch, wenn man nur eine Mitfahrgelegenheit gesucht hat.

Alles neu?!

„Typisch“ ist aber ohnehin nur sehr wenig an Road 96. Zwar wusste ich, dass es sich hier um einen Indie – Singleplayer mit Storyfokus handelt, jedoch ist der Rougelike Ansatz in so einem Spiel erfrischend neu. Auch erwähnenswert fand ich, dass es einmal nicht um uns und unseren Spielcharakter geht bzw. wir nicht im Mittelpunkt stehen. Wir sind nur Teil des Systems. Wir haben weder Name noch Stimme, keine Geschichte, wissen nicht wie wir Aussehen oder was mit uns passiert, sobald wir eine Episode geschafft haben. Die Hauptcharaktere sind diesmal die NPC’s. Im Gegensatz zu unserer eigenen Spielfigur bauen wir zu ihnen nämlich eine richtige Bindung auf. Dank der echt gut gelungenen englischsprachigen Synchronisation fällt das aber auch nicht schwer. Sie zu uns allerdings weniger, da wir ja immer wieder einen neuen Teenager übernehmen.

Grafisch ist Road 96 zwar kein Highlight und könnte locker auch auf einer Playstation 3 laufen aber in der Vergangenheit haben auch schon andere Spiele wie Life is Strange gezeigt, dass Polygon-Optik in storylastigen Games auf jeden Fall funktioniert.

Und die Story überzeugt! Weder muss man politisch interessiert sein noch ist es notwendig sich den Kopf bei schweren Rätseln zu zerbrechen. Unangenehme Situationen in denen wir genau überlegen, wie wir antworten und Momente in denen wir z. B.: am Lagerfeuer sitzen und über unser Leben nachdenken und dabei den genialen Soundtrack hören wechseln sich mehrmals ab und erlauben es uns, unseren Trip trotz des eigentlich recht gefährlichen Ziels zu genießen.

Einzig die Steuerung könnte genauer ausfallen. Gerade in hektischen Situationen wie Verfolgungsjagden oder Aufgaben auf Zeit nervt es schon manchmal, wenn wir eine Antwort anklicken, die wir eigentlich nicht geben wollten oder man Optionen erst angezeigt bekommt, wenn der Cursor genau auf einem Gegenstand oder einer Person ist.

Davon abgesehen erwartet uns mit Road 96 aber ein Abenteuer mit Wiederspielwert. Überzeugende Charaktere, eine schöne wenn auch nicht frei begehbare Welt und ein wunderbarer Soundtrack. Der niedrige Preis von knapp 20 € im Download rundet das Paket vollends ab.

Wenn ihr jetzt Lust auf einen Roadtrip durch das politisch gebeutelte Pretoria habt, kann ich nur noch eines sagen… Schreibt mir ne Karte!

Wir sehen uns hinter der Grenze…

Zusammenfassung

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