Auf in den Wilden Westen! Rosewater schickt euch zusammen mit einem Haufen zwielichtiger Begleiter auf einen Roadtrip in die unerforschten Weiten des (alternativen) Wilden Westens. Werdet ihr die erhofften Reichtümer finden – oder irgendwo als Kadaver am Weg liegen bleiben?
Mit Rosewater vom erfahrenen Adventure-Entwickler Francisco Gonzalez aus New York (ursprünglich aus Miami) ist nun eines der von mir am sehnsüchtigsten erwarteten Point and Click Adventures des Jahres erschienen. Als Publisher fungiert Application Systems Heidelberg, die in der Vergangenheit u.a. mit Nelly Cootaloot, Unforseen Incidents, Mutropolis oder dem kürzlich veröffentlichten Prim einige hochklassige Point and Click Abenteuerspiele unter ihre Fittiche genommen haben. Francisco Gonzalez hat bereits A Golden Wake (2014), Shardlight (2016) und das fantastische Lamplight City (2018) geschrieben. Nun hat es ein klein wenig länger gedauert, bis nach 6-jähriger Entwicklungszeit endlich Rosewater veröffentlicht wurde. Ist das Spiel um so viel umfangreicher und/oder aufwändiger produziert? Und vor allem – hat sich die lange Wartezeit gelohnt?

Ein klassischer Western?
Wir spielen Harley Leger, eine ehemalige Boxerin, die nun ein etwas ruhigeres Leben führen will und mit dem Zug in die am Rande der Zivilisation liegende Grenzstadt Rosewater reist, um dort einen Job als freischaffende Journalistin beim lokalen Schmierblatt anzutreten. Groß ist die Stadt nicht, neben Sheriff, Zeitungsverlag, Saloon, Theater und einem Doktor gibt es nicht viel zu sehen. Schon bald sind wir aber auch in der Umgebung unterwegs, wo Indianer leben, ein Fort in der Wüste steht, und wir mexikanischen Freiheitskämpfern und der Tochter eines Schlangenölverkäufers begegnen. Dazu finden wir ein verlassenes Labor und eine Siedlung einer fanatischen Sekte. Wer jetzt glaubt, dass ich hier bereits das halbe Spiel gespoilert habe, den kann ich beruhigen – das alles wird bereits in den ersten beiden Stunden entdeckt. Für mich war das fast ein wenig zu viel – wie viele Western-Klischees wirft mir das Spiel denn noch in kürzester Zeit an den Kopf?
Das Jahr ist 1850, Luftschiffe durchkreuzen den Himmel und dampfgetriebene Traktoren stehen auf den Äckern. Das ist natürlich kein historisches Setting, sondern eine alternative Vergangenheit, angelehnt an den Wilden Westen, den wir aus den Geschichtsbüchern kennen, und mit ein wenig Steampunk aufpoliert. Die Geschichte spielt in Vespuccia, wie bereits Lamplight City, das letzte von Francisco Gonzalez entworfene Spiel. Es ist nicht notwendig, Lamplight City gespielt zu haben, schadet aber auch nicht. Aethericity kommt ebenfalls wieder vor, eine neue Energieform, die bereits in Lamplight City eine wichtige Rolle eingenommen hat. Rosewater ist kein wirklicher Nachfolger, sondern nur eine weitere Geschichte aus dieser Welt.
Ein klassisches Point and Click Adventure?
Rosewater ist der Name des Spieles, aber es ist auch der Name der kleinen Stadt in der Grenzregion, in der die Geschichte beginnt. Unser erster Auftrag als Journalistin führt uns zu einem gerade in der Stadt auftretenden (alternden) Westernhelden, den wir interviewen sollen. Von dem erfahren wir aber etwas anderes – er ist auf der Suche nach dem (angeblich enormen) Vermögen eines in der Gegend verschollenen Wissenschaftlers. Immerhin haben ihn ja viele Investoren unterstützt. Nachdem er unsere Fähigkeit als ehemalige Boxerin gut brauchen kann, schließen wir uns ihm an. Mit dabei ist noch sein Assistent, ein junger Chinese, der extrem gut mit seinen Pistolen umgehen kann. Bald kommt noch eine Indianerfrau dazu, und ein mexikanischer Revolutionär mit akademischer Bildung vervollständigt unsere seltsame Gruppe. Wir suchen also nach Spuren des Wissenschaftlers, finden nur sein verlassenes Labor und eine ihn anbetende Sekte – und schließlich einen Hinweis, wohin er sich abgesetzt hat. Auf in die Dampfkutsche, um unsere Reise quere durchs Land nach El Presidio zu beginnen!
Rosewater ist ein Point and Click Adventure, aber die Interaktion mit der Gruppe ist ein wesentlicher Teil des Spieles. Die Handlung entwickelt sich, je nachdem, wie wir mit unseren Begleitern umgehen. Ich habe es bei Adventures immer geliebt, wenn für ein bestimmtes Problem mehrere Lösungswege möglich waren. Und genau darauf wurde auch bei Rosewater ein besonderes Augenmerk gelegt. Viele Situationen können auf unterschiedliche Art gelöst werden. Das führt dazu, dass ihr bei einem wiederholten Durchspielen komplett neue Lokationen entdecken könnt, wobei zusätzlich sogar ein paar Begegnungen auf eurem Roadtrip zufallsbasiert sind.
Die Story von Rosewater erinnert mich grundsätzlich ein wenig an den alten Sierra-Klassiker Gold Rush aus dem Jahr 1988. Damals seid ihr auf der Suche nach eurem verschollenen Bruder von Brooklyn nach Kalifornien gereist – entweder am Landweg (Oregon Trail), über Panama (bevor es den Kanal gab) oder in einer langen Schifffahrt um das Kap Horn. Auch in Rosewater werdet ihr immer wieder Entscheidungen treffen müssen, die einen eigenen Weg eröffnen, aber schlussendlich alle zum selben Ziel führen.
Ein High-Tech Rechner?
Rein technisch sollte Rosewater so ziemlich auf jedem PC funktionieren, auf dem Windows 10 noch irgendwie läuft. Das Spiel wurde mit dem Adventure Game Studio (AGS) programmiert. Eine dezidierte Grafikkarte braucht ihr also definitiv nicht, um die native Auflösung von 1280×720 hoch zu skalieren. Rosewater ist aufwändig (englisch) vertont, einige der Charaktere wurden von aus anderen Spielen (z.B. The Walking Dead, Red Dead Redemption 2, Firewatch, Call of the Sea) bekannten Sprechern eingesprochen. Die umfangreichen Texte (170.000 Wörter) sind vollständig auf Deutsch übersetzt. Der Soundtrack von Mark Benis verwendet echte Instrumente und ist liebevoll arrangiert – hält sich während dem Spiel aber dezent im Hintergrund.
Mit einem Doppelklick verlasst ihr eine Lokation sofort, mit dem Druck auf das Mausrad werden alle Hotspots angezeigt. Gespeichert kann jederzeit werden, sterben oder Sackgassen sind nicht vorgesehen. Die rechte Maustaste öffnet das Inventar. Mit der Maus wird mit Hotspots oder Gegenständen im Inventar interagiert, wobei manchmal nur eine Interaktionsmöglichkeit besteht, manchmal aber auch ein paar Handlungsoptionen als Text zur Auswahl stehen – funktioniert ganz gut, ist aber irgendwie ungewöhnlich gelöst und ein wenig verwirrend. Insgesamt gibt es aber technisch nicht wirklich etwas zu bemängeln.
Zusammenfassung
FAZIT
Rosewater macht vieles richtig, was ein gutes Point and Click Adventure ausmacht. Die Geschichte ist abwechslungsreich und (für ein Point and Click Adventure) recht lange – unter 15 Stunden werdet ihr beim erstmaligen Durchspielen wohl nicht landen. Die Benutzerführung ist intuitiv, die handgezeichnete Grafik und Animation für ein Indie-Spiel ganz ansehnlich. Rosewater punktet mit unterschiedlichen Lösungswegen und aufwändiger Vertonung. Es gibt zwar ein Inventar, aber es ist nicht notwendig, dutzende Objekte mit dutzenden Objekten zu kombinieren, um dann überraschend ein Ergebnis zu erhalten. Die Puzzles haben einen Anspruch auf Realismus, und die Geschichte wird mehr durch narrative Entscheidungen als durch das Lösen von verzwickten, aufgesetzten Puzzles vorangetrieben. Ihr werdet also eher überlegen, welche Auswirkungen bestimmte Entscheidungen haben könnten, als wie ihr das Schloss einer versperrten Tür mit 15 verschiedenen Objekten öffnen könnt. Und sehr oft helfen logische Ansätze tatsächlich weiter – wenn jemand sich absolut dämlich in den Weg stellt, hilft ein Faustschlag ins Gesicht (wir waren ja eine Boxerin), oder wenn ich irgendein Problem nicht lösen kann, hilft erstaunlich oft das Gespräch mit einem Begleiter, der das Problem dann für uns löst.
Rosewater ist trotz kleiner Anleihen im Rollenspielgenre vor allem ein klassisches Point and Click Adventure. Rätsel, Interaktionen mit der Umgebung und vor allem Gespräche treiben die Story voran. Gute Point and Click Adventures sind wie ein interaktives Buch oder ein interaktiver Film. Für mich ist daher immer die Qualität der Geschichte (bzw. der Texte) der wesentliche Punkt, ob mir ein Adventure Spaß macht oder nicht – und auch in diesem Aspekt hat Rosewater meine Erwartungen erfüllt. Auch wenn die Geschichte nicht unbedingt ein literarisches Meisterwerk ist, ist doch immer klar, was als nächstes zu tun ist. Rosewater ist ein grundsolides Point and Click Adventure, das ich jedem Fan des Genres nur ans Herz legen kann.