SnowRunner im Test

Offroad-Simulationen sind per se ein noch recht junges Genre. Einer der populärsten Vertreter war und ist ist MudRunner, das mit SnowRunner nun einen Nachfolger erhält. Dieser will durch so manch kleine Anpassung Neulingen den Einstieg erleichtern und gleichzeitig ganz neue Vielfalt durch die Erschließung neuer, verschneiter Spielareale bieten. Klingt gut? Ist es auch!

Autofahren ist nicht gleich Autofahren – schon gar nicht, wenn man es in Extremen betreibt. Will heißen: Auf Rundstrecken mit nahe an den Asphalt gepressten Hochleistungs-Sportlern nach Bestzeiten zu jagen hat mit dem Fahren mit entsprechend darauf hin getrimmten Boliden in schwerem Gelände ungefähr soviel zu tun wie frittierte Butter mit fettarmer Ernährung. Dementsprechend sollte eines ganz klar sein: Wer mit Autos am meisten Spaß hat, wenn er das Gas-Pedal auf die Bodenplatte knallen kann – egal ob virtuell oder in der echten Welt und ob auf Asphalt oder im Gatsch – möge den Artikel an dieser Stelle im Interesse seiner eigenen Lebenszeit schließen, SnowRunner vergessen und, wenn er trotzdem Staub aufwirbeln will, sich einfach auf Dirt 5 freuen … oder Dirt 4 kaufen.

*Zeit zum Nachdenken*

Du bist noch hier? Gut. Dann lass uns doch direkt in die Materie abtauchen: Saber Interactive hat mit MudRunner im Grunde schon ein sehr solides Sandbox/Offroad/Trucker-Gesamtkunstwerk abgeliefert, an dessen Grundprinzipien auch in SnowRunner nicht gerüttelt wird: Immer noch geht es darum, in frei befahrbaren, erst einmal vorwiegend über das Erreichen von Wachtürmen zu erkundenden Arealen Aufträge anzunehmen, das passende Equipment aufzutreiben und dann, in der Regel, Objekt A von Punkt B nach C zu bringen. Und das mal mit und mal ohne Zeitdruck, aber ausnahmslos immer über Strecken, auf denen einem rutschige Untergründe ebenso das Leben schwer machen wie Felsen, Geröll, Flüsse, Wurzeln, Bäume, eigentlich zu enge „Straßen“ und jede Menge andere Hindernisse.

Planung ist das um und auf

Durch Erledigen dieser Aufträge wiederum verdient man Geld und Erfahrungspunkte, mittels derer man Zugang zu immer weiteren Missionen, Trucks und An- und Umbauten für sie erhält – von Ladeflächen, über Winden bis hin zu Kränen und kompletten Aufbauten. Wie das alles genau funktioniert und zusammenspielt, musste man sich in MudRunner noch über große Strecken selbst zusammenreimen. In SnowRunner hingegen wird Neulingen etwas mehr entgegengekommen … aber auch wirklich nur „etwas“. Heißt konkret: Nach wie vor bleiben nach dem rund 20 bis 30 Minuten langen Tutorial viele Fragen offen, die theoretisch durch Texteinblendungen und den aufzurufenden „Kodex“ geklärt werden, am Ende aber eben doch selbst ausprobiert und ergründet werden müssen.

Überhaupt ist SnowRunner kein Spiel, das den Zocker an die virtuelle Hand nimmt und narrensicher bis zum Abspann schleppt. Hier geht es darum, sich vieles selbst beizubringen, es zu entdecken und zu erkämpfen. Und das mit viel Geduld, Bedacht und Voraussicht. Viele Aufträge sind also mehrstufig und haben nichts mit einfachen Botengängen zu tun. Viel mehr geht es immerhin darum, Tonnen von Material aus unterschiedlichen Quellen zu holen und dort abzuliefern, wo sie hingehören. Ob ihr dafür nun einen Anhänger mitnehmt und versucht die ganze Menge der Ware gleich auf einen Sitz abzuliefern, oder doch lieber auf die Ladefläche eures Trucks allein vertraut und ein paar Mal hin und her fahrt, bleibt ganz euch überlassen. Kategorisches „richtig“ oder „falsch“ gibt es so gut wie nicht. Es kommt immer auf die Mittel an, die euch gerade zur Verfügung stehen – und natürlich das Feingefühl, das ihr am Steuer dann an den Tag legt. Planung ist also das um und auf – ein Trip über die Route mit einem leichten Geländewagen (Scout genannt) um die Gegend zu erkunden und so zu entscheiden, welchen Truck mit wie viel Ladung man darauf möglichst risikolos transportieren kann, ist also oft überaus ratsam. Bleibt ihr nämlich trotz Winde und Co. stecken – und glaubt mir, das werdet ihr oft tun – bleiben euch nur zwei (ein-halb) Auswege: Entweder ihr hüpft über die jederzeit aufrufbare Übersichtskarte in irgendeines eurer anderen Fahrzeuge und zieht euch damit selbst aus dem Dreck, oder ihr wählt die Option „bergen“, woraufhin euer Fahrzeug augenblicklich wieder sauber, vollgetankt und repariert in der Werkstatt auf euch wartet. Unnötig zu erwähnen, dass die Mission dann aber von vorne angefangen werden muss.

Die „ein-halbte“ Variante, die ich erwähnt habe, wäre über den Multiplayer-Modus Hilfe anzufordern. Theoretisch eine wundervolle Sache. Praktisch hat das aber in meinem Test überhaupt nicht funktioniert. Es kam keiner … und ja, vielleicht habe ich für die richtige Verwendung des Systems eben einfach irgendetwas falsch verstanden und es eben noch nicht ganz ergründet. Doch nachdem auch so manch andere Kollegen hier von „beta-ähnlichen“ Zuständen schrieben, scheint es nicht an meiner Unfähigkeit allein zu liegen.

Michigan, Alaska und Taymyr

Content wird jede Menge geboten: Jedes der drei angebotenen und in seinem Charakter recht eigenständliche Areale – Michigan ist dich bewaldet, bergig und schlammig, Taymyr weitläufiger und feuchter und Alaska meterhoch verschneit – ist für sich riesig und bietet zahlreiche Aufträge zu erledigen und Dinge zu entdecken. Am hervorhebenswertesten ist dabei für Kenner freilich Alaska, da es mit seiner dicken Schneedecke auch spielerisch gänzlich Neues bietet. Gut: Schnee verhält sich in SnowRunner tatsächlich auf realistische Weise anders als Schlamm. Während letzterer in technisch immer noch beeindruckender Art und Weise durch die Reifen zur Seite geschoben wird, wird Schnee auch plattgedrückt und „pulvert“ zur Seite. Dass Bremswege und Grip ebenfalls auf ganz anderem Niveau sind, ist also fast überflüssig zu erwähnen; ebenso wie die Tatsache, dass Reifen mit Schneeketten nicht als bloßer Gag hinzugefügt wurden.

Was leider nicht hinzugefügt wurde, ist aber „Leben“. Will heißen: In all den gigantischen Arealen, die teilweise mit viel Detail-Verliebtheit gestaltet wurden und an sich eine Menge Charme versprühen, seid ihr das einzig erkennbare Lebewesen. Andere Autos auf den Straßen? Fehlanzeige. Tiere im Wald? Fehlanzeige. Spaziergänger, Jäger, Camper oder sonstige Menschen, die durch die Gegend stapfen und sich für spontane Missionen anbieten würden? Fehlanzeige. Hier hat Saber Interactive leider zum wiederholten Male eine echte Chance vergeben ihre „Runner-Titel“ in Sachen Authentizität und Immersion auf ein neues Level zu heben.

Auch beim Schadensmodell muss sich der Entwickler etwas Kritik gefallen lassen. Zwar ist die Visualisierung von Schäden vorbildlich: beschädigte Teile werden farblich hervorgehoben, während euch ein Prozentwert anzeigt wie stark sie in Mitleidenschaft gezogen wurden. Zudem werden die Fahrzeuge auch optisch verformt und demoliert. Andererseits ist der Grad der Beschädigung oft schwer nachvollziehbar. Mit anständig Schwung gegen einen Baum zu knallen hatte während meiner Testfahrten etwa oft weniger negative Auswirkungen als eine Kurve etwas zu eng zu nehmen und mit dem Hinterreifen eine Leitplanke zu touchieren. Und ein mehrfacher Überschlag hatte gar einmal – bis darauf, dass der Motor abgestorben ist – fast gar keine Auswirkungen. Man muss kein Fahrzeug-Techniker sein um zu wissen, dass da irgendwas nicht zusammenpasst.

Beeindruckende Technik

Trotz der Unzulänglichkeiten beim Schadenmodell fällt mein Gesamtfazit zur Technik aber positiv aus. Die Physikberechnungen sind etwa erstklassig. Egal ob es der sich verformende Untergrund ist oder wie die Verwendung von Winden und Kränen sich auf alles auswirkt: Alles wirkt glaubhaft und sorgt für ein herausforderndes und belohnendes Spielvergnügen.

Auch die Grafik kann sich sehen lassen. Die Fahrzeugmodelle der allesamt lizenzierten Vehikel sind detailliert, die Umgebungen glaubhaft und liebevoll gestaltet und die Lichtstimmungen und Effekte können sich ebenso sehen lassen. Vor allem der fließende Tag-/Nacht-Wechsel sorgt regelmäßig für tolle Anblicke. Einzig die Wetter-Kapriolen, die die Entwickler den Zockern zumuten, sind einen Tick zu zahm. Neben Regen und leichtem Schneefall wäre etwa gerade in Alaska ein richtig dichtes Schneegestöber ebenso nett gewesen wie ein ausgewachsenes Gewitter in Michigan oder Taymyr. Beim Sound hingegen habe ich nichts zu bekritteln. Die Motorengeräusche sind kernig und authentisch, die Ambiente-Sounds passend und auch der Soundtrack weiß zu gefallen und sorgt für „hemdsärmeliges Trucker-Feeling“.

In Sachen Steuerung habe ich persönlich nur die Tastatur und einen Controller ausprobiert. Von diesen beiden Optionen kann ich letzteren nur wärmstens empfehlen. Gerade wenn man im Begriff ist sich irgendwo im Schlamm „einzugraben“ ist es wichtig, gefühlvoll leichte Lenkbewegungen setzen zu können, um sich doch noch zu befreien. Mit der Tastatur geht das einfach nicht. Mit Lenkrädern hingegen ginge das freilich noch besser – zudem würde gut das Gefühl des „ständigen, ausgiebigen Kurbelns“ vermittelt, dass Offroaden mit sich bringt. Kleiner Tipp aus dem echten Offroad-Profi-Leben übrigens: Entgegen dem Fahren auf der Straße immer die Daumen außerhalb vom Lenkradkranz lassen! Wenn ein Stein oder eine Wurzel mal schlagartig euer Volant eine halbe Umdrehung in eine Richtung reißt, wollt ihr sicher nicht, dass einer eurer Daumen im Weg ist … Aber zurück zum Thema: Die Lenkradunterstützung von SnowRunner hinkt noch etwas hinterher, sagen die Entwickler und geben dafür glaubhafterweise den Einschränkungen der Corona-Krise die Schuld. Allerdings haben sie gleichzeitig langfristige Unterstützung für das Spiel zugesagt. Heißt: DLCs und regelmäßige Patches sind in Aussicht. Schon hier und jetzt gibt es dafür – zumindest am PC – eine fest ins Game integrierte UGC- und Modding-Unterstützung über mod.io. Darüber lassen sich neue und freilich teils sehr skurrile Fahrzeuge ganz einfach ins Spiel holen und sorgen für zusätzlichen Langzeit-Spaß. Vorbildlich!

FAZIT

SnowRunner war für mich ab und an eine gute Gelegenheit zur Selbstentwicklung. Beizeiten neige ich nämlich zu Ungeduld … und das führt hier eigentlich fast zwangsläufig zu Überschlägen oder dazu, dass man – am „besten“ ganz knapp vorm Missionsziel – ohne Aussicht auf Rettung im Schlamm stecken bleibt. Ja, SnowRunner ist kein Spiel für Zocker, die schnelle Action suchen. Wer sich aber auf das ungewöhnliche Konzept realistischen Schleichens durchs Gelände einlassen will – das übrigens ebenso spannend sein kann wie Hochgeschwindigkeitsjagden nach neuen Bestzeiten – wird hier bestens versorgt: Viel Content, tolle Technik, motivierendes Gameplay und komfortabler Mod-Support sorgen für Stunden über Stunden an Unterhaltung. Perfekt ist SnowRunner aber freilich nicht. Vor allem die Leblosigkeit der Welt und das Fehlen echter „Wetter-Highlights“ sind Minuspunkte. Am Ende kann Fans des Vorgängers dennoch nur geraten werden, sich auch SnowRunner zu gönnen … und allen anderen, die noch hadern, ja eventuell eben jener ans Herz gelegt werden: MudRunner gibt’s in der American Wilds Edition inklusive dreier DLCs aktuell um 29,90 auf Steam.

Was ist SnowRunner? Eine beinharte Offroad-Trucker-Simulation – jetzt mit Schnee.
Plattformen: PC, PlayStation 4, Xbox One
Getestet: auf PC
Entwickler / Publisher: Saber Interactive / Focus Home Interactive
Release: 28. April 2020

Gesamtwertung: 8.4

Einzelwertungen: Grafik: 10 | Sound: 8 | Handling: 10 | Spieldesign: 6 | Motivation: 8

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