Space Invaders

Es war der Abend vor Weihnachten im Jahre 1977. Auf der zweitgrößten Insel Japans, Hokkaido, starren in die Kinder gen Himmel, auf der Suche nach dem Weihnachtsmann mit seinem roten Rentierschlitten. Aber anstatt des freundlichen Geschenkebringers erspähen sie plötzlich Aliens vom Planeten Venus, die auf die Erde zusteuern. Die cleveren Kinder erkennen sofort die Gefahr, basteln aus einer Radkappe, Zündkerzen sowie einer Autobatterie einen Laserblaster zusammen und holen die Aliens eines nach dem Anderen vom Himmel. Nach etwa vier Angriffswellen geben die Außerirdischen auf und die Erde ist gerettet. Am nächsten Morgen werden die Kinder mit Extra-Geschenken und Pudding belohnt. Dieses historisch nicht belegte Ereignis inspirierte Spieleentwickler Tomohiro Nishikado zum Videospiel-Klassiker Space Invaders.

Die Geschichte klingt etwas unglaubwürdig?

Stimmt, dennoch wurde sie anno 1992 zur Veröffentlichung von Super Space Invaders genauso im Computer-Magazin Your Sinclair publiziert. Obwohl rein fiktional und als Satire gemeint, verbreitete sich diese Variante der Entstehungsgeschichte sehr schnell und ist heute noch als eine Art Traumversion auf Wikipedia zu finden. Fakt ist jedoch, dass Tomohiro Nishikado zunächst ein Spiel mit einem Weltkriegsszenario geplant hatte, in dem sich Angriffswellen von marschierenden Soldaten, Panzer und Flugzeuge auf den Spieler zubewegten. Nachdem aber Taito vor allem auf dem U.S. Markt schon wegen dem eigentlich simplen Westernduell Gun Fight herbe Kritik einstecken musste, da hier auf einen menschlichen Gegner geschossen wurde, verwandelte man kurzerhand die humanoiden Soldaten in Aliens.

In einem späteren Interview bestätigte Nishikado, dass das Spiel vor allem von zwei Inspirationsquellen beeinflusst wurde: Einerseits von HG Wells Literatur-Klassiker “Krieg der Welten” welcher als Vorlage für das Design der Aliens diente, andererseits durch das Arcade-Geschicklichkeitsspiel Breakout. Letzteres wurde knapp ein Jahr zuvor von Atari als Spielhallen-Automat veröffentlicht und war als eine Art Solo-Pong konzipiert, bei dem mit einem Schläger und einem Ball „Mauersteine“ am oberen Bildschirmrand zerstören musste. Nishikado tauschte kurzerhand Schläger und Ball mit einer Laserkanone sowie die Mauersteine gegen Aliens, die sich horizontal von links nach rechts und auf den Spieler zubewegten. Als zusätzliches Spielelement wurden stationäre Verteidigungsbunker hinzugefügt, die jedoch mit jedem Treffer Schaden nehmen, bis sie schlussendlich ganz verschwunden sind. Das Ziel von Space Invaders ist es, sämtliche außeridischen Invasoren zu eliminieren, bevor sie den unteren Bildschirmrand erreichen. Hat man das geschafft erscheint eine neue Phalanx von Außerirdischen und das Prozedere beginnt von vorne.

Space Invaders war ein Solo-Projekt von Tomohiro Nishikado

Er war nicht nur für das Konzept, Game-Design sowie Programmierung verantwortlich, er entwickelte sogar seine eigenen individuellen Hardware- und Entwicklungs-Tools für das Spiel selbst. Weil die japanischen Mikrocomputer nicht leistungsfähig genug waren verwendete er dazu einen Intel 8080 8-Bit Mikroprozessor mir 2 Mhz Taktfrequenz aus den Vereinigten Staaten. Für den Mono-Sound sorgte eine Kombination von analogen Schaltkreisen und einem Texas Instruments SN76477 Soundchip. Trotz der speziell entwickelten Hardware, war Nishikado mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Eine farbige Darstellung der Grafik war nicht möglich und auch die Geschwindigkeit der Gegner bereitete ihm Kopfzerbrechen. Während der Entwicklung bemerkte er jedoch, dass je weniger Feinde am Bildschirm gerendert werden mussten, desto schneller wurde die Spielgeschwindigkeit. Anstatt dieses Verhalten der Hardware programmtechnisch zu kompensieren, entschied Nishikado es als Teil des Gameplays beizubehalten. Die ersten Arcade-Automaten wurden von Taito als Cocktail-Tisch Variante in Japan ausgeliefert, damals noch mit simpler Schwarz-Weiß-Grafik. Erst der amerikanische Publisher Midway verwendete das „Upright Cabinet“-Standardgehäuse und simulierte Farben, indem orange und grüne Cellophanfolie hinter dem Bildschirm angebracht wurde.

Nishikado hat mit Space Invaders nicht nur ein neues Genre erschaffen, das Shoot ‘Em Up, sondern er implementierte auch revolutionäre neuartige Spielelemente, welche heutzutage in beinahe jedem Arcade-Spiel als Standard zu finden sind. Da wäre zum Einen das Konzept der “Leben”, denn erst nach drei Treffern wurde das obligatorische Game Over am Bildschirm angezeigt. Ein weitaus bedeutenderes neues Element war jedoch der Highscore. Dieses wurde zwar schon ein Jahr zuvor von Midway’s Sea Wolf erstmalig eingeführt, Space Invaders war aber das erste Spiel bei dem die höchste Punkteanzahl auch gespeichert wurde. Es ging in der Folge nicht mehr nur darum die Aliens zu besiegen (was aufgrund der endlosen Angriffswellen eigentlich auch unmöglich ist), sondern so lange wie möglich zu spielen, um einen möglichst hohen Score zu erreichen. Der Rekord liegt aktuell übrigens bei 1.114.000 Punkten, aufgestellt im Jahr 1980 vom damals 12-jährigen Eric Furrer nach exakt 38 Stunden und 37 Minuten Dauerballern. Ein weiteres Novum der damaligen Zeit war die Musikuntermalung. Waren bis dahin nur sehr minimale Soundeffekte aus den Lautsprechern der Arcade-Automaten zu hören, wurde der Verteidigungskampf gegen die Aliens stilgerecht mit einer einer simple Abfolge von vier Basstönen in einer Endlosschleife untermalt. Je weiter sich die Aliens dem unteren Bildschirmrand näherten, desto schneller wurde diese Abfolge. Die Musik beeinflusste somit die Emotionen der Spieler und schuf eine einzigartige, bedrückende Atmosphäre.

Space Invaders wurde schon kurz nach seinem Release im Jahr 1978 nicht nur zu einem durchschlagenden kommerziellen Erfolg, sondern entwickelte sich auch zu einem weltweiten Phänomen, um welches sich bis heute zahlreiche Mythen und urbane Legenden bildeten. Eines der wohl bekanntesten Gerüchte ist wohl jenes, dass schon kurz nach der Veröffentlichung in Japan eine nationale Münzenknappheit grassierte, da die Spieler Unmengen an 100-Yen-Münzen horteten, um damit die Spielautomaten füttern zu können. Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte darf bezweifelt werden, bestätigt ist dagegen, dass Taito und Midway weltweit insgesamt mehr als 360.000 Spielautomaten verkaufen konnten, mit einem Gesamtgewinn für den japanischen Konzern von mehr als 500 Millionen Dollar. Aber abseits jeglichen finanziellen Erfolges war der Einfluss den Space Invaders auf die komplette Vilebranche ausübte weitaus bedeutender.

Ende der Siebziger befand sich die amerikanische Videospiel-Industrie in einer Krise. Der Absatz der ersten Generation an Spielkonsolen mit dedizierter Hardware auf der immer nur ein Spiel lief, den so genannten festverdrahteten Konsolen, stagnierte. Die Nachfolgemodelle der zweiten Generation, welche bereits auf dem Konzept der Trennung von Hard- und Software basierten, wie etwa Fairchilds Channel F oder die Studio II Konsole von RCA, konnten sich noch nicht durchsetzen und verkauften sich dementsprechend schleppend. Auch die Verkaufszahlen von Ataris Video Computer System (Atari VCS, später Atari 2600) entsprachen nicht den Erwartungen des damaligen Mutterkonzerns Warner Communications und der Verlust drohte das Unternehmen in den Ruin zu treiben. Mit dem Erwerb der Rechte an der Heimkonsolen-Version von Space Invaders gelang Atari die Rettung. Obwohl die Portierung aufgrund systembedingter, technischer Limitierungen nicht die Qualität der Automatenversion erreichte, entwickelte sich die Atari-Konsole dank des populären Zugpferdes zu einem Verkaufsschlager. Die Krise der Branche war damit abgewendet – zumindest vorerst.

Natürlich blieb es nicht beim Space Invaders Arcadespiel und der Atari Konsolen-Portierung. Bereits ein Jahr nach der Erstveröffentlichung erschien mit Deluxe Space Invaders eine optisch aufgepeppte Automaten-Version und das offizielle Sequel Space Invaders II aus dem Jahr 1980 verfügte sogar über einen Zwei-Spielermodus. Im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte wurden noch zahlreiche weitere Reinkarnationen veröffentlicht, die jedoch allesamt dem grundlegenden Gameplay treu geblieben sind. Neben unzähligen Klonen existieren aber auch einige mehr oder weniger erfolgreiche Nachahmer die entweder das Spielprinzip  gerinfügig veränderten (Galaxian, Galaga, Centipede) oder das Genre neu definierten (Defender).

FAZIT

Trotz aller Fortsetzungen, Imitate und Portierungen ist und bleibt das Original Space Invaders aus dem Jahr 1978 nicht nur ein zeitloser Klassiker, sondern ist auch vielmehr ein Stückchen Spielgeschichte, welches die gesamte Branche maßgeblich beeinflusst hat. Nicht umsonst gilt er als Begründer der Goldene Ära der Arcade-Spiele und selbst Spieleentwickler wie Hideo Kojima oder Mario-Erfinder Shigeru Miyamoto gestehen, dass erst durch dieses Spiel ihre Leidenschaft für Videogames entfacht wurde.

Passende Beiträge

Mandragora erscheint am 17. April 2025 für den PC

Flint: Treasure of Oblivion erscheint am 17. Dezember

War Robots: Frontiers-Playtest – Mech-Action auf PlayStation und Xbox